Productivity as a Service

Das Wiener Unternehmen TTTech Industrial bietet mit Nerve eine Edge-Computing-Plattform, die es ermöglicht, Daten direkt an Maschinen zu verarbeiten, anstatt sie ausschließlich in Cloud-Rechenzentren zu speichern. Das soll neue Perspektiven für die Industrieautomation eröffnen. [...]

Herbert Hufnagl ist Mitglied des Vorstands und General Manager bei TTTech Industrial. (c) TTTech
Herbert Hufnagl ist Mitglied des Vorstands und General Manager bei TTTech Industrial. (c) TTTech

Die Digitalisierung stellt Unternehmen vor große Herausforderungen, insbesondere in der Industrie, wo Effizienz, Sicherheit und Flexibilität entscheidend sind. Hier gewinnt das Edge Computing zunehmend an Bedeutung. Das Wiener Unternehmen TTTech Industrial bietet mit Nerve eine Plattform, die es ermöglicht, Daten direkt an Maschinen zu verarbeiten, anstatt sie ausschließlich in Cloud-Rechenzentren zu speichern. Dies reduziert Latenzen, erhöht die Sicherheit und schafft neue Möglichkeiten für industrielle Anwendungen.

„Die Wurzeln des Edge Computing reichen etwa zehn Jahre zurück, als Cisco in den USA den Begriff Fog Computing prägte – die Idee der Cloud in Bodennähe“, so Herbert Hufnagl, Mitglied des Vorstands und General Manager bei TTTech Industrial im Gespräch mit ITWELT.at. Aus diesem Umfeld entstand die Firma Nebbiolo, an der sich TTTech beteiligte und 2021 schließlich kaufte. Aufbauend auf den Erfahrungen und Patenten von Nebbiolo entwickelte TTTech Nerve, eine horizontale Edge-Computing-Plattform speziell für industrielle Anwendungen. Das System umfasst laut Hufnagl das Betriebssystem und ermöglicht das Hosting von Workloads in standardisierten Docker Containern. Darüber hinaus unterstützt Nerve „Echtzeit-Workloads“ basierend auf CODESYS sowie das „Hosten von virtuellen Maschinen“ im Online- und Offlinebetrieb. 

Digitale Services

TTTech Industrial richtet sich mit Nerve vor allem an Maschinenbauer und OEM-Hersteller (Original Equipment Manufacturer). Diese nutzen die Plattform, um digitale Services wie vorausschauende Wartungsalgorithmen direkt an ihren Maschinen zu implementieren. Ein zentraler Anwendungsfall ist die vorausschauende Wartung(predictive maintenance), bei der Algorithmen auf der Maschine Anomalien erkennen und Wartungsbedarf frühzeitig signalisieren. Ein Beispiel ist die österreichische Firma Fill, die mithilfe von Nerve ein Digitalisierungsangebot namens „Fill Cybernetics“ entwickelt hat. Dieses analysiert Daten aus über 120 Antrieben einer Maschine und identifiziert Optimierungspotenziale. „Das Ziel für die Maschinenbauer ist es, über den einmaligen Verkauf ihrer Maschinen hinaus eine enge Beziehung zu ihren Kunden zu pflegen und durch Optimierung kritischer Prozesse einen Mehrwert zu bieten, der auch monetarisiert werden kann“, so Hufnagl, „Nerve bringt sozusagen SaaS-Modelle zu den Kunden“. 

Auch in anderen Branchen findet die Nerve-Plattform Anwendung. Ein Beispiel ist TTTech ZYNE, ein Joint Venture von TTTech und Österreichs führendem Energieunternehmen Verbund, das auf Basis von Nerve eine Echtzeit-Plattform als Brücke zwischen industriellen Großverbrauchern und Energieversorgern entwickelt hat. Dieses Beispiel zeige die Branchen- und Industrieübergreifende Anwendbarkeit der Edge-Technologie. Hufnagl sieht großes Potenzial für die Plattform: „Die Plattform wird zunehmend als eine Art universelle Lösung für datenintensive Anwendungen und KI-Algorithmen gesehen – egal ob im Maschinenbau oder in anderen Industrien z.B. der Energiewirtschaft. Unser Ziel ist es, Unternehmen zu ermöglichen, ihre Daten nicht nur sicher zu nutzen, sondern auch neue digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln. Mit Nerve bieten wir dafür eine flexible und leistungsfähige Plattform, die branchenspezifische Anforderungen erfüllt und gleichzeitig technologisch zukunftsfähig bleibt.“ 

Neue Angriffsvektoren

Ein entscheidender Aspekt beim Einsatz von Edge Computing in industriellen Umgebungen ist die Cybersecurity. „Anders als rein cloudbasierte Lösungen arbeitet Edge Computing direkt an der Maschine, also oft in sensiblen Produktionsumgebungen. Dadurch entstehen neue Angriffsvektoren. Wenn beispielsweise ein Edge-Rechner an einem Produktionsroboter gehackt wird, könnten nicht nur Daten gestohlen, sondern auch die physische Maschine manipuliert werden. Solche Szenarien können massive Schäden verursachen – finanziell, operativ und für die Reputation eines Unternehmens“, erklärt Hufnagl. „Die Herausforderung beim Edge Computing besteht darin, dass wir die Balance zwischen Funktionalität und Sicherheit wahren müssen. Die Plattform muss flexibel genug sein, um unterschiedliche Workloads und Anwendungen zu unterstützen, aber gleichzeitig vor Cyberangriffen geschützt sein.“ Nerve ist nach IEC 62443 zertifiziert – einem internationalen Standard für IT-Sicherheit in der Industrieautomation – und stellt sicher, dass die Plattform die höchsten Sicherheitsanforderungen der Industrie erfüllt. Hufnagl betont aber, dass die „Sicherheit eine gemeinsame Verantwortung aller Beteiligten“ ist und auch die Applikationen der Kunden sicher sein müssen. Nerve biete jedoch „Dienste für Logging, Licensing und Benutzerverwaltung“, um Kunden bei der Absicherung ihrer Anwendungen zu unterstützen.

Von Productivity as a Service bis zur Autonomie

Die Entwicklungen im Bereich Edge Computing eröffnen laut Hufnagl neue Perspektiven für die Industrieautomation. Ein visionärer Ansatz sei etwa das Konzept „Productivity as a Service“, bei dem Maschinenbauer nicht mehr nur Maschinen und Anlagen verkaufen, sondern pro produzierter Einheit abrechnen könnten. Möglich wird dies durch Industrial IoT sowie durch die Fähigkeit, Maschinendaten in Echtzeit auszuwerten. Auch autonome Systeme würden eine immer größere Rolle spielen – insbesondere in Bereichen wie Landwirtschaft oder Bauwesen. Landmaschinen wie Mähdrescher könnten künftig mithilfe von KI-Algorithmen effizienter arbeiten und dabei selbstständig Entscheidungen treffen.

„Ich glaube, dass sich Edge Computing zunehmend ausbreiten wird. Dabei wird die Interaktion zwischen Edge und Cloud entscheidend sein. Wir sprechen hier vom ‚Edge-to-Cloud Continuum‘: Daten, die lokal vorverarbeitet werden, bevor sie für langfristige Analysen oder KI-Modelle in die Cloud gelangen. Unsere Vision ist es, Unternehmen dabei zu unterstützen, ihre Maschinen, Prozesse und Daten auf das nächste Level zu bringen. Mit der Nerve-Plattform haben wir ein Tool geschaffen, das nicht nur leistungsfähig und flexibel ist, sondern auch zukunftssicher. Wir verstehen uns als Enabler der Transformation. Unsere Aufgabe ist es, Technologien bereitzustellen, die Unternehmen aus verschiedensten Branchen dabei helfen, ihre Ressourcen effizient zu nutzen und neue Geschäftsmodelle zu erschließen“, so Hufnagl abschließend. 


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