Das behauptet zumindest SAP, das mit S/4HANA eine neue Generation der Business Suite vorgestellt hat. Die angeführten Argumente wie weniger Hardwarebedarf, Ad-hoc-Analysen in Echtzeit und einfachere Benutzeroberflächen klingen jedenfalls gut. [...]
„SAP definiert das Konzept des Enterprise Resource Planning für das 21. Jahrhundert neu“, fand Bill McDermott, Vorstandsvorsitzender von SAP, im Rahmen der Vorstellung von S/4HANA, große Worte. „S/4HANA verbindet Software und Anwender, sodass sie ihre Geschäfte in Echtzeit, vernetzt und einfach abwickeln können.“ Nachsatz: „Unserer Ansicht nach läuten wir mit S/4HANA den Anfang vom Ende der IT-Architektur des 20. Jahrhunderts und der damit verbundenen Komplexität ein.“
Doch was verbirgt sich hinter dieser Euphorie? S4/HANA ist im Wesentlichen eine neue Business Suite, die auf der In-Memory-Plattform SAP HANA basiert. Zudem gibt es mit SAP Fiori eine neue Benutzeroberfläche. Dank des neuen GUI soll S/4HANA auf nahezu allen Gerätetypen laufen und sich an die unterschiedlichsten Anwenderprofile anpassen lassen. Je nach Wunsch des Anwenders lässt sich S/4HANA als Public-Cloud-Lösung, in der Managed-Cloud-Variante oder on-premise betreiben. Dabei soll ein gesteuerter Konfigurationsprozess eine einfache Implementierung ermöglichen. Zudem verfügt die Suite laut SAP-Angaben über ein vereinfachtes Datenmodell, das neu konzipierte Geschäftsprozesse in Echtzeit erlaubt.
WENIGER KOMPLEXITÄT
Sven Denecken, Global Vice President Co-Innovation and Strategy S/4HANA, bringt die Vorteile im Gespräch mit der COMPUTERWELT in einem Satz auf den Punkt: „Weniger Komplexität, kleinere Datenmengen, weniger Hardwarebedarf, geringere Netzwerkkapazitäten – und letztlich weniger Kosten für die IT-Infrastruktur sowie einfachere Prozesse.“ Wer heute sieben Terabyte Daten in seiner SAP Business Suite verarbeitet, wird Denecken zufolge künftig mit einem Zehntel dieser Menge auskommen. Möglich wird das durch ein einfacheres Datenmodell und eine schlankere Programmstruktur im Hintergrund, da die beim gewöhnlichen Datenbankeinsatz im ERP-Umfeld notwendigen Aggregate und Zwischentabellen ersatzlos wegfallen und Analyse- und Transaktionsverarbeitung nun in einem System erfolgen. „Der Durchsatz der Systeme wird dadurch größer – Zwischenrechnungen sind – wie schon von SAP Simple Finance bekannt – nicht mehr nötig“, erklärt Denecken. „Das beschleunigt die Berechnung bisher aufwendiger und komplexer Prozesse wie etwa von Finanzabschlüssen oder der Bedarfsplanung in der Logistik.“
ROLLENBASIERT
Je nach ihrer Funktion im Unternehmen benötigen Mitarbeiter Zugang zu diversen Datenquellen und müssen die Möglichkeit haben, sie an einem Ort zusammenzuführen. „So kann es etwa in der Logistik sinnvoll sein, auch Finanz- und Verkaufskennzahlen in die Entscheidung für die Beschaffung von Bauteilen mit einzubeziehen“, gibt Denecken ein Beispiel. „Rollenspezifische Oberflächen von S/4HANA, die SAP Fiori möglich macht, helfen einzelnen Mitarbeitern, auf ihrem mobilen Gerät oder dem Desktop sowie über Unternehmensgrenzen hinweg exakt die Informationen und Anwendungen zu nutzen, die sie für ihre spezifischen Aufgaben benötigen.“
Neben der einfacheren Bedienung soll S/4HANA Anwender auch mit Ad-hoc-Analysen in Echtzeit unterstützen. „Die Logistik, das Finanzwesen und die Bedarfsplanung erfordern immer häufiger und in immer kürzeren Abständen einen Blick auf den Stand der Dinge und den Vergleich etwa mit Zahlen aus dem gleichen Zeitraum des Vorjahres oder des vorherigen Quartals“, sagt Denecken. „Nur so lassen sich zuverlässige und solide Entscheidungen treffen und Ad-hoc-Analysen werden daher künftig zum Alltag.“
Soweit so gut, doch was sagen die Anwender dazu? Marco Lenck, Vorstandsvorsitzender der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG) sieht S/4HANA im Gespräch mit der COMPUTERWELT zwar als logischen Schritt in die richtige Richtung, glaubt aber, dass das neue SAP-Produkt für viele SAP-Anwender noch Zukunftsmusik ist. „S/4HANA ist die Evolution der bisherigen Business Suite. Das Produkt eignet sich für visionäre Unternehmen bzw. Vorreiter, für die innovativ abgebildete Geschäftsprozesse einen großen Wettbewerbsvorteil darstellen.“ Mit heutigem Stand sei S/4HANA jedoch im Prinzip eine Business Suite, die auf HANA läuft.
Gespannt ist Lenck schon auf die neue Fiori-Benutzeroberfläche, warnt in diesem Zusammenhang jedoch vor übertriebener Simplifizierung. „Klar wollen wir einfachere GUIs und eine gute User Experience haben. Das darf aber nicht zu Lasten der Funktionalität der Anwendungen gehen.“ Ein zu simples GUI, das alles ausblende, verliere die Funktionalität. „Es ist eben nicht alles mit drei Eingabefeldern bedienbar, daher muss man den Spagat zwischen einfacherer Bedienung und genug Funktionalität finden.“
Den von SAP gepriesenen, rollenbasierten User Interfaces steht Lenck positiv gegenüber, ist jedoch der Meinung, dass in diesem Bereich noch einige Arbeit vor SAP liegt. „Rollenbasiert – das sagt sich so leicht. Ich bin gespannt, wieviele Rollen da bei S/4HANA dann wirklich out of the box mitkommen.“
Auch wenn das Argument Echtzeit in der Vergangenheit schon des Öfteren bemüht wurde, sieht Lenck das neue Datenmodell von S/4HANA positiv. „Das S/4HANA Datenmodell ermöglicht, dass wir vollintegriert auf Daten zugreifen können und auch Planung und Simulation vollintegriert in einem System machen können. Ich muss mich damit nicht mehr darauf verlassen, dass ich vordefinierte Inhalte über Schnittstellen in ein separates System hineinschaffe, um sie dort auszuwerten“, erklärt Lenck. „Die Möglichkeit, flexibel meine Simulationen und Planungen im gleichen System machen zu können, birgt viel Potential.“
DATENBANK-WAHLFREIHEIT
Einziger Wermutstropfen dabei: Wie SAP-Mann Denecken gegenüber der COMPUTERWELT bestätigt, lässt sich S/4HANA, zumindest derzeit, nur mit HANA als darunterliegender Datenbank verwenden, was die SAP-Anwender als klare Einschränkung empfinden. „Aus Benutzerperspektive ist es natürlich so, dass wir uns über die Jahre daran gewöhnt haben, bei SAP-Technologie nicht an einen Datenbankhersteller gebunden zu sein“, sagt Lenck. „Jede Beschränkung dieser Wahlfreiheit bedeutet natürlich eine Zunahmen der Abhängigkeit von einem Hersteller.“ Ein klare Forderung der DSAG an SAP lautet daher, sich bei S/4HANA für andere Datenbankhersteller zu öffnen. „SAP sagt natürlich zu Recht, dass das auch technisch funktionieren muss. Aus unserer Sicht sollte es daher Bestrebungen seitens SAP geben, andere Datenbankhersteller, die ebenfalls in-memory-Technologie anbieten, für S/4HANA zu zertifizieren.“ (oli)
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