Beeindruckende 3.176 Projekte aus 98 Ländern wurden beim Prix Ars Electronica 2023 in vier Kategorien (New Animation Art, Digital Musics and Sound Art, Artificial Intelligence & Life Art und u19 – create your world) eingereicht. IT Welt.at präsentiert im nachfolgenden Artikel die Awards der Kategorie »Artificial Intelligence & Life Art«. [...]
Selbst der künstlerische Leiter der Ars Electronica, Gerfried Stocker, war von der Anzahl der Einreichungen überwältigt, denn 3.176 Projekte sind eine höchst beeindruckende Zahl. Von den eingangs erwähnten vier Kategorien verzeichnete die Sparte »New Animation Art« mit 1.116 Projekten die meisten Einreichungen.
Die Goldenen Nicas, also der Hauptgewinn pro Kategorie, gehen dieses Jahr an Ayoung Kim (KR), Winnie Soon (HK/UK), das Kollektiv Atractor + Semántica Productions (INT) und Sonja Höglinger (AT). Alle Gewinner und Gewinnerinnen erhalten ein Preisgeld von 10.000 Euro, die Goldene Nica in der Kategorie »u19-create your world« ist mit 3.000 Euro dotiert.
Wiewohl alle Kategorien sehenswert sind, präsentieren wir nachfolgend die drei besten Projekte der Kategorie »Artificial Intelligence & Life Art«.
Die Golden Nica erhielt Winnie Soon (Hongkong/United Kingdom) für Unerasable Characters Series. In diesem Projekt untersucht Winnie Soon wie Regime digitale Infrastruktur nutzen, um Zensur auszuüben. Im Mittelpunkt steht dabei Weibo, eine der größten Social-Media-Plattformen in China. Zentrales Werkzeug ist das an der Universität von Hongkong entwickelte System »Weiboscope«, mit dem die Timelines chinesischer Mikroblogger untersucht und vom Regime zensurierte Tweets aufgespürt werden können. Aus den Ergebnissen dieses technischen Scans entstand die dreiteilige Unerasable Characters Series.
Unerasable Characters I basiert auf 54.064 Tweets, die zwischen 30. Juni 2021 und 30. Juni 2022 zensuriert wurden. Mittels Machine Learning entstand aus diesen Tweets zunächst ein mehr als 6.000 Seiten starker Dokumentenstapel, der das Ausmaß der Zensur zeigt. Daraus wiederum entstand – wiederum mittels Machine Learning – ein Buch, dessen Inhalt zwar unleserlich ist, das aber – weil es auf verbotenen Texten basiert – ebenfalls verboten ist.
Unerasable Characters II ist ein lebendiges Archiv, das täglich aus zensierten Tweets gespeist wird. Wie lange die Anzeige jeweils sichtbar bleibt, hängt davon ab, wie lange der ursprüngliche Tweet auf Weibo präsent war, bevor er entfernt wurde.
Unerasable Characters III arbeitet mit 2.104 Tweets, die zwischen 1. Dezember 2019 und 27. Februar 2020 – dem Tag, als COVID-19 in China ausbrach – auf Weibo veröffentlicht und danach zensiert wurden. Alle Tweets wurden unleserlich gemacht, nur die darin enthaltene Interpunktion, alle Emojis und Sonderzeichen blieben unangetastet. Als Webpräsentation zugänglich gemacht, repräsentieren sie die affektive und expressive, aber auch die zeitliche und räumliche Dimension dieser »ungehörten Stimmen«.
Jeweils mit einem Award of Distinction ausgezeichnet wurden in der Kategorie »Artificial Intelligence & Life Art« die Australier Oron Catts, Ionat Zurr und Steve Berrick mit ihrem Projekt 3SDC project (Sunlight, Soil & Shit (De)Cycle) sowie Adam Brown (USA) mit Shadows from the Walls of Death.
3SDC beschäftigt sich mit der Zukunft der Lebensmittelproduktion. Ausgangspunkt sind neue, vermeintlich nachhaltige Formen der Nahrungsproduktion, die ohne natürliche Elemente auskommen. Sonnenlicht, Erde oder Kot werden durch künstliches Licht, Substrate und Düngemittel ersetzt, die daraus resultierenden technischen Lebensmittelsysteme als weniger (oder gar nicht) umweltbelastend dargestellt. Catts, Zurr und Berrick sehen in solchen Systemen hingegen »metabolische Spalttechnologien« die derselben Denkweise entspringen, aus der Techkonzerne ihre naturfreien Metaverse-Fantasien entwickeln und propagieren. Mit 3SDC wollen sie diesen »Metabolic Rift Technologies« auf den Zahn fühlen.
Shadows from the Walls of Death untersucht die historische, chemische und materielle Wirkung von »Paris Green«. Das mit Arsen angereicherte, hochgiftige Pigment revolutionierte im 19. Jahrhundert dank seiner Leuchtkraft und Langlebigkeit Kunst wie Industrie. Hunderttausende Menschen erkrankten schwer oder starben.
In dem Projekt von Adam Brown werden Synthese, Herstellung und Verwendung von »Paris Green« nachgestellt und wichtige Fragen zu den zahllosen Kunstwerken aufgeworfen, die noch heute Museumswände zieren und hochgiftig sind. Ironie dieser Geschichte ist, dass gerade die Kunst so oft versucht, die Natur zu imitieren und ihre Bedeutung für uns Menschen hervorzuheben, dabei aber völlig ungeeignete Materialien zum Einsatz bringt. Gerade durch die dringend notwendige Sanierung solcher Kunstwerke, entsteht ein neues Bewusstsein der Kunstszene für diesen Widerspruch.
Weitere Infos zum Prix Ars Electronica und zu den prämierten Projektren finden Interessiert unter https://ars.electronica.art/prix/de.
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