»Sich bietende Chancen nutzen«

Das Linzer Systemhaus Programmierfabrik hat 2022 mit zwei Übernahmen aufhorchen lassen und konnte auch den Umsatz massiv steigern. IT WELT.at sprach mit Geschäftsführer Wilfried Seyruck über die Hintergründe. [...]

Programmierfabrik-Chef Wilfried Seyruck bei seinen nunmehr rund 210 Kollegen eine Aufbruchstimmung, die auch 2023 für wirtschaftliche Thermik sorgen dürfte. (c) Wakolbinger

Sehr geehrter Herr Seyruck, wie ist das Jahr 2022 angesichts der wirtschaftlichen Umstände für die Programmierfabrik verlaufen? Welche Höhepunkte gab es?

Das Jahr 2022 ist für die Programmierfabrik tatsächlich ein sehr bemerkenswertes. Einerseits ist es uns gelungen, den Umsatz um rund 25 Prozent auf knapp 25 Millionen Euro zu erhöhen.  Andererseits haben wir durch die – freundliche –Übernahme von zwei IT-Unternehmen in Wien und Graz unsere Wettbewerbssituation wesentlich verbessert. So gesehen hatte das Jahr 2022 eine wichtige Lektion für uns parat: Man muss Chancen nutzen, wenn sie sich bieten.

Ein wichtiges Ereignis war die Übernahme von InfraSoft. Welche Synergien ergaben sich daraus?

Für manche Kunden arbeiten wir schon seit Jahren intensiv mit InfraSoft zusammen. Dabei haben offensichtlich beide Unternehmen die Qualitäten des jeweils anderen kennen und schätzen gelernt. Als sich nach dem unerwarteten Ab­leben von InfraSoft-Gründer, -Mehrheitseigentümer und -Geschäftsführer Peter Fleischmann im September 2021 die Frage nach der weiteren Entwicklung des Unternehmens gestellt hat, kamen wir als möglicher Partner ins Spiel. Wir haben noch letztes Jahr Verhandlungen aufgenommen und heuer im Sommer zum Abschluss gebracht. Die Programmierfabrik hat dann 90 Prozent der Anteile an InfraSoft übernommen. InfraSoft-Geschäftsführer Heinz Tuma behält weiterhin die restlichen zehn Prozent und bleibt operativ hauptverantwortlich. Ich bin in die Geschäftsführung von InfraSoft aufgerückt. So haben wir gemeinsam für alle 74 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen den Weiterbestand des Unternehmens am Standort abgesichert, die Wettbewerbsfähigkeit am umkämpften Markt für IT-Dienstleistungen gestärkt und gute Möglichkeiten für Synergien eröffnet. Diese erhoffen wir uns insbesondere beim Recruiting von Fachkräften.

Weiters wurde das Raiffeisen Rechenzentrum in Graz übernommen.

Die Programmierfabrik hat 100 % der Raiffeisen Rechen­zentrum GmbH (RRZ) übernommen. Diese war zuvor im Besitz der zur Raiffeisen-Landesbank Steiermark AG ge­hörenden Raiffeisen Rechenzentrum Holding GmbH.

Mit der Übernahme des RRZ können wir als Programmierfabrik unser Portfolio um Wachstumsfelder wie Backup-as-a-service, Cloud-Services sowie Housing und Hosting erweitern. Damit setzen wir auch unsere Entwicklung zum breit aufgestellten IT-Systemhaus konsequent fort. Durch den Deal gewinnen wir rund 140 neue Kunden wie Magna, die Knill Gruppe, die Grazer Wechselseitige Versicherung oder das Softwareunternehmen Reval Austria.

Mit den beiden Übernahmen von InfraSoft und RRZ sind wir als Systemhaus nun sehr klar aufgestellt. Denn die beiden Unternehmen sind jeweils auf ein Thema spezialisiert, das auch die Programmierfabrik anbietet. Mit dieser Fokussierung schärfen wir unser Profil am Markt zusätzlich. Mit insgesamt rund 210 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erhöht sich unsere Schlagkraft bei Großprojekten deutlich. Beim steigenden Bedarf an sogenannten „IT-Experts on demand“ und der Entwicklung von individuellen Softwarelösungen sind wir jetzt deutlich agiler und leistungsfähiger. Für den Betrieb dieser Software haben wir durch das RRZ jetzt einen eigenen Standort, der sich ausschließlich darauf fokussiert.

Die Programmierfabrik unterstützt das BMK beim »Klimabonus«. Welche Aufgaben sind das und was waren die technischen Herausforderungen?

In dem Fall war die größte Herausforderung gar keine technische, sondern der enorme Zeitdruck. Wir habe eine Situation erlebt, die so wohl ziemlich einzigartig ist: Die Auszahlung des Klimabonus wurde aufgrund der massiven Teuerungswelle um einen Monat vorverlegt. Wir hatten also für das gesamte Projekt vom Kick-off im Februar bis zum Start der ersten Auszahlungen Anfang September knappe sechs Monate Zeit.

Technisch kam es vor allem darauf an, große Datenmengen aus dem Zentralen Melderegister, der Pensionsversicherungsanstalt PVA sowie dem Gesundheits- und Finanzministerium zu integrieren, um den Klimabonus korrekt berechnen und auszahlen zu können. Wir haben für die Auszahlung des Klimabonus ein spezialisiertes IT-Modell entwickelt, das die Erfordernisse des Gesetzes bis ins kleinste Detail abbildet und den Klimabonus automatisiert ermittelt. Dass wir als Stammportalbetreiber viel Erfahrung mit Datenbanken der öffentlichen Hand hatten, war zweifellos ein enormer Startvorteil. Die Dimension des Projektes verdeutlichen die Zahlen: 7,4 Millionen Menschen habe den Klimabonus automatisch per Überweisung aufs Konto bekommen, 1,2 Millionen als Gutschein per Post. Insgesamt wurden so 3,98 Milliarden Euro ausbezahlt. 

Was erwarten Sie für 2023? Wie schätzen Sie die wirtschaftlichen Entwicklungen in Ihrem Marktsegment ein? Wie sind Sie für das kommende Jahr aufgestellt?

Die wichtigste Aufgabe für die Programmierfabrik, für InfraSoft und das RRZ wird es sein, zusammenwachsen zu lassen, was jetzt zusammengehört. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind gefordert, ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln. Nur so können wir unsere neue Stärke voll ausspielen. Ich spüre bei den Kolleginnen und Kollegen eine enorme Aufbruchstimmung, weil alle Unternehmen plötzlich in weiteren Regionen ein viel größeres Gewicht bekommen haben. Man nimmt uns verstärkt wahr. Es gibt auch schon sehr konkrete Anfragen von möglichen neuen Kunden. Das macht mich sehr optimistisch, dass wir 2023 wieder ein sehr gutes Jahr haben werden. Dazu müssen wir uns freilich auch personell verstärken. Weil unsere Bekanntheit am Markt zuletzt deutlich gestiegen ist, spüren wir auch beim Recruiting schon Rückenwind.

Ein aktuelles Thema, das nahezu alle Unternehmen betrifft, ist der Fachkräftemangel. Wo finden Sie Ihre qualifizierten Mitarbeiter?

Unsere Bekanntheit am IT-Markt ist in den letzten Monaten deutlich gestiegen. Vor allem durch die Übernahme von InfraSoft spüren wir auch beim Recruiting schon Rückenwind. Mit rund 50 Prozent aller in Österreich verfügbaren IT-Fachkräfte ist Wien ein hochattraktiver Arbeitskräftemarkt. Wir sind zuversichtlich, die tiefe Verwurzelung von InfraSoft in der Wiener IT-Szene durch eine enge Zusammenarbeit in der Gewinnung von Fachkräften auch für die Programmierfabrik nutzen zu können.


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