Letztes Jahr haben große Techkonzerne wie Google, Amazon oder Microsoft zigtausende Mitarbeiter entlassen. Gleichzeitig werden aber fieberhaft Fachkräfte gesucht – ein widersprüchliches Bild. In der Studie »Solving the workforce paradox« hat sich PwC dieses Problems angenommen und insbesondere die Telekommunikationsbranche untersucht. [...]
Das waren gigantische Kündigungswellen, die im Laufe des letzten Jahres bei großen amerikanischen IT-Firmen über die Bühne gingen. Bei Microsoft mussten bereits Anfang 2023 rund 10.000 Mitarbeiter das Unternehmen verlassen, bei Google waren es 12.000 und bei Amazon zunächst 18.000 Mitarbeiter plus über weitere 9.000 Mitarbeiter im Laufe des Jahres. Insgesamt wurden 2023 weltweit beachtliche 240.000 IT-Jobs gestrichen. Doch die Entlassungen gehen auch 2024 weiter, kaum ein namhaftes IT-Unternehmen, das nicht Mitarbeiter entlässt. Laut dem Online-Magazin »The Verge« streicht Microsoft 2024 1.900 Stellen in seiner Gaming-Sparte (Xbox). Erst diesen März hat IBM angekündigt, 8.000 Jobs durch künstliche Intelligenz ersetzen zu wollen. Eine genaue Liste, welche Unternehmen wieviel Mitarbeiter entlassen haben, hat übrigens das Online-Nachrichtenportal TechCrunch erstellt.
Kündigungswellen bei gleichzeitigem Fachkräftemangel
Die Frage, die sich hier stellt: Wie gehen diese Kündigungen mit dem überall beklagten Fachkräftemangel zusammen? Hier kann ein Blick auf die von Strategy&, der globalen Strategieberatung von PwC, erstellte Studie »Solving the workforce paradox« helfen. In dieser Studie stehen jedoch nicht die IT-Unternehmen im Fokus, sondern es wird speziell die Telekommunikationsbranche untersucht. Die Ausgangsposition ist vergleichbar mit dem, was eingangs über die IT-Branche geschrieben wurde: Entlassungen beziehungsweise angekündigte Kündigungen auch hier. Bis 2030 will die spanische Telefonica demnach 3.000 Jobs streichen (15 Prozent ihrer Mitarbeiter), die britische Vodafone ist gerade dabei 11.000 Entlassungen (11 Prozent ihrer Mitarbeiter) zu planen – die größte Kündigungswelle in ihrer Geschichte. Die italienische TIM will bis 2030 9.000 Jobs (22 Prozent der Mitarbeiter) und die British Telecom 55.000 Jobs (42 Prozent der Mitarbeiter) streichen. Die Deutsche Telekom wiederum plant bis 2025 2.000 Entlassungen (3 Prozent der Mitarbeiter). Der Grund: Kostendruck.
Trotz des exponentiellen Anstiegs des globalen Datenverbrauchs kämpfen laut der PwC-Studie viele Anbieter zunehmend mit stagnierenden Umsätzen. Gleichzeitig wächst auf der Kostenseite die Notwendigkeit von signifikanten Investitionen in die Infrastruktur, getrieben durch erhöhte Kundenanforderungen sowie Anforderungen seitens der Regulatorik.
So sieht der geplante »EU Gigabit Infrastructure Act« bis 2030 den Ausbau von Gigabit-Netzwerken einschließlich einer umfassenden 5G-Abdeckung in ländlichen Regionen vor. Die Kombination aus Umsatzstagnation und Kostendruck wirkt sich naturgemäß auf die Profitabilität der Branche aus und zwingt Unternehmen bereits zu verschiedenen Kostensenkungsmaßnahmen. Insbesondere die erwähnte Reduzierung der Belegschaft spielt hierbei eine zentrale Rolle – bis 2030 soll diese branchenweit jährlich um zwei Prozent abgebaut werden.
Bis 2030 fehlen den Telcos in Europa rund 360.000 Fachkräfte
Dennoch werden Fachkräfte dringend benötigt – bis 2030 fehlen laut der Strategy&-Studie europäischen Telekommunikationsunternehmen vermutlich rund 360.000 Fachkräfte. Diese augenscheinliche Diskrepanz zwischen Kündigung und Fachkräftemangel erklärt sich dadurch, dass die gesuchten Skills nicht mit jenen der gekündigten Mitarbeiter ident waren. So wichtig IT-Skills auch sind, in einer Zeit sich schnell ändernder Technologie – Stichwort künstliche Intelligenz – sind nicht alle von gleicher Wichtigkeit für die Unternehmen. Beispielsweise werden speziell von Telekommunikationsunternehmen Fertigkeiten benötigt wie Wissen über Konnektivitätstechnologien der nächsten Generation (open RAN), über Cloud- und Edge-Technologien, sowie Kenntnisse im Bereich Digital Security und Identity und künstlicherIntelligenz. Quantencomputing-Experten und Expertinnen wären laut Studie in der Telekommunikationsbranche wiederum weniger nachgefragt.
Manche der benötigten Fertigkeiten können nachgeschult werden. Die Studienverfasser schätzen, dass bis 2030 voraussichtlich rund 420.000 Fachkräfte in der Belegschaft von Telekommunikationsunternehmen – bestehend aus insgesamt rund 840.000 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen – zukunftsfähige Kenntnisse und Fertigkeiten besitzen werden, die teilweise bereits schon heute vorhanden sind oder durch Reskilling-Maßnahmen gewonnen werden. Gleichzeitig wird trotz laufender Rekrutierungsbemühungen mit bestehenden Ansätzen nur eine geringe Anzahl an neuen Fachkräften hinzukommen (rund 60.000). Das führt vermutlich dazu, dass die zunehmende Komplexität und steigenden Anforderungen an Qualifikationsprofile es sehr schwierig machen, die verbleibende Lücke von 360.000 hochqualifizierten Arbeitskräften zu füllen – das entspricht immerhin fast der Hälfte der zukünftigen Gesamtbelegschaft.
Doch um wettbewerbs- und zukunftsfähig zu bleiben, sei eine Schließung der Talentlücke dringend notwendig, ist Jens Niebuhr, Co-Autor der Studie und Partner bei Strategy& Deutschland, überzeugt und erklärt: »Für die Geschäftsmodelle der Zukunft, die effektive Nutzung neuer Technologien in der Netzinfrastruktur, künstliche Intelligenz und Cybersecurity braucht es in der Telekommunikationsindustrie zukünftig vielfältige, neue Schlüsselqualifikationen, die am Arbeitsmarkt allerdings kaum verfügbar sind. Fachkräfte mit diesen Qualifikationen für sich zu gewinnen, ist für die Branche angesichts des sich stetig verändernden Wettbewerbsumfelds mit Hyperscalern, ICT-Services und CPaaS-Providern besonders kritisch.«
Spezielle Herausforderungen für Telcos im »War for Talents«
Im gegenwärtigen Kampf um die besten Talente stehen Telekommunikationsunternehmen jedoch vor zwei zentralen Herausforderungen, wie die Studie betont: Zum einen werden die am Arbeitsmarkt ohnehin schon begrenzt verfügbaren hochqualifizierten Fachkräfte auch in vielen anderen Branchen stark nachgefragt. Zum anderen verfügt die Belegschaft der Unternehmen nur teilweise über die erforderlichen Fachkenntnisse und/oder benötigt für dessen Aufbau aufwändige Qualifizierungsmaßnahmen – wie es zum Beispiel beim Sprung vom Datenanalysten zum KI-Entwickler der Fall wäre.
»Unternehmen sollten erkennen, dass hochqualifizierte Arbeitskräfte heute die Wahl haben, für welchen Arbeitgeber sie arbeiten möchten«, verweist Dieter Kern, Co-Autor der Studie und Partner bei Strategy& Deutschland, auf die Ausgangslage bei der Talentsuche. »Insbesondere Tech-Unternehmen setzen nach wie vor den Goldstandard, wenn es um die Gewinnung von Talenten geht«, konstatiert Kern. Oft würden diese Unternehmen von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen bei relevanten Kriterien wie Arbeitsumfeld, Gehalt sowie Karriere- und Ausbildungsmöglichkeiten attraktiver als Telekommunikationsunternehmen eingestuft, so Kern. Er empfiehlt: »Um eine zukunftsfähige Belegschaft aufzubauen, braucht die Branche den Mut, neue Wege zu gehen und auf bisher unübliche Reskilling-Maßnahmen und alternative Strategien zur Talentakquise zu setzen.«
Unkonventionelle Personalstrategien können die Personalressourcen teilweise um bis zu 20 Prozent erhöhen oder den Bedarf an bestimmten Fachkräften reduzieren. Dazu gehören alternative Einstellungsmethoden, die über die bisher üblichen sozialen, technischen oder geografischen Kriterien hinausgehen – zum Beispiel, indem Talente aus anderen Branchen oder Ländern eingestellt werden. Auch neue Umschulungsprogramme wie »Skill Factories« und KI-basierte personalisierte Lernangebote können helfen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in neue Rollen umzuschulen. Viele Anbieter greifen laut der Strategy6-Experten auch vermehrt auf sogenannte Talent-Ökosysteme zurück, um Fachkräfte so zwischen Unternehmen flexibel einsetzen zu können.
Schließlich kann aber auch der Einsatz generativer KI selbst dazu beitragen, insbesondere komplexe administrative Tätigkeiten zu automatisieren und so die Nachfrage nach bestimmten Fachkräften zu reduzieren.
Die gesamte (auf Englisch verfasste) Studie »Solving the workforce paradox« kann hier heruntergeladen werden.
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