Gemessen an der Zahl der jährlichen Patentanmeldungen gibt es kein innovativeres Unternehmen als IBM. Im Schweizer Forschungszentrum in Rüschlikon präsentierte der IT-Konzern europäischen Journalisten die aktuelle Forschung. [...]
Es klingt unglaublich, ist aber wahr: Seit 23 Jahren hält IBM den Spitzenplatz in der Weltrangliste der Unternehmen mit den meisten Patenten. Laut IFI Claims Patent Service sind es derzeit 7.355 Patente, danach folgt auf Platz 2 abgeschlagen Google mit 2.835 und dann Microsoft mit 1.956 Patenten. Dieser hohe Innovations-Output kann nur durch intensive Forschung aufrecht erhalten werden, weswegen IBM eine Vielzahl von Forschungslabors betreibt. Eines davon befindet sich in dem Schweizer Ort Rüschlikon in der Nähe von Zürich. Ende Oktober ließ sich IBM in die Karten blicken und gewährte ausgewählten Journalisten einen Blick in die aktuelle Forschung. Von künstlicher Intelligenz (Watson) und deren Anwendung in verschiedenen Bereiche über Umweltschutz, Gesundheitswesen, Internet of Things, Blockchain bis hin zu Quantencomputer spannte sich der beeindruckende Bogen der Forschungsprojekte, die in Rüschlikon betrieben werden. Der Platz reicht nicht aus, um alle hier vorzustellen, weswegen nachfolgend nur drei beschrieben werden.
Kognitive Assistenten für die Diagnose seltener Krankheiten
Die Digitalisierung hat längst auch in der modernen Medizin Einzug gehalten. Mit ihrer Hilfe kann neben der Optimierung von Prozessen auch die Behandlungsqualität verbessert werden. In Rüschlikon hat der deutsche Krankenhausbetreiber Rhön-Klinikum AG (RKA) mitgeteilt, in einem zwölfmonatigem Pilotprojekt mit IBM ein auf der Watson-Technologie fußendes kognitives Assistenzsystem entwickeln und testen zu wollen. Dieses kommt im „Zentrum für unerkannte und seltene Erkrankungen“ (ZusE) des RKA zum Einsatz. Leiter des ZusE ist Prof. Jürgen Schäfer, der auch aufgrund seines Wissens um seltene Krankheiten in Anlehnung an eine amerikanische TV-Arztserie als „deutscher Dr. House“ bezeichnet wird. Eine Krankheit wird in der EU als selten bezeichnet, erklärt Prof. Schäfer, wenn ein Fall auf 2.000 Menschen kommt, wobei es ca. 7.000 seltene Krankheiten gebe. „Patienten, deren Krankenakten mehr als fünf kg wiegen, sind bei uns keine Seltenheit“, schildert Schäfer und weist darauf hin, dass man nicht noch mehr Ärzte brauche, sondern mehr IT-Power, um der schieren Flut an Daten Herr zu werden. Hier erhoffe man sich wesentliche Unterstützung durch Watson, der die vorhandenen Daten nicht nur schneller verarbeiten soll, sondern durch Unterstützung der Ärzte bei der Diagnosestellung auch zu einer höheren Qualität der Krankheitserkennung führen soll, so Schäfer.
So werde mithilfe von Cognitive Computing den Ärzten eine Liste von Hypothesen mitsamt den Quellenangaben, die zu diesen Hypothesen führten, vorgelegt, damit eine Diagnose und Behandlung erstellt werden kann, die auf einer umfassenden Datenbasis ruht, erklärt Matthias Reumann, Projektleiter bei IBM Research – Zürich, die Details. Die RKA steuert notwendige Experteninformationen, das medizinische Fachwissen sowie die lokalen Rechenressourcen zum Projekt bei und ist verantwortlich für die Einhaltung der Datenschutzrichtlinien. Die in der Pilotphase am Uniklinikum gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse werden anschließend ausgewertet und sollen dann auch anderen Krankenhäusern der RKA-Gruppe zur Verfügung stehen.
Quantencomputer
In den 1960er-Jahren beobachtete der Mitgründer von Intel, Gordon Moore, dass sich die Anzahl an Transistoren eines integrierten Schaltkreises ca. alle zwei Jahre verdoppelt. In den 1970er-Jahren wurde diese Beobachtung als Moorsches Gesetz (Moore’s Law) bekannt, das nach wie vor für Computer-Prozessoren von Intel & Co gültig ist. Jedoch sagte Moore bereits vor fast zehn Jahren das Ende seines „Gesetzes“ innerhalb der nächsten 10 bis 15 Jahre voraus. Deswegen suchen Computerfirmen nach neuen Technologien, um noch schnellere und leistungsfähigere Computer bauen zu können. Eine Möglichkeit sind die bereits 1981 von dem Physiker Richard Feynman erwähnten Quantencomputer. Drei Jahrzehnte später arbeiten IBM-Forscher in Rüschlikon daran, diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen. Ein Quantencomputer mit nur 50 Quantum Bits (Qubits) wäre bereits leistungsfähiger als alle gegenwärtigen Top-500-Supercomputer zusammen.
Diesen April schafften die Forscher Andreas Fuhrer, Peter Müller und Stefan Fillip erstmals den Durchbruch bei der Fehlerbeschreibung von Quanten in einem tatsächlichen Quanten-Computer (bit-flip- und pahse-flip-error). Gegenwärtig arbeiten sie an der Implementierung dieses Fehlerkorrekturalgorithmus. Das ist insofern wichtig, als dass ein Qubit gleichzeitig den Wert 0 und 1 haben kann. Anders als beim traditionellen Computer, wo ein Bit entweder den Wert 0 oder 1 hat, hat ein Qubit den Wert 0 oder 1 nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Dies reicht jedoch aus, um damit Berechnungen anstellen zu können.
Um die im Nanosekundenbereich liegende Zerfallszeit von Qubits zu verlängern, bedarf es einer extrem kalten Umgebungstemperatur. Der Quantencomputer besitzt deshalb eine Tieftemperatur-Kühlung mit einer Temperatur von 0,2 Kelvin, was kälter als die Temperatur im Weltraum ist.
Derzeit ginge es vor allem darum, die Zerfallszeit der Qubits zu verlängern und die Anzahl der Qubits zu erhöhen, sagt der aus Niederösterreich stammende Stefan Filipp. Man habe bereits einen Rechner mit zehn Qubits verwirklicht. Dass der Quantencomputer auch aufgrund des Kühlungsteils und der angeschlossenen Steuereinheiten noch relativ groß sei, störe wenig. Wobei sich die verwendete Steuer-IT sicher um den Faktor 100 verkleinern ließe, ist Filipp überzeugt.Übrigens: Über die Cloud-Quantum-Computing-Plattform (www.research.ibm.com/quantum) können Anwender auf IBMs Quantenrechner zugreifen und selbst Algorithmen und Experimente darauf lassen.
Rasterkraftmikroskop
Eine weitere Forschung führt ebenfalls in den Mikrokosmos. Das von den IBM-Forschern Gerd Binnig, Calvin Quate und Christoph Gerber 1985 ebenfalls in der Schweiz entwickelte Rasterkraftmikroskop (auch Atomkraftmikroskop, engl. Atomic Force Microscope genannt) wurde jetzt in Rüschlikon weiterentwickelt und mit einer Spitze versehen, die aus einem einzigen Kohlenmonoxid-Molekül besteht. Mit dem diatomischen Molekül, das nicht einmal einen Nanometer lang ist, können Bilder von Molekülen gemacht werden, die sogar die genauen chemischen Verbindungen zeigen. Das war bisher so nicht möglich.
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