Schuster, bleib bei deinen Leisten

Immer mehr ERP-Anbieter und Maschinenbauer drängen in den Markt für Manufacturing Execution Systems (MES). Das mag für diese Anbieter Sinn machen – für die Anwenderunternehmen ist jedoch ein Anbieter mit MES als Kernkompetenz sinnvoller. [...]

Eine zentrale Rolle auf dem Weg zur intelligenten Fabrik spielen die Software-Systeme, die den Produktionsablauf und die gesamte Wertschöpfungskette digitalisieren sollen. Manufacturing Execution Systems (MES) rücken hier immer öfter in den Mittelpunkt. Dementsprechend groß und schwer überblickbar ist heute der Anbietermarkt für die produktionsoptimierende Software. Viele neue Anbieter drängen in den Markt und versuchen, sich mit verschiedensten Geschäftsmodellen zu etablieren. Die Definitionen und Einsatzgebiete zum Begriff MES werden daher immer vielfältiger, die Grenzen verschwimmen.
Betrachtet man die Systemarchitektur eines produzierenden Unternehmens als Pyramide in der das MES als Bindeglied zwischen Automatisierungsebene und übergeordnetem ERP-System dient, so ist es kaum verwunderlich, dass von mehreren Seiten versucht wird, in den MES-Markt vorzudringen. Auf der einen Seite ERP-Anbieter, die mit ihrem Grobplanungshintergrund versuchen, auch Feinplanungsthemen zu bedienen und ihre Vorzüge darin begründen, eine kombinierte Lösung zu liefern. Ziel ist hier vor allem die direkte Rückmeldung der Maschinen an das ERP-System. Und auf der anderen Seite Anlagenbauer und Automatisierer, die die direkte Kopplung zwischen eigenem MES und ihren Anlagen hervorheben.
Standardisierte Schnittstellen
Natürlich klingen die angepriesenen Vorzüge verlockend. So ist beispielsweise die vorgefertigte, direkte Anbindung zwischen MES und Maschine auf den ersten Blick ein starkes Argument. In der Praxis gilt es aber vor allem, den Spagat zwischen möglichst wenigen Software-Systemen und maßgeschneiderten, integrierten Lösungen zu finden. Die standardisierte Konnektivität zwischen den Systemen ist damit weniger ein einzigartiger Vorteil gegenüber dem Wettbewerb, als vielmehr die grundlegende Voraussetzung für eine Industrie-4.0-Fertigung.
Betrachtet man die Automatisierungsebene, so zeigt sich, dass diese sehr stark von Individuallösungen geprägt ist. Anlagenspezifische Insellösungen je nach Hersteller und Branche sind hier leider noch immer weit verbreitet. Das liegt unter anderem daran, dass sich die Automatisierer mit ihren (MES-) Systemen eng und nahezu kompromisslos an die Maschinenebene und ihre Anlagen anpassen. Ein modernes MES muss sich jedoch der Verantwortung als zentrale Datendrehscheibe stellen. Es benötigt eine vereinheitlichende Schicht über alle Anlagen – das Credo lautet hier „Standards anstelle individueller Programmierungen“.
Nur so können Daten zentral erfasst, verwaltet, aufbereitet und beispielsweise an das ERP-System weitergegeben werden. Hilfreich ist hier vor allem der Einsatz von Technologien wie OPC-UA, zur standardisierten Maschinenkommunikation. Es wird damit unerheblich, welche Anlagen in einem Maschinenpark stehen. Ein übergeordnetes, von der Automatisierungsebene losgelöstes MES wird durch die Einhaltung von Standards, redundanzfreier Stammdatenhaltung und möglichst wenigen Schnittstellen zum zentralen Datendreh- und Angelpunkt für die Fertigung.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Frage, wie ein MES mit der digitalen Transformation entlang der gesamten Wertschöpfungskette umgehen kann. Die konsistente Erfassung von Maschinendaten stellt hier zwar eine wichtige Basis dar, ist aber auch nur einer von mehreren wichtigen Faktoren auf dem Weg zur intelligenten Fabrik.
Effizienz ist eine der großen Maximen von Industrie 4.0. Um diese Effizienz auch wirklich erreichen zu können, muss ein MES-Anbieter über den Tellerrand blicken und Anknüpfungspunkte zu fast allen Unternehmensbereichen finden. Dies lässt sich am Beispiel einer Traceability-Funktion gut veranschaulichen. Eine durchgängige Chargenerfassung und -verfolgung benötigt lückenlose Kommunikation zwischen verschiedensten Unternehmensbereichen in der Produktion und auch darüber hinaus.
Die effiziente Vereinigung von betriebswirtschaftlichen und maschinennahen Prozessen kann nur von einem Software-System bewältigt werden, das auch zwischen diesen Ebenen agiert – was weder für ERP noch für die Automatisierungsebene zutreffend ist. Der Blick eines MES auf die gesamte Wertschöpfungskette hat zudem folgenden positiven Effekt: Die dabei erfassten Daten bilden die Grundlage für operative Business-Intelligence-Maßnahmen, die dabei helfen können, einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess zu unterstützen und die gewünschte Effizienz damit auf ein neues Level zu heben.
Beratungskompetenz
Bei der Wahl des richtigen MES-Anbieters ist neben den produktspezifischen Merkmalen und der infrastrukturellen Ausrichtung vor allem ein Faktor entscheidend: Beratungskompetenz. Bei Planung und Implementierung eines MES kommt es darauf an, sich einen Partner ins Boot zu holen, der die Produktionsabläufe versteht und den gesamten Wertschöpfungsprozess in seine Überlegungen miteinbezieht. Um Fertigungsumgebung und Software perfekt in Einklang bringen zu können, benötigt es Knowhow in beiden Bereichen. Diese Kernkompetenz kann nur einem MES-Anbieter mit Expertise im Bereich der Produktionsoptimierung zugesprochen werden.
Ein Benefit daraus ist, dass der MES-Anbieter schon in der Planungsphase festlegen kann, welche Daten er in welcher Form von der Maschinenebene und den Anlagenbauern bzw. Automatisierern benötigt, um diese mit möglichst wenig Aufwand in sein System integrieren zu können. Die Vorteile für den Kunden liegen hier auf der Hand: Einheitliche Anbindungen schaffen eine fundierte Datenbasis, verbesserte Vergleichbarkeit, Vermeidung von Redundanzen und ein Produktionsumfeld, das für künftige Erweiterungen und Anpassungen vorbereitet ist.
Sauberer Datentransfer
Blickt man in Richtung Spitze der Automatisierungspyramide, ist es besonders wichtig, saubere Abläufe und eine hohe Qualität im Datentransfer zwischen ERP und MES zu schaffen. Ein kompetenter MES-Anbieter verfügt üblicherweise über bewährte und zertifizierte Standard-Schnittstellen zu allen namhaften ERP-Anbietern. Zudem benötigt er fundiertes Wissen über die Funktionalitäten und Abläufe des jeweiligen ERP-Systems. Als Ergebnis kann ein hocheffizientes Zusammenspiel aus Grobplanung (ERP) und Feinplanung (MES) entstehen.
Die hohe Relevanz von MES für eine Fertigung im Sinne von Industrie 4.0 lässt immer mehr ERP-Anbieter und Automatisierer auf den MES-Markt schielen. Was auf den ersten Blick vielleicht noch nach logischer Konsequenz klingt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen in den meisten Fällen nicht als die beste Wahl. Vielmehr braucht es ein MES, dessen Einsatz unabhängig von der restlichen Systemarchitektur ist. Es sollte keine Rolle spielen, welches ERP-System oder welche Maschinen aktuell im Einsatz sind – ein professioneller MES-Anbieter muss mit ihnen allen interagieren können. Bei seinen Überlegungen muss er daher einen generellen Blick auf die gesamte Wertschöpfungskette eines Unternehmens wahren und zudem ein fundiertes Fachwissen über Fertigungsabläufe besitzen. Nur so kann ein MES seine wahren Stärken ausspielen: als Kernkompetenz.
*Harald Horner ist Leiter Produktmanagement bei dem Linzer MES-Anbieter Industrie Informatik.

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