„Klare Tendenz zu Digitalisierung“

Die Fachhochschule Kufstein Tirol steht für innovative wirtschaftswissenschaftliche und technisch-betriebswirtschaftliche Studiengänge und wurde für die hohe Qualität der Ausbildung mehrfach ausgezeichnet. Studiengangsleiter Karsten Böhm im Interview. [...]

Wie weit ist die Digitalisierung in Tirol fort­geschritten?

Eine pauschale Antwort hier ist schwer zu geben. Mir sind keine aktuellen Studien zur Digitalisierung in Tirol bekannt, die eine derartige Frage für alle Bereiche und in repräsentativer Weise beantworten würden.
Allgemein betrachtet kann man aber eine deutliche Tendenz bei Unternehmen und Organisationen wahrnehmen, bestehende Prozesse zu digitalisieren und neue Prozesse nach Möglichkeit gleich direkt in der digitalen Welt abzubilden. Dies betrifft meist zunächst die Anwendungsfälle, in denen ein besonderes Effizienzpotenzial wahrnehmbar ist. Ein Beispiel hierfür könnten auch Prozesse an der FH Kufstein sein: Hier haben wir kürzlich die digitale Signatur für eine Reihe studentenbezogener Dokumente eingeführt, was –  gepaart mit dem Studierendenportal, also mehr Selfservice  – zu einer Beschleunigung der Prozesse geführt hat.
Auch etablierte und altbekannte Themen bekommen im Rahmen der Digitalisierung neue Relevanz und werden dann verstärkt angegangen. Hier sind das Management elektronischer Dokumente in DMS (Document Management Systemen) zu nennen, an denen beispielsweise auch die Prozesse der Archivierung solcher Dokumente hängen. Meist ist hier in Unternehmen der elektronische Rechnungsversand und Empfang ein wesentlicher Treiber.

Wo gibt es noch Digitalisierungspotenzial?

Interessanterweise sehen Unternehmen weitere Möglichkeiten, nachdem sie sich initial mit dem Themenfeld in einem Pilotprojekt beschäftigt haben. Das Potenzial der Möglichkeiten ist hier in Tirol bei weitem noch nicht ausgeschöpft, da wäre auch noch viel „Luft nach oben“. Vieles wird gerade schrittweise realisiert. Dies gilt sowohl für die Dienstleistungsbranche, für die der Tourismus in Tirol ein wichtiger Faktor ist, wie auch für die produzierenden Unternehmen. Potenziale liegen dabei vor allem in der Erschließung neuer Dienstleistung (z.B. entwickelte ein Tiroler Unternehmen sehr erfolgreich eine App zur Warnung vor Lawinen in Skigebieten) oder in der Optimierung von bestehenden Produkten (ein anderes Tiroler Unternehmen optimiert sein Produkt durch enges Monitoring und prediktive Ausfallerkennung). Potenziale ergeben sich auch aus der Gewöhnung der Nutzer an neue Formen digitaler Prozesse, zum Beispiel mobile e-Tickets, und die weitere Nutzung bereits vorhandener Infrastrukturen. Viele Gebirgsregionen in Tirol sind bereits mit entsprechender Internetinfrastruktur versehen.

Sind Tiroler Unternehmen Cloud-Muffel oder setzen sie Cloud-Services ein?

Beides. Es gibt zum einen Unternehmen, die stark auf „Services on Premise“ setzen wollen oder müssen, aber es gibt auch viele und zunehmend mehr Unternehmen, die Cloud-Services der etablierten Anbieter einsetzen. Dies betrifft fertige Services ebenso wie die Bereitstellung von Services in der Cloud.
Im Kontext dieser Frage ist die Initiative der „Tirol Cloud“ besonders zu erwähnen, in der versucht wird, die Möglichkeiten Cloud-basierter Technologien mit den Anforderungen der lokalen Wirtschaft zu verbinden. Wir haben Cloud-basierte Technologien bereits seit einigen Jahren in die IT-basierten Ausbildungsprogramme an der FH Kufstein aufgenommen und betrachteten das Thema aus allen Blickwinkeln.

Wie zufrieden sind Sie mit Interessens­vertretungen für die IT-Branche in Tirol?

Insgesamt kann die Branche hier in Tirol zufrieden sein, denke ich. Insbesondere die entsprechenden Abteilungen der Standortagentur Tirol und der Wirtschaftskammer sind hier sehr rege und stellen die Möglichkeiten für Unternehmen in Tirol immer wieder in der Öffentlichkeit dar. Natürlich wird im IT-Bereich eher Wien als Zentrum der IT-Branche in Österreich wahrgenommen (besonders vom Ausland her), was dazu führt, dass regionale positive Entwicklungen zu kurz kommen.

Wie beurteilen Sie die Breitbandinfrastruktur beziehungsweise den Breitbandausbau?

Es gibt natürlich immer Raum für Verbesserungen. Insgesamt ist die Breitbankinfrastruktur in Tirol ausreichend ausgebaut, um die aktuellen Entwicklungen abzudecken. Bei einem angenommenen fortschreitenden Ausbau der Digitalisierung ist es aber notwendig, hier kontinuierlich dem Bedarf entsprechend an Bandbreite zuzubauen. Im internationalen Vergleich gibt es durchaus Länder, in denen hier bereits mehr möglich ist, etwa in Irland, das geografisch bezogen auf die Nutzerzahl recht verteilt ist, oder Südkorea, in dem sehr hohe Bandbreiten quasi omnipräsent verfügbar sind, und andere, in denen die Verfügbarkeit schlechter ist als in einigen ländlichen Gebieten unseres Nachbarn Deutschland.
Wesentlich in der Diskussion sind dabei nicht nur technische Parameter, wie etwa die technisch mögliche Bandbreite, sondern auch Aspekte der tatsächlichen Verfügbarkeit skalierbarer Services, der Preismodelle und der Einfachheit des Zugangs, etwa kostenfreien WLANs ohne aufwendige und proprietäre Zugangsverwaltung. Ein Beispiel hierfür könnte das in Irland verfügbare Bitbuzz sein.

Gibt es innovative Anwenderunternehmen in Tirol beziehungsweise sogenannte Hidden Champions?

Die gibt es ganz sicherlich: Ich nannte schon „LawinenApp“, die von der mPulso entwickelt wurde. Ein weiteres Beispiel wäre sicherlich die Anwendung „Bürgermeldungen“ des Wörgler Unternehmens styleFlasher. Auch große Unternehmen wir Viking oder GE Jenbacher sind im Bereich der Digitalisierung durchaus aktiv und vollziehen die Metamorphose von einem Maschinenbauunternehmen zu einem Unternehmen, das auch Software und Hardware entwickelt und entsprechende Technologien nutzt. Als bekanntes Tiroler Unternehmen treibt auch Swarovski seinen elektronischen Handel durchaus substanziell im Bereich der Digitalisierung voran. Als regionaler Hidden Champion fällt mir in diesem Zusammenhang die Kufsteiner Firma PIRLO ein, die mit ihrem „Dosenprofi“ ein völlig neues Marktsegment erschließen und ihre Umsatzfelder so erweitern konnte.

Wie stark profitieren Sie von den wirtschaftlichen Beziehungen mit dem benachbarten Ausland?

Vielen Dank für die Frage! Bedingt durch die geografische Lage direkt an der Grenze zu Deutschland bestehen eine Reihe von Kooperationsbeziehungen, die grenzübergreifend sind. In dieser Hinsicht kann die FH Kufstein durchaus „Grenzen überschreitend“ tätig werden, und sie tut das auch. So bestehen freundschaftliche Beziehungen zu Unternehmen der Branche, zum Beispiel der Techdivision in Kolbermoor, die sowohl in gemeinsame FuE-Projekte münden können, Gastvorträge und externe Lektoren integrieren, etwa von Payback in München, und die für Exkursionen, Abschlussarbeiten usw. zur Verfügung stehen. Mitarbeiter und Studierende kommen dabei jeweils von diesseits und jenseits der Grenze, was unter anderem dazu führt, dass gegenseitige Vorurteile und kleine kulturelle Unterschiede abgebaut werden können. In diesem Sinne wird an der FH Kufstein die Idee des europäischen Gedankens „im Kleinen“ tagtäglich erlebbar. (aw)

Das gesamte Interview finden Sie zum Nachlesen unter: www.itwelt.at


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