„KI ist bei uns Chefsache“

Michael Katzlberger ist Geschäftsführer der Kreativagentur TUNNEL23, die auf digitale Medien spezialisiert ist. Mit der COMPUTERWELT spricht er darüber, was künstliche Intelligenz in der Kreativszene leisten kann und wohin die Reise geht. [...]

Michael Katzlberger: "Ich habe in meinem Leben kaum eine faszinierendere Technologie als KI gesehen." (c) TUNNEL23
Michael Katzlberger: "Ich habe in meinem Leben kaum eine faszinierendere Technologie als KI gesehen." (c) TUNNEL23

Wie ist Ihr persönlicher Zugang zu KI – kreativ oder technisch? Wer ist bei TUNNEL23 für die technische Umsetzung verantwortlich?
Ich war als Kind schon Science-Fiction-Fan, habe Raumschiffe und Roboter aus Karton und Alupapier gebaut. Zukunftstechnologien haben in meinem Leben immer eine wichtige Rolle eingenommen und mich stets fasziniert. Jahrzehnte später stehen Google Home und Alexa auf meinem Schreibtisch – Sie können sich meine Begeisterung vorstellen! Wir haben das komplette KI-Knowhow bei TUNNEL23 inhouse aufgebaut, eine Strategie, die uns seit jeher wichtig ist, also Konzeption, Kreation und Produktion aus einer Hand anzubieten. Mein Job im Unternehmen ist es nicht nur Ideen für sinnvolle Anwendung zu finden, sondern auch unsere Mitarbeiter zu inspirieren. Wir geben dem Team den nötigen Freiraum und finanzieren gegebenenfalls auch Experimente. KI ist bei uns Chefsache.

Welche KI-Projekte haben Sie bereits verwirklicht bzw. derzeit in Arbeit?
Wir haben bereits mehrere KI-Projekte für Kunden wie T-Mobile, Mazda oder derStandard.at verwirklicht und viele sind in der Pipeline. Die Projekte reichen von der Texterkennung und Verarbeitung über Bilderkennung bis hin zur Alexa Skill. Am meisten Schlagzeilen hat allerdings unser KI generiertes Gedicht „Sonnenblicke auf der Flucht“ gemacht, das ursprünglich als Kunstprojekt gedacht war und den Weg in das Jahrbuch der Frankfurter Bibliothek fand. Das war PR-technisch kaum zu toppen, da der Output unserer KI eine menschliche Fachjury überzeugen konnte, die nicht wusste, dass das Gedicht von einer KI geschrieben wurde.

Wie waren Ihre Erfahrungen mit dem Gedicht „Sonnenblicke auf der Flucht“? Ist KI tatsächlich schon so ausgefeilt, dass sie für kreative Aufgaben eingesetzt werden kann?
Bevor wir unser KI-Gedicht veröffentlicht haben, haben wir mit Werbetexten experimentiert. Der ursprüngliche Gedanke war, auf Basis alter Werbetexte neue zu kreieren, leider nicht mit dem gewünschten Ergebnis. Man braucht eine ganze Menge an strukturierten Trainingsdaten um ein Projekt wie dieses auf die Straße zu bringen und die hatten wir leider nicht zur Verfügung. Unser Deep-Writing-Gedicht griff auf den Datenpool des Projekts Gutenberg (http://gutenberg.spiegel.de) zu, das tausende Texte von Goethe und Schiller digital aufbereitet hat, und lieferte sehr gute Ergebnisse. Es kam in der Öffentlichkeit überraschend gut an, auch wenn es polarisiert hat. Ich bezeichne das Projekt immer gerne als meine persönliche Mondlandung. Die Fähigkeit zu lernen, ist wohl der faszinierendste Aspekt der KI.

Wie hoch ist der Anteil der KI-Projekte an allen umgesetzten Projekten Ihrer digitalen Kreativagentur und wie sieht der Trend bezüglich KI aus?
Bei fast bei jedem unserer Brainstormings wird auch eine KI-Idee kreiert, ob sie den Weg in eine Kreativpräsentation findet oder nicht. Ich gehe fix davon aus, dass die KI in den nächsten 20 Jahren unser fixer Begleiter ist. Wir stehen hier erst am Anfang, die Möglichkeiten sind schier unendlich und übersteigen unsere Vorstellungskraft. Wenn man davon ausgeht, dass sich Computer in Zukunft selbst programmieren können, kann man auch davon ausgehen, dass sie kreativ sind. Denken Sie etwa an KI-unterstütztes generatives Design, bei dem der Designer seinen Input gibt, ein Ziel definiert und die Maschine kreative Vorschläge macht. Das Ergebnis sind teilweise Designs, auf die der Mensch nie kommen würde, weil ihm seine Geschichte im Weg steht.

Welche KI-Algorithmen kommen bei TUNNEL23 zum Einsatz?
Wir setzen vor allem das Open-Source-Framework TensorFlow von Google ein, da dieses für unsere Zwecke aktuell die besten Ergebnisse liefert. Aber auch die Anwendungen von Amazon, Microsoft und IBM sind vielversprechend. Es ist für uns auch eine Zeit- und Ressourcenfrage, sich mit allen Systemen auseinanderzusetzen.

Kombinieren Sie KI mit anderen Technologien, wie z.B. AR oder VR?
Aktuell noch nicht. Wir haben in der Vergangenheit einige AR-Projekte umgesetzt, die zwar gute Presse, aber leider nicht den gewünschten wirtschaftlichen Erfolgt brachten.

Wie bewerten Sie den Standort Wien, wenn es um KI geht, einerseits bezüglich Verfügbarkeit der Technologien und Weiterentwicklung derselben, andererseits bezüglich des Kundeninteresses?
Wien ist eine lebenswerte und liebenswerte Stadt, wir arbeiten sehr gerne hier. Die Verfügbarkeit der Technologien stellt kein Problem dar, wenn man mit cloudbasierenden Systemen arbeitet und eine schnelle Internetanbindung hat. Die Kunden sind KI-Projekten gegenüber sehr aufgeschlossen, das Thema ist heiß.

Wo sehen Sie derzeit den größten Nutzen von KI-Systemen und in welche Richtung geht Ihrer Meinung nach die Entwicklung, speziell in der Kreativszene, aber auch allgemein?
In unserer Branche geht die Entwicklung ganz klar in Richtung Konzeption und Produktion dynamischer Werbeformen, des automatisierten Contents und der Datenanalyse. Die Werbekampagnen der Zukunft sind datengetrieben, Daten sind das neue Gold und die KI sortiert sie gewissermaßen. Noch nie war Werbung so spannend und so nah am Verbraucher, aber gleichzeitig so komplex.
Allgemein betrachtet gibt es derzeit aus meiner Sicht noch zu wenige Debatten über die möglichen positiven und negativen Auswirkungen des Einsatzes von KI auf die Gesellschaft. Faktum ist, dass man mit diesen Tools die Massen manipulieren, Wahlen entscheiden oder Kriege führen kann. Ich bin ein Befürworter einer stärkeren Sensibilisierung und Diskussion zu diesem Thema.

Apropos Manipulation: Sehen Sie KI in der Werbung eher als Kundenunterstützung oder als Mittel zur Kundenmanipulation?
Natürlich ersteres, wir wollen die Verbraucher ja nicht nerven, sondern digital für Produkte begeistern. Es stimmt aber auch, dass man mit der KI viel Unfug treiben kann. In die Schlagzeilen geschafft hat es der amerikanische Wahlkampf um Donald Trump, bei dem, wenn man den Berichten Glauben schenken kann, zielgerichtet und unter Zuhilfenahme von KI-Systemen Wähler manipuliert wurden.

Von der Verwirklichung welcher KI-Projekten träumen Sie?
Von der starken KI, wie sie in Hollywood-Filmen wie „Ex Machina“, „Her“ oder „Transcendence“ portraitiert wird, sind wir bestimmt noch weit entfernt. Aber genau diese Zukunft habe ich vor Augen. Eine Zukunft, in der ich einen digitalen Freund in einem menschenähnlichen Körper habe, der menschliche Züge hat, superschlau ist und meinen Verstand erweitert. Mit dieser Maschine erfinde ich dann gemeinsam neue Dinge. Das ist etwas nerdig, ich weiß.

Welche Gefahren sehen Sie hinsichtlich der Nutzung von KI?
Die Bedenken bezüglich des Datenschutzes gibt es so lange wie das Internet selbst. Mit dem Aufkommen der KI, Assistenten wie Alexa, Google Home oder Siri werden diese Sorgen noch größer werden. Ich sehe da eine Welle an Problemen auf uns zurollen, die auch die DSGVO nicht lösen wird. Ein Orwellscher Alptraum ist beispielsweise das Social-Credit-System, das in China eingeführt wird und auf KI basiert. Diese Bürgerbewertung erschließt sich aus der Beobachtung des Sozialverhaltens eines Individuums, also von der Kreditwürdigkeit bis hin zu seinen sozialen Interaktionen. Dieser Score wird dann zur Grundlage für die Vertrauenswürdigkeit dieser Person, die auch öffentlich bewertet wird. Die Punktzahl eines Bürgers wirkt sich auf seine Eignung für eine Reihe von Dienstleistungen aus, einschließlich der Art von Jobs oder Hypotheken, die er erhalten kann. Oder auf die Schulen, die seine Kinder besuchen dürfen. Gefangen im Algorithmus sozusagen, das ist gruselig. In unseren Breiten mache ich mir aktuell mehr Sorgen über die Möglichkeiten zur Manipulation von Menschen durch täuschend echtes Bild-, Video-, und Textmaterial. Wir haben uns diese Technologien, die für jedermann zugänglich sind, angesehen und ausprobiert. Von Deep Fake bis hin zur Manipulation von Stimmen. In den falschen Händen ist das eine Waffe.

Glauben Sie, dass Maschinen einmal Gefühle haben werden und ist das wünschenswert?
Meine Lieblingsfrage. Der Mensch hat in seiner DNA fixiert, sich fortzupflanzen. Aber welche Interessen wird eine menschengleiche, superintelligente KI verfolgen, die keine Hormone hat? Wer impft ihr Moral ein? Allein der Gedanke daran bereitet mir Kopfzerbrechen. Nick Bostroms Buch „Superintelligenz“ behandelt genau dieses Problem und definiert mögliche Szenarien. Meine persönliche Meinung dazu ist, dass ich mir natürlich wünsche, dass Maschinen menschengleich werden, mit und unter uns uns leben und aufwachsen, aber konstruiert mit einem moralischen „Limiter“, der es Maschinen verbietet, Menschen zu verletzen.


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