In der Seestadt Aspern ist Österreichs erste Pilotfabrik entstanden. Die COMPUTERWELT sprach mit Detlef Gerhard von der TU Wien und Mitverantwortlicher der Pilotfabrik, sowie Technologiepartner Michael T. Sander, CEO von proALPHA Österreich. [...]
Welche Aufgaben erfüllt die Pilotfabrik?
Detlef Gerhard Die Pilotfabrik fußt auf drei Säulen. Erstens: Aus- und Weiterbildung für unsere Studenten, um Themen wie Industrie 4.0 hands-on erleben zu können. Wir bieten auch Weiterbildung für Professionals, wo Personen aus unterschiedlichen Bereichen wie der Produktionsleitung teilnehmen können. Der zweite Bereich ist die Forschung. Die Infrastruktur bietet die Möglichkeit, an einigen Stellen forschungsmäßig in die Details zu gehen und neue Anwendungen zu verifizieren. Die dritte Säule bildet der Wissenstransfer im Besonderen in Richtung KMU. Hier präsentieren wir gemeinsam mit unseren Partnern diverse Lösungen etwa für Montage-Assistenzsysteme sowie VR- und AR-Anwendungen.
Michael T. Sander Das Projekt Pilotfabrik ist ein Vorstoß, den ich höchst begrüße. Damit hat man endlich die Möglichkeit, mittelständischen Unternehmen die Themen Industrie 4.0 und Digitalisierung etwa in Form von Use Cases nahezubringen. Das ist der Grund, warum wir als Industriepartner dabei sind. Wir sehen es auch als gesellschaftspolitischen Auftrag für den Wirtschaftsstandort Österreich. Wir sind zudem seit vielen Jahren in diversen Forschungsgremien aktiv, um rechtzeitig zu wissen, welche Möglichkeiten es künftig geben wird. Damit ermöglichen wir die Transformation, noch bevor sie zu einem flächendeckenden Thema wird.
Sie haben ERP als Rückgrat der digitalen Transformation genannt. Braucht es, um diese Funktion erfüllen zu können, einen Paradigmenwechsel oder die Weiterentwicklung der bestehenden Landschaft?
Sander Aus unserer Sicht ist es eine Evolution, die schon alleine deshalb notwendig ist, um die Investitionen unserer Kunden zu schützen. Man macht ERP-Entscheidungen nicht für zwei oder drei Jahre. Das statistische Mittel beträgt 14 Jahre, Tendenz stark steigend. Als proALPHA vor 25 Jahren entstanden ist, wollte man möglichst alles in ein System packen. Dadurch hat man eine sehr hohe Standardisierung erreicht. In den beginnenden 2000er-Jahren hat man erkannt, dass ein System allein die Anforderungen nicht schafft. Es muss die Möglichkeit der flexiblen Anbindung von Fremdsystemen geben, die in Spezialbereichen ihre besonderen Fähigkeiten haben. Das wird mit dem Thema Industrie 4.0 auf die Spitze getrieben. Die Kunst als ERP-Hersteller ist es heute, dass man einerseits in einem ERP-System möglichst viel an Standardisierung vorhält, andererseits das ERP-System als integrierten, wesentlichen Baustein versteht, der mit verschiedenen Fremdsystemen vernetzt ist, die in Echtzeit miteinander kommunizieren. Damit werden die flexiblen Prozesse, die für die Industrie 4.0 notwendig sind, ermöglicht.
Wie ist Ihre Sicht auf das Thema ERP?
Gerhard ERP- und Software-Lösungen generell sind tatsächlich das Rückgrat. Alles, was wir in der Pilotfabrik sehen, sind Maschinen, die gleichsam von der Stange gekauft sind. Das verbindende Element ist am Ende Software. Man muss ganz klar sagen, dass die Software-Anbieter heutzutage mehr zur Verfügung stellen, als wirklich flächendeckend in der Industrie umgesetzt ist. Um die Bereitschaft für Industrie 4.0 herzustellen, muss man die angebotenen Schritte gehen und die Lösungen, die die Hersteller bieten, konsequent umsetzen. Wenn Unternehmen es nicht schaffen, Excel – nichts gegen Microsoft – durch integrierte Lösungen zu ersetzen, dann wird es mit Industrie 4.0 schwierig.
Beim Thema Digitalisierung ist die technische Umsetzung bekanntlich nur die halbe Miete.
Sander Wir sprechen von einer vertikalen und von einer horizontale Wertschöpfungskette. Bei ersterem geht es um die Optimierung innerhalb des Unternehmens. Das alleine zu betrachten, ginge schlichtweg am Thema Industrie 4.0 vorbei. In der horizontalen Wertschöpfungskette, also über Unternehmensgrenzen hinaus gedacht, stecken große Potenziale für Lösungen und Geschäftsmodelle, die Unternehmen von anderen unterscheiden. Auch hier gilt die Fähigkeit, Fremdsysteme auch über Unternehmensgrenzen hinweg zu integrieren. Technisch sind jedenfalls keine Grenzen gesetzt.
Es sind weitere Pilotfabriken im Enstehen…
Gerhard Wir sind quasi die „Pilotpilotfabrik“. Mit den Standorten Linz und Graz stehen wir in enger Kooperation. Wenn man einen Schritt weiterdenkt, im Sinne einer Supply Chain, also einer Integration auf der horizontalen Ebene über verschiedene Wertschöpfungsketten hinweg, könnte man sich unter anderem vorstellen, diese drei Pilotfabriken Software-technisch zu integrieren. Damit lässt sich auch das Prinzip verteilter Standorte vor dem Hintergrund der Digitalisierung darstellen. Weitere mögliche Projekte sind Wertschöpfungsnetzwerke oder Marktplatzaspekte.
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