Mehr Frauen-Power in der IT-Branche

Frauen sind in der ICT-Branche nach wie vor unterrepräsentiert, vor allem in den informatischen Berufen, Mädchen in HTLs eher die Ausnahme. Warum ändert sich hier seit Jahren nichts? Eine Bestandsaufnahmen der österreichischen Frauen-Szene im IT-Bereich. [...]

Tatjana Oppitz/WU Wien, Isabella Mader/Exell.Inst., Dorothee Ritz/Microsoft, Danielle Spera/Jüd. Museum, Michaela Novak-Chaid/Apple im »Digitalen Salon«. (c) urban innovation vienna

Ein Besuch bei IT-Veranstaltungen oder ein Blick in IT-Abteilungen zeigt: je technischer es wird, desto weniger Frauen sind vertreten. Der IKT‐Sektor ist laut aktuellem IKT-Statusreport, bezogen auf den Anteil der unselbständig beschäftigten Personen, nach wie vor fest in Männerhand. Weiterhin ist mit rund 28,1 Prozent nur rund jede vierte unselbständig beschäftigte Person weiblich, während der Frauenanteil insgesamt (über alle Branchen betrachtet) bei 46,5 Prozent liegt (Zahlen von 2018). Vergleicht man die letzten elf Jahre zurück bis 2008, ist im IKT‐Sektor beim Frauenanteil sogar ein Rückgang zu beobachten (minus 1,2 Prozent). Obwohl die Unis zahlreiche Aktivitäten und Programme laufen haben um Maturantinnen für IKT-Studien zu begeistern, ist der Frauenanteil bei den IKT-Studiengängen seit Jahren stagnierend: Während insgesamt mehr Frauen als Männer an Österreichs Unis studieren (53,6 Prozent Frauenanteil), gibt es nur 18,6 Prozent Studentinnen bei den Uni-IKT-Studiengängen, bei den FHs gar nur 17,7 Prozent. Bei den Frauen ist auch die Dropout-Quote höher: nur 14 Prozent aller Absolventen eines IKT-Studiengangs an den heimischen Unis sind Frauen.

Auch medial kommen Frauen insgesamt eher schlecht weg. In der kürzlich präsentierten Studie »Frauen – Politik – Medien 2019« von Mediaaffairs, die die Sichtbarkeit von Frauen in den Medien untersucht, zeigt sich generell eine grobe Schieflagen in der Präsenz von Frauen in entscheidungsrelevanten Positionen der Gesellschaft. Den heurigen Schwerpunkt der Analyse, die Digitalisierung, bezeichnet Studienautorin Maria Pernegger als »Window of Opportunity«: »Die Digitalisierung ist eine Jahrhundertchance für Frauen, weil das Geschlecht darin zur Nebensächlichkeit wird und primär Kompetenz, Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit zählen. Diese Gelegenheit muss ergriffen werden.« Frauen und Mädchen sind laut Pernegger im Kontext der Digitalisierung ein riesiger Talentepool.

In der medialen Sichtbarkeit kommen Frauen im Kontext der Digitalisierung überproportional stark vor, hier gibt es in Österreich einige »Vorzeige-Frauen« in Führungspositionen, wie Dorothee Ritz, Geschäftsführerin bei Microsoft oder IBM-Chefin Patricia Neumann, die von den Medien durchaus gerne vor den Vorhang geholt werden.
Das ist eine Idee, die auch die einige Frauen-Initiativen verfolgen, so auch die im Februar neu gegründete »Special Interest Group« (SIG) WOMENinICT, die im Verband Österreichischer Software Industrie (VÖSI) angesiedelt ist und von sechs Frauen der Branche gegründet wurde: Gerlinde Macho, Geschäftsführerin von MP2 IT Solutions, Brigitte Rafael, selbst promovierte Informatikerin, Senior Certified IT Specialist und Ex. Assistant von Patricia Neumann, Generaldirektorin von IBM Österreich, Bettina Hainschink, Wirtschaftsinformatikerin und Geschäftsführerin beim IT-Ausbildungsinstitut und Konferenz-Veranstalter CON.ECT, Salome Wagner, Marketing-Beraterin für IT-Unternehmen, Orsolya Nemeth, Beraterin und Trainerin beim IT-Unternehmen SparxSystems sowie der Autorin selbst, seit über zwanzig Jahren als IT-Fachautorin und IT-Kommunikations-Expertin im Einsatz.

»Wir müssen weg von typischen klassischen Rollenbildern und Vorurteilen (Computer-Nerds). Die ICT-Branche bietet viele spannende Jobs, viele neue Tätigkeitsbereiche entwickeln sich auch gerade – hier sind Frauen und Männer als Fachkräfte gefragt«, ist einer der Grundsätze von WOMENinICT. Als unabhängige Plattform lädt sie alle Frauen von VÖSI-Mitgliedsunternehmen, alle Frauen aus der ICT-Branche, aber auch interessierte Männer ein, aktiv daran teilzuhaben. Weitere große Ziele von WOMENinICT sind: das Thema Frauen in der ICT sichtbarer zu machen, mehr junge Frauen und Mädchen dazu zu begeistern, in der ICT-Branche zu arbeiten und aufzuzeigen, wie viele tolle Job-Möglichkeiten Informations- und Kommunikations-Technologie-Knowhow bietet: Bei HW- und SW-Unternehmen, bei IT-Systemhäusern, bei IT-Dienstleistern, in IT-Departments bei Unternehmen sowie in Wissenschaft und Forschung.

Dazu wurde, Corona-bedingt verzögert, Mitte Juli zum Event »Software Developerinnen NOW« eingeladen (siehe Titelbild). Über 50 Frauen und ein paar wenige Männer waren beim Event im Enterprise Training Center (ETC) mit dabei und 15 Frauen u.a. von ATOS, MP2, TietoEVRY, IBM, Raiffeisen Software, InfraSoft, willhaben, Bosch, Magenta sowie von der International Atomic Energy Agency (IAEA) erzählten vor Ort über ihren Job als Software Developerin, der wie sich herausstellte ein unheimliche Vielfalt besitzt. Der Event bildete den Auftakt zu einer Rolemodel- und Berufsbild-Eventreihe. Von jeder Präsentation bzw. Sprecherin wird im Nachgang ein Video produziert und auf der VÖSI-Website in Kürze zur Verfügung gestellt. »Damit können wir auf einen Schlag ganz viele unterschiedliche Berufsbilder und Role Models anschaulich präsentieren«, freuen sich die WOMENinICT-Gründerinnen.
Weitere derzeit sehr rührige Frauen-Initiativen in Österreich (von Frauen für Frauen) sind Women&Code (bietet Programmier-Workshops an), die Gruppe NewITGirls (Community, organisiert regelmäßig Treffen, bei denen sich Frauen in IT-Jobs weiterbilden können), IEEE – Women in Engineering (Abhaltung von Events/Vorträgen für Frauen in technischen Berufen oder WOMENinAI (Community & Events für Frauen im AI-Bereich). Die Coder Dojos, die es beispielsweise in Wien, Linz oder der Steiermark gibt, bieten kostenlose Kurse in Robotik und Programmierung für Kinder und Jugendliche an. Auch die Unis sind aktiv, um Mädchen zu adressieren. Am VCLA, dem Kompetenzzentrum für Algorithmen und Logik an der Fakultät für Informatik der TU Wien wurde das Projekt ADA (nach Ada Lovelace) schon 2011 gestartet. Das Projekt ADA steht für eine kreative Auseinandersetzung mit informatischem Denken, mit der 2019/2020 abgehaltenen Veranstaltungsreihe »Tagebuch der Informatikerin« konnten Mädchen mit weiblichen Vorbildern, die eine erfolgreiche Karriere in der Informatik gemacht haben, in Kontakt kommen.

An den Unis sind auch einige Vorzeige-Frauen sehr aktiv, wenn es um das Thema »Frauen in der IT« geht: Seit 1. Jänner 2020 gibt es mit Wirtschafsinformatik-Professorin Gerti Kappel auch eine weibliche Dekanin an der Fakultät für Informatik der TU Wien. Für Kappel waren und sind Frauen in der Technik ein besonderes Anliegen. Ihr Tipp für Schülerinnen und Studentinnen lautet: »Mach, was dich interessiert und pfeif auf Konventionen.« Sie ist seit vielen Jahren sehr bemüht, mehr Frauen für informatische Studienzweige zu begeistern. Seit 2018 entwickelt und leitet sie das »Vienna Informatics Living Lab«, mit dem ein Informatik-Informationsangebot für Schulen aufgebaut wird. Im vergangenen Sommer wurde dazu die Dauer-Ausstellung »Abenteuer Informatik« am Campus Favoritenstraße installiert. Ausstellungstafeln und Experimentierplätze machen spannende Themen wie Binärdarstellung, Informationsdarstellung, effiziente Algorithmen und Grenzen der Berechenbarkeit interaktiv erlebbar. Kappel erhielt für ihr Engagement beim »Staatspreis Digitalisierung 2019« den Sonderpreis »Digital Woman Leader«, der von Wirtschafsministerin Margarete Schramböck persönlich überreicht wurde.

Ebenso engagiert, wenn es um das Frauenthema geht, und selbst Role-Model mit Bilderbuch-Karriere ist Univ-Prof. Gabriele Kotsis, Leiterin des Instituts für Telekooperation der Uni-Linz und zudem seit Juli Präsidentin der wichtigsten internationalen wissenschaftlichen Vereinigung auf dem Gebiet der Informatik – der Association for Computing Machinery (ACM). Sie machte übrigens das Rennen gegen eine andere Kandidatin: Google-Vizepräsidentin Elizabeth Churchill. Kotsis war bereits Gründungsmitglied des Europa-Ablegers der ACM. ACM hat als eine der ersten Computergesellschaften auch Women Chapters gegründet. Mittlerweile sind Frauen aktiv in vielen der führenden Rollen bei ACM tätig. »An der Uni Linz haben wir eine Reihe von Mentoring- und Tutoring-Programmen. Wir setzten aber bewusst auf eine Mischung von Programmen ausschließlich für Mädchen aber auch gemeinsame Aktivitäten für Mädchen und Burschen. Ich darf selbst mit einigem Stolz sagen, dass der Frauenanteil im wissenschaftlichen Personal an meinem Institut 50 Prozent beträgt«, freut sich Kotsis.

»Im deutschsprachigen Raum versteht sich die Informatik oftmals sehr ausgeprägt als Ingenieurswissenschaft mit Fokus auf die Technologien. Da die Gesellschaft Mädchen oft weniger Technik-Affinität zuschreibt oder auch zutraut, erscheint dieses Gebiet als Berufsfeld wenig attraktiv. Hier müssen wir ein neues, den aktuellen Stand der Forschung ohnehin besser widerspiegelndes Bild präsentieren und die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten und Potentiale von ICT in allen Lebensbereichen aufzeigen«, hat sich Kotsis zum Ziel gesetzt. »Wichtig erscheint mir persönlich derzeit, verstärkt die Leistungen von Frauen im IT-Bereich in den Vordergrund zu rücken. Hier sehe ich Handlungsbedarf, da meiner Beobachtung nach Frauen zögerlicher sind, ihre eigenen Leistungen hervorzustreichen und somit leichter übersehen werden.«

Und auch an der Uni Innsbruck gibt es mit Ruth Breu eine sehr engagierte Forscherin, die seit 2013 das Institut für Informatik mit rund 120 Mitarbeitern leitet, das derzeit stark am Expandieren ist, sowohl bei Studentenanzahl als auch bei den Mitarbeitern. Breu selbst kommt aus dem Bereich Software Engineering: »Im speziellen geht es mir um die Modellierung von IT-Assets im Kontext der Enterprise-IT«, so Breu. Die Forschung wurde zuerst im Laura-Bassi-Zentrum mit Infineon vorangetrieben. 2017 wurde das Spin-off Txture gegründet, das sich auf die Unterstützung von Cloud-Transformation spezialisiert hat.
Im letzten Herbst hat Breu neue Ausbildungsangebote gestartet, die auch Frauen ansprechen sollen: Geboten wird ein Erweiterungsstudium Informatik, und eine Grundausbildung »Digital Science«, dabei soll man sich anwendungsorientiert in seinem eigenen Fach mit Daten-Analyse und Datenbanken helfen können. »Das Schöne daran ist auch, dass wir bei diesen neuen Angeboten viele Frauen haben. Bei Digital Science sind es rund 30 Prozent«, freut sich Breu.

Mit dem »Digitalen Salon« (siehe Bild), haben führende Frauen aus der IT-Branche eine beachtenswerte Initiative gesetzt, um einen monatlichen Community-Treffpunkt zu begründen. Derzeit sind Sandra Kolleth/Miele, Isabella Mader/Excellence Institute, Michaela Novak-Chaid/Apple, Tatjana Oppitz/WU Wien, Dorothee Ritz/Microsoft und Maria Zesch/T-Mobile als »Die Wiener IT-Salonièren« aktiv. Der Digitale Salon ist eine Veranstaltungsreihe der Stadt Wien bzw. der Digital City Vienna. Ende Juli war beim Corona-bedingt online abgehaltenen Digitalen Salon Martina Lindorfer, Security-Forscherin an der TU Wien und Hedy-Lamarr-Preisträgerin zu Gast. Der Hedy-Lamarr-Preis der Stadt Wien wird seit 2018 als Höhepunkt und Abschluss der »Digital Days« (heuer 30.9. bis 1.10.) verliehen und würdigt mit 10.000 Euro eine österreichische Forscherin für ihre innovative Leistungen in der IT. Die Wienerin Hedy Lamarr erfand jene Technologien, die Bluetooth und WLAN ermöglichten. 2018 hatte Verena Fuchsberger-Staufer von der Uni Salzburg den ersten Hedy-Lamarr-Preis erhalten.


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