KI als Mega-Innovations-Treiber

World Changer künstliche Intelligenz (KI): Künstliche Intelligenz wird laut vielen Prognosen in den kommenden Jahren für disruptive Veränderungen sorgen. Aber wie viel KI ist heute schon in der Praxis sinnvoll einsetzbar? Und welche Erfolgsmodelle gibt es? [...]

Die Computerwelt hat fünf Experten zum Roundtable »KI in der Unternehmenspraxis« bei IBM eingeladen. Von links: Klaudius Kalcher (Mostly AI), Franz Dornig (IBM), Christine Wahlmüller-Schiller (Computerwelt), Paul Strunz (Wien Energie), Andreas S. Rath (Ondewo) und Jan van Oort (Sparx Services). (c) Rudi Handl

Wir stehen an der Schwelle zu einem großen Umbruch, vorangetrieben durch die Anwendung von KI auf die Kernprozesse und Arbeitsabläufe in Unternehmen, Institutionen und Organisationen. Schlüssel und Basis für den erfolgreichen Einsatz von KI sind Daten. Klaudius Kalcher, Chief Data Scientist bei der 2017 gegründeten Wiener Firma Mostly AI, hat folgenden Zugang: »Daten haben mich immer schon fasziniert, weil man daraus etwas lernen kann. KI ist der Schritt, die menschlichen Denkprozesse zu automatisieren. Oftmalig hat man das Problem, dass man mit Daten zu tun hat, die sensibel sind.« Genau hier setzt auch die Geschäftsidee von Mostly AI an: »Wir lösen das Problem dadurch, dass wir es Firmen ermöglichen, statt den echten, sensiblen Daten synthetisch erzeugte Daten zu verwenden bzw. diese zu generieren, die aber trotzdem alle Erkenntnisse beinhalten, die man aus echten Kundendaten gewinnen würde.

Mostly AI hat in den letzten drei Jahren eine entsprechende Software entwickelt, die es ermöglicht, auf Basis echter Daten KI-Modelle zu trainieren, die dann eine komplett neue Datenbank von fiktiven Kunden erstellen können.« Der Vorteil dabei: Mit künstlich generierten »Fake-Kunden« laufen die Unternehmen nicht Gefahr, Datenschutz-Bestimmungen zu verletzen oder Unbefugten Einblick in sensiblen Daten zu geben – aber sie erhalten damit die Möglichkeit, anhand der künstlichen großen Kunden-Datensets die gewünschten Analysen durchzuführen. Das ist etwa für Banken ein großes Thema, zu den ersten Kunden von Mostly AI zählte daher etwa die Erste Bank Gruppe.

Inzwischen hat sich das Wiener Startup schon enorm weiter entwickelt: Kürzlich wurde in ein neueres größeres Büro in Wien übersiedelt und ein US-Office in New York eröffnet. In den letzten Monaten wurde Mostly AI auch mit einigen Preisen bedacht, zum Beispiel dem Sonderpreis für die beste Idee beim trend Startup-Ranking 2019 im Dezember, war Sieger beim Startup Pitch der größten Banking-Konferenz in den USA, Money 20/20 im Oktober sowie Sieger beim Pitch des Silicon Valley Accelerator Programms PlugandPlay im vergangenen Sommer.

Bei IBM beschäftigt man sich schon sehr viel länger mit dem Thema KI. »2007 erfolgte die Entscheidung zum großen Wiedereinstieg, 2011 gab es bei der TV-Quiz-Show Jeopardy! das Duell Mensch gegen Maschine«, erzählt Franz Dornig, bei IBM als Manager Cognitive Solutions für den KI-Bereich verantwortlich. »Bei der letzten großen KI-Konferenz im Frühjahr stand das Thema Sprachverständnis im Mittelpunkt, wir haben dort Project Debater vorgestellt, ein Projekt aus unserem Research Lab in Haifa, das jetzt schon ein ziemlich breites Sprachverständnis hat und tatsächlich in der Lage ist, mit einem Menschen zu diskutieren bzw. auf Argumente zu antworten. Und die Sprach-Domäne ist nur eine der Ausprägungen von Watson. Andere Bereiche sind visual Recognition, also automatisierte Bild- und Mustererkennung oder das Verstehen von Emotionen.« Die Anwendungsbereiche sind sehr breit, es geht quer durch alle Branchen und Größen bei den Unternehmen, das zeigt auch die neue IBM Studie »From Roadblock to Scale: The Global Sprint to AI«, für die rund 4.500 Unternehmen weltweit befragt wurden. »Rund 75 Prozent der Firmen setzen sich mit KI auseinander, da gibt es unterschiedlichste Projekte, vom Pilot bis zu großen Produktionsprojekten. Ich glaube, es gibt fast niemanden, der sich noch nicht damit beschäftigt hat«, ist Dornig überzeugt.

Kommunikation mit KI automatisieren

Eine Sicht, die auch Andreas S. Rath, CEO, Co-Gründer und technischer Mastermind von Ondewo, einem ebenfalls 2017 gegründeten KI-Unternehmen, bestätigt. »KI ist der Innovationstreiber, und zwar nicht der Zukunft, sondern der aktuelle. Das heißt, wenn man sich jetzt nicht mit KI-Lösungen beschäftigt, ist man zu spät dran.« Ondewo hat der TU-Graz-Absolvent Rath vor drei Jahren mit der Vision gegründet, jede Mensch-Maschinen-Kommunikation mit KI zu unterstützen oder anders gesagt, die Interaktion zwischen Mensch und Maschine neu zu erfinden. Entwickelt wurde eine KI-basierte Rundumlösung für Sprach-Text-Prozessautomatisierung jeglicher Art: Speech-2-Text, Natural Language Processing (NLP) und Understanding (NLU), und Text-2-Speech Fähigkeiten. Der Vorteil im Office-Alltag ist eine deutliche Arbeitserleichterung, für Unternehmen bringt der Einsatz einen Effizienzgewinn.

Anwendungsfälle gibt es viele: Im Callcenter, bei Services-Lines, für die automatisierte Beantwortung von E-Mails bis hin zur Sprachsteuerung von Applikationen, Websites oder Maschinen. »Das Verstehen von natürlicher Sprache ist das Gold im KI-Bereich, das wir noch heben müssen und eine der größten Challenges aktuell. Bei Bilderkennung ist man schon sehr gut. Sprache hat die Eigenheit, dass man in einem Satz, auch wenn der Text genau gleichbleibt, je nach Tonalität sehr viel transportieren kann«, erklärt Rath die aktuelle Entwicklungsarbeit. Ebenso wie Mostly AI hat Ondewo bereits einige Preise abgeräumt, etwa den Business Digital Trend Award 2017, den B2B Software Awards 2018, den KPMG KI Award 2019 und war im Jänner auch Preisträger beim eAward 2020. Seit Mitte 2019 expandiert das Unternehmen, das bereits 17 Mitarbeiter beschäftigt, nach Deutschland und in die Schweiz.

Hier knüpft Paul Strunz, Gruppenleiter Analyse & Reporting, Beschaffung & Logistik bei Wien Energie, an, der über den KI-Einsatz im Kundenservice berichtet: »Da kommen viele E-Mails herein, 80 Prozent davon sind Standard-Anfragen, etwa eine Anfrage zu Tarifen oder Produkten. Mittels NLP ist es möglich, dass man diese E-Mails »tagged« und somit den Mitarbeitern hilft, Standardmails schneller zu bearbeiten. Ein anderer Usecase ist im produzierenden Bereich. Da haben wir ein Pilotprojekt zu Predictive Maintenance für den Wirbelschichtofen bei der Sondermüllverbrennung gestartet. Hier geht es darum, wie schnell und genau ein möglicher Ausfall KI-basiert antizipiert werden kann. Unter anderem werden hierbei mittels Schwingungssensoren Muster gemessen um die nächste Wartung einplanen zu können, bevor der Ofen außerplanmäßig steht. Wenn ein Ofen ein, zwei Tage außer Betrieb ist, so kann das monetär einen Riesen-Verlust für uns darstellen«, stellt Strunz fest.

KI kann jedoch auch in anderen Teilgebieten, wie etwa im Process Mining wertvolle Dienste erweisen: Mit Hilfe von Process Mining können »digitale Fußspuren« analysiert werden und somit Prozessengpässe und -ineffizienzen transparent gemacht und behoben werden. Auf Basis der zugrundeliegenden Datenmodelle kann mit Hilfe von KI auch mittels eines modellprädiktiven Ansatzes sogar der zukünftige Prozessverlauf vorausgesagt werden. Vor allem Machine-Learning-Algorithmen helfen dabei, die Aussagen für die zukünftigen Aktivitäten eines Prozesses vorauszusagen.

Langer Weg zum Projekt Krino

Er kann aus seiner langjährigen Praxis viel erzählen: Jan van Oort, selbständiger Informatiker und viele Jahre in der Flugzeugindustrie tätig (Airbus, Fokker), schildert bereits die frühen Herausforderungen: »Bereits Anfang unseres Jahrhunderts sahen wir, dass die Produktion eines einzelnen Flugzeugs das Processing so vieler Daten benötigte, dass das menschlich gar nicht mehr machbar war, trotz Unterstützung durch Software. Damals waren wir noch im KI-Winter.« Erst viel später, 2016, gründete van Orth in Wien gemeinsam mit einem Österreicher und einem Amerikaner das Unternehmen KIVU, u.a. zur KI-basierten Erkennung von organisiertem Verbrechen. Dadurch kam er 2018 mit dem britischen Geheimdienst GCHQ in Kontakt: Zur Durchforstung und Analyse der Daten wurde an KI gedacht, »aber alles was die KI entscheidet oder empfiehlt, sollte nachvollziehbar sein. Das heißt, man brauchte eine inspizierbare und verifizierbare KI. Damit fielen neuronale Netzwerke und NLP, wie es das bisher gab, aus.«

Ein weiterer Meilenstein war seine Arbeit für die Forschungseinrichtung der US Navy ONR (Office of Naval Research). »Ich bin dabei auf ein Team von Linguistikern an der Uni in Amsterdam gestoßen, die ein Framework gebaut haben, mit dem man in Prinzip jede menschliche Sprache parsen kann und von einem Satz jeder menschlicher Sprache einen Parsebaum aufbauen kann«, erzählt van Oort. Diese geniale Idee gefiel auch Sparx Services und das auf IT Enterprise Architecture Managment spezialisierte Unternehmen gewährte dem Team, das sich zusammengefunden hatte, eine Pre-Seedförderung.

»Am 7. Jänner haben wir angefangen, Krino zu bauen. Das Wort stammt aus dem Griechischen und bedeutet, urteilen, den gesunden Menschenverstand nutzen. Krino wird die erste KI weltweit, die rein auf der Analyse natürlicher Sprache gebaut ist, die inspizierbar und verifizierbar sein wird. Es wird auf einer Graphendatenbank aufgebaut. Man kann damit nachvollziehen, wie eine Empfehlung oder Annahme zustande gekommen ist«, verdeutlichte van Oort. Ein breiter Business-Case ergibt sich im Requirement Engineering in der Automotive oder Luftfahrtindustrie, wo die Requirements für ein sicherheitskritisches System wie ein Flugzeug oder ein neues E-Auto definiert werden. »Das linguistische Framework ist bereits publiziert und wir haben es geschafft, jetzt in drei Wochen ein Design auf die Beine zu stellen. Ziel ist ein Prototyp heuer noch vor Weihnachten«, erklärt der KI-Spezialist.

Krino soll dann nicht nur Schlussfolgerungen und gewonnenes Wissen als Output produzieren, sondern sogar Fragen an die Menschen richten, etwa: »Soll ich annehmen, dass…?« oder »Ist die Hypothese, dass… noch immer korrekt?« Oder, wie es Pablo Picasso sagte: »Am Tag, wo Computer nicht nur Antworten produzieren werden sondern Fragen stellen, da werden sie wirklich interessant sein.«

Bei Ondewo wird auf einen hybriden Ansatz in der Spracherkennung gesetzt: Verwendet werden NLP und Machine Learning und auch neuere Methoden wie Deep Learning und neuronale Netzwerke. »Wir bedienen uns auch einiger Tricks aus der Bildanalyse, die wir im Text- und Audio-Bereich anwenden, um unsere Algorithmen intelligenter zu machen. Neben dem KI-Einsatz untersuchen wir zum Beispiel auch die Kombination KI und Semantic Web Technologien, hier geht es um das große Thema Explainabe AI, also Nachvollziebarkeit zu haben. Das ist übrigens eines der Top-Forschungsthemen weltweit. Es geht letztlich darum, wie Wissensrepräsentation, Nachvollziehbarkeit und Logik mit probabilistischen Lernalgorithmen zusammengefügt werden können. Die Anwendungsbereiche sind enorm, das reicht von Gesetzestextinterpretationen, Requirement Engineering bis hin zu Fragen-Antwort-Systemen.«

Bias und Nachvollziehbarkeit

»Fairness und Nachvollziehbarkeit auf der einen Seite, aber auch Best Performance Modelle sind da zwei wichtige Aspekte«, ergänzt Klaudius Kalcher. Genau an dieser Stelle eröffnet sich auch die ethische Diskussion zum Einsatz von KI. Andreas S. Rath hat einen pragmatischen Zugang: »Für uns steht der positive Impact im Leben eines Menschen an vorderster Stelle. Das heißt, wenn die KI den Menschen unterstützen kann, wenn die KI hilft, Unternehmen Zeit und Kosten zu sparen, wenn sie hilft, den Stress eines Menschen im Job zu reduzieren, dann ist für uns hundertprozentige Nachvollziehbarkeit nicht so wichtig. Wenn wir sehen, dass KI uns Menschen hilft, dann soll man sie doch helfen lassen. Natürlich ist das für bestimmte Bereiche wie Gerichtsurteile, Entscheidung über Asylanten oder im Fall von Job-Besetzungen heikel, hier muss Nachvollziehbarkeit und Transparenz an vorderster Stelle stehen.«

Bei der Entwicklung von Krino wird JTMS (Justification-Based Truth Maintenance System) genutzt, sagt Jan van Oort. Sobald ein neues Wort hinzugefügt wird, lernt Krino auch über seine Bedeutungen. Ein gewisser Bias oder eine Vorprägung ist wie bei Menschen nie auszuschließen: »Ich glaube nicht, dass wir in der nächsten Dekade zu einer KI kommen werden, die völlig Bias frei ist. Wir sind Menschen und wir haben auch unsere Bias bzw. unsere Vorgeschichte. Wir wollen etwas bauen, das menschenähnliche Intelligenz hat, leider gehört Bias auch dazu«, so van Oort. Die Frage ist nur, wie viel Bias ist ok und noch fair?

»Das ist für die Leute sicher auch ein Angst-Thema. IBM steht hier für einen verantwortungsvollen Umgang mit Daten und Transparenz im Umgang mit KI. Die Menschen müssen wissen, wo KI drinnen ist und wie sie trainiert wurde«, meint dazu Franz Dornig. »Das ist keine technologische, sondern eine Wertediskussion. Ich finde es positiv, dass mit der ganzen KI-Diskussion auch die Ethik-Diskussion in der IT wieder Einzug gehalten hat.«


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