Regimes blasen zum Social-Media-Gegenangriff

Mittlerweile haben viele Machthaber entdeckt, dass sie mehr erreichen, wenn sie die neuen Kommunikationskanäle für ihre eigenen Zwecke nutzen, anstatt sie nur zu blockieren. [...]

Soziale Netzwerke haben es den Menschen während des Arabischen Frühlings ermöglicht, ihrem Unmut über die herrschenden Regime kundzutun. Die Reaktion der betroffenen Regierungen bestand meist darin zu versuchen, den Zugang der Menschen zu sozialen Medien zu beschränken. Jetzt haben viele arabische Herrscher entdeckt, dass sie mehr erreichen, wenn sie die neuen Kommunikationskanäle für ihre eigenen Zwecke nutzen, wie die GlobalPost berichtet. Auch zur Überwachung der Bevölkerung werden die sozialen Medien mittlerweile häufig eingesetzt.
„Nicht nur in arabischen Ländern werden soziale Medien zunehmend als politische Werkzeuge verwendet, aber die Regierungen in der Region setzen zunehmend auf die neuen Kommunikationskanäle. Problematisch wird es, wenn Twitter-Accounts gehackt werden, um Propaganda zu verbreiten oder wenn Personen über soziale Netzwerke aufgespürt und identifiziert werden. Auch Zensur und das Fallenstellen mit falschen Webseiten und Accounts ist abzulehnen „, sagt Naomi Hunt vom Internationalen Presseinstitut gegenüber der Nachrichtenagentur pressetext.
Analysten sind überzeugt, dass die Staatsorgane in den meisten Ländern bereits eine massive Präsenz in den sozialen Netzwerken aufgebaut haben. Über die digitalen Außenposten können Behörden Bürger einschüchtern, beschuldigen und nach ihren Köpfen verlangen. Einige Experten sind der Ansicht, dass sich ein Sieg der Online-Propaganda über simple Social-Media-Verbote bereits abzeichnet. In Bahrain beispielsweise beschäftigt der Staat Twitter-Trolle, die eine regierungsfreundliche Weltsicht verbreiten und Kritiker niedermachen. Auch in Syrien müssen Dissidenten Online-Verfolgung fürchten.
„Einige Regime verwenden soziale Medien, um unbequeme Journalisten oder Blogger zu jagen. In Syrien nutzt die Regierung angeblich Signale von Satellitentelefonen, die zum Hochladen von Daten ins Netz genutzt werden, um Regimegegner aufzuspüren“, sagt Hunt.
Selbst wenn die offizielle Meinung im Netz oft hart kritisiert wird, wie etwa im Fall des ägyptischen Militärs, reicht es oft schon, die eigenen Ansichten unter das Volk zu bringen. Das Engagement arabischer Regierungen im Netz nimmt jedenfalls zu. Auch zur Stärkung des Personenkultes kommen die sozialen Netzwerke vielen Regierungs-PR-Beratern recht. In Tunesien und Jordanien richten sich die Herrschenden direkt via Social Media ans Volk. In Tunesien wurden die Bürger kürzlich aufgerufen, das beste Foto ihres Herrschers bei Facebook und Twitter zu posten.
Dass die sozialen Medien von Regierungen ins Herz geschlossen werden, heißt nicht, dass die Freiheit für Bürger größer wird. Marokko verhaftet immer noch regelmäßig Einwohner, die sich in sozialen Netzwerken kritisch über den Monarchen des Landes äußern. „Viele Menschen denken, dass sie auf sozialen Netzwerken in einem geschlossenen Kreis ihre Meinung kundtun können. Das ist in vielen arabischen Ländern, in denen Kritik an den Herrschenden ein Verbrechen ist, gefährlich“, so Hunt.
In Saudi Arabien droht einem jungen Journalisten die Todesstrafe wegen angeblich blasphemischer Äußerungen bei Twitter. Der Großmufti hat sogar eine Fatwa gegen Twitter verhängt und die Plattform als Brutstätte für Lügen bezeichnet. Auch alte Gesetze werden adaptiert, um Repression gegen Online-Meinungsäußerung zu rechtfertigen.
Behörden in den Vereinigten Arabischen Emiraten diesen Monat den Aktivisten Saleh al-Dhufairi festgenommen, weil er die Auslieferung von Syriern, die vor ihrem Konsulatin Dubai demonstriert hatten, kritisiert hat. al-Dhufairi wurde auf Grundlage eines alten Mediengesetzes verhaftet. Obwohl die Regime das Potenzial sozialer Medien erkannt haben, fürchten sie noch immer einen Ausbruch von Unruhen durch Äußerungen in den Netzwerken. Sowohl die Regierungen als auch die Bürger testen derzeit die gegenseitigen Toleranzschwellen im Internet aus.
Ein Problem, das viele Bürger im arabischen Raum haben, wenn sie wegen Verbrechen im Zusammenhang mit Äußerungen in sozialen Medien angeklagt werden, ist die mangelnde Erfahrung in der Rechtsvertretung. Die verteidigenden Anwälte haben oft wenig Ahnung von der Materie, da die neuen Kommunikationsmittel in ihren Ländern erst seit kurzer Zeit verfügbar sind. „Auch die Nutzer können die Gefahren oft noch nicht einschätzen“, erklärt Hunt. Trotzdem zeichnet sich ab, dass die Meinungsvielfalt durch die sozialen Netzwerke größer wird, weil ganz einfach mehr Menschen in der Lage sind, Stellung zu beziehen.
„Jeder hat das Recht soziale Medien zu nutzen, auch wenn die vertretenen Ansichten abstoßend sind. Missbrauch und illegale Manipulation sind aber etwas anderes. Die Betreiber von Social Media sollten sich bemühen, die Nutzer zu schützen und dürfen sich nicht von Staaten unter Druck setzen lassen“, so Hunt. (pte)


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