„Kaum Unterschiede zu anderen Unternehmen“

Die COMPUTERWELT hat mit Reinoud Martens, Group Leader Service Management bei CERN, über die Herausforderungen von komplexem Service-Management gesprochen. Die sollen sich aber auch nicht von denen konventioneller Unternehmen unterscheiden. [...]

Das CERN ist bekannt für Experimente mit dem LHC (Large Hadron Collider), den Nachweis der Existenz des Higgs-Bosons (Gottesteilchen), die Erfindung des Web und, wie sich im Gespräch herausgestellt hat, auch des Cloud Computing. Das Gespräch fand im Gefolge der Anwenderkonferenz Knowledge 15 statt, die ServiceNow diesen Frühsommer in Las Vegas ausgerichtet hat.

Hat ServiceNow mitgeholfen, das Gottesteilchen zu finden?
Reinoud Martens: Das würde ich mir nicht anmaßen zu sagen, wobei ja, sehr indirekt vielleicht doch. Denn wenn sie Physiker dabei unterstützen, sehr auf ihre eigentlichen Aufgaben fokussiert zu arbeiten, hat das sicherlich positive Auswirkungen auf deren Ergebnisse! Sie konnten sich schon auf die Auswertungen der Daten des LHC konzentrieren und mussten keine Zeit damit verschwenden, eine Telefonnummer ausfindig zu machen, wenn ein Fenster kaputt war oder eine neue Tastatur gebraucht wurde.
Wir haben ServiceNow seit Februar 2011 im Einsatz, zuerst nur mit einem Single Service Desk und Portal für alle IT-Services und für eine Vielzahl von Nicht-IT-Services wie Infrastruktur und allgemeine Services innerhalb von CERN. Die Idee war es, einen Single Point of Contact für die Enduser einzurichten. Also für Physiker, die nach CERN kamen, um nach dem Higgs-Boson zu suchen, eine zentrale Anlaufstelle für Bedürfnisse und Probleme, welche auch immer, zu schaffen. Auch wollten wir im Untergrund eine klare, einfache Struktur der Tools und Prozesse, sodass wir diese leicht von einem Service auf das andere übertragen konnten.

Wie viele Leute betrifft das?
Wir sprechen von rund 40.000 Anwendern und ca. 1.700 Supportern, die die generierten Tickets bearbeiten. Diese Zahlen ändern sich aber je nach der Arbeit am LHC ständig, CERN alleine hat rund 2.300 ständige Mitarbeiter und eine große Zahl an Studenten, Dissertanten, wissenschaftlichen temporären Besuchern etc.

Und die Arbeit mit dem LHC?
Die IT-Operations im CERN sind sehr konstant, denn selbst wenn der LHC nicht läuft, werden die enormen Datenmengen der vergangenen Lauf-Phasen analysiert, gegenwärtig wird er wieder angefahren und bei uns ist Einiges los. Wenn man sich die Zahl der Tickets, die im System generiert wird, wenn ein User ein Problem hat, ansieht, sieht man, dass es 50:50 IT/Non-IT steht. Ich bin für ein Service Framework an Service-Management im Nicht-IT-Bereich verantwortlich, das aber überall in unserer Organisation zum Einsatz kommt.
Eine kaputte Tastatur ist ein IT-Problem. Wir kümmern uns im Fokus unseres Service-Management-Systems um Facility-Management, Gebäude, Reinigung, Grünflächen, Zäune, Fenster, Straßen, Garagen, Feuerwehr, Security Services, medizinische Angelegenheiten, Bibliotheken, Geschäfte u. v. m. Braucht ein Wissenschaftler eine neue Tastatur, oder hat er Ameisen im Büro, muss er nur die eine Nummer anrufen. Es gibt keine weiteren Layer im System, um das nicht zu verkomplizieren. Wir bearbeiten jährlich rund 250.000 Tickets.

Sie haben also modernstes Service-Management auf eine gewachsene Struktur aufgesetzt?
Ja, CERN hat den LHC gebaut, die IT-Abteilung hat das Computing Grid gebaut, eine Art Cloud für Wissenschaftler, lange bevor der Begriff Cloud geboren war. Das war ein Zusammenschluss von wissenschaftlichen Rechenzentren um deren Rechen- und Speicherkapazität den Wissenschaftlern am CERN zur Verfügung zu stellen, die viele Petabytes an Daten generieren.
Alle Ressourcen gingen da hinein, dann ging CERN mit dem LHC in den Operational Mode und wir hatten uns darum zu kümmern, die zahlreichen forschenden Wissenschaftler zu servicieren. Wir mussten von einer Projekt-Kultur zu einer operationalen Kultur wechseln. Zu diesem Zweck wurde 2009 eine eigene Services-Abteilung gegründet, die für die gesamte Infrastruktur verantwortlich ist; bis auf den Teilchenbeschleuniger.

Wo liegt der Unterschied zwischen CERN und traditionellen Unternehmen?
CERN unterscheidet sich nicht gravierend von irgendeinem anderen Unternehmen. Im Bereich von Fragen der Infrastruktur gibt es wenig Raum für Kreativismus, der bei uns vielleicht manchmal vorherrscht. Wir mussten vielmehr anhand von Good Practices ein transparentes Service-Management-Framework aufbauen, das es uns erlaubt, unseren Stakeholdern (also den Steuerzahlern) zu beweisen, dass ihr Geld mit Bedacht ausgegeben und nicht verschwendet wird.
Wir mussten in der Lage sein, Reports zu generieren – wie wir performen, was wir tun, was sind die Trends, welche Tickets werden überhaupt erstellt –, was ohne eine zentrale Organisation und standardisierte Prozesse so nicht möglich war. Viele Abteilungen kennen nicht einmal ihre Service-Levels, die sie bereitstellen sollten. 60 Jahre CERN haben eine große Legacy hinterlassen.

Wie sind Sie vorgegangen?
Wir haben einen Service-Katalog mit den Prozessen und Tools, die wir verwenden, um diese Services zur Verfügung zu stellen, erstellt. Zuerst für Non-IT, ab 2010 dann mit ITSM. Wir ermittelten rund 300 Services, die wir anbieten (Bus-Shuttles, Mietwägen zum Flughafen, Fahrräder etc.). Wir haben im Augenblick rund 500 Formulare auf der Plattform, die in ServiceNow schnell und übersichtlich gestaltet und angelegt werden können. Das war früher komplizierter. Wir haben jetzt ein sehr generisches Serviceportal, mit sehr spezifischen Formularen, die einfach zu befüllen sind (z. B. Mietwagen, Größe, Dauer etc.) und an die richtige Stelle geroutet werden.
 
Wie sieht die Zukunft aus?
Die Hauptarbeit ist getan, wir arbeiten an der Vervollständigung. Wir wollen jetzt das Framework in die Experimente erweitern, die eine eigene IT haben. Wir wollen weiter und tiefer werden, da die Plattform gut skaliert. Es ist sehr einfach, jetzt neue Services zu integrieren. CERN hat jetzt einen neuen Direktor, was wiederum einige Änderungen anstoßen wird und auch Chancen bringt.

Das Gespräch führte Herbert Koczera.

Reinoud Martens
Reinoud Martens ist Group Leader Service Management bei CERN. CERN, die Europäische Organisation für Kernforschung, ist eines der größten Zentren für physikalische Grundlagenforschung der Welt.
Bei CERN werden die weltweit größten und komplexesten Geräte genutzt, um die kleinsten Bestandteile der Materie zu erforschen: die Elementarteilchen.


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