Mit Skills, Charme und Knowhow

Mit dem Abflauen der Corona-Pandemie macht sich der IT-Fachkräftemangel wieder stärker bemerkbar. Um herauszufinden, wie dieses Problem in den Griff zu bekommen ist, hat die COMPUTERWELT Studien zum Thema gesichtet und Expertenmeinungen eingeholt. [...]

Insbesondere in der IT-Branche werden gegenwärtig Fachkräfte dringend gesucht. (c) Firmbee / Pixabay
Insbesondere in der IT-Branche werden gegenwärtig Fachkräfte dringend gesucht. (c) Firmbee / Pixabay

Der Fachkräftemangel ist nicht nur ein österreichisches Problem, insbesondere im IT-Sektor sind so ziemlich alle Länder in der EU betroffen. Laut Schätzungen der WKO fehlen in Österreich etwa 10.000 IT-Fachkräfte, eine Zahl, die auch vom EY Mittelstandsbarometer der Unternehmensberaterung EY bekräftigt wird. So nennt jedes elfte für den Mittelstandsbarometer befragte Unternehmen (9 Prozent) fehlendes Personal als Investitionshemmnis Nummer eins.

Wichtig sei es deswegen, ist Christoph Mayer, Partner und Verantwortlicher für die EY Microsoft Services Group bei EY Österreich, überzeugt, »die analoge und digitale Welt miteinander zu verzahnen, um digitale Erleichterungen sinnvoll im Arbeitsalltag zu integrieren«. Das Ziel dabei sei, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu entlasten, indem beispielsweise Routineaufgaben digital durchgeführt werden. »Ein Miteinander statt Gegeneinander«, resümiert Mayer. 

Dem stimmt Holger Schmidt, Digital Economist und Dozent an der TU Darmstadt, zu einhundert Prozent zu. Für ihn ist klar: „Automatisierung ist ein Schlüssel, um Unternehmen wettbewerbsfähig zu halten.“

Mitarbeiter freispielen durch Automatisierung

Roboter, die Routinejobs in der Fabrik erledigen, seien ohnedies keine Neuheit mehr, konstatiert Schmidt, doch jetzt können Roboter oder Computer auch Routinejobs in den Büros übernehmen, die bisher Controllern, Buchhaltern, Sachbearbeitern oder Analysten vorbehalten waren. Der Clou dabei: die Maschinen werden immer besser in der Bewältigung solcher Aufgaben. Auf einem Digitalevent von Magenta in Wien Ende März 2022 nennt Schmidt die Branchen, die die Auswirkungen der Automatisierung in den nächsten Jahren besonders spüren, nämlich: Transport (28 Prozent), produzierendes Gewerbe (20 Prozent) und Bau (22 Prozent). 

Viele vorhersehbare physische Tätigkeiten und redundante Routinearbeiten wie Datenverarbeitung oder Produktion würden durch Lösungen wie künstliche Intelligenz automatisiert, so Schmidt. Stabile Tätigkeiten wie Geschäftsführung oder Produktentwicklung sind jedoch von der Automatisierungswelle kaum betroffen, neu geschaffene Arbeitsfelder wie Datenanalyse, KI oder Robotik profitieren von den Effekten der Digitalisierung.

Holger Schmidt, Digital Economist & Dozent an der
TU Darmstadt (c) Magenta Telekom

Doch Holger Schmidt weiß auch, dass die Herausforderungen nicht weniger werden, wenn er sagt: „Wenn die Generation der Baby-Boomer in den nächsten zehn Jahren aus dem Arbeitsmarkt ausscheidet, müssen wir uns fragen, wo wir die notwendigen Arbeitskräfte herbekommen – wir werden in Zukunft einem noch größeren Fachkräftemangel gegenüberstehen. Es geht also nicht darum, Mitarbeiter durch Automatisierung zu ersetzen, sondern die Fachkräfte, die wir haben, von Routineaufgaben zu befreien und fachspezifisch einsetzen zu können. Automatisierung ist hier ein wesentlicher Treiber, um diese Arbeitskraft zielgerichteter einsetzen zu können.“

Eine Entlastung der IT-Abteilungen können definitiv auch so genannte Low-Code- beziehungsweise No-Code-Umgebungen bringen, wie sie beispielsweise von der Siemenstochter Mendix angeboten werden. Auch SAP hat vor rund einem Jahr die Low-Code-/No-Code-Umgebung AppGyver erworben und im Herbst letzten Jahres die Integration in die eigenen Angebote abgeschlossen. Dabei kann AppGyver nach wie vor auch von Nicht-SAP-Anwendern verwendet werden. Letztlich versetzen solche Entwicklungsumgebungen Fachabteilungen in die Lage, selbst Anpassungen und  Entwicklungen vornehmen zu können, die sie dringend benötigen – natürlich mit Wissen der IT-Abteilung, aber ohne die Ressourcen der IT-Abteilung zu beanspruchen.  

»Es geht nicht darum, Mitarbeiter durch Automatisierung zu ersetzen, sondern von Routineaufgaben zu befreien und fachspezifisch einzusetzen. «

Holger Schmidt

Automatisierung bedeutet aber nicht notwendigerweise, dass alle derzeit vom Menschen ausgeübten Tätigkeiten auch tatsächlich von Computern und Maschinen übernommen werden müssen. Dennoch: die digitale Weiterbildung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ist damit keine Option mehr, sondern dringende Notwendigkeit. Lebenslanges Lernen muss zur Routine werden, um mit den digitalen Entwicklungen und Veränderungen Schritt halten zu können. Übrigens: Beim EU-Index for Digital Lifelong Learning Readiness belegt Österreich einen Platz im oberen Drittel (0,63 bei Index: 0-1).

Holger Schmidt verweist darauf, dass digitale Skills vor allem in der Führungsriege ein ganz großes Thema seien. Schmidt: „Digitales Wissen bedeutet nicht nur ›Wie kann ich eine Maschine bedienen‹, sondern welche Methoden sind notwendig, um ein Unternehmen digital zu führen. Untersuchungen haben gezeigt, dass sich Digitalprofis in der Managementebene positiv auf das Unternehmensergebnis auswirken.“

Doch nicht nur in Österreich fehlt es an Fachkräften. Laut einer Studie des deutschen Digitalverbands Bitkom vermeldet auch Deutschland zunehmend mehr offene Stellen, die nicht mehr besetzt werden können. Waren es 2020 noch 86.000 offene Stellen, so wuchs diese Zahl 2021 auf 96.000 an. Doch der Bitkom nennt auch Maßnahmen, die gesetzt werden müssen, um die Zahl an IT-Spezialisten und -Spezialistinnen anzuheben. 

Maßnahmenliste des Bitkom

Laut Bitkom gehören neben einer erleichterten Zuwanderung ausländischer Fachkräfte auch eine bessere Schul-, Aus- und Weiterbildung und die gezielte Förderung von Mädchen und Frauen dazu. New-Work-Konzepte müssten sich in Unternehmen, Institutionen und Behörden noch stärker durchsetzen, damit der Arbeitsalltag innovativer und digitaler wird. Der Staat sollte steuerliche Anreize für zeit- und ortsflexibles Arbeiten setzen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die mindestens einen Tag pro Woche im Home Office beziehungsweise mobil arbeiten und damit auch die Umwelt schonen, sollten alle dadurch entstehenden Kosten steuerlich absetzen können. Die Politik sollte zudem die rechtlichen Voraussetzungen verbessern, um modernes, digitales Arbeiten zu ermöglichen. Insbesondere das Arbeitszeitgesetz müsse flexibler ausgestaltet werden. So sei die gesetzlich vorgeschriebene elfstündige Ruhepause nicht mehr zeitgemäß und stehe dem Wunsch der Erwerbstätigen nach souveräner Arbeitszeitgestaltung entgegen. Statt einer täglichen sollte auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit umgestellt werden, was auch mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie vereinbar wäre.

Zwar beziehen sich all diese Vorschläge auf Deutschland, könnten aber genauso gut für Österreich gefordert werden.  

Dennoch sind noch lange nicht alle Führungskräfte von Remote-Arbeit überzeugt, wie die von der Managementberatung Horváth Ende 2021 durchgeführte CFO-Studie „Finance im Spannungsfeld von Corona, Digitalisierung und Nachhaltigkeit“ zeigt. Zwar sehen auch 65 Prozent der befragten Führungskräfte aus dem Finanzbereich den Fachkräftemangel als größte Herausforderung in ihrem Unternehmen an. Doch glauben nur 25 Prozent an Vorteile durch einen ortsunabhängigen Zugang für Fachkräfte. Agile Arbeitsmethoden und Organisationsformen werden laut Horváth-Studie noch vorwiegend als Problem und seltener als wertvolles Mittel gesehen: 66 Prozent der befragten Finance-Verantwortlichen betrachten Agilität als eine Herausforderung, nur 46 Prozent als Chance.

Dabei sind „flexible und virtuelle Arbeitsmodelle zunehmend ein Auswahlkriterium bei potenziellen neuen Mitarbeitenden – auch im Bereich Finanzen“, weiß Achim Wenning, Partner und Leiter des Beratungsbereichs CFO Strategy & Organization bei Horváth.

Mehr Frauen für IT begeistern

Es ist eine Tatsache: Die Informations- und Kommunikationstechnologie-Branche ist nach wie vor sehr männerdominiert. Noch immer besuchen viel zu wenige Mädchen eine HTL und der Anteil der Maturantinnen, die sich für ein Informatik-Studium entscheiden, ist seit Jahren konstant niedrig. Dabei sind die Jobaussichten ziemlich rosig: Es warten 10.000 offene IT-Jobs. Zudem würden Unternehmen gerne IT-Mitarbeiterinnen einstellen, wenn sich welche bewerben würden.

Gründe für die Zurückhaltung seitens der Mädchen für eine Ausbildung im Bereich der IT können falsche Einschätzungen und Erwartungen in Bezug auf die IT sein. Auch die Tatsache, dass eben wenige Frauen in der IKT-Branche arbeiten, führt dazu, dass es wenige Role Models gibt, die sich junge Frauen zum Vorbild nehmen (können). Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Deswegen wurde WOMEN-inICT (www.womeninict.at) gegründet. Das ist eine Special Interest Group des Verbands Österreichischer Software Industrie (VÖSI), die sich des Themas Frauen und ICT angenommen hat und mehr junge Frauen und Mädchen dafür begeistern möchte, im Bereich Informationstechnologie und  Telekommunikation zu arbeiten. Eine Kernaktivität der Gruppe sind die Rolemodel-Events, denn „wir müssen Frauen noch viel mehr vor den Vorhang holen, ihnen eine Bühne geben und sie selbst über ihre Jobs und Karrierewege erzählen lassen“, betont WOMENinICT-Initiatorin Christine Wahlmüller-Schiller, beim Center for Technology Experience des Austrian Institute of Technology (AIT) für Marketing und Kommunikation verantwortlich. Das Netzwerk umfasst derzeit 17 WOMENinICT-Botschafterinnen im Kernteam und hat aktuell 465 Mitglieder. „Wir wachsen derzeit rasant und haben einen riesigen Zulauf – die nächste Marke liegt bei 1.000 Mitgliedern“, so Wahlmüller-Schiller.

Bisher haben drei Rolemodel-Events stattgefunden, bei denen Software Developerinnen, IT-Security-Expertinnen und erst unlängst am 31. März „Female Software Quality Engineers und Software Testerinnen“ zu Wort gekommen sind. Um die Erfahrungen möglichst vielen jungen Frauen zugänglich zu machen, stehen alle Präsentationen im VÖSI-YouTube-Channel zur freien Verfügung. „Damit wollen wir junge Mädchen und Frauen inspirieren und ihnen zeigen, wie viele Frauen bereits in unterschiedlichen ICT-Jobs arbeiten“, erklärt Wahlmüller-Schiller.


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