Leadership ist nicht gleich Hierarchielevel

"Wer sich selbst nicht führen kann, sollte auch andere nicht führen dürfen." Franz Kühmayer beschreibt im zweiten Teil des Interviews den Typ Manager, der Unternehmen in die neue Welt des Arbeitens führen kann. [...]

Der zweite Teil des Interviews (hier der erste Teil) mit dem Zukunftsforscher und Leadership-Report-Autor Franz Kühmayer behandelt vor allem das Menschenbild, das Führungskräfte mit in ihre Tätigkeit einbringen.

Gibt es Branchen oder Unternehmen, die eher bereit sind, ihre Strategien zu ändern, als andere?
Franz Kühmayer:
Ich mache das ja schon einige Jahre und habe natürlich versucht, eine gute Marktsegmentierung hinzukriegen und zu fragen, wer potenzielle Kunden sind. Die interessante Beobachtung ist: Es gibt keine Branche, keine Größe, keine Strukturvariable, die darauf hinweist, ob ein Unternehmen gut oder schlecht darauf anspricht. Wir haben für die Maschinenbau-Industrie, Fertigungsbranche, Dienstleistungsbranche, Banken, öffentliche Verwaltung, internationale Konzerne, kleine Mittelständler – also quer durch die Bank – gearbeitet. Das einzige, was sie miteinander verbindet, ist der Wille und die Neugierde, etwas zu tun. Das zieht sich quer durch alle Branchen, im Positiven wie im Negativen. Man kann auch nicht sagen, nur weil ich mir die tolle Unternehmenskultur der Googles, Microsofts und Apples dieser Welt anschaue, dass in der IT-Branche alles funktioniert. Nein. Es gibt auch in der IT-Branche sehr gute oder sehr schlechte Anwendungsfälle von neuem Arbeiten. So wie man umgekehrt die Frage, ob solche Prinzipien auch in einer Struktur funktionieren können, wo der Großteil der Arbeiter nicht die berühmten White Collar, sondern Blue Collar Worker sind, bejahen kann. Natürlich kann das funktionieren, und das tut es auch.

Wie kann das funktionieren, wenn man präsent sein muss?
Wenn wir sagen man kann sich Arbeitszeit und -ort aussuchen, kann das für jemanden, der tatsächlich eine Maschine bedient, nicht funktionieren, das ist klar. Ich kann aber überall fragen: Habe ich ein Menschenbild, bei dem meine Mitarbeiter sich einbringen können, gute Ideen haben? Wie stelle ich sicher, dass die Ideen auch fließen im Unternehmen, dass Mitarbeiter auch auf Fehler hinweisen und auch mal Dinge ausprobieren, Fehler machen können?

Die neue Welt des Arbeitens heißt nicht nur orts- und zeitunabhängig und vertrauensbasiert zu arbeiten, …
… sondern vor allem auch, eine Unternehmenskultur zu fördern, in der Leadership nicht mehr als Hierarchielevel verstanden wird. Ich glaube das ist
einer der ganz wichtigen Aspekte: Führungsarbeit heißt nicht Managementlevel. Führung entsteht aus der Mitte des Unternehmens heraus; dort, wo Mitarbeiter sich – unabhängig davon, auf welchem Hierarchielevel sie stehen – verantwortlich für das Unternehmen fühlen, unternehmerisch denken. Das voranzutreiben halte ich für eine sehr lohnende Aufgabe.

Haben Sie das Gefühl, dass Mitarbeiter hier gerne mitziehen?
So wie es keine Patentrezepte für den Erfolg auf Unternehmensebene gibt, gibt es auch nicht den einen Typ Mitarbeiter. Manche werden eher glücklich, wenn sie von 9 bis 5 arbeiten und dann den Bleistift fallen lassen. Das kann man auch berücksichtigen. Ich glaube, dass zwei Faktoren auslösen, dass wir sofort über diesen Fall nachdenken: Viele Unternehmen haben dem Mitarbeiter bislang nicht solche Freiräume zugestanden, das führt zu einem selbsterfüllenden Zyklus. Wenn ich Mitarbeitern sage: Du bist nicht hier zum Nachdenken, du bist hier, um das zu machen, was ich dir anschaffe, dann führt das dazu, dass Mitarbeiter tatsächlich aufhören, nachzudenken. Das kann ich dann auch nicht mit einem einfachen Changeprogramm umlegen, das hat sich eingeschliffen. Das zweite ist die Frage, welches Menschenbild man sich zurechtlegt. Wenn ich mir als Führungskraft denke, ich muss  meine Mitarbeiter bezahlen, weil sie leiden, und das Gehalt quasi das Schmerzensgeld ist, und ich sie mit irgendwelchen Boni dazu anhalten muss, Spitzenleistungen zu bringen, weil sie von allein nicht auf die Idee kommen: Das ist ein bestimmtes Menschenbild, das ich mir zurechtlege. Ich halte das für ein unangenehmes Menschenbild und ich glaube, dass es auch ein anderes gibt, das ich genauso überspitzen kann: Menschen kommen gerne, wollen etwas tun, das spannend, reizvoll, und vielleicht auch sinnstiftend ist. Sie wollen sich einbringen, neue Ideen entwickeln. Das wäre ein alternatives Menschenbild. Die Wahrheit wird irgendwo dazwischen liegen und von Mensch zu Mensch variieren.

Das Menschenbild einer Führungskraft beeinflusst den Führungsstil?
Wenn ich eher an dieses zweite Bild glaube und dem mehr Energie zuwende, verändere ich dadurch auch wie ich führe, welche Organisationsprinzipien ich aufsetze. Beim ersten fokussiere ich auf Kontrolle, das führt direkt ins Mikromanagement, da möchte ich von jedem wissen, was er tut, wann er was tut, und so weiter. Dann darf ich mich nicht wundern, wenn ich Dynamik und Innovationsgeist aus dem Unternehmen rausnehme. Das zweite Bild führt eher ins Vertrauen, dahin, leistungsorientiert zu führen. Das führt zu mehr Selbständigkeit, zu mehr Intra­preneurship. Ich finde es lohnender – und die Arbeit mit vielen Führungskräften zeigt, dass es die meisten lohnender finden, in so einer Umgebung zu arbeiten. Es ist wertschätzender und persönlich befriedigend, nicht command and control auszuüben. Dazwischen wird man aber wechseln müssen.

Wird sich eine Mischform zwischen – wenn man so sagen will – alter und neuer Arbeit etablieren?
Unbedingt. Auch deswegen, weil man zwischen alter und neuer Arbeitswelt, wenn man diese zwei Bilder schon so gegenüberstellt, nicht mit einem Hebel umschalten kann.  

Was sind die drängendsten Veränderungen, die Führungskräfte durchmachen?
Gefragt sind reflektierte, empathische Führungskräfte. Persönlichkeiten, die sich darüber bewusst sind, welche Wirkung sie auf die Organisation haben, und deren Ziel es ist, nicht notwendigerweise ganz vorne an der Spitze zu stehen, wie man es in der Vergangenheit gekannt hat. Die Organisation steht dahinter, fast wie im Militär – vorne steht ein General, seltener die Generalin, das ist ein sehr männliches Führungsbild – und sagt: Mir nach. Es braucht eher jemanden, der sagt: Meine Aufgabe ist es, für die Organisation da zu sein und nicht umgekehrt. Ich sage immer so schön: Wer sich selbst nicht führen kann, sollte auch andere nicht führen dürfen.

Das klingt nach eher weiblichen Eigenschaften. Wird sich in den zukünftigen Führungsetagen etwas verändern?
Man kann es nur hoffen. Alle Daten, die wir kennen, zeigen, dass ein diverserer Führungsansatz, und insbesondere auch ein stärker weiblich geprägter Führungsansatz, nicht nur gescheit ist, sondern auch wirtschaftlich bessere Ergebnisse bringt. Insofern wäre es eigentlich logisch. Die Schwierigkeit stellt sich dort in Organisationen, wo nach wie vor sehr männliche Prinzipien gefragt sind, um an die Spitze zu kommen oder sich dort zu halten. Das führt vielfach auch dazu, dass Frauen, die in und zu Führungspositionen kommen, eher männliche Verhaltensweisen annehmen. Ein deutscher Automobilmanager hat einmal gesagt, er hätte gern eine Frau im Vorstand, aber er findet keine, die so denkt wie Männer. Der hat nicht wirklich verstanden, worum es bei Diversität geht.

Gibt es Werkzeuge für Führungskräfte, die solche Veränderungen erleichtern?
Man kann viele Dinge lernen. Man muss sich aber im Klaren sein, dass vieles von dem, worüber wir gerade sprechen, erst im Entstehen ist. Wir greifen auf gut 100 Jahre Führungswissen zurück, das aus dem Taylorismus entstanden ist und das super funktioniert hat, während Leadership der Zukunft etwas ist, das gerade im Entstehen ist. Interessant ist aber, dass viele Führungskräfte keine Zeit haben, sich weiterzuentwickeln. Wenn man mit Führungskräften spricht, ob sie ausreichend Zeit haben, sich weiterzuentwickeln, sagen viele: Ich würde gern, ich gehe aber in Alltagshektik unter. Das halte ich für extrem riskant und gefährlich. Der erste Ansatzpunkt dazu ist: Ich möchte; der zweite: Ich schaffe mir Gelegenheiten. Das dritte ist, sich zu fragen, von welchen Dingen, die ich als unabdingbar für Leadership ansehe, kann ich mich bewusst ganz oder ein Stück weit verabschieden?

Das Gespräch führte Michaela Holy-Zwickelstorfer

Franz Kühmayer
Franz Kühmayer ist Vortragender und Experte für die Themen Zukunft der Arbeit, Leadership und Bildungswesen am Zukunftsinstitut und Strategieberater und Gründer von Reflections Research & Consulting. Er hat Physik und Informatik studiert und eine Vielzahl von Weiterbildungen absolviert. Er blickt auch auf eine erfolgreiche internationale Karriere als Führungskraft zurück.


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