»KI im ERP-Kontext ist logische Konsequenz«

Der Trend zum Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) wird auch in den heimischen Unternehmen immer stärker. Wie sich KI im Geschäftskontext nutzen lässt und welche Rolle sie im Bereich ERP spielt, erklärt Christian Leopoldseder, Managing Director Austria der Asseco Solutions, im Interview. [...]

Christian Leopoldseder ist Managing Director bei Austria Asseco Solutions. (c) Asseco Solutions

Umfragen zeigen, dass Unternehmen immer stärker auf den Einsatz von KI setzen. Welche Einsatzmöglichkeiten kommen Ihrer Meinung nach dabei in Frage?

In der Tat sehen auch wir, dass das Interesse an der KI-Nutzung derzeit rapide ansteigt. Immer mehr konkrete Szenarien werden in der Praxis umgesetzt und zeigen handfeste Effi-
zienz- und Produktivitätsgewinne. Gerade unser teils doch eher konservativer Mittelstand benötigt solche Berichte, um Investitionen in neue Technologien zu rechtfertigen. Generell lässt sich künstliche Intelligenz im Geschäftskontext zu zweierlei Zielen nutzen: Zum einen um unbekannte Zusammenhänge in komplexen Szenarien mit vielen Parametern zu identifizieren. Und zum anderen um große Datenmassen zu bewältigen und nach Kriterien zu analysieren, die über starre Vorgaben wie Schwellenwerte und Ähnliches hinausgehen. Zu diesen Zwecken kann künstliche Intelligenz schon heute einen großen Nutzen für Unternehmen haben.

Welche Voraussetzungen sind für einen sinnvollen KI-Einsatz seitens der Unternehmen erforderlich?

Das ist tatsächlich ein sehr zentraler Aspekt, denn nicht selten begegnen wir in der Praxis der Fehlannahme, dass für den KI-Einsatz schlicht ein möglichst umfangreicher Datenpool vorhanden sein muss und dann wird die KI schon irgendetwas analysieren können. Dem ist aber nicht so. Grundvoraussetzung ist – neben reiner Masse – vor allem eine sauber gepflegte Datenbasis, die einheitlich abliegt und alle Faktoren und Zusammenhänge beinhaltet, die für die Analyse erforderlich sind. Ein Beispiel dazu: Wer künstliche Intelligenz im Kontext der Lagerhaltung einsetzen möchte, sollte sicherstellen, dass Lagerbewegungen und Warenein- und -ausgänge in der Vergangenheit zuverlässig und vollständig dokumentiert wurden und Informationen nicht durch Workarounds in der Praxis verloren gingen. Spiegeln die Daten ein unvollständiges Bild wider, tut sich die KI schwer, daraus nutzbare Schlussfolgerungen zu ziehen.

Wie sieht es mit dem Einsatz von KI im ERP-Kontext aus?

Die Integration von KI in den ERP-Kontext ist die logische Konsequenz: Das ERP-System ist die zentrale Informationsdrehscheibe eines Unternehmens und damit die beste Quelle, um KI-Algorithmen zu füttern. Entsprechend kann KI auf nahezu allen Stufen des Geschäftsprozesses zum Einsatz kommen. Eine Möglichkeit habe ich gerade schon angesprochen: KI kann zur Optimierung der Lagerparameter genutzt werden, um Kapitalbindung zu reduzieren und die Werte kontinuierlich an die Weiterentwicklung des Unternehmens anzupassen.

Im Fertigungskontext wiederum können Szenarien umgesetzt werden, in denen Stillstände oder die Produktion von Ausschuss vorausgesagt werden, sodass Unternehmen damit die Möglichkeit bekommen, sie aktiv zu vermeiden. Vertriebsmitarbeiter kann KI durch Recherche zu Interessenten oder gar bei der Lead-Generierung selbst unterstützen, indem interessante neue Kandidaten ermittelt werden. Zudem können einfache Arbeitsschritte oder Routineprozesse auf Wunsch auch vollständig von künstlicher Intelligenz automatisiert werden, was Abteilungen in Zeiten des Fachkräftemangels entlastet.

Bietet Asseco bereits Lösungen an, die auch KI umfassen?

Ja, das tun wir. Für all die Beispiele, die ich gerade genannt habe, gibt es bei uns heute schon entweder fertige Zusatzmodule oder wir können die entsprechenden Szenarien auf Projektbasis umsetzen. Zudem sind wir auch selbst immer an neuen Einsatzmöglichkeiten interessiert.

Sie haben gerade eben die Prozessautomatisierung durch KI angesprochen. Wie funktioniert dies in der Praxis? Bewegen wir uns hier im Bereich Process Mining?

Die Basis für entsprechende Automatisierungen bildet Process Mining, ganz genau. Die KI blickt den Mitarbeitern für einige Zeit in ihrer täglichen Arbeit quasi über die Schulter und lernt, wie die Prozesse in der Praxis ablaufen – natürlich vollkommen anonymisiert. Beim Beobachten stellt die KI dann zum Beispiel fest, dass eine bestimmte Bestellung immer sehr schnell abgeschlossen wird, die Mitarbeiter sich durch den Prozess klicken und dieser sehr schnell abgeschlossen ist.
Das ist dann ein Hinweis darauf, dass es sich um einen Routineprozess handelt und dieser gut automatisierbar wäre.

Verbringt der Mitarbeiter jedoch viel Zeit mit der Bestellung und unterbricht er den Ablauf mehrmals, indem er weitere Masken öffnet, um nochmals etwas nachzuprüfen, oder gar einen Kollegen für Rückfragen kontaktiert, ist es vielleicht eher ein schwieriger Fall oder eine Ausnahme.

Auf diese Weise ermittelt die KI, welche Abläufe automatisierbar wären, und kann dann dem Unternehmen anbieten, diese künftig vollständig automatisiert auszuführen. Das hat wiederum für die Mitarbeiter den Vorteil, dass sie sich nicht länger um zeitraubende Standardaufgaben kümmern müssen, sondern mehr Kapazitäten und freie Zeit haben, um sich eben diesen Fällen zu widmen, die nicht ganz so einfach sind und die Koordination durch einen Menschen erfordern.

Wie schätzen Sie den Wissensstand über KI bei den Entscheidern in den Unternehmen ein? Gibt es unterschiedliche Meinungen darüber, was KI können muss?

Der Wissensstand, auf den wir in Kundengesprächen treffen, ist sehr unterschiedlich. Manche Unternehmen halten den Begriff nach wie vor für eine Marketingfloskel. Dann gilt es, anhand von bestehenden Beispielen ganz konkret die Funktionsweise und den Nutzen aufzuzeigen. Mithilfe der bereits angesprochenen Einsatzszenarien konnten wir zum Beispiel bei einem Kunden den Lagerbestand um mehr als 20 Prozent reduzieren oder per Prozessautomatisierung knapp 30 Prozent der Bestellungen vollständig an die KI übergeben.

Andere Unternehmen haben bereits von erfolgreichen KI-Implementierungen wie diesen gehört und wollen Ähnliches in ihrem Unternehmen realisieren. Hier gilt es dann häufig, mit falschen Vorstellungen aufzuräumen, dass KI auf Knopfdruck Daten analysiert und Ergebnisse erzeugt. In Wahrheit muss ein KI-Algorithmus zunächst mit umfassenden Testdaten trainiert werden, ein Prozess, in dessen Verlauf nicht selten Anpassungen nötig sind, um die KI noch feiner zu justieren.

Es liegt an uns Herstellern, weiter Aufklärungsarbeit zu leisten und sowohl die Erwartungen an die Möglichkeiten realistisch zu setzen als auch für ein korrektes Verständnis vom späteren Nutzungsprozess zu sorgen.

Was empfehlen Sie Unternehmen, die darüber nachdenken, KI einzusetzen?

Im ersten Schritt würde ich jedem Unternehmen empfehlen, einen Experten ins Boot zu holen, der die vorliegenden Daten unter die Lupe nimmt. Denn mit deren Qualität und Eignung steht und fällt der Erfolg einer KI-Implementierung. Anschließend kann der Experte auch bei der Auswahl des passenden KI-Algorithmus helfen oder sein Know-how und seine Erfahrungswerte in das Training der KI miteinbringen.
Wer so weit noch nicht ist und eher vage mit dem KI-Gedanken spielt, dem würde ich raten, schon heute seine Datenerfassungsmechanismen kritisch zu betrachten und sich zu überlegen, ob künftig vielleicht relevante Parameter und wichtige Zusammenhänge bereits heute miterfasst werden. Denn je länger ein bestimmter Datensatz zurückreicht, desto besser. Wer hier also Vorarbeit leistet, schafft schon heute die Grundlage, um die Vorteile der intelligenten Technologie in Zukunft möglichst gut und umfassend auszuschöpfen.


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