Licht und Schatten von KI

Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde, polarisiert aber auch: Arbeitsplatzvernichtung oder neue Superkraft? Was hat seine Berechtigung und wie können Unternehmen heute KI schon einsetzen? Wir haben dazu sieben Experten und eine Expertin befragt. [...]

Christine Wahlmüller (mitte) hat mit 8 heimischen Experten über künstliche Intelligenz diskutiert. (c) Computerwelt
Christine Wahlmüller (mitte) hat mit 8 heimischen Experten über künstliche Intelligenz diskutiert. (c) Computerwelt

Francis Cepero von A1 Digital, dem digitale Spinnoff der Telekom Austria Group, befasst sich mit Themen wie IoT und Machine Learning. Er sieht uns schon mitten drin: »Wir sind heute jenseits von Konzepten – wir bewegen uns in konkreten Anwendungen, die bei den Kunden schon stattfinden. Und ich glaube, in der nächsten Stufe wird die Produktivität durch Machine-Learning-Plattformen einfach enorm gesteigert werden.«

Einen etwas anderen Zugang hat Tim Berghoff, Security Evangelist beim IT-Dienstleister G Data aus Bochum: »Wir haben KI schon sehr lange auf dem Schirm, gerade wenn es um IT-Sicherheit und das Erkennen von Schadsoftware geht. Das Thema ist schon deswegen präsent, weil wir natürlich nach Möglichkeiten suchen, die uns die Arbeit erleichtern, bei der Masse an Schadsoftware, die täglich hereinkommt. Das ist mit normaler Manpower schon lange einfach nicht mehr zu schaffen und es braucht Möglichkeiten, Dinge zu automatisieren und die Erkennung zu verbessern. Das haben wir mittlerweile schon ganz gut geschafft, aber da sind wir natürlich noch lange nicht fertig. Wir befinden uns auf einem guten Weg.«

KI ist für Nahed Hatahet, Gründer und Geschäftsführer von HATAHET productivity solutions, ein wichtiger Teil der modernen Arbeitswelt: »Diesen Februar haben wir unserer internen Abteilung Digital Workplace Intelligence auch nach außen ein Gesicht gegeben, mit eigenem Webauftritt (www.hatahet.ai) und einem eigenen Logo. Themen wie KI, Machine Learning (ML) und Softwarebots sind für Hatahet genuiner Bestandteil moderner Arbeitsplatzlösungen. »KI und Bot-Assistenten sollen die Arbeit am Arbeitsplatz der Zukunft nicht nur produktiver machen, sondern Menschen auch dabei unterstützen, sich mehr auf die interessanten Tätigkeiten konzentrieren zu können. Wie nebenbei erreichen wir damit auch neue Standards in Sachen Inklusion, etwa durch Untertitel in Videos und direkte Übersetzungen von Audioinhalten in Textform oder umgekehrt«, erläutert Hatahet.

Der Mensch im Mittelpunkt

Auch bei Fujitsu ist KI ein wichtiges Thema, wie Josef Höckner, CTO von Fujitsu Österreich, bestätigt: »Wir setzen unseren Fokus bereits seit 2012 auf die Human Centric Intelligent Society. Das heißt, der Mensch steht im Mittelpunkt unserer Überlegungen. Wir sind überzeugt, dass wir bei KI jetzt in die Phase des Vertrauens kommen müssen. Die Menschen sind vielfach verunsichert, was der Einsatz von KI mit sich bringt, und was das für sie heißt – und da ist es ganz wesentlich, Vertrauen zu schaffen, denn die Technologie wird sich dieses Mal durchsetzen. Die Frage ist, was wir jetzt damit anfangen.« Als Beispiel für die KI-Entwicklung und auch Gradmesser nennt Höckner die Olympischen Spiele in Tokio 2020: »Da arbeiten wir schon an ganz konkreten Use Cases wie etwa automatisierten Übersetzungen oder die Entwicklung eines Systems zur Unterstützung der Bewertung von Gymnastikübungen für die Juroren. Auch Verkehrsführung und Verkehrsmanagement-Lösungen mithilfe intelligenter Algorithmen sind in Arbeit. Ein weiteres Thema ist Videoanalytik: Die Polizei in Japan arbeitet da bereits mit unseren Systemen und wir sind auch mit Polizei-Organisationen anderer Länder im Gespräch.«

Auch für Georg Fischer, CTO bei SAP Österreich, ist KI ein Fokusthema: »KI und ML sind für SAP schon lange sehr wichtig. Wir beleuchten das von zwei Seiten: erstens Produktivität und Nutzen auf der einen Seite, aber auch die ethischen Aspekte. Wir waren auch die erste Firma in Europa, die sich selbst Leitsätze für den Umgang KI gesetzt hat, sowohl intern als auch extern einen Ethik-Rat hat und das transparent und öffentlich publiziert. Wir haben aus den ersten Einsatzerfahrungen produktiv bei Kunden Informationen eingeholt, diese reflektiert und geschaut, ob die Annahmen und Hypothesen, die wir getroffen haben, eintreffen und wie sich das Nutzerverhalten dann im realen Einsatz ändert, wenn da auch Kompetenz da ist, und man mehr weiß, was solche Systeme können oder nicht können. Es geht auch darum, dass das Thema de-mystifiziert wird.“

Arnold Präsent, bei Tieto für den Bereich Data Driven Business zuständig, sieht KI als großes Tätigkeitsfeld für Unternehmen. »Ein wichtiges Schwerpunktthema ist bei uns Industrie 4.0, Digital Advisory und Data Driven Business, da diese Themen zusammenhängen. Wir bringen den Begriff KI mit Analytics in Verbindung und schauen uns an, wie wir einen Mehrwert für unsere Kunden generieren können. Fokus ist für uns daher die Industrie, das heißt der Blick in die Praxis. Es geht einerseits um Produktions- und Effizienzsteigerung und um Kosteneinsparung, anderseits auch um Digital Advisory: Wie müssen sich Firmen transformieren und was ist die Voraussetzung in den Unternehmen, damit KI tatsächlich Fuß fassen kann und man hier einen Mehrwert schafft.«

Die Kluft zwischen Mensch und Maschine überqueren

Lisa Smith, promovierte Informatikerin, Gründerin und Geschäftsführerin von Prewave, einem Spin Off der TU Wien Informatik, sagt: »Wir entwickeln ML-Technologien und einen Algorithmus, der Ereignisse auf Basis von Social-Media-Daten erkennen kann. Es geht uns dabei besonders um das frühzeitige Erkennen von Risiken in mehrsprachigen sozialen Medien, aber auch News-Daten. So kann bereits frühzeitig erkannt werden, ob zum Beispiel ein Hafen voraussichtlich gesperrt werden muss, etwa aufgrund eines Streiks oder Unfalls. Unser Ziel ist es, mithilfe der Datenanalyse transparent zu machen, was auf der Welt passiert, um bessere Entscheidungsgrundlagen zu liefern. Etwa: Wo sind Probleme in Lieferketten oder wo passen die Arbeitsbedingungen nicht. Das ist zwar oft lokal sichtbar, global aber gar nicht. Wir tun das, indem wir die Kluft zwischen Menschen und Maschinen überqueren: wie können Maschinen vom Menschen lernen, um besser zu werden.« Lisa Smith wurde übrigens 2019 in der Kategorie »Innovation« mit dem Unternehmerinnen-Award ausgezeichnet.

Angst als Hemmschuh

Helmut Leopold, Leiter des Center for Digital Safety and Security am AIT, meint: »Vor zehn Jahren haben wir Data Science als strategischen Schwerpunkt bereits festgesetzt und hier eine Gruppe aufgebaut, wo auch die Kompetenz für KI, ML und Big Data Analytics liegt. Einerseits geht es um den gesellschaftlichen Kontext und um den industriellen Einsatz. Als Gesellschaft sollten wir achtgeben, dass wir einerseits nicht einem Hype zum Opfer fallen und überzogene Erwartungen schüren und andererseits immer sehr bedacht darauf sind, Technik nicht verantwortungslos einzusetzen und dabei immer im Auge behalten, dass wir unsere Technik beherrschen müssen. KI einfach aus Angst abzulehnen oder übereilt zu akzeptieren – beides ist gleich schlecht. Das heißt, es ist unsere Aufgabe, darüber nachzudenken, wie wir in Zukunft eine komplexe, scheinbar nicht überschaubare Technologie managen. Unsere Verantwortung liegt auch darin, mitzuhelfen, der Gesellschaft zu erklären, wie man mit KI umgehen kann.

Die große Frage wird daher sein: wie können wir diese Maschinen denn überhaupt testen und verifizieren? Es geht auch darum, Grenzen zu setzen, damit Maschinen oder Roboter dann nicht unberechenbar agieren. Wir brauchen umgebende Systeme und eine entsprechende Steuerung, die eingreifen, wenn etwas falsch läuft.« Auch gesetzlich seien Maßnahmen erforderlich: »Wir brauchen globale Standards und nationale Regeln und Gesetze«, betont Leopold. »Nicht wer mehr Geld hat, wird dabei die Nase vorn haben, sondern wer den innovativeren Ansatz in diesem Diskurs rund um Technik, Nutzung und Gesellschaft hat, ist im Vorteil.« Ganz generell werde KI derzeit oft überschätzt: »KI ist noch lange nicht dort, worüber wir jetzt schreiben oder reden, es braucht noch viel mehr menschliche Intelligenz, um künstliche Intelligenz überhaupt in die Gänge zu bekommen.«

Fujitsu ist aus diesem Grund Gründungs-Mitglied der Initiative »AI4People« in Europa, weil »es uns ganz wichtig ist, dass man sich dieser Frage gesellschaftlich stellt, entsprechende Regeln dazu bildet und sich auch darüber einigt, wo und wie man KI anwendet. Wesentlich ist uns auch das Thema Explainable AI: Um KI für die Menschen transparent zu machen, geht es darum, das Thema wirklich sichtbar und begreifbar zu machen«, sieht Höckner auch die KI-Forscher und IT-Unternehmen gesellschaftlich gefordert.

Bots können Menschen unterstützen

»Gerade beim Thema Bots werden heute vor allem Headlines verbreitet, die bei Menschen Ängste erzeugen. Daher ist es extrem wichtig, diese Ängste in Unternehmen ernst zu nehmen und abzubauen. Dieser Situation werden wir bei unseren Kunden damit gerecht, dass wir uns im Zuge von KI- und Bot-Projekten intensiv mit Ethik beschäftigen und unsere Kunden dabei unterstützen ihre Mitarbeiter durch entsprechende Ehtik-Projekte aufzuklären und die Thematik nahezubringen«, schildert Nahed Hatahet. »Also weg von einem reinen Technologie-Denken hin zu einem ganzheitlichen Ansatz. Wir begleiten unsere Projekte beispielsweise mit Story-Telling, das den Usern vermittelt, welche Vorteile sie von diesen neuen Technologien haben. Beteiligte müssen verstehen, dass mehr denn je der Mensch im Mittelpunkt steht. IT-Abteilungen wollen hingegen einen Software-Bot möglichst schnell umsetzen und zum Einsatz bringen. Leider nützt aber die beste Technologie nichts, wenn sie von den Usern nicht angenommen wird.« Hatahet empfiehlt, »unbedingt alle Mitarbeiter von Anfang an in den Prozess mit einzubinden, durch interne Kommunikation und Story-Telling Ängste zu nehmen und den tatsächlichen Mehrwert dieser neuen Möglichkeiten verständlich zu vermitteln.«

Ein konkretes Beispiel ist der Ange-Bot, ein Software Bot, der den internen Prozess des Angebot Schreibens immens vereinfacht und beschleunigt. »Die betroffenen Mitarbeiter sind dafür sehr dankbar, denn sie können sich so viel stärker auf ihre eigentlichen Tätigkeiten konzentrieren«, erklärt Hatahet. Zusammenfassend meint er: »Moderne Technologien wie KI und Software Bots sind ein Muss, um Menschen von der Überlast an Arbeit zu befreien. Menschen müssen sich mehr auf das konzentrieren können, was sie besser können als jede Maschine – nämlich anspruchsvolle und kreative Tätigkeiten ausführen.«

These: KI ersetzt Arbeitsplätze

»Das Sichtbarmachen von KI ist ein ganz wichtiges Thema für die Akzeptanz, was man heute bereits alles mit KI machen kann und wie es wirkt«, stellt Arnold Präsent fest und nennt einige Beispiele: »KI ist bereits in vielen Bereichen Realität. Wenn ich mit dem Auto fahre, ist KI vorhanden, wenn ich ein Smartphone oder einen Alexa-Dienst nutze, steckt KI dahinter.« Dass KI Arbeitsplätze vernichtet, glaubt er nicht: »Das ist so ein Schreckgespenst, das hat es schon früher, etwa bei der Industrialisierung gegeben. Richtig ist: KI ersetzt Arbeitsplätze, aber sie schafft auch neue. Und sie nimmt uns mühevolle Arbeiten ab. Die KI-Technologie ist ein Enabler und Unternehmen sollten sich mit folgenden Fragen beschäftigen: Wie kann ein Usecase aussehen, der uns einen Mehrwert bringt? Wie kann uns welche Technologie dabei helfen, besser und effizienter zu werden oder neue Produkte bzw. Dienstleistungen anzubieten?«, rät Präsent.

»Die Ängste der Menschen müssen wir aber jedenfalls ernstnehmen, die können wir auch nicht wegdiskutieren. Es geht daher um Transparenz, Aufklärung und Sicherstellung, dass die Technologie gut und verlässlich arbeitet. Beispiel Personalwesen: Bei KI-gestützten Job-Auswahlprozessen kann man Trainingsdaten offenlegen und den gesamten Prozess dokumentieren«, nennt Georg Fischer ein Beispiel. Er versucht, auch etwas zu beruhigen: »Nicht alles Neue ist sofort kritikrelevant oder bedrohlich. Wenn ich daran denke, wie viele IT-Probleme tagtäglich im Büro auftreten, dann stellt sich die Frage: Kann ich mir (und den IT-Helpdesk-Mitarbeitern) die monotone, repetitive Arbeit vielleicht ersparen und schildere mein Problem einfach einem intelligenten System, zum Beispiel einem Chatbot, der mir dann weiterhilft? Hier ist der Mehrwert, denke ich, ganz offensichtlich«, sagt Fischer. »Das heißt, es geht auch um Steigerung der Qualität: die Qualität des Bearbeitens wird besser und die eigene Arbeitsqualität wird verbessert. Ich denke in der Zukunft werden KI und ML immer häufiger das Interface sein, die Stärken des Menschen aber ergänzen«, hebt Fischer die positiven Seiten von KI hervor.

KI nimmt uns Lästiges ab

»Wir haben eine Anwendung gebaut, um etwa Urlaubsanträge über Stimme in einem ERP-System zu registrieren und zu automatisieren. Das heißt: SAP ist das ERP-Backend, die Mitarbeiter sprechen einfach die gewünschte Urlaubszeit auf und erhalten sofort Feedback vom System. Wenn man sich einmal daran gewöhnt hat, will man es gar nicht mehr missen oder mühsam selbst Urlaubsanträge tippen«, hat Francis Cepero ein weiteres Beispiel, wie KI uns in Zukunft sehr gut bei nervigen Alltagsarbeiten unterstützen und entlasten kann. Ein weiteres Beispiel sind etwa Kundenanfragen bei einem Unternehmen. »Das Problem, wie man bei einer Callcenter-Anfrage den passenden Adressaten automatisch findet, kann mit einem guten KI-System komplett, mit bis zu 95-prozentiger Genauigkeit, gelöst werden. Und das System lernt jedes Mal dazu, bei jeder neuen Anfrage, auch aus Social Media. Das bedeutet, es müssen nicht 30 Menschen einer oft sehr enervierenden Tätigkeit nachgehen, die eigentlich heute schon maschinell gelöst werden könnte. Ich glaube daher schon, dass KI Arbeitsplätze vernichten wird, wir sollten da nicht um den heißen Brei herum reden. Aber es werden dafür andere Arbeitsplätze in anderen Bereichen entstehen«, stellt Cepero klar und stimmt damit Arnold Präsent zu.

Explainable AI hingegen bezeichnet er eher als Randthema, weil es erst dann entsteht, wenn man neuronale Netzwerke einsetzt. »Man muss aber nicht immer und überall unbedingt neuronale Netzwerke für alle Aufgaben einsetzen. Man kann sehr gute Lösungen mit anderen Algorithmen sogar wesentlich besser als mit neuronalen Netzwerken erzielen – und diese anderen Algorithmen sind komplett explainable und transparent. Mir kommt es so vor, als liefen wir ein bisschen in einen Hype, wo für alles neuronale Netzwerke herangezogen werden«, sagt Cepero.

Dem stimmt Tim Berghoff zu: »Hype trifft es gut. Im Moment macht es den Eindruck, als wären diese Technologien, egal ob ML, KI – oder welches Buzzword auch immer Sie bevorzugen – entweder der absolute Heilsbringer für alles oder – im anderen Extrem – das Schreckgespenst, das allen Leuten die Arbeit wegnimmt. KI soll aber nicht unbedingt den Menschen ersetzen, sondern ihm helfen, seine eigenen Fähigkeiten weiter zu entwickeln, vielleicht auch in andere Richtungen weiter zu entwickeln. Das bedeutet, dass die Leute mehr Zeit haben, andere Dinge zu tun, die vielleicht sinnvoller oder gewinnbringender sind, auf unternehmerischer oder persönlicher Ebene. Und da ist es unabdingbar, dass wir wissen, was diese Technologien tatsächlich machen und wie die Technologien zu einem Ergebnis kommen. Das spielt gerade im IT-Security Bereich eine große Rolle. Da wollen wir natürlich ganz genau wissen, wie ein Automatismus zu einer Entscheidung kommt. Das war anfangs, als wir mit dem KI-Projekt begonnen haben, die Challenge: Wir wollten automatisieren um unseren Analysten eine gewisse Workload abzunehmen und Reaktionszeiten zu verkürzen. Das Ziel ist dabei aber nicht, sie weg zu rationalisieren, sondern ihnen Freiraum für die wirklich wichtigen Dinge geben zu können. Da hatten wir anfangs eine sehr steile Lernkurve: So stimmten vielleicht einige Ergebnisse, aber wir fragten uns: Wie ist dieses Ergebnis jetzt genau zustande gekommen? Umgekehrt ist es ebenso: wenn wir nicht nachvollziehen können, wie ein falsches Ergebnis zustande kommt, haben wir ein Problem.«

»Die Grundfrage ist schon, was KI jetzt ist. Es wird oft in der nicht-technischen Diskussion das Bild vom Roboter geprägt, der alles weiß und alles kann – und, dass der Roboter für uns bedrohlich ist. Allerdings brauchen wir noch gar nicht über neuronale Netzwerke und Superintelligenz reden. Eigentlich ist bereits vieles, was wir haben, intelligent. Telefone sind schon intelligent, das Internet ist intelligent: es weiß, was ich mache, z.B. was ich gerne kaufe etc. – und das hat noch gar nichts mit besonderen intelligenten technischen Systemen zu tun, sondern beruht nur auf unserem leichtfertigen Umgang mit unseren Daten oder auch technischen Systemen, welche nicht unbedingt den Schutz unserer Privatsphäre und den Schutz unserer Daten als oberste Priorität sehen. Wir sollten viel mehr Augenmerk darauf legen Privacy und Security by Design in unsere technischen Lösungen einzubauen«, sagt Helmut Leopold.

»Wir müssen immer mitbeachten, dass es auch in Zukunft eine große Anzahl von Aktivitäten und Arbeiten geben wird, wo man unbedingt Knowhow und Personal brauchen wird«. Auf die Frage, ob nicht etwa der Job eines LKW-Fahrers über kurz oder lang verschwinden wird, antowrtet Leopold: »Wenn es eine Autobahn quer durch Europa gibt, dann kann ein LKW ganz fahrerlos vom Norden bis in den Süden nach Italien rollen. Das heißt aber nicht, dass ich diesen Fahrer nicht mehr brauche. Aufgaben zur Betreuung von Logistikprozessen, Kundenkontakten, Grenzübertritten etc. bleiben weiterhin wichtige Aspekte – da gibt es neue Tätigkeiten, die muss das System und diese Branche erst verstehen und sich anpassen.«

Die Veränderungen betreffen vor allem monotone, lästige Tätigkeiten. Ein weiteres Beispiel sind Gerichtsakten: »Wenn man da zehn Meter Ordner hat, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht optimale Urteile gefällt, weil das keiner mehr lesen und verstehen kann. Wenn hier die Qualität von Arbeitsprozessen verbessert wird, kann man nichts dagegen haben. Dann könnten sich Juristen wieder mehr auf ihre Kerntätigkeiten wie etwa das Erstellen von Rechtsgutachten, die Vermittlung bei Konflikten oder die Erarbeitung von Plädoyers konzentrieren.«

»Die Länder mit der höchsten Automatisierung haben auch die niedrigste Arbeitslosenrate. Und die jüngsten Analysen zum Thema Arbeitslosigkeit und KI nennen einstellige Zahlen. An den ersten Erfahrungen in den Unternehmen sehen wir, dass niemand das Unternehmen verlassen muss. Ich glaube daher nicht daran, dass es eine Massenarbeitslosigkeit geben wird. Wir brauchen nicht zuletzt auch Leute für die Transition und – Stichwort Life Long Learning – wir haben ein Kompetenzproblem. Deswegen müssen wir die neuen Technologien nutzen. Das wird letztlich die Zukunft und den Wohlstand in Österreich sichern«, meint Georg Fischer.

Ein LKW-Fahrer wird KEIN Data Scientist werden

»Ich sehe das schon als problematisch, dass ganze Industrien und Berufsgruppen hier quasi wegrationalisiert werden. Da müssen wir auch Lösungen dafür schaffen. Der Knackpunkt wird dabei sein: Wie schnell wird das gehen. Kann man sich darauf einstellen, etwa: OK, man beginnt keine neue Ausbildung mehr als LKW-Fahrer. Aber wenn das sehr schnell geht, dann haben wir ein Problem. Dann sollten wir als Gesellschaft auch einen Ausweg anbieten, denn es werden hier zwar auch neue Jobs entstehen, aber das Umsatteln vom LKW-Fahrer zum Data Scientist wird nicht leicht möglich sein«, ist Lisa Smith überzeugt und sie hat auch weitere Überlegungen in Richtung Zukunft: »Vielleicht brauchen wir in Zukunft auch alternative Einkommensmodelle. Weil ich sehe eine enorme Schieflage zwischen den Einkommen der Leute, die Algorithmen schreiben, sie testen und optimieren und jenen, die sie anwenden und vielleicht dadurch wegrationalisiert werden. Und hier stellt sich die Frage: Welche Lösung haben wir da? Ist es ein Basiseinkommen oder wie können wir die gesamte Gesellschaft neu strukturieren, dass Einkommen aber auch das Gefühl von Sinn im Leben nicht so auf Arbeit ausgerichtet ist?«, stellt Lisa Smith in den Raum.

Nahed Hatahet bringt die Diskussion zurück zum Begriff: »Das Problem ist der Begriff Intelligenz in künstliche Intelligenz, das erzeugt einfach Angst. Auch wenn wir erst in hundert Jahren, wenn überhaupt je, eine sogenannte Artificial General Intelligence (AGI) haben werden. Die Frage stellt sich jetzt: Was machen wir mit den Menschen? Wenn es Menschen gibt, die von der Befreiung durch neue Technologien nicht profitieren, müssen wir auch darüber nachdenken, wie wir als Gesellschaft damit umgehen.«

Bildung, Bildung, Bildung

Wichtig sei, bereits bei der Ausbildung anzusetzen: »Wie schaut die Ausbildung in der Grundschule aus, wie werden Kinder und Jugendliche an das Thema und ihre Zukunft herangeführt? Wir sehen ja momentan einen echten Engpass an Kompetenzen, ob das Data Scientists, Programmierer oder IT-Experten unterschiedlichster Richtungen sind – die brauchen wir am österreichischen Markt ganz dringend«, wirft Arnold Präsent ein. Gerade die Unternehmen sieht er gefordert: »Die sollten das dringend in ihre Roadmaps und Strategien mit einbeziehen und sich fragen: Was bedeuten die neuen Technologien und KI für mein Unternehmen, was bedeutet das an Umstrukturierung und wie verändern sich auch meine Arbeitsplätze dadurch und wie gehe ich mit meiner Belegschaft um?«

Josef Höckner stimmt Lisa Smith zu, dass gerade Leuten, die dabei sind, durch KI ihren Job zu verlieren – Stichwort LKW Fahrer – eine Perspektive gegeben werden muss: »Aber ein bedingungsloses Grundeinkommen ist keine Perspektive für einen Menschen. Das ist eine Hilfestellung für eine Übergangszeit. Ich muss vielmehr jedem Menschen die Möglichkeit geben, etwas beizutragen.« Zum Thema Akzeptanz von KI bringt Höckner ein konkretes Beispiel: »Wir entwickeln gerade ein großes Social-Command-Centre-Projekt für die Stadt Stockholm, wo es um mehr als 100.000 Menschen geht. Die Herausforderung ist, eine Umgebung zu schaffen, die auch wirklich damit umgehen kann, wie der Mensch spricht und denkt – und nicht versucht, den Menschen an den Algorithmus anzupassen. Wenn wir uns auf diesen Weg begeben, sind wir verloren. Wir müssen schauen, dass die Algorithmen wirklich so intelligent sind, dass sie den Menschen verstehen.«

Helmut Leopold bringt zwei Gedanken zum Einsatz von KI im Unternehmen ein: »Der wirkliche Vorteil für uns alle ist: Wir bringen durch KI viele sinnlose und unproduktive Tätigkeiten weg, um dadurch die Chance zu bekommen, uns auf wirklich wichtige Aspekte fokussieren zu können. Oft wird von KI und intelligenten Algorithmen geredet, statt einmal zu schauen: welche Daten haben wir überhaupt, woher bekommen wir sie, wie ändern wir die Maschine und den Prozess, damit wir qualitativ hochwertige Daten erhalten? Ein einfaches Sammeln von Daten und dann erst zu überlegen, wie man KI einsetzen kann, ist kein zielführender Ansatz.«

»Für mich ist KI – plakativ gesagt – nicht die Trennung zwischen IQ 140 und darunter, sondern die Trennung, was den Menschen und was die Maschine ausmacht. Dass gesamte Berufsgruppen ersetzt werden, das sehe ich so nicht, ich brauche nach wie vor den Buchhalter und den Arbeiter, aber die Tätigkeiten verändern sich«, sieht Tim Berghoff die Entwicklung gelassen.

»KI löst nicht alles. In den Unternehmen finden wir oft die Erwartungshaltung: Man nehme den KI-Eimer, schüttet ein wenig darüber – und das Problem ist gelöst«, beschreibt Arnold Präsent die Haltung in vielen Unternehmen. »Man muss aber die Erwartungshaltung zurück auf den Boden bringen und schauen, was kann zu welchem Aufwand gemacht werden und was macht für das Unternehmen Sinn«, rät Präsent.

Was erwartet uns in Zukunft

»Aufgrund der Komplexität der Materie wird es in Zukunft sicher einige spezialisierte Player im KI-Bereich geben Da gibt es enormes Potenzial für Startups, da die Infrastruktur die notwendig ist, um Algorithmen zu entwickeln, günstig ist, und die digitalen Lösungen, die entstehen, enorm skalierbar sind. Das heißt, dass auch ein kleines Unternehmen potenziell sehr viele Anwender erreichen und dadurch schnell wachsen kann. Daher ist AI ein Bereich, in dem in Zukunft viele Innovationen in Startups, aber auch in Zusammenarbeit von Startups und größeren Unternehmen, stattfinden werden«, ist Lisa Smith überzeugt. KI wird einen positiven Beitrag zum Arbeitsplatz der Zukunft leisten, »es ist nichts anderes als eine neue, gute Technologie«, ergänzt Nahed Hatahet. »Entscheidend ist, wie wir sie zum Nutzen und nicht zum Nachteil der Menschen einsetzen.« »Die Frage ist nur, was kann diese KI – ich will den Begriff ja gar nicht nutzen – sagen wir also: diese neue Technologie tatsächlich heute leisten, und vor allem: was kann sie nicht leisten?«, fügt Tim Berghoff hinzu.

»Dass KI beim Go- oder Schachspielen gewinnt, ist bereits bewiesen. Die Lerngeschwindigkeit von einem KI-System ist enorm hoch, es besitzt in diesem Sinne auch gewisse Intelligenz, ein sehr schmalspuriges System, auf die Aufgabe fokussiert, aber dennoch intelligent«, stellt Francis Cepero fest. »Die Zukunft wird uns noch mächtigere ML-unterstützten Anwendungen bringen und diese werden die Produktivität der Unternehmen dauerhaft verändern. Die Wettbewerbsfähigkeit vieler Unternehmen wird durch den unternehmensweiten Einsatz von ML-Plattformen stark gesteigert, nicht zuletzt, weil die Konsumenten es erwarten. Denken wir daran, wie hoch unsere eigenen Erwartungen bereits heutzutage sind: z.B. was die Richtigkeit der Empfehlungen in E-Commerce-Shops, bei Streaming-Anbietern oder bei Verkehrsvorhersagen betrifft – das alles sind Beispiele für aktuelle KI-Anwendungen. Die Zukunft ist bereits da«, betont Cepero.

Teilbereich der Digitalisierung

»Auch in sogenannten normalen Maschinen gibt es ohne KI eine Optimierung, das ist in Wirklichkeit auch eine Performance-Optimierung und da stecken bereits intelligente Algorithmen dahinter«, wirft Arnold Präsent ein, »eine KI-Strategie für sich allein sehe ich bei den Unternehmen nicht, es ist für sie ein Teilbereich der Digitalisierung. Da gehört sehr vieles dazu: Dass das Unternehmen entsprechend aufgesetzt und strukturiert wird, dass man die notwendigen Kompetenzen hat, dass man aus Erwartungshaltungen entsprechende Maßnahmen und Lösungen ableitet. Letztlich geht es um die Frage: Wie schaffe ich in ein, zwei oder fünf Jahren die Transformation, damit ich KI auch sinnvoll für mein Unternehmen anwenden kann, damit unterm Strich ein Mehrwert herauskommt?«, hebt Arnold Präsent die Perspektive der Unternehmen hervor.


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