Routenplaner für Industrie 4.0

Die wichtigste Ingredienz bei Automatisierungs- und Digitalisierungsprojekten in der Industrie beziehungsweise im Maschinenbau ist zuallererst die menschliche Planungsintelligenz. Die künstliche Intelligenz kommt erst viel später. Der Mechatronik Cluster hat vier Experten nach der besten Route auf dem Weg zu Industrie 4.0 gefragt. [...]

Automatisierungssoftware besteht sowohl aus stabilen Standard- als auch flexiblen, individuellen Lösungen. (c) Industrie Informatik GmbH
Automatisierungssoftware besteht sowohl aus stabilen Standard- als auch flexiblen, individuellen Lösungen. (c) Industrie Informatik GmbH

Der Mechatronik Cluster (MC) – Cluster-Partner der oberösterreichischen Standortagentur Business Upper Austria und der niederösterreichischen Wirtschaftsagentur ecoplus – versteht sich als branchenübergreifendes Netzwerk für Unternehmen aus den Bereichen Maschinen- und Anlagenbau sowie verwandten Wirtschaftszweigen, wie dem Gerätebau, Technologie- und Komponentenzulieferer, Forschungs- und Entwicklungs- sowie Bildungseinrichtungen. Damit spielt das MC als Schnittstelle zwischen Mechanik, Elektronik und Informatik beim Thema Industrie 4.0 in vorderster Reihe mit. Unter Einbeziehung entsprechender Experten hat man jetzt einen Weg zur Smart Factory skizziert.

Die Automatisierungspyramide ist seit Jahren die anerkannte Darstellung der verschiedenen Ebenen in der Fertigungsindustrie. Beginnend beim Shop-floor beziehungsweise dem Produktionsprozess spitzt sie sich über die verschiedenen Hard- und Softwaresysteme bis hin zum führenden ERP-System zu. „Als MES-Anbieter (MES = Manufacturing Execution System, Anm.) sahen wir uns jahrelang als Bindeglied zwischen Shopfloor und Unternehmensleitebene in der Mitte der Pyramide“, sagt Bernhard Falkner, CTO der Industrie Informatik GmbH. Doch diese Automatisierungspyramide will Falkner mit seinen Kunden sprengen: „Die Automatisierungspyramide wird sich in den kommenden Jahren nach und nach auflösen. Monolithische, abgeschottete Softwaresysteme weichen flexiblen Anwendungen, Prozessen und Microservices.“

Ein Manufacturing Execution System alleine wird die steigenden Anforderungen an eine Smart Factory nicht mehr abbilden, ist der Experte überzeugt: „Der User wählt künftig seine Bausteine aus der gesamten Systemvielfalt – unabhängig von Hersteller und technologischer Basis.“ Eine zukunftsfähige Fertigungsplattform hat die Aufgabe, alle nötigen (Einzel-)Komponenten zusammenzuführen und zu orchestrieren. Das daraus resultierende Ergebnis ist ein zukunftsfähiges digitales Ecosystem.

Bedarfsanalyse

Wichtig ist zu wissen, welche Ziele durch die Digitalisierung erreicht werden sollen, deswegen ist gleich zu Beginn eine umfangreiche Bedarfserhebung vonnöten, um klare Anforderungen bzw. konkrete Anwendungsfälle definieren zu können. Dabei müssen auch die bestehenden Prozesse gegebenenfalls an die neuen Herausforderungen und Ziele angepasst werden. „Viel zu oft scheitern Industriebetriebe an ihren Bemühungen, da sie unrealistische Erwartungshaltungen verfolgen und mit der Digitalisierungsgießkanne über die gesamte Wertschöpfungskette gehen“, weiß Falkner aus Erfahrung.

Für eine erfolgreiche, agile Umsetzung von Digitalisierungsprojekten in der Praxis empfiehlt er deshalb eine leistungsfähige und integrative Fertigungsplattform: „Dank dieser profitieren User von einer flexiblen Produktion, die es braucht, um auf dem schnelllebigen Markt wettbewerbsfähig zu bleiben. Damit können wir unseren Usern das Beste aus zwei Welten anbieten – Stabilität einer Standardlösung auf der einen Seite und releasesichere Individualisierbarkeit für maximale Flexibilität auf der anderen Seite.“ Prozesse können damit schnell und dynamisch an neue Gegebenheiten angepasst werden. Je nach Knowhow und User-Anforderungen können verschiedenste Bausteine sogar völlig eigenentwickelt werden.

Exakte Produktionsplanung

Michael Bögl und Roman Stainko von der RISC Software GmbH sind Experten für mathematische Optimierung. Auf dem Weg zur Smart Factory sehen sie zahlreiche Aufgabenstellungen für Unternehmen. So muss die Reihenfolge in der Produktion geplant werden. Es geht aber auch um Auswahl und Platzierungsproblemstellungen oder Verschnittoptimierung. „Durch aktuelle Rechnerperformance kann die bestmögliche Lösung auch für komplexe Steuerungsaufgabenstellungen in so kurzer Zeit berechnet werden, dass die Taktzeit eingehalten werden kann“, erklärt Bögl.

Auch künstliche Intelligenz kommt in Form von Predictive Analytics ins Spiel. „Aus Maschinendaten werden Entscheidungen beziehungsweise Entscheidungsmodelle gelernt, um z.B. Wartungsfälle rechtzeitig zu erkennen“, sagt Stainko. Bevor die physische digitalisierte Maschine oder Anlage gebaut wird, entsteht ein digitaler Zwilling am Computer. „Dieses digitale Abbild wird zur optimalen Ausgestaltung und Simulation der Maschine herangezogen“, so Stainko. Das Unternehmen selbst kann damit unterschiedliche Aspekte der Produktionsplanung betrachten: die Planung der Produktionsprozesse und -abläufe, Kapazitäts- und Ressourcenplanung und vieles mehr.

Die Umsetzung eines Digitalisierungsprozesses besteht aus mehreren Phasen. In der Analysephase werden Anforderungen und Rahmenbedingungen geklärt sowie die Ziele festgelegt. Die Umsetzung erfolgt iterativ in Zyklen. Zu Beginn erstellen die Experten bei RISC ein Minimum Viable Product (MVP). „Damit kann der Kunde früh mit dem (werdenden) Produkt arbeiten und Feedback bereitstellen“, erklärt Bögl. Bis zum fertigen Produkt wird das MVP laufend erweitert und verfeinert. „Damit hat der Kunde immer ein lauffähiges Produkt und seine tatsächlichen Anforderungen können während der Entwicklung integriert werden“, betonen Bögl und Stainko.

Anwendungsfall Leimbinder

Gemeinsam mit dem Maschinen- und Anlagenbauer FILL hat die RISC Software eine Optimierungslösung für die Produktion von Leimbindern entwickelt. Die wichtigste Erkenntnis: eine gute und früh verfügbare Datenbasis ist fundamental für einen erfolgreichen Projektverlauf. Stefan Murauer, Team Manager Software Engineering bei FILL, sieht „das Beste aus beiden Welten vereint zu einer Gesamtlösung.“ Im konkreten Projekt handelt es sich um eine Anlage zur Produktion von Leimbindern.

Um solche Leimbinder herzustellen, werden die einzelnen Holzbretter am Eingang der Maschine gescannt. Dabei werden nutzbare und unbrauchbare Bereiche wie abgeschlagene Ränder oder Äste erkannt. Der Optimierungsalgorithmus berechnet unter Berücksichtigung des aktuellen Zustands der Maschine und der gewünschten Leimbinderkonfiguration, wie die Bretter in optimaler Weise geschnitten und im Leimbinder angeordnet werden sollen, um eine möglichst hohe Ausbeute zu erzielen. „Durch die implementierte Lösung ist gewährleistet, dass bei maximaler Produktflexibilität möglichst wenig verwendbares Holz als Ausschuss anfällt und so der wertvolle Rohstoff effizient genutzt wird“, erklärt Murauer.

Software wird wichtiger

Ausgangspunkt des Projekts war die Anforderung von Maschinen- und Anlagenbauern, ihren Kunden hocheffiziente und ressourcenschonende Maschinen zur Verfügung zu stellen. Der heutige Stand der Technik erlaubt den Einsatz von fortgeschrittenen Optimierungsmethoden. „Die verbauten SPS-Steuerungen in herkömmlichen Maschinen besitzen jedoch keine ausreichende Rechenkapazität für diese fortgeschrittenen Algorithmen“, weiß Murauer, „Abhilfe schaffen dabei Optimierungsrechner, die die nächsten durchzuführenden Prozessschritte berechnen und zur Anlagensteuerung retour übermitteln.“

Stefan Murauers Fazit: „Die Software einer Anlage spielt in der heutigen stark digitalisierten Welt eine immer größere Rolle. Der Maschinenbau rückt damit ein Stück weit in den Hintergrund, bleibt aber dennoch wichtig.“


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