SAP hat Zugeständnisse an seine Kunden gemacht, vor allem durch eine flexiblere Lizenzpolitik. Damit scheint auf Anwenderseite auch die Bereitschaft zu wachsen, in neue Techniken aus Walldorf zu investieren. [...]
Nachdem es für die SAP-Anwender in den vergangenen Jahren vornehmlich darum ging, ihre Systemlandschaften aufzuräumen und zu konsolidieren, scheint die Komplexität nun so weit zurückgedrängt, dass sich mehr und mehr Unternehmen mit neuen Techniken und Innovationen beschäftigen. Das belegt eine Blitzumfrage der Deutschen SAP-Anwendergruppe (DSAG) vom Juli und August dieses Jahres, die auf dem Jahreskongress der User Group Mitte September in Nürnberg präsentiert wurde. Demnach sind bereits in zwei Dritteln der über 600 befragten Anwenderunternehmen mobile Anwendungen im Einsatz. Vier von zehn Unternehmen nutzen Geschäftsprozesse in der Cloud und für mehr als jede fünfte Firma ist In-Memory-Technik schon heute IT-Realität.
Damit scheinen die Anwender zunehmend auf den Kurs ihres Softwarelieferanten einzuschwenken, der in den vergangenen Jahren die drei Themen Mobile, Cloud sowie In-Memory-Computing mit seiner Datenbank-Appliance HANA stark in den Mittelpunkt seiner Strategie gestellt hatte. Das war in der Vergangenheit nicht immer so. Teilweise hatten die Softwerker aus dem Badischen mit ihren Visionen den Anschluss an ihre Kunden verloren. Noch vor einem Jahr hatten die DSAG-Vertreter die Führungsetage in Walldorf ermahnt, SAP dürfe seine ERP-Wurzeln nicht vernachlässigen und müsse sich wieder stärker um seine Kernprodukte kümmern.
Das scheint angekommen zu sein – letztlich auch zum Wohle der SAP, wie DSAG-Vorstandsvorsitzender Marco Lenck betont. Aus Sicht der DSAG-Verantwortlichen sehen sich derzeit viele Unternehmen mit drastischen Veränderungen in ihren Prozessen konfrontiert. Doch um diesen Wandel technisch mit neuen innovativen Lösungen zu unterfüttern, brauche es ein solides ERP-Fundament. Zudem müsse der Anstoß für Veränderungen aus den Unternehmen selbst kommen. Die bloße Existenz einer neuen technischen Lösung könne nicht Treiber des Wandels sein, stellt Lenck klar.
Aus Sicht von SAP-Co-CEO Jim Hagemann Snabe wird der Wandel, vor dem die Unternehmen stehen, noch viel weitreichender ausfallen. Betroffen seien nicht nur die internen Abläufe in den Firmen, sondern auch das Beziehungsgeflecht zu Kunden und Partnern sowie gesamte Geschäftsmodelle. Als Ursache für die Veränderungen hat der SAP-Chef die immer stärker um sich greifende Digitalisierung identifiziert. Diese Trends habe der Softwarekonzern bereits vor Jahren erkannt und entsprechend in die Entwicklung innovativer Lösungen investiert.
AUSBAU DES PORTFOLIOS
Auf Basis der beiden Kerngeschäftsfelder Business-Applikationen und Analytics baut der größte deutsche Softwarehersteller sein Portfolio in Richtung mobile Anwendungen und Plattformen, Cloud sowie Datenbanktechnik aus. Dabei sieht sich Snabe auf einem guten Weg. Im Bereich mobile Business-Anwendungen können die Walldorfer die breiteste Palette im Markt vorweisen. Im Cloud-Geschäft stehe man dem SAP-Lenker zufolge nach Umsatz bereits auf dem dritten Platz, nach Anwendern gezählt mit 30 Millionen Nutzern sogar an der Spitze, noch vor dem Umsatz-Marktführer Salesforce.com. Gute Fortschritte konstatiert Snabe mit jeweils zweistelligen Wachstumsraten in den zurückliegenden drei Jahren auch für sein Datenbank-Business.
Mit diesem Stack sieht Snabe das Unternehmen in einer guten Position, sich als strategischer Partner seiner Kunden in Stellung zu bringen. Zu der technischen Expertise komme außerdem noch das Prozesswissen und Branchen-Know-how, das sich der Konzern in den zurückliegenden Jahrzehnten angeeignet habe. „Wir können ein Partner sein, der nicht nur die Software liefert – und die Rechnung“, fügt er mit einem Augenzwinkern hinzu. Snabe vergleicht das Portfolio mit einem Auto, das mit HANA einen um den Faktor 1.000 schnelleren neuen Motor bekommen habe, sich deutlich einfacher nutzen lasse und zu guter Letzt auch noch als Mietwagen zu haben sei.
Auf Anwenderseite erkennt man die technischen Neuerungen zwar an, ist allerdings längst nicht so euphorisch wie das Management. SAP habe sein Softwareauto getunt, doch derzeit stehe der Wagen nur aufgebockt da, kommentierten Kunden auf dem DSAG-Kongress das Bild Snabes. Die PS seien noch lange nicht auf der Straße.
Auch DSAG-Vorstand Lenck sieht durchaus noch Potenzial für Verbesserungen im SAP-Stack, vor allem was die Integration von Cloud- mit On-Premise-Anwendungen angeht. Gerade wenn beide Teile vom Hersteller kämen, müsste man eigentlich erwarten können, dass beide Seiten von Haus integriert seien, ohne ein eigenes Projekt dafür starten zu müssen. Das sei jedoch nicht der Fall, selbst wenn Cloud- und On-Premise-Software von SAP stammten, moniert der DSAG-Mann.
Snabe räumte ein, dass der Softwarehersteller an dieser Stelle nachbessern müsse. Man sei zwar schon weit, auch was die Integration der Cloud-Zukäufe betrifft. Der Chef versprach jedoch die Anstrengungen weiter zu verstärken. „Wenn Kunden unsere Cloud-Anwendungen nutzen, dann werden diese automatisch in den Gesamt-Stack integriert sein“, sicherte er seinen Kunden zu.
Schwerwiegende Probleme sieht Lenck angesichts der jüngsten Ausspähskandale der US-amerikanischen und britischen Geheimdienste für die Sicherheit von Daten in der Cloud. Snabe kann die Befürchtungen seiner Kunden nachvollziehen. „Das Internet ist nicht für Business Software gebaut worden.“ Er versprach den Anwendern alles dafür zu tun, die Daten in der eigenen Cloud so sicher wie möglich zu halten. Aktuell investiert der Softwarekonzern massiv in den Ausbau seiner Rechenzentren. Neben den bestehenden fünf Data Center sollen in den kommenden Jahren weltweit neun weitere entstehen. Mit der Möglichkeit, Daten in lokalen Rechenzentren abzulegen, will er die Sicherheitsbedenken der Anwender zerstreuen. Eindringlich warnte Snabe vor nationalen Einzelgängen, um mit lokalen Regeln Schranken und Grenzen im Netz zu errichten. Er plädierte für eine gemeinsame Richtlinie im Sinne einer europäischen Trusted Secure Cloud. Das könnte auch grundsätzlich dem Cloud-Business in Europa neuen Schwung geben. Er glaubt, dass in der alten Welt rund um dieses Geschäftsfeld etwa 800.000 neue Arbeitsplätze entstehen könnten. Zudem sei eine sichere europäische Cloud auch für Firmen aus Amerika und Asien durchaus interessant. Es brauche eine politische Lösung, bestätigte Lenck. Ein einzelner Anbieter oder die Branche allein könne die Sicherheitsproblematik im Netz und in der Cloud nicht lösen.
DSAG SETZT FLEXIBLERE LIZENZMODELLE DURCH
Lösungen kann die Anwendervereinigung dagegen an anderen Stellen vorweisen, die in den vergangenen Jahren kontrovers diskutiert wurden. Die DSAG-Vertreter sehen sich aktuell in einer starken Position gegenüber dem Softwarekonzern und verweisen auf eine Reihe von Erfolgen. Nach jahrelangen Diskussionen um flexiblere Lizenzmodelle hatte der Softwarekonzern in den vergangenen beiden Monaten Zugeständnisse an seine Kunden gemacht. Beispielsweise dürfen Unternehmen beim Umzug von SAP-Funktionen in die Cloud die entsprechenden On-Premise-Lizenzen aus der Wartung nehmen. Darüber hinaus gebe es ein Regelwerk, wonach Teile der eigenen SAP-Landschaft stillgelegt werden dürften, wenn sich der Bedarf aufgrund wirtschaftlicher Gegebenheiten verändere.
„Diesen Erfolg hätte es ohne die DSAG nicht gegeben“, verbucht der stellvertretende DSAG-Vorstandsvorsitzende Andreas Oczko den Kurswechsel der Walldorfer auf der Habenseite der Anwendervertretung. Das Motto „einmal unter Wartung, immer unter Wartung“ gelte nicht mehr. Letztlich habe SAP damit aber auch einen Vorsprung vor der Konkurrenz, was sich unter dem Strich bezahlt machen könnte – auch wenn der Wartungsposten vielleicht an der einen oder anderen Stelle geringer ausfällt. Mit dem flexibleren Lizenzmodell würden den Verantwortlichen vieler Unternehmen Investitionsentscheidungen in neue SAP-Software leichter fallen, ist sich Oczko sicher.
Allerdings wollen sich die Anwendervertreter nicht auf diesen Erfolgen ausruhen. Den DSAG-Vertretern zufolge gebe es noch in etlichen Bereichen Verbesserungspotenzial. So falle es vielen IT-Entscheidern angesichts von 1.250 Preispositionen und 310 Metriken nach wie vor schwer, den Überblick zu behalten. Oczko kritisierte, die Preisliste sei nach wie vor zu komplex. Zudem brauche es faire, transparente und verständliche Regeln, wie der Zugriff von Dritt-Software auf SAP-Systeme abgerechnet und Audits abgewickelt würden. Darüber hinaus müsste in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen verankert werden, dass das Einpflegen von gesetzlichen Änderungen verpflichtender Bestandteil des Standard Supports sei. Zwar handhabe SAP dies derzeit so, einen vertraglichen Anspruch hätten Nutzer des günstigeren Supportmodells allerdings nicht.
EINE FRAGE DER GUTEN BEZIEHUNG
Insgesamt fußten die Erfolge auf einem vertrauensvollen Umgang zwischen Softwarehersteller und Kunden, betonte die DSAG-Führung. Lenck dankte Snabe persönlich dafür, dass sich dieser in den vergangenen Jahren stark dafür eingesetzt hatte, die Beziehungen zwischen beiden Seiten, die unter dem Vorgänger Léo Apotheker stark gelitten hatten, wieder zu kitten. „Wir werden nie vergessen, wie wichtig die Beziehungen zu den deutschen Kunden sind“, gab Snabe artig zurück.Allerdings werden sich die Gewichte innerhalb der SAP im kommenden Jahr verschieben. Snabe gibt seinen Co-CEO Posten ab und wechselt aller Voraussicht nach in den Aufsichtsrat. Sein Kollege, der US-amerikanische Marketing-Spezialist Bill McDermott, wird dann den deutschen Softwarekonzern allein führen.Was das für die Beziehungen zu den europäischen und deutschen Kunden bedeutet, ist noch nicht abzusehen. Befürchtungen, der Einfluss der SAP-Stammlande könnte schwinden, klingen in vielen Gesprächen unterschwellig mit. Snabe habe für das europäische Gesicht des Unternehmens gestanden, gibt auch Lenck zu. Der SAP-Chef bemühte sich indes, Befürchtungen zu zerstreuen, das Verhältnis zwischen Softwarehersteller und Anwendern könnte nach seinem Rückzug leiden. Man habe schließlich in den vergangenen Jahren eine solide Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit geschaffen. Außerdem werde sich sein Kollege McDermott in Zukunft auch stärker um Europa kümmern. (idg/mhr/su)
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