Taktile Mensch-Technik-Interaktion

Durch Industrie 4.0 finden sich Produktions- und Logistikmitarbeiter in einer Situation wieder, flexibler auf neue Anforderungen reagieren zu müssen. Denn Montage, Kommissionierung, Qualitätssicherung oder Verpackung ändern sich derzeit schneller denn je. [...]

Kundenspezifische Transport-, Kommissionier- und Montageabläufe erfordern individualisierte Materialzu- und -abführungen in hoher Variabilität. Die integrierte Betrachtung neuer körperlicher und informationstechnischer Assistenztechnologien eröffnet für Kommissionier- und Transporttätigkeiten die Möglichkeit, große, schwere oder sensibel zu transportierende Lasten besser im natürlichen Bewegungsablauf handhaben zu können. Zusätzlich werden damit die Risikofaktoren aus Sicht des Arbeits- und Gesundheitsschutzes minimiert.

Bei Transport-, Rangier- oder Positionier­operationen von Transport- und Kommissionierwagen treten im Umfeld von Montage- und Kommissionierarbeitsplätzen häufig ­Situationen auf, die ohne Zuhilfenahme umgebungserfassender Sensorik oder zusätzlicher körperlicher bzw. informationeller Hilfe von außen schnell zu einer Überlastung des Körperskeletts und zu Beinahe-Unfällen führen können. Es bietet sich deshalb an, neue körperliche Assistenzfunktionen für Transport- und Kommissionierwagen zu erforschen und zu entwickeln, die ein Sicherheits- und Wohlgefühl beim Mitarbeiter erzeugen.

KÖRPERLICHE ENTLASTUNG

Angetriebene Mitgänger-Flurförderzeuge an sich sind nicht neu, da sie seit langer Zeit zum Beispiel als Elektro-Mitgänger-Niederhubwagen (umgangssprachlich Ameisen) in der Intralogistik genutzt werden. Neu in der innerbetrieblichen Diskussion sind Anfahr- oder Schiebehilfen, die mit einer relativ geringen Leistung von üblicherweise 250 Watt und innovativen Mensch-Maschine-Schnittstellen den Mitarbeiter beim Schieben und Ziehen der Last kurzzeitig körperlich entlasten. Der Mitarbeiter soll seine Beweglichkeit und Selbständigkeit erhalten sowie Verhaltensweisen aus dem häuslichen Umfeld adaptieren, insbesondere aus den Bereichen der E-Bike-Technologie und PKW-Fahrassistenz.

Bisherige Mensch-Maschine-Schnittstellen auf Basis von Tastendisplays oder Joysticks entsprechen nicht mehr den heutigen Gewohnheiten und Anforderungen des Nutzers, die Last auf natürliche Art und Weise intuitiv zu steuern. Insbesondere in Stresssituationen sind deshalb Fehlinterpretationen sehr wahrscheinlich und führen zu Unfällen, so auch bei mitgängergeführten Flurförderzeugen.

TAKTILER GRIFF

Es wurde die Forschungshypothese aufgestellt, dass ein Human-Machine-Interface (HMI) in Gestalt eines taktilen Griffs komplexe Bewegungsaufgaben für Transport- oder Kommissionierwagens robust und schnell erfassen kann, ohne die bisherige natürliche Handlungsabfolge der Griffnutzung zu verändern. Voraussetzung sind Latenzen im Regelkreislauf der Fahrassistenz, die den Bediener keine Verzögerung in der Bewegungsausführung spüren lassen. Damit bestand die zentrale Aufgabenstellung darin, die Bewegungsaufgabe mittels eines taktilen Griffs in ihrer Reihenfolge und Intensität sensorisch automatisiert mit kleinster Latenzzeit zu erfassen und umzusetzen.

PHYSIKBASIERTER AR-SIMULATOR

Zur Durchführung experimentalpsychologischer Untersuchungen wurde ein AR-Simulator „Taktile Interaktion“ als Labormessplatz entwickelt, um die Funktionalitäten (Vorwärts/Rückwärts-, Links/Rechts-Bewegung, Sicherheitsfunktionen) des realen taktilen Griffs im Zusammenhang mit der Antriebsdynamik bewerten zu können.

Auf Basis des Labormessplatzes können Demonstrationsszenarien für die typischen Transportaufgaben simuliert werden, um in einer AR-Umgebung mit verschiedenen Nutzergruppen experimentalpsychologische Latenzanforderungen abzuleiten. Als explorative Komponente des Gesamtdemonstrators kommt hierbei auch eine über das Internet angesteuerte Cloud-basierte Steuerungseinheit zum Einsatz, die eine Remote-Steuerung ermöglicht. Die Auswertungen spezifizieren die Anforderungen an Kommunikations- und Datenverarbeitungstechnologien bei der Gestaltung neuer Mensch-Maschine-Schnittstellen. Nach Aufbau des Demonstrators werden im weiteren Projektverlauf die Dienstqualitäten wie Quality of Service QoS und Quality of Experience QoE in der Kommunikation auf den verschiedenen Prozessebenen und in den verschiedenen Systemkomponenten untersucht und bewertet, um auch die Qualitätsanforderungen an haptisch-taktile Eingabegeräte und Verarbeitungseinheiten zu bestimmen. (aw)


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