Nach ACTA kommt jetzt „IPRED“

Die Entscheidung der EU-Kommission, ACTA durch den EuGh prüfen zu lassen, soll die Protestwogen glätten. ACTA ist nur das Vorspiel zu den harten Maßnahmen von IPRED. [...]

Die europaweiten Proteste gegen das geplante ACTA-Abkommen haben die Politiker vieler EU-Länder in Erklärungsnot gebracht. Erst still und leise dafür, dann abwartend und zuletzt fallweise sogar dagegen. In Österreich wird die Verantwortung für die Ratifizierung von ACTA mittlerweile zwischen Außen-, Justiz- und dem – im Kern zuständigen –Wirtschaftsministerium wie eine heiße Kartoffel weitergereicht.
In Brüssel wurde Ende Februar eine Petition mit 2,4 Millionen Unterschriften gegen ACTA an den Petitionsausschuss des Parlaments übergeben. Die EU-Kommission wird ACTA vom Europäischen Gerichtshof prüfen lassen, was von vielen Aktivisten als »Hinhaltetaktik« der Kommission gewertet wird. Mit gutem Grund: Denn in Wahrheit rügt die EU-Kommission das Abrücken einiger EU-Staaten. »Manche Meinungsäußerungen von Personen, die den Vertrag unterzeichnet haben, sind nicht hilfreich«, wird der Kommissionsvertreter in einem Protokoll der Trips-Expertengruppe (Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights) des EU-Ministerrats vom 6. Februar 2012 zitiert. »Nahezu alle Mitgliedstaaten berichteten von öffentlichen Protesten und baten um Unterstützung bei der Information der Zivilgesellschaft.« Ein Vertreter der Kommission unterstellt sogar dem ehemaligen EU-Parlamentsberichterstatter – dem französischen EU-Abgeordneten Kader Arif – die Unwahrheit gesagt zu haben.
Im selben Trips-Protokoll teilte der Vertreter Österreichs mit, man erhalte seit der Unterzeichnung eine Flut von Anfragen aus der Netzgemeinde, von Abgeordneten und Ministerien. Er bittet gleichzeitig die EU-Kommission um Unterstützung. Man müsse die Gegner überzeugen und könne nicht einfach deren Argumentation mit dem Hinweis zurückweisen, sie hätten »keine Ahnung«. Vertreter der Kommission verwiesen auf Informationsmaterial, das zur Verfügung gestellt wurde. Gern sei die Kommission auch bereit, bei konkreten Fragen auch »weitere Argumentationshilfe« zu leisten.
Um die EU-Abgeordneten – von denen sich mittlerweile eine Mehrheit gegen den ACTA-Vertrag ausgesprochen hat – von eben dem selben zu überzeugen, rät die Kommission laut Protokoll den Regierungsvertretern: »In der Argumentation müsse man (…) sagen, dass geistiges Eigentum in Europa viele gut bezahlte Arbeitsplätze sichere und diese Errungenschaft ‚gegen die Chinas dieser Welt‘ verteidigt werden müsse.«
IPRED – INTELLECTUAL PROPERTY RIGHTS ENFORCEMENT DIRECTIVE Dabei müssten die aktuellen Anti-ACTA-Proteste eigentlich in Anti-IPRED-Proteste umbenannt werden. Während ACTA alle Arten von Produktpiraterie betrifft (also auch die nachgemachte Sportschuhe oder Medikamente/Generika), zielt IPRED ganz konkret auf den Schutz geistigen Eigentums im digitalen Umfeld ab. IPRED (Intellectual Property Rights Enforcement Directive), die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte an immateriellen Gütern, ist eine Ergänzung zu ACTA, und beinhaltet jene verschärften Formulierungen und Bestimmungen, die aus Konsensgründen ganz bewusst aus ACTA ausgeklammert wurden.
Nachdem die ACTA-Initiative nun durch die Prüfung des EuGH (Europäischer Gerichtshof) zumindest zwölf bis 24 Monate auf Eis liegt, beabsichtigt EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier – abseits aller ACTA-Proteste – bis Endes dieses Jahres, mittels der IPRED-Directive die Internetprovider in die Plicht zu nehmen und bei Urheberrechtsverstößen zur Verantwortung zu ziehen. Und das, obwohl sich der EuGH in seinen jüngsten Urteilen mehrfach und klar gegen Copyright-Filter und damit die inhaltliche Verantwortung von Netzbetreibern ausgesprochen hat.
Laut aktueller IPRED-Roadmap (http://ec.europa.eu/governance/impact/planned_ia/docs/2011_markt_006_review_enforcement_directive_ipr_en.pdf) – der mittlerweile dritte Fahrplan zur Überarbeitung der Richtlinie datiert auf den Januar 2012 – sollen Rechtinhalber mit der IPRED-Überarbeitung eine bessere Möglichkeit erhalten, ihre Rechte durchzusetzen. Beispielsweise sollen demnach bei einer Urheberrechtsverletzung im Schnellverfahren und der Beweislastumkehr zivilrechtliche Abhilfemaßnahmen in Anspruch nehmen können. Dazu gehören einstweilige Verfügungen, Schadensersatzzahlungen und andere Ausgleichsmittel. Als »expected date of adoption« steht der September 2012 im Fahrplan.


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