Künstliche Intelligenz findet langsam Einzug in Unternehmen und viele haben bereits KI-Projekte durchgeführt. Welche Grundlagen man dafür benötigt und welche Vorteile man daraus ziehen kann, hat die ITWELT.at im Rahmen eines Roundtables mit Experten diskutiert. [...]
Weltweit steckt der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) noch in den Kinderschuhen, so eine Studie von Accenture. Demzufolge experimentiert die Mehrheit der Unternehmen, die KI einsetzen, in diesem Bereich noch. Branchenunabhängig nimmt der Einfluss von KI auf Unternehmen allerdings zu und beschleunigt sich. Bis 2024 soll der Anteil der Unternehmen, die mehr als 30 Prozent ihres Technologiebudgets in KI investieren, auf 49 Prozent steigen.
In der ersten Runde der Expertendiskussion der IT WELT, die in den Räumen des IT-Dienstleisters Ontec über die Bühne ging, wurde erörtert, was unter dem Begriff KI zu verstehen ist und was sie von einem Algorithmus unterscheidet. „KI ist ein sehr breites Feld. Wir wissen noch nicht einmal genau, was Intelligenz ist und jetzt versuchen wir, sie künstlich zu machen“, so Tobias Eljasik-Swoboda, Lead Architect Artificial Intelligence bei Ontec, und „ein Algorithmus ist, was man klassisch in der Programmierung verwendet. Dort hat sich ein Mensch ausgedacht, wie Daten verarbeitet werden, um zu einem vorher definierten Ergebnis zu kommen. Seit es Machine Learning gibt, sind nun auch Maschinen in der Lage, diese Schritte zu lernen und so auch selbst zu intelligenten Entscheidungen zu kommen. Das ermöglicht Dinge, die vorher mit klassischen Algorithmen nicht möglich waren“.
„Routine- und Standard-Tätigkeiten wird es in einem Unternehmen nicht mehr geben.“
Christian Leopoldseder, Asseco Solutions
Auch Nathaniel Boisgard, AI & Analytics Leader Austria bei IBM, sieht darin „eine extrem schwierige Frage“. Die einfachste Erklärung sei vielleicht: „KI ist ein System, das aufgrund seiner Inputs Entscheidungen trifft. Und sie umfasst auch altmodische Technologien aus dem Enterprise-Umfeld wie etwa Optimierung und Machine Learning. Das und autonomes Fahren ist eigentlich, wo die meisten Menschen KI verorten.“
KI lernt wie ein Kind
Helmut Grillenberger, Inhaber der Firma USEDATA und KI-Experte nennt ein Beispiel: „Wenn ein Kind eine Katze sieht, wird es von den Eltern aufmerksam gemacht. Das ist auch bei der nächsten Katze so. Und wenn es einen Pudel sieht und auch Katze dazu sagt, wird es korrigiert. Und im Laufe der Zeit wird die Fähigkeit mobilisiert, dass es völlig eigenständig Katzen richtig identifiziert. Zeigt man einem Computer Röntgenbilder mit Tumoren so lernt dieser wie ein Kind. Zunächst macht der Computer Fehler, aber er lernt dazu. Am Ende erkennt der Computer Tumore, die er nie zuvor gesehen hat. Analog zum Kind.“
Christian Leopoldseder, Managing Director Austria bei Asseco Solutions, erklärt, dass mit dem Long-Short-Term-Memory-Modell (LSTM) von Sepp Hochreiter (Informatiker und KI-Experte, Anmerkung) neuronale Netze mittlerweile sehr effizient gestaltet werden können. „In manchen Bereichen mit spezifischen Problemstellungen – Stichwort spezifische KI – ist die Maschine besser als der Mensch. Ein Algorithmus ist dabei eine Formel, die von Menschen nachvollziehbar ist. Auf der anderen Seite haben wir mit den neuronalen Netzen etwas geheimnisvolles, wo keiner genau weiß, was passiert. Es gibt einen Input und einen Output. Und diese Mechanismen und Methoden werden immer mehr und das wird sehr spannend.“
Voraussetzungen für ein KI-Projekt
Spannend war auch die Diskussion, wann und in welchen Bereichen Unternehmen auf KI setzen sollten. Das komme laut Tobias Eljasik-Swoboda „ganz auf das Unternehmen an und auf die Probleme, die es lösen will. Rein theoretisch kann ein Unternehmen heute KI einfach von der Stange kaufen, weil es bereits viele Produkte gibt, wo so etwas wie KI schon eingebaut ist. Man kann sich damit auch einen Vorteil schaffen, aber dieser Vorteil ist nicht individuell und lange andauernd, sondern er evaporiert, wenn auch andere Unternehmen diese Produkte kaufen. Um wirklich einen großen Vorteil von KI zu haben, müssen Unternehmen in der Lage sein, ihre eigenen Probleme mittels KI lösen zu können“.
„Eine Out-of-the-box-Lösung, die man sofort einsetzen kann, kann jeder kaufen, aber die bringt nur kurzfristig Vorteile“, schließt sich Helmut Grillenberger an. „Besser ist es, wenn man an einen konkreten Business Case denkt. Wenn es gelingt, hier ein KI-Projekt durchzuführen, kann das dem Unternehmen einen strategischen Wettbewerbsvorteil schaffen. KI kann zum Beispiel einen Arzt perfekt bei der Diagnose unterstützen, denn ein Computer kann in Echtzeit Analysen durchführen. Diese Fähigkeit kann man auch im Business-Bereich nutzen. So ist es etwa beim Cross Selling durch KI möglich, in Echtzeit Kunden über weitere Angebote zu informieren.“
Laut Nathaniel Boisgard ist es „essenziell, dass auf Führungsebene verstanden wird, was KI ist, was sie kann und was sie vor allem nicht kann, um auch die Erwartungshaltung richtig zu setzen. Auch die Herausforderungen und Chancen müssen beleuchtet werden. Es ist ja nicht so, dass man immer nur nach Effizienzsteigerungen suchen muss, sondern man kann auch prüfen, wo es neue Geschäftsmöglichkeiten gibt.“ Es gehe dabei auch um die Sichtbarkeit der Prozesse und der Daten und um Nachvollziehbarkeit. „Das sind elementare Dinge, um die Grundvoraussetzungen zu schaffen, damit man ein erfolgreiches KI-Projekt starten kann.“
Für Christian Leopoldseder ist es wichtig, dass man den Nutzen über die Technologie stellt: „Als wir in den KI-Bereich eingestiegen sind und KI-Produkte entwickelt haben, sind wir voller Stolz zu den Kunden gegangen. Wir mussten aber feststellen, dass diese Vorgehensweise Kunden eher abgeschreckt hat. Wir haben dann umgestellt und den Nutzen in den Vordergrund gestellt und nicht mehr ob in der Lösung KI oder Machine Learning oder ein Algorithmus drinnen ist. Die Kunden wollen verstehen, welchen Nutzen sie von einem Projekt haben. Wir haben zwei Bereiche identifiziert, bei denen KI wirklich Sinn macht: komplexe Problemstellungen, bei denen sich der Mensch schwer tut und einfache Routinetätigkeiten. Für viele Tätigkeiten braucht man keinen User mehr, der alles durchklickt. Das ist generell ein Motto von uns: Wir müssen die Mitarbeiter entlasten, damit sie wieder Zeit für wichtige Tätigkeiten haben.“
„Für ein KI-Projekt muss das Mindset passen und der Nutzen muss identifiziert werden.“
Tobias Eljasik-Swoboda, Ontec
Daten, Daten, Daten
Eine wichtige Voraussetzung für ein KI-Projekt sind die Daten, die die Basis bilden. „Eine KI lernt aus den Daten, die sie zur Verfügung hat“, so Eljasik-Swoboda, „aber Daten sind nicht gleich Daten. Man muss auch wissen, was sie bedeuten. Es muss also das Fachwissen vorhanden sein und die Leute mit dem Fachwissen müssen auch genügend Zeit zur Verfügung haben, um die Daten maschinenlesbar aufzubereiten. Dieses Data Labeling ist eine Herausforderung, weil das Zeit und Ressourcen braucht und man die Budgets dafür schaffen muss.“ In das gleiche Horn stößt auch Christian Leopoldseder: „Dass die Datenqualität stimmen muss, muss jedem Kunden bewusst sein. Wenn die Daten falsch oder falsch trainiert sind, dann wird der Algorithmus nichts werden. Deshalb braucht es gerade zu Beginn eines KI-Projekts einen Spezialisten, der das Verständnis dafür vermittelt, wie diese Daten aufbereitet werden müssen und auch Hilfe zur Selbsthilfe gibt, damit der Kunde selbst die Daten aufbereiten kann. Das ist ein langwieriger Prozess. Aber nur wenn das funktioniert, wird das KI-Projekt funktionieren. Wir haben dazu ein Tool entwickelt, mit dem der Kunde selbst überprüfen kann, ob die Datenqualität stimmt und ob er auf dem richtigen Weg ist. Denn zu Beginn eines KI-Projektes kann nicht vorausgesagt werden, ob es ein Erfolg wird und ob es wirklich funktionieren wird oder nicht.“
Hürden auf dem Weg zur KI
Nathaniel Boisgard verweist auf eine weitere Hürde: „Es darf nicht vergessen werden, dass sehr viel Technik involviert ist und Technik an sich auch zur Hürde werden kann. Man startet ein Projekt mit einem kleinen Prototypen am Laptop oder auf einem kleinen Server und da funktioniert es gut. Aber dann muss man das Projekt hochskalieren und es stellt sich die Frage, ob das die Systeme leistungsmäßig schaffen. Deswegen muss man sich den Anwendungsfall vorher genau überlegen, welche Skalierungen notwendig werden und welche Herausforderungen man in der Folge hat. Ich habe schon gesehen, dass ein Projekt zwar gut funktioniert, aber die Rechenzeit so teuer wird, dass der Benefit komplett aufgebrochen wird. Und da geht es rein um die Technik und Infrastruktur. Diese wird im Vergleich zu früher bei der Planung gerne vergessen. Es kostet zwar nicht mehr so viel, aber es ist auch nicht gratis. KI-Modelle zu trainieren, ist extrem aufwendig und benötigt viele Ressourcen. Für große Modelle muss man teure Server-Kapazitäten mieten und das sind dann Dinge, die man vielleicht am Anfang nicht auf dem Radar hatte. Man braucht also eine konkrete Strategie und man muss auch die Kompetenzen haben, um das Projekt in einen operativen Betrieb zu bekommen.“
„Kein KI-Projekt wird von einem KI-Experten und auch nicht von einem IT-Experten gelöst. Man braucht Fachkompetenz, man braucht ein Team“, ergänzt Helmut Grillenberger. „Und es ist wichtig, dass dieses Team nach außen kommuniziert, um das Unternehmen sprich die Mitarbeiter mitzunehmen, um ihnen die Ängste vor Veränderungen zu nehmen. Sie müssen dazu nicht die konkrete Technik, die dahinter steht, im Detail verstehen, aber sie müssen mitgenommen werden. Wir befinden uns gerade in einer Transformationsphase und ich glaube das Problem ist, dass KI für die meisten einfach eine Blackbox ist. Und deshalb ist es wichtig, dass man die Leute behutsam an das Thema KI heranführt, um zu zeigen, dass es kein Hexenwerk ist und auch nicht zu technisch wird. Man muss das Verständnis vermitteln, dass nicht der Job geraubt wird, sondern dass man vielleicht einen besseren Job bekommt. Aber es wird natürlich, wie bei jeder Transformation Verlierer und Gewinner geben.“
„Man muss sich darüber im Klaren sein, dass ein KI-Projekt nichts ist, was man im
Nathaniel Boisgard, IBM
Vorbeigehen macht.“
Tobias Eljasik-Swoboda bringt mit der aktuellen Rechtslage eine weitere Hürde auf das Parkett: „Was uns die letzten Jahre sehr beschäftigt hat, war die Datenschutzgrundverordnung mit all ihren Auswirkungen. Und was sich jetzt ergibt, ist der gerade in Verhandlung befindliche EU AI Act, ein Gesetzesentwurf über die Regulierung von KI, mit dem ja etwas Ähnliches über die Mitgliedsländer kommen wird. Man muss darauf achten, dass man sich keine illegalen Dinge vornimmt und dass man die entsprechenden Regeln einhält. Aber gerade hier ist der EU AI Act relativ gut aufgebaut. Insofern, dass es weniger um die Technologie geht, sondern um das, was man vorhat und dass keine Sachen dabei sind, die in die Grundrechte von Menschen eingreifen.“
Ausblick
„Es herrscht beim Thema KI natürlich auch noch viel Angst“, sagt Nathanile Boisgard. „Es wird einerseits Umwälzungen am Arbeitsmarkt geben, aber genauso wird es auch viele neue Chancen geben. Aus Unternehmenssicht macht es absolut Sinn, sich mehr auf die Chancen zu konzentrieren und weniger auf die Risiken. Der Zug, ob man KI einsetzen soll oder nicht, ist eigentlich abgefahren – man muss es einsetzen. Die Frage ist nur wann? Ist man einer von den Nachzüglern, die später Probleme bekommen oder ist man einer von den early movern, die zwar andere Probleme haben aber vielleicht ein ‚the winner takes it all‘-Szenario erleben? Auf jeden Fall sollte man sich auf die Chancen konzentrieren, denn die Risiken werden so oder so kommen.“
„Wir befinden uns bei KI noch in den Anfängen. Wer sich jetzt überlegt, ein KI-Projekt
Helmut Grillenberger, USEDATA
umzusetzen, hat Vorteile.“
„Die Welt wird komplett anders ausschauen“, zeigte sich Christian Leopoldseder überzeugt, „Routine- und Standardtätigkeiten wird es nicht mehr geben. Das heißt in Unternehmen wird es einen hohen Anteil an Prozessen geben, die standardisiert durchgeführt werden. Der Weg dorthin wird nicht einfach sein, denn das bedeutet, das wir uns jetzt überlegen müssen was wir mit den freiwerdenden Arbeitskräften tun. Wir brauchen zudem ein Vertrauen in die KI, das es momentan noch nicht gibt. Es ist noch nicht verständlich, warum die KI so agiert, wie sie agiert. Da geht es auch um das Bildungssystem, wir müssen andere Kenntnisse und Kompetenzen erwerben.“
„Wir befinden uns was KI betrifft erst in den Anfängen“, sagt Helmut Grillenberger. „Wer jetzt sich überlegt, irgendetwas in Richtung KI zu tun, hat Vorteile. Es gibt natürlich schon ein paar Unternehmen, die sehr innovativ sind, aber es ist trotzdem ein geringer Prozentsatz. Das heißt, hier ist ein Riesenpotenzial vorhanden.“
Tobias Eljasik-Swoboda: „Durch KI wird der Automatisierungsgrad einfach höher werden. Es werden Dinge, die vorher menschliche Geistesleistungen gebraucht haben, automatisiert. Das muss man aber als Vorteil sehen, weil plötzlich viel mehr Geistesleistung verfügbar wird. Dieser Trend setzt sich weiter fort und die Gesellschaft muss sich überlegen, wie sie damit umgeht. Und was viele Horrorszenarien angeht, die immer wieder skizziert werden: Der Terminator ist laut EU AI Act illegal.“
Alle Teilnehmer auf einen Blick (alphabetisch nach dem Firmennamen)
- Christian Leopoldseder, Managing Director Austria bei Asseco Solutions
- Nathaniel Boisgard, IBM, AI & Analytics Leader Austria
- Tobias Eljasik-Swoboda, Ontec, Lead Architect Artificial Intelligence
- Helmut Grillenberger, Inhaber der Firma USEDATA und KI-Experte
- Moderation & Redaktion: Christof Baumgartner
- Technik: Roland Kissling
- Fotos: timeline/Rudi Handl
Den Überblick über alle bislang veranstalteten ITWELT.at-Roundtables finden Sie hier:
www.itwelt.at/tag/roundtable
Die Expertenrunde zum Nachsehen finden Sie hier:
www.facebook.com/itwelt.at/videos
www.youtube.com/c/ComputerweltAt/videos
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