Neurowissenschaften und IT

Von der Wissenschaft zur Wirtschaft. Prof. Susanne Seyr von der Brain-Academy erklärt die Grundlagen unseres Denkens und Handelns. Michaela Ortis von Neudenker zieht entsprechende Rückschlüsse für die IT. [...]

Die Gehirnforschung hat in den letzten Jahren enorme Erkenntnisse über das menschliche Handeln und Denken erbracht. Prof. Susanne Seyr ist Wirtschaftspädagogin, Betriebswirtin und Inhaberin der Brain-Academy Salzburg. Bei der Umsetzung der Neurowissenschaften in die Praxis sind ihre Schwerpunkte Nachhaltigkeits- und Innovationsmanagement, Führung und Personalentwicklung sowie Lehr- und Lernstrategien.

Neudenker verbindet Mensch und IT, indem die Erkenntnisse der Neurowissenschaften im IT-Projektmanagement umgesetzt werden. Michaela Ortis kommt aus dem Kompetenzteam des unabhängigen IT-Beratungsunternehmens.

Wir leben im Informationszeitalter, das bedeutet für die meisten ein Zuviel an Informationen. Wie geht unser Gehirn damit um?
Susanne Seyr:
Unser Gehirn filtert automatisch und massiv – übrig bleibt, was das Gehirn verbinden kann. Wir haben neuronale Netze mit Wissensgebieten, neue Details werden daran gehängt und durch Wiederholung und/oder Emotionen gespeichert. Man kann es mit dem Schreibtisch vergleichen: Das Ultrakurzzeitgedächtnis ist ein ungeordneter Stapel, das Kurzzeitgedächtnis entspricht den sortierten Stößen, das Langzeitgedächtnis den Aktenordern.
Michaela Ortis: Umgelegt auf die IT geht es hier um die Verwaltungssysteme im Unternehmen, da wollen wir das Filtern und Ablegen aber steuern können. Heute ist die Kunst, die Daten bedarfsgerecht für die Anwender aufzubereiten.

Unternehmen sammeln ja immer mehr Informationen, Stichwort Big Data.
Seyr:
Das tut auch das Gehirn. Bis 17 Jahre lernen wir rasend schnell, in der Jugend ist alles auf Wissensaufnahme angelegt. Später lernt man mit Erfahrung, das heißt: Wenn viel im Hirn ist, dann geht auch viel hinein, sonst wird lernen schwieriger.
Ortis: Speicherplatz ist heute kein Thema mehr, aber man muss die Daten pflegen. Die Verantwortung liegt in den Fachbereichen, sie sind die Besitzer der Daten. Die Aufgabe der IT ist, die Anwender anzuleiten, ihre Daten zu klassifizieren, aufzubereiten und einen Teil davon auch wieder zu löschen.

Wie können IT-Systeme das Management in der Entscheidungsfindung unterstützen?
Seyr:
Damit ich neue Technologien nutzen kann, muss ich die erwähnten neuronalen Netze gebildet haben und Grundlagen kennen, zum Beispiel die Prozentrechnung. Die Fülle der Informationen im Internet kann ich nur nutzen, wenn ich diese zuordnen kann. Und ich muss auch ein Gefühl entwickelt haben: Kann das Ergebnis stimmen? Eine Interpretation einer Datensammlung  wird immer auch mit Erfahrungen verknüpft. Wenn ich mit einem System gute Erfahrungen gemacht habe, dann
werden Auswertungen als glaubhaft angesehen.
Ortis: Die Systeme sind so gut wie die Menschen, die sie programmiert haben. Es wird immer eine Kombination aus Mensch und Maschine sein. Der gesunde Hausverstand ist wichtig, um Entscheidungen auf Plausibilität zu prüfen.

Neue Anwendungen oder Prozesse werden laufend implementiert. Wie kann man mit Hilfe der Gehirnforschung Veränderungen für Mitarbeiter besser gestalten?
Seyr:
Veränderungsprozesse bedeuten neue neuronale Bahnen, Synapsen müssen sich bilden. Dazu braucht man Energie, aber unser Urprogramm lautet: Wenig Energie verbrauchen, sonst brauchen wir mehr Nahrung. Etwas nur anschaffen geht nicht, der Satz „Ab morgen ist das anders“ löst Entrüstung aus. Wir müssen Veränderung daher emotional ins Positive bringen, indem wir gute Gefühle schaffen, Vorteile darstellen, belohnen. Unerwartetes Lob löst besonders positive Emotionen hervor, die lange im Hirn gespeichert bleiben.
Ortis: Organisationsanweisungen interessieren keinen, sondern es ist wichtig, Bewusstsein zu schaffen. Warum läuft ein Prozess jetzt anders, welche Vorteile bringt das dem Mitarbeiter und dem Unternehmen? Interaktive Lernszenarien sind hilfreich, durch eigenes Tun und Erfahren nehmen wir etwas leichter an.

Lebenslanges Lernen ist in der IT ein wichtiger Faktor. Ihr Tipp dazu?
Seyr:
Lernen ist bis ins hohe Alter möglich, je mehr ich lerne, desto mehr Synapsen entstehen. Informationen soll man mit Farben sortieren und mit Mindmaps vernetzen. Komplexe Themen brauchen eine Mindmap: Das Gehirn geht vom Groben ins Feine, so kann man Wissen am besten aufbereiten. Nach zwei bis drei Tagen wiederholen, das ist so ähnlich, wie wenn man den gleichen Weg öfter im Schnee geht: Breite Pfade oder eben breite neuronale Bahnen enden im Langzeitgedächtnis. Das Gehirn lernt schneller, wenn Inhalte mit Bildern  und positiven Emotionen, dazu gehört auch Neugierde, verknüpft werden. (aw)


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