Mit IBM Q ins Quantenzeitalter

Seit 1981 arbeitet IBM an der Entwicklung von Quantencomputern. Bei einem Besuch bei IBM in Wien berichtet der Niederösterreicher Stefan Filipp, Leiter der Quantum Technology Group bei IBM Research in Zürich, über den aktuellen Stand der Technik. [...]

IBM-Forscher Stefan Filipp (rechts vorne) inspiziert das kryogene Kühlsystem des Quantencomputers. (c) IBM
IBM-Forscher Stefan Filipp (rechts vorne) inspiziert das kryogene Kühlsystem des Quantencomputers. (c) IBM

Das Mooresche Gesetz, demzufolge sich die Anzahl der Schaltkreiskomponenten auf einem integrierter Schaltkreise regelmäßig alle 18 Monate verdoppelt, verliert langsam seine Gültigkeit, weiß Stefan Filipp, Technischer Leiter der Quantum Technology Group im IBM Forschungslabor in Rüschlikon bei Zürich. Immerhin befinde man sich bereits in Bereichen, die nur mehr aus wenigen Atomschichten bestehen, eine weitere Miniaturisierung sei kaum mehr möglich. Neue Technologien seien gefragt, so Filipp: „Zwar sind heutige Computersysteme außergewöhnlich leistungsfähig und werden auch weiterhin eine zentrale Rolle spielen. Es gibt aber eine Reihe von Herausforderungen, die mit diesen Computern nicht zu bewältigen sind.“ IBM sieht hier die Zukunft in Quantencomputern, die ein Vielfaches an Rechenkraft bieten.

Die Technik: Von Bits zu Qubits

Anders als bei herkömmlichen Prozessoren, deren grundlegende zu verarbeitende Information ein Bit ist, das entweder den Wert „0“ oder „1“ annehmen kann, rechnen Quantencomputer mit sogenannten Qubits (sprich „kubits“). Diese können neben den Zuständen „0“ oder „1“ auch beide Zustände gleichzeitig annehmen. Diesen Quanteneffekt bezeichnet man als Überlagerungszustand oder Superposition. Zur Superposition gesellt sich ein weiterer für das Funktionieren von Quantencomputern wichtiger Quanteneffekt, nämlich die Quantenverschränkung. Der Clou dabei: Es kann der kombinierte Gesamtzustand mehrerer Qubits beschrieben werden, dieser lässt sich aber nicht mehr durch Kombination der einzelnen Qubits definieren.

Dank dieser Quanteneffekte – Überlagerung und Verschränkung – können Quantencomputer realisiert werden, die um ein Zigfaches schneller sind als herkömmliche Computer. Dabei kann ein Quantencomputer mit zwei Qubits eine Superposition von vier Zuständen aufweisen, einer mit drei Qubits eine Superposition von acht Zuständen, einer mit vier Qubits eine Superposition von 16 Zuständen und so weiter. Nicht nur, dass die Leistungsfähigkeit eines Quantencomputers mit jedem weiteren Qubit exponentiell wächst, lassen sich mit dieser Art Rechner auch Berechnungen durchführen, die für aktuelle Computer von zu hoher oder von exponentieller Komplexität sind.

Die Herausforderungen
Quantenzustände sind sehr empfindlich, da die für Qubits verwendeten Teilchen bei der Wechselwirkung mit Materie, Wärme, Geräuschen, Vibrationen oder elektromagnetischer Strahlung ihre Information verlieren. Deshalb besteht diese Superposition nur für wenige Mikro- bzw. Millisekunden, in denen die Daten für eine Rechenoperation in den Quantencomputer eingelesen, berechnet und wieder ausgegeben werden müssen. Diese Zeit wird auch Kohärenzzeit genannt. Die große Herausforderung liegt also darin, so Filipp, den Quantencomputer von Störungen fernzuhalten, um die Kohärenzzeit zu verlängern, aber gleichzeitig zu steuern – was letztlich auch wieder eine Störung darstellt.

Die aktuelle Kohärenzzeit von etwa einer Millisekunde reiche aber, so Filipp, um 100.000 Rechenoperationen durchzuführen. Wichtig sei eine geeignete, extrem kühle Umgebung zu schaffen, um die fragilen Quantenzustände möglichst lange aufrecht zu erhalten. Deswegen verwenden Stefan Filipp und sein Team im IBM-Labor in Rüschlikon eine spezielle kryogene Kühlung, die die Qubits bis auf 0,02 Kelvin bzw. bis minus 273 Grad Celsius kühlt. Das ist nur knapp über dem absoluten Nullpunkt. Kryogen ist ein griechisch-lateinisches Kunstwort und bedeutet so viel wie „Frost/Eis erzeugend“. Diese Kühlung kommt auch im IBM Research Lab Yorktown Heights im US-Bundesstaat New York zum Einsatz, wo sich die anderen IBM-Quantencomputer befinden.

Neben einer Verlängerung der Kohärenzzeit arbeiten die Forscher um Filipp vornehmlich an der Erhöhung der Anzahl von Qubits. Gegenwärtig hält man in der Schweiz bei Quantencomputer, die mit Prozessoren mit 16 Qubits ausgestattet sind, darüber hinaus hat IBM in den USA bereits den Prototyp eines Quantencomputers mit 20 Qubits gefertigt und erfolgreich getestet.

Die Entwicklung von Systemen mit Prozessoren mit 50 bis 100 Qubits sei in vollem Gange, so Filipp. In spätestens fünf Jahren werde man auch Quantencomputer mit 100 bis 1.000 Quibits bauen können, ist Filipp sicher. Auf diesen Rechnern können bereits kommerziell nützliche Applikationen ausgeführt werden. Wann der universelle Quantencomputer mit Prozessoren mit einer Million bis zehn Millionen Qubits realisiert werde, lasse sich jedoch heute noch nicht vorhersagen und hänge auch davon ab, wie sich die Technologie entwickle und wieviel in sie investiert werde.

Das Netzwerk: IBM Q
Für IBM ist die Zusammenarbeit von IT-Unternehmen und wissenschaftlichen Institutionen entscheidend für die Weiterentwicklung des Quantencomputers. Während Stefan Filipp mit seinem Team im Schweizer IBM-Forschungslabor Grundlagenforschung betreibt, treibt IBM auch die Kommerzialisierung voran und hat sich mit zwölf internationalen Unternehmen zum IBM Q Network zusammengeschlossen. Dazu zählen u.a. JP Morgan Chase, Daimler, Samsung und das japanische Chemieunternehmen JSR.

Für Wissenschaftler und Forscher bietet IBM im Rahmen der seit 2016 bestehenden „IBM Quantum Experience“ einen cloudbasierten weltweiten Zugang zu ihren Quantenrechnern. Bisher haben 65.000 Nutzer über 1,7 Millionen Experimente auf der Plattform durchgeführt.

Um die Forschung in die Breite zu bringen, hat IBM Research am 15. Jänner 2018 den „IBM Q Award“ ins Leben gerufen. Zur Teilnahme aufgerufen sind dabei Professoren, Dozenten und Studenten, die IBM Q Experience und QISKit (Quantum Information Software Kit) nutzen. Die mit einigen tausend Dollar ausgelobten Preise werden in vier Kategorien vergeben. Nähere Information dazu finden Interessierte im Internet unter der Adresse https://qe-awards.mybluemix.net. Die Einreichfristen variieren je nach Kategorie und liegen zwischen Ende März und November 2018.


Mehr Artikel

News

Bad Bots werden immer menschenähnlicher

Bei Bad Bots handelt es sich um automatisierte Softwareprogramme, die für die Durchführung von Online-Aktivitäten im großen Maßstab entwickelt werden. Bad Bots sind für entsprechend schädliche Online-Aktivitäten konzipiert und können gegen viele verschiedene Ziele eingesetzt werden, darunter Websites, Server, APIs und andere Endpunkte. […]

Frauen berichten vielfach, dass ihre Schmerzen manchmal jahrelang nicht ernst genommen oder belächelt wurden. Künftig sollen Schmerzen gendersensibel in 3D visualisiert werden (c) mit KI generiert/DALL-E
News

Schmerzforschung und Gendermedizin

Im Projekt „Embodied Perceptions“ unter Leitung des AIT Center for Technology Experience wird das Thema Schmerzen ganzheitlich und gendersensibel betrachtet: Das Projektteam forscht zu Möglichkeiten, subjektives Schmerzempfinden über 3D-Avatare zu visualisieren. […]

Be the first to comment

Leave a Reply

Your email address will not be published.


*