Seit 2003 ist der ausgewiesene Linux-Experte Gerald Pfeifer bei SUSE, wo er in den letzten zehn Jahren als Vice President das Produktportfolio mit aufgebaut hat. Im Gespräch mit der COMPUTERWELT erzählt er über seine neue Position des CTO SUSE EMEA. [...]
Wie sehen Sie Ihre Aufgabe als CTO für den EMEA-Bereich bei SUSE? Wo wollen Sie Schwerpunkte setzen?
Wir sprechen hier über einen Zeithorizont von zwei Jahren und mehr. In meiner alten Rolle auf der Produktseite hatten wir üblicherweise die nächste Produktgeneration in Arbeit und die übernächste im Auge. Diese übernächste Generation ist quasi jene, wo die CTO-Arbeit beginnt.
Es gibt ein paar Technologietrends, die üblicherweise isoliert betrachtet werden. Ich sehe es als meine Aufgabe, diese Dinge zusammenzubringen. Ein Beispiel: im Bereich Infrastruktur tut sich viel in Richtung Software Defined, also weg von proprietären, starren Lösungen, wo Hardware und Software von einem Hersteller kommt. Früher hat man den Großrechner, das Betriebssystem und die Applikation von einem Hersteller bekommen. Das hat sich in den letzten 20 Jahren aufgelöst, heute werden die Hardware, das Betriebssysteme und dann die Applikationen getrennt produziert – und dann müssen dieses natürlich trotzdem zusammengeführt werden.
Ein anderer oft gehörter Trend ist Artificial Intelligence oder Machine Learning. Auch hier ist es wichtig, Themen zusammenzubringen: zum Beispiel gibt es im Bereich Software Defined Storage und Artificial Intelligence Berührungspunkte, die sich vielleicht nicht sofort erschließen. Einer ist AIOps, bei dem es im Bereich Operations zum Beispiel darum geht, das System durch Lernen zu optimieren. Das heißt die Performance dadurch zu steigern, indem man die Muster berücksichtigt, wie auf Daten zugegriffen wird, und dann dementsprechend Daten eher dorthin verschiebt, wo sie öfter verwendet werden. Oder indem man schnellere Speicher für Daten verwendet, auf die man immer wieder zugreift. Ein anderes Beispiel ist der Bereich Reparaturen: hier geht es darum, dass sich Systeme automatisch reparieren, das heißt nicht der Operator oder der Betreiber eines Rechenzentrums muss eingreifen, sondern das System heilt sich automatisch beziehungsweise erkennt Fehler proaktiv. Das ist teilweise ja schon der Fall. Hier arbeite ich auch intern mit den Teams zusammen und wir schauen, dass wir internes Wissen im Haus und Open-Source-Projekte zusammenbringen.
Ist Open Source die Antwort für die Digitale Transformation?
Manchmal provoziere ich meine Kollegen im Vertrieb, wenn ich sage ‚kein Kunde ist an Open Source interessiert‘. Dann habe ich immer die volle Aufmerksamkeit. Was ich damit meine ist: kein CIO, mit dem ich bisher geredet habe, will per se Open Source, sondern er hat praktische Probleme, die er lösen muss. Und hier kommt Open Source mehr und mehr ins Spiel, weil sich einfach Open-Source-Lösungen als die innovativeren und kostengünstigeren herauskristallisieren. Zudem bin ich formell unabhängiger, als wenn ich einem einzigen Hersteller ausgeliefert bin. Wenn ein Unternehmer zum Beispiel seinen Betrieb verschlanken oder dynamischer agieren will, indem er auf Container-Technologien setzt, dann wird er an Open Source kaum vorbeikommen. Oder nehmen wir den Bereich Virtualisierung: die größten Clouds der Welt laufen alle auf Open-Source-Lösungen, mit einer einzigen Ausnahme, das ist Microsoft Azure. Aber sowohl Google, also auch Amazon, als auch die großen chinesischen Clouds verwenden praktisch ausschließlich Open Source.
Heute gibt es nur zwei Betriebssysteme, die wachsen, das sind Linux und – mit geringerem Wachstum – Windows. Wenn ich schaue, wo Innovation herkommt, dann tut sich sehr viel im Bereich Container, im Bereich Machine Learning mit Frameworks wie TensorFlow, im Bereich der Cloud-Infrastruktur, also Public Cloud oder Private Cloud mit Open Stack. Im Bereich Software Defined Infrastructure ist die Cephalocon in Barcelona erwähnenswert, die sich um Software Defined Storage mit dem Ceph-Projekt gedreht hat. Das heißt in allen Bereichen hat Open Source großteils die Innovationsführerschaft übernommen.
Open Source-Projekte, zumal jene, die es seit langer Zeit bereits in den Mainstream geschafft haben, sind ein wichtiges und potentes Vehikel für Unternehmen, die Herausforderungen der Digitalen Transformation zu bewältigen. Neben Linux gilt das auch für das Open Stack Projekt, das mit etwa 82.000 Community-Mitgliedern aus über 170 Ländern ein ungeheures Potential hat, und für Cloud Foundry, zwei weitere wichtige Open-Source-Projekte, die für intelligente Infrastruktur unersetzlich sind.
Gibt es dennoch irgendetwas, das proprietäre Software besser kann?
Es gibt Bereiche, in denen sich Open Source historisch oder praktisch weniger anbietet. Proprietäre Software ist hier nicht prinzipiell besser, aber de facto einfach ein Standard. Wenn ich den Bereich ERP-Stacks oder recht spezifische Anwendungsstacks betrachte, dann ist das meiste proprietär und nicht Open Source. Vielleicht sieht die Landschaft in 20 Jahren anders aus, aber es hat sich bisher kaum angeboten eine ERP-Lösung, wie ein klassisches SAP oder S4/HANA aus dem Boden zu stampfen. Ich sehe keinen Grund, warum das nicht auch Open Source sein könnte, aber da war der Reiz nicht stark genug und nicht ausreichend viele, ausreichend große Firmen haben einen strategischen Vorteil gesehen, das gemeinsam zu machen. Dennoch setzten auch Unternehmen wie Microsoft und SAP in immer mehr Bereichen auf Linux und Open Source, zum Beispiel läuft SAP HANA nur auf Linux – SAP feiert in diesen Tagen 20 Jahre Linux Labs, wo SUSE von Anfang an dabei war – und Microsoft Azure kündigte an, dass über 50 Prozent der Instanzen auf Linux laufen, Tendenz weiter steigend.
Kann Open Source die Lösung für den Fachkräftemangel sein? Wie trifft Sie der Fachkräftemangel?
Wir bei der SUSE haben relativ wenig Probleme. Zur Zeit haben wir etwa 75 offenen Stellen weltweit. Wir sind natürlich die letzten Jahre stark gewachsen. Uns war jedoch immer die Kultur sehr wichtig, das heißt wir haben beim Einstellen stets darauf geachtet, dass die Leute nicht nur fachlich, sondern auch von der Kultur her zu uns passen, d.h. wie wir miteinander und mit Kunden und Partnern umgehen, nämlich partnerschaftlich. Bei uns findet auch mit Kunden mehr Zusammenarbeit, mehr Austausch statt als bei klassischen Herstellern. Weil Open Source natürlich auch ein guter Job-Markt ist, haben wir Kollegen überall auf der Welt. Aber natürlich: wenn es um Vertrieb oder technische Unterstützung geht, müssen die Mitarbeiter schon halbwegs nah beim Kunden sein. Für technischen Support haben wir jedoch weltweit Spezialisten vor Ort, einer unserer Storage-Entwickler sitzt gar in Tasmanien. Wir haben auch ein Entwicklerteam auf den kanarischen Inseln, Entwickler in Nürnberg, in Tschechien, in China – ich glaube, es sind 74 Nationalitäten, die bei der SUSE arbeiten. Hier bietet Open Source eine hohe Flexibilität, in dem Sinn, dass die Mitarbeiter nicht alle immer unbedingt in einem Büro sitzen müssen.
Den Fachkräftemangel sehen wir auch bei unseren Kunden. Diesem kann man natürlich teilweise mit Technik beikommen. Wir bei SUSE haben die letzten Jahre sehr viel investiert in Day 1 und Day 2 Operations, das heißt die schnellere, voll automatisierbare Installation oder Inbetriebnahme von Systemen – auch mit grafischen Benutzeroberflächen mit geführter Installation. Dadurch kann ein Experte mehr machen in kürzerer Zeit oder noch mehr in derselben Zeit. Und dasselbe dann für den Betrieb. Erwähnenswert ist auch das Ceph-Projekt für Software Defined Storage, hier wurde mit dem Ceph-Dashboard eine grafische Benutzerschnittstelle kreiert, die nichts an der bereits ausgereiften Technik ändert, aber einfacher zu bedienen ist, schneller ist und einen besseren Überblick bietet – damit können Leute mit wenig technischem Knowhow eingesetzt werden. Das hilft auch gegen den Fachkräftemangel.
Das zielt wohl auf klein- und mittelständische Unternehmen?
Absolut, das ist definitiv eine der Zielgruppen. In Österreich bilden die KMU das Rückgrat unserer Wirtschaft mit einem Anteil von über 99 Prozent und zu unseren Kunden zählen hier Unternehmen aller Größen. Auch in großen Unternehmen kann das helfen, da auch hier Mitarbeiter in Pension gehen und zu klären ist, wo man seine Spitzenkräfte braucht, und wo man Mitarbeiter, die gerade angelernt werden, bereits im Betrieb einsetzen kann. Ich brauche nicht unbedingt ein paar 100 Mitarbeiter. Wobei eine volle SAP-Lösung für zehn Mitarbeiter habe ich auch noch nicht gesehen. Es gibt ja genug innovative Startups und Unternehmen, die zum Beispiel auf Container-Basis Lösungen entwickeln. Sobald ich hier zwei, drei, vier Entwickler habe, kann ich ja von der Automatisierung schon profitieren.
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