Let‘s Go ERP

Geschäftsmodelle werden umgestoßen und neu definiert, Innovationszyklen werden immer schneller – wie ist es möglich, dass das ERP System im Zuge der digitalen Transformation besteht und seine Aufgabe als zentrale CORE-IT-Applikation erfüllt? Welche neuen Rollen muss das ERP System einnehmen? Wir haben fünf Experten Anfang März – noch vor der Corona-Krise – zum Computerwelt-ERP-Expert Talk gebeten. [...]

Wir haben fünf Experten zum Computerwelt-ERP-Roundtable gebeten. (c) timeline/Rudi Handl

Viele Unternehmen stehen aktuell vor großen Herausforderungen durch die Corona-Krise, für manche ist die Krise gar existenzbedrohend. Die Krise hat aber auch eines bewirkt: Die Digitalisierung und performante, stabile IT-Systeme erhalten eine völlig neu, große Bedeutung. Der sichere Remote-Zugriff aus dem Homeoffice auf unternehmenseigene Applikationen und Daten ist im Moment für viele entscheidend, damit weiter gearbeitet werden kann. Das betrifft selbstverständlich auch das ERP-System.
„Das ERP-System ist das zentrale System im Unternehmen und nicht wegzudenken. Die große Krux lag immer daran, dass man das System selbst verständlicherweise nicht angreifen wollte, weil ein Upgrade eines ERP-Systems immer einen massiven Aufwand bedeutet hat. Jetzt gibt es neue Evergreen-Technologien, die es ermöglichen, auch ERP-Systeme über einen langen Zeitraum immer neu zu halten – das ermöglicht den Kunden sehr lange ihr ERP-System zu behalten und immer auf neue Technologien zu setzen“, stellt Dietmar Winterleitner, CEO von Cosmo-Consult mit Sitz in Steyr, fest. Ganz klar, dass sich „die Kunden vor einem Umstieg scheuen. Gründe für den Umstieg sind, wenn etwa Wartungen auslaufen oder wenn es tatsächlich neue Geschäftsmodelle erfordern. Der Zustrom zu den Evergreen Systemen, wie es etwa jetzt Microsoft anbietet, ist sehr groß, weil da Anpassungen gemacht werden können und man immer am neuesten Stand ist“, erklärt Winterleitner.

Michael Sander, CEO von proALPHA knüpft gleich zum Stichwort Evergreen an: „Seit man das Thema ERP kennt, ist das Thema Releasefähigkeit immer wesentlich gewesen. Das gelingt jetzt im Zuge der fortschreitenden Technologie auch immer besser.“ Auch die Langfristigkeit und Systemtreue kann Sander bestätigen: „Wir haben Kunden, die uns schon seit 27 Jahren die Treue halten. Das ist so lange, wie es proALPHA gibt.“ Aber die Frage ist: Hat ERP im Zeitalter von Digitalisierung und Industrie 4.0 überhaupt noch den Stellenwert? Da erwartet man von den Herstellern natürlich ein „selbstverständlich“. Sander bezeichnet ERP nach wie vor als „die zentrale Datendrehscheibe und Pflichtübung der Digitalisierung. Aus heutiger Sicht ist die Ablöse des ERP-Systems nicht denkbar, denn es ist die einzige Daten- und Informationsquelle in einem Industriebetrieb, die korrekte betriebswirtschaftliche Entscheidungen ermöglicht.“

Rolle des ERP-Systems

Michael Schober, Leiter des Trovarit-Büros in Österreich und bekannt als ERP-Tuner, startet in die Diskussion mit einem anschaulichen Beispiel: „Ich gehe sogar noch weiter. ERP ist ein menschliches Grundbedürfnis, schon die ersten Tontafeln, die man 4000 v.Chr. gefunden hat waren Lagerbuchhaltungen. ERP ist daher bis heute ausweglos – was sich ändert ist die Technologie: Früher war es eine Tontafel, heute ist ein mobiles Device, künftig werden wir vielleicht einen ERP-Chip implantiert haben“
Oliver Krizek, CEO und Eigentümer der NAVAX Unternehmensgruppe, stimmt zu: „das ERP-System bildet den Wertefluss innerhalb des Unternehmens zahlenmäßig ab. Wir hatten jetzt eine Dekade, wo viele Funktionalitäten und Abläufe in das ERP-System hineinimplementiert worden sind. Da wurden riesige Monolithen und Systemlandschaften aufgebaut, die unabhängig von der Systematik und Technologie auch immer wieder eine große Herausforderung beim Upgrade mit sich brachten. Ich sehe da jetzt schon einen Change: wir sprechen mehr und mehr von Business-Applikationen“, wo ERP und CRM bzw. Customer Experience Management (CX) eigene Applikationen sind.

„Der Kern der Datenbasis wird am Ende des Tages immer das ERP System sein, das die gesetzliche Grundlage für die Buchhaltung liefert“, stimmt Krizek seinen Vorrednern zu. Zur eigenen Rolle seines Unternehmens meint der NAVAX-CEO: „Ich sage meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern immer: Wir sind wie ein Fertigteil-Haus-Hersteller. Wir haben eine fertige Software, das ist wie ein Haus, das können wir mit größeren Fenstern ausstatten oder ein Stockwerk aufsetzen – und am Ende des Tages bauen wir für unsere Kunden ein Bürohaus auf, das verschiedene Abteilungen besitzt.“ Und zum ERP-Begriff: „Ich weiß nicht, wie lange wir noch von ERP sprechen werden, denn letztlich implementieren wir Business-Lösungen, und die können sehr vielfältig aussehen.“ Immer häufiger ist in diesem Zusammenhang die Bezeichnung „Enterprise Central Systems“ (ECS) zu hören.

Bei der Diskussion mit dabei ist auch Stefan Gurszky, seit 2018 CEO bei Uniconta und seit vielen Jahren im ERP Geschäft. Das Unternehmen hat seinen Sitz in Dänemark und einen prominenten Gründer: Erik Damgaard, der sich seit 1983 mit dem Thema ERP beschäftigt. Er war Entwickler von Concorde und AX und Mit-Gründer des dänischen Unternehmesn Damgaard. Nach der Fusion von Damgaard mit Navision wurde Navision 2002 von Microsoft übernommen. 2016 gründete Damgaard Uniconta: Die gleichnamige SW-Lösung ist ein rein Cloud-basiertes ERP System und für Klein- und Mittelbetriebe konzipiert. „Uniconta ist eigentlich das Nachfolgeprodukt von C5, eine in Dänemark bewährte Software Lösung. Microsoft hatte dieses Produkt eingestellt“, erzählt Gurszky, der 1991 Navision nach Österreich gebracht hat und so selbst viele Jahre im Microsoft Umfeld tätig war. Er schildert seine Motivation für Uniconta so: „Ich habe mir gedacht, wir brauchen in Österreich etwas unter diesen bewährten Lösungen wie Navision und Business Central, eben für kleinere Unternehmen, die trotzdem eine umfassende, erweiterbare kaufmännische Lösung benötigen. Uniconta ist aber jetzt keine Weiterentwicklung, sondern eine komplette, die Anforderungen einer Cloud-basierten Lösung berücksichtigende, Neuentwicklung“.

Besonderes Augenmerk wurde auf das API, der Schnittstelle zu anderen Produkten, gelegt. Laut Gurszky gibt es international bereits ein paar Hundert Kunden, in Österreich allerdings erst zehn. „Bei vielen Kunden geht unter anderem auch um die Anbindung des Webshops oder Registrierkassen. Da bietet Uniconta eine sehr einfache Möglichkeiten einer Integration über das API an“, erklärt Gurszky und weiter: „Cloud ist ein immer größeres Thema bei den Kunden, weil der Aufwand einer On-Premise Installation immer größer wird. Vor allem enn es darum geht, auch andere Produkte zu integrieren. Besonders IT-Security und Datensicherheit sind Riesen-Themen.“ Als Cloud-Treiber habe Office365 gewirkt. „Die Kunden merken, dass sie einfach keine IT-Unternehmen sind und sie wollen sich auf ihr Kerngeschäft fokussieren. Der Server stört sie, den wollen sie gar nicht mehr sehen. Gerade im unteren Segment und bei StartUps haben wir wirklich einen großen Zug zu Cloud.“

ERP aus der Cloud: Noch zögerlich


proALPHA wiederum hat seine Kunden hauptsächlich im mittelständischen Industrie-Umfeld, mit ca. 100 bis wenigen 1.000 Mitarbeitern. „Mittelständische Unternehmen sind in ihren Möglichkeiten, professionell IT zu betreiben nicht wie Großkonzerne. IT Projekte werden aus einer überschaubar großen IT-Abteilung ‚gestemmt‘, mit allen Vor- und Nachteilen. Insofern finde ich es etwas kurios, dass nicht mehr dieser KMU auf die Cloud setzen“, wundert sich Michael Sander. „Noch kurioser finde ich, dass bestimmte Applikationen unterschiedlich bewertet werden. Für viele Unternehmen ist es gar kein Thema, dass man CRM aus der Cloud konsumieren kann, bei ERP sieht es da schon anders aus. Ich glaube, es gibt sehr viele Vorteile auf der Cloud-Seite, natürlich gibt es subjektive Befindlichkeiten oder Sorgen, etwa: Wo sind denn dann meine Daten? Es ist aber auch ein Generationen-Thema. Wir nehmen diese Vorbehalte ernst und der proALPHA Ansatz ist daher, für diese Klientel ein Cloud Offering als Möglichkeit anzubieten, also als Kann-Option“, betont Sander. Insbesondere bei Neuprojekten werde die Cloud-Option extrem häufig gewählt. „Die Möglichkeiten des Deployments sind irrsinnig schnell, die Investition ist deutlich geringer, die Kunden können rasch mit der Einführung starten“, zählt Sander die Vorteile auf, „aber interessanter Weise gehen viele Unternehmen wieder raus aus der Cloud, weil sie sagen: Im Endausbau wollen wir unser ERP-System dann selbst On-Premise betreiben. Daher wächst das Thema ERP in der Cloud im Industrie Umfeld aktuell noch mit überschaubarer Geschwindigkeit.“


Auch die anderen Teilnehmer äußern sich ähnlich zum Cloud-Thema: „Es ist ja kein Geheimnis, dass Microsoft sehr, sehr stark in Richtung Cloud geht – und wir haben ja schon vor zwei Jahren in einer CW-Expertenrunde festgestellt, dass es im Norden Europas kein Thema ist in die Cloud zu gehen – und Österreich da ein wenig hinterhergehinkt“, stellt Dietmar Winterleitner fest, der schon eine Veränderung ortet: „Wir sehen schon, dass sehr viele in die Cloud gehen wollen, aber es geht halt auch nicht immer. Die Möglichkeit, schon noch On-Premise zu bleiben, ist daher ganz zentral und auch wichtig. Das auch als Message an die Microsoft.“ Das beweist er anhand eines konkreten Beispiels: „Wir haben einen Kunden, der ein Werk an der Elfenbeinküse hat, da sind die Leitungen leider nicht ganz so stabil – da müsste ein Hybrid-Szenario möglich sein. Aber aus IT-Security Gründen braucht man auf die Cloud nicht verzichten.“ Zum Kosten-Argument sagt Winterleitner: „Wenn ich schon ein eigenes RZ, eine verteilte Umgebung und die Leute für den Betrieb habe, dann macht es technisch wieder mehr Sinn, On-Premise zu bleiben. Wir sehen, dass es in den ersten Phasen extrem beliebt ist, für Proof-of-concept oder für Analysen, in die Cloud zu gehen. Der Trend insgesamt ist – und wir bewegen uns mit Microsoft Dynamics Finance und Operations eher im Bereich von größeren Kunden – dass immer mehr Unternehmen an die Cloud denken“, schildert Winterleitner.
Oliver Krizek gibt Einblick zu den NAVAX-Kunden: „Was wir feststellen, ist, dass wir auf der Sales/CRM Seite fast 100 Prozent Cloud-Applikationen laufen haben. Im ERP Umfeld, dort, wo es um den Wertefluss geht ist der Proof of Concept fast ausschließlich in der Cloud. Der Start erfolgt dann über ein Cloud-Modell und dann werden die Lösungen in eine Hybrid Variante transferiert – aber rund 50 Prozent der Kunden bleiben dann auch bei einer reinen Cloud-Variante. Das gilt für die Neuprojekte. Bei den Bestandskunden kommen dann alteingefahrene Systeme zum Einsatz. Wir machen ja sehr viel in der Finanzindustrie, im Banken- und im Spezial-Finanzierungsumfeld und im Leasing mit unseren ERP-Lösungen. Und das Interessante dabei ist: Die Banken wollen alle in die Cloud – aber die FMA sagt nein. Ich glaube aber, auch die Bankenaufsichten werden in Zusammenarbeit mit den Banken eine Lösung finden müssen, weil die ganz stark in diese Richtung drängen“, meint Krizek. Bei den mittelständischen Firmen sei nach wie vor eine „mentale, gefühlsmäßige Ablehnung“ gegenüber Cloud da, oder eine IT-Abteilung, die glaube, mit der Verlagerung der IT in die Cloud an Einfluss zu verlieren. Krizek outet sich als Cloud-Fan: „Für den Kunden selbst ist eine Cloud-Lösung im Grunde genommen das gescheiteste System, Voraussetzung ist aber 5G und funktionierende Datenleitungen.“ Und ganz allgemein: „Ohne Breitband Internet wird ein modernes Land und Unternehmen nicht überleben können.“

Trend klar in Richtung Cloud

Michael Schober fasst die Meinungen zur Cloud-Thematik zusammen: „Gerade die kleinen Unternehmen, die keine IT-Infrastruktur haben und Startups – die gehen ganz sicher in die Cloud. Die Unternehmen, die im Handel unterwegs sind, haben eher weniger Hürden in die Cloud zu gehen als die, die in der Produktion sind. “

Stefan Gurszky ergänzt noch: „Es sind auch viele Ängste weggefallen, man hat heute mail und Handy in der Cloud. Die Jungen haben da heute auch überhaupt keine Berührungsängste mehr. Ich denke, man gibt viel mehr preis, wenn man Facebook am Handy hat als mit einer ERP Lösung in der Cloud. Die Cloud hat noch etwas gebracht: Ein anderes Preismodell. Die Cloud hat das Mietmodell (SaaS) mehrheitsfähig gemacht. Und alle Hersteller, wie auch die Microsoft, drängen ganz stark in Richtung Mietmodelle. Miete hat den Kauf abgelöst, im Neugeschäft auf jeden Fall.“
Das gelte für alle jene, die keine Hardware haben, stimmt Schober zu, „aber die Unternehmen, die Hardware und IT-Mannschaft haben, da kann die Cloud nur teurer sein, weil sie bereits vorhanden Ressourcen noch einmal mieten.“

Für den Kunden ist es nur positiv, sagt Oliver Krizek, „der Kunde kann es sich aussuchen, ob Cloud, On-Premise oder Hybrid.“
Und wenn Hersteller sagen sollten: ‚Wir bieten nur Cloud-only‘ – „dann würden viele Kunden eine ganz simple Entscheidung fällen: den Hersteller gar nicht einladen“, fügt Michael Schober hinzu.
Beratung und eine genaue Kenntnis der jeweiligen Kundensituation sei nach wie vor das A und O: „Nur so können wir beraten, ob eine Cloud, eine On-Premise- oder Hybrid-Lösung das Mittel der Wahl ist. Diese Fakten gehören auch auf den Tisch gelegt, das heißt, wir reden nicht nur über einen einzelnen Prozess in der Fertigung, sondern über die gesamte Strategie des Unternehmens“, setzt Dietmar Winterleitner hinzu.

ERP-System behalten oder Neueinführung?

Aber – abgesehen von der Cloud-Thematik – wie bringt man ERP-Systeme nun ins moderne Zeitalter der Digitalisierung und macht sie zukunftsfit? „Wenn ein System noch nicht allzu alt ist, dann ist es sicher gut, gemeinsam mit dem Partner zu schauen, ob es nicht Möglichkeiten gibt, durch fertige neue Technologien die neuen oder veränderten Prozesse zu unterstützen und diese dann an das Alt-System anzubinden. Wenn es aber ein total veraltetes System ist, dann wird an einer Neueinführung kein Weg vorbeiführen“, stellt der Cosmo-Consult CEO klar. Genau davor haben immer noch viele Unternehmen Angst, ERP-Projekte haben den Ruf langwierig und „mühsam“ zu sein.
Aber „es gibt harte Fakten, warum Unternehmen gut daran tun, ein ERP-System zu wechseln. Etwa technologische Sackgassen oder wenn der Hersteller den Support für ein System kündigt, oder wenn das System einfach nicht zum Unternehmen passt bzw. umgekehrt. Es kann auch sein, dass ein System nicht zu einer Branche passt – aber: es ist häufig so, dass Unternehmen ein bisschen zu leichtfertig nach einem neuen System rufen“, weiß Michael Sander. Probleme in der Organisation sollen dann durch eine neue Software gelöst werden. „Das ist in vielen Fällen nicht die richtige Antwort – sondern die Unternehmen müssen sich grundsätzlich mit ihren Prozessen beschäftigen und mit der Frage: Wie kann ich meine Organisation und meine Prozesse transformieren und weiterentwickeln“, rät der proALPHA CEO, „man muss bereit sein, seine eigenen Hausübungen zu machen, man muss bereit sein, althergebrachte Bastionen bröckeln zu lassen und den Weg frei zu machen für wirklich neue, innovative Prozesse – und dann darf man sich fragen: Ist meine ERP-Lösung die richtige dafür? Bietet sie mir die Möglichkeit, meine eigene digitale Transformation voranzubringen?“
Organisation und Prozesse zu verändern ist allerdings gar nicht so einfach, ist allen Teilnehmern klar. „Es ist dabei einfacher, die Schuld auf die Technik zu schieben“, wirft Oliver Krizek ein, der aber auch am ERP-Markt selbst Veränderungen sieht: „SAP hat ja sein Lizenzmodell aufgekündigt und geht nur noch in Cloud-Varianten hinein. Die Unternehmen beginnen, durch die Entscheidung der großen Anbieter, umzudenken. Das wird den ERP-Markt jetzt auch in Bewegung bringen.
Michael Schober, der selbst langjährige Erfahrung im ERP Audit hat, meint dazu: „ich vergleiche das immer mit der Gesunden-Untersuchung und mit dem „Pickerl“ fürs Auto – dort ist das alles kein Problem. Für Auto-Tuning wird massenhaft Geld ausgegeben. Nur wenn ins ERP-System investiert werden soll, dann kommt auf einmal vom Unternehmen die Sparschraube daher“, kritisiert der Experte. „Auch ein ERP-System braucht – und nehmen wir jetzt die Bürogebäude-Metapher – auch eine „ERP-Instandshaltungsabteilung“, die schaut, ob die Türen quietschen ob alle Daten fließen oder ob welche am Türstock hängen bleiben. Und zur Frage der ERP-System Modernisierung sage ich: Ja laufend – und nach Möglichkeit am aktuelle Release oder bestenfalls eines hinten nach sein“, legt Schober den Unternehmen ans Herz.
„Im Mittelstand ist der Respekt vor ERP-Projekten oder einer Neueinführung ein enormer – da wird ein Riesen-Aufwand betrieben“, wirft Michael Sander ein, er sieht einen großen Bedarf nach funktionierenden Erfolgsbeispielen: „Die Erfahrung zeigt, dass in allen Auswahlverfahren die Kunden ausnahmslos daran interessiert sind, Standards einzuführen. Sie wollen aus gutem Grund einen Anbieter haben, der sich in der Branche auskennt, dessen Software die branchenüblichen Prozesse unterstützt und der mit Best Practices aufwarten kann.“
Stefan Gurszky bringt noch einen Aspekt ein: „Wenn ein Unternehmen vor zehn Jahren eine ERP-Lösung eingeführt hat – und die hat in der Komplexität gepasst bzw. wurde entsprechend modifiziert – inwieweit hat sich die Software und das Unternehmen selbst weiter entwickelt? Viele KMUs, vor allem jene mit ein bis fünf Usern, sagen: Ich brauche kein großes, komplexes System. Sie sind auch nicht mehr bereit, viel Geld in Anpassungen und in der Folge in Updates zu investieren. Da ist der Wunsch nach einem einfachen, schlanken System da“, das sei natürlich auch eine gute Chance für Uniconta, sieht Gurszky ein gutes Marktpotential in Österreich: „Die Anwender lösen sich langsam von der Idee einer optimalen, in der Einführung und Betrieb kostspieligen Lösung hin zu einer ‚good enough‘ Anwendung. So, wie sie es auch von der Verwendung diverser Apps am Smartphone gewöhnt sind. Auch diese stellen ja keine optimal an die individuellen Bedürfnisse des einzelnen Anwenders angepasste Lösung dar – sie sind aber ‚gut genug‘, um die Bedürfnisse abzudecken.“

Apps und mobiles Arbeiten

„Wir werden in Zukunft Business-Software-Service-Anbieter haben – und es wird viele Hundert Apps geben. Dann werden die Nomaden an Klick-Workern, die in ihren Apps agieren, mit Pizzazustellung bei lieferando, mit Taxifahren für Uber oder einer Zimmervermietung für Airbnb – am Schluss im System landen, das das Business-Software-Service anbietet, das dann im Hintergrund den Wert- und Mengenfluss darstellt.“
Hier schließt sich Stefan Gurszky an: „Genau das sehen wir auch: eine sehr dynamische Szene, die Apps entwickelt. Wir haben auf unserer Homepage in Dänemark bereits über 100 Produkte, die mit Uniconta direkt sprechen können, Field Services, Kassenlösungen usw., unter Windows, Linux oder Java entwickelt. Einige davon, z.B. die Kassenlösung POS One, bieten wir auch schon in Österreich und Deutschland an. Die jeweilige Entwicklungsplattform spielt heutzutage keine Rolle mehr, da sie über die API eine gemeinsame Sprache sprechen. Auch die großen Hersteller sind bemüht, ihre Lösungsmonolithen in Apps aufzuteilen. Somit muss nicht mehr eine Lösung in allen Funktions- und Anwendungsbereichen glänzen. Die Leute suchen sich in der Praxis die beste App für den betreffenden Funktionsbereich, etwa für Field Services aus – und diese spricht dann direkt über das API mit dem Backoffice bzw. ERP-System“, beschreibt Gurszky die aktuelle Entwicklung und sieht auch eine Kostenvorteil für die Unternehmen: „Dann sind der Großteil der User mit kostengünstigen Apps gut bedient.“
Michael Schober sieht die Zukunft so: „Das geht noch weiter. Ich werde meine App haben, mit der arbeite ich den ganzen Tag, und die hängt an fünf Mandanten dran, einmal bedient sie SAP Service, einmal Uniconta Service und einmal Microsoft Business Solution Service“.
„Damit sind wir aber weg von der Datendrehscheibe. Ich glaube, dass wir jetzt eher von einer Prozess-Drehscheibe reden, wo wir uns auch hin entwickeln. Das Auseinanderdröseln Monolithen bzw. in unterschiedliche Bereiche ist jedenfalls gar nicht so einfach. Microsoft probiert das ja gerade – aber wir kommen dann wieder zum Thema Best-of-Breed“, sagt Dietmar Winterleitner.
„Wir sehen eine sehr starke Nachfrage nach mobilen Lösungen, und zwar in unterschiedlichen Bereichen, ob bei CRM oder Mobilität im Lager bis hin zum mobilen Service-Prozess“, betont Michael Sander. ERP und mobiles Arbeiten erhält von den Anwendern allerdings im Moment nur ein schlechtes Zeugnis, „Die Nachfrage ist zwar enorm hoch, nur bei der Zufriedenheit der Anwender hat das Thema „Mobility“ bei den letzten beiden Trovarit-ERP-Studien den letzten Platz belegt. Wir sind daher sehr gespannt, wie das bei der Studie heuer ausfallen wird“, stellte Michael Schober fest. (www.trovarit.com/erp-praxis)

Dietmar Winterleitner hat folgende Erklärung: „Die schlechten Umfrage-Ergebnisse kommen vielleicht daher, weil die Leute erwarten, dass das ERP-System „draußen“ in derselben Art und Weise verfügbar ist. Mobility muss aber kein Kernelement einer ERP Lösung sein. Ich glaube, das war auch der Fehler vieler Hersteller, die versucht haben, mit ERP Mitteln Mobilität zu erzeugen. Aber jetzt ist ein Umdenken da, wie auch bei Microsoft mit den Power Apps, wo außerhalb des ERPs mit anderer, neuer Technologie ganz einfach Mobilität erzeugt wird.“ Dem widerspricht Michael Sander ein wenig: „Der User will ja in Echtzeit mobil mit dem ERP-System arbeiten, insofern sehe ich Mobility schon als wichtige Funktonalität, die das ERP-System bieten muss. Wichtig dabei ist natürlich ein passendes Mobiles User Interface.“
Mobiles ERP bringt auch für Geschäftsführung und Bereichsleiter sehr viel, ergänzt Oliver Krizek: Mobility bedeutet auch wesentliche Benchmarks wie beispielsweise Umsatz pro Tag, erfasste Stunden etc. mobil den Führungskräften und dem Management zur Verfügung zu stellen, damit diese jederzeit auf neue Gegebenheiten reagieren können. Das gewinnt zunehmend an Bedeutung.“

KI und Zukunft

Zuletzt hab ich die Teilnehmer noch gefragt, wie viel an Künstlicher Intelligenz künftig in ERP-Lösungen enthalten sein wird und welche anderen Trends sich abzeichnen. „Wir haben bei Cosmo Consult den Begriff Intelligent ERP geprägt. Das hat mit ERP sehr wenig zu tun. Wir haben eine eigene AI-Truppe, das sind Mathematiker, die nichts anderes tut, als KI-Unterstützungen für Kunden aufzubauen. Da geht es z.B. darum, den Lagerstand auf Basis von Wettervorhersagen oder politischen Entwicklungen möglichst genau vorherzusagen.“ Auch bei NAVAX ist das Thema im Fokus, wie Oliver Krizek bestätigt: „Gerade im Bankenumfeld ist das Thema ganz groß. Wir unterstützen ja auch zahlreiche kleinere Institute, die höchst automatisiert arbeiten, etwa bei Kreditvergabe und -zusage. Es hängt also auch stark von der Branche ab, inwieweit sich KI in den Unternehmen einsetzen lässt. Da geht es um mathematische Modelle und Grundlagen-Entwicklung, die da stattfindet.“

Stefan Gurszky wünscht sich mehr sinnvolle Automatisierung auch bei KMUs, v.a. bei Kleinstunternehmen z.B. was die Beleg-Verarbeitung betrifft. Dabei gelte es, KI nicht zu integrieren, sondern „sinnvoll anzuflanschen.“
„Vieles was wir an Beispielen anführen, wenn wir das Stichwort KI in den Raum werfen, ist eigentlich Algorithmik und klassische Mathematik. Das hat mit KI noch lange nichts zu tun. KI wird es dann, wenn das ERP-System selbständig agiert und „denkt“: Was könnte ich noch an Datenquellen anzapfen, von denen mir der User noch gar nichts gesagt hat – Das bedeutet, um bei dem Beispiel von vorhin zu bleiben, sich auf die Suche im Internet zu machen, um den Lagerstand noch besser vorherzusagen. Meine persönlichen Bedenken sind: Die Menschen sind heute noch nicht in der Lage, ihre Dispositionsparameter sauber zu pflegen und abzuschätzen. Der zweite Punkt ist, wenn man Routinearbeiten an ein System auslagert, sind die Mitarbeiter in Extremsituationen nicht mehr in der Lage, die richtigen Entscheidungen zu treffen, weil sie aufgrund mangelnder Routine nicht mehr wissen, wie das System funktioniert“, warnt Michael Schober.
Zustimmung dazu kommt von Michael Sander: „Es wird heutzutage landläufig sehr viel unter KI verkauft, wo in Wirklichkeit alles andere als KI drinnen steckt. KI ist heute ein Thema, das vielleicht jetzt endlich so einen Reifegrad entwickelt, dass man wirklich großflächig und nachhaltig damit umgehen kann. Es ist aber schon so, dass ERP Systeme heute auch ohne KI erfolgreich sein können.“


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