»Technologie muss den Menschen dienen – nicht umgekehrt«

Als CIO des ORF gestaltet Astrid Zöchling die digitale Transformation von Österreichs führendem Medienunternehmen mit, das für Millionen Menschen täglich Information, Kultur und Orientierung liefert. Für ihr Wirken wurde sie heuer mit dem Confare CIO Award 2025 ausgezeichnet. [...]

Astrid Zöchling, CIO beim ORF. (c) Lisa Resatz
Astrid Zöchling, CIO beim ORF. (c) Lisa Resatz

Als Astrid Zöchling 2023 die IT-Agenden des ORF übernahm, stand sie vor der Herausforderung die IT-Transformation eines öffentlich-rechtlichen Medienhauses, das für unabhängigen, qualitätsvollen Journalismus in Österreich steht, technologisch, organisatorisch und kulturell neu zu denken.

Welche Rolle spielt die IT heute im ORF? Wie hat sich die Wahrnehmung der IT im Unternehmen verändert?

IT ist heute weit mehr als eine unterstützende Funktion – sie ist ein strategischer Enabler für Programm, Produktion, Distribution und Innovation. Die Wahrnehmung hat sich denke ich über die letzten Jahre deutlich gewandelt: IT wird zunehmend als Sparringspartner auf Augenhöhe gesehen, der aktiv zur Weiterentwicklung unserer Services und Prozesse beiträgt. In Zeiten, in denen immer mehr Kostendruck vorhanden ist, mehr Output in kürzerer Zeit geliefert werden muss, ist besonders viel Augenmerk auf der IT, die helfen kann und soll Prozesse einfacher, automatisierter und schneller umzusetzen. Genau da setzen mein Team und ich an: wir versuchen besser zu verstehen, was die Nutzer wirklich brauchen.

Wie fördern Sie Innovationsbereitschaft und Kreativität in Ihrem Team und im Unternehmen insgesamt? Gibt es Methoden oder Formate, die sich als besonders wirksam erwiesen haben?

Wir fördern Innovation auf allen Ebenen – neben technologischen Projekten geht es wahnsinnig oft darum, Prozesse und Herausforderungen neu zu denken. Wir haben Ende letzten Jahres beispielsweise einen Promptathon im IT-Leadership Team gemacht. Die Idee dieses Formats war, KI greifbar zu machen – und zwar dort, wo sie echten Nutzen bringt: in unseren täglichen Prozessen. Dafür haben wir möglichst gemischte Teams mit konkreten Herausforderungen aus dem IT- und ORF-Alltag konfrontiert – von der Softwareentwicklerin bis zum Betriebsleiter. Und das Besondere war: Gelöst wurden diese Aufgaben ausschließlich mit Prompts. Also nicht durch klassisches Programmieren, sondern durch gezielte Anweisungen an KI-Tools. Vom ersten Brainstorming über das Coding bis hin zum funktionierenden Prototyp oder Mockup – jeder Schritt wurde mit einer anderen (generativen) KI-Lösung umgesetzt.

Was mich persönlich am meisten beeindruckt hat, war zweierlei: Erstens, wie schnell durch die Teamdynamik Themen wie Prompting nicht nur verstanden, sondern sofort angewendet wurden. Ein KI-Tool erstellt mit einfachen Prompts in wenigen Minuten etwas, wofür man sonst ein bis zwei Tage gebraucht hätte, beispielsweise im Bereich des Mockup-Zeichnens, was normalerweise IT-Business-Analysten machen. Und zweitens, wie direkt dieses Kennenlernen in kreative und gleichzeitig sehr konkrete Business-Ideen übergegangen ist. Ob es um effizientere Meetings oder um Fake-News-Erkennung in Echtzeit geht – das waren keine theoretischen Spielereien, sondern Lösungen, die unmittelbar anwendbar sind. Genau solche Ideen werden den wirklichen Mehrwert bringen, wenn wir KI in unseren Prozessen verankern.

Wir diskutieren auch immer wieder, wie wir Prozesse vereinfachen können und Dinge, die wir »immer schon so gemacht haben« besser machen können, idealerweise vielleicht sogar weglassen können. Diese Frage im Team zu kultivieren, bringt einen echten Mehrwert für die Veränderungsbereitschaft.

Welche konkreten Innovationsprojekte oder -initiativen im ORF sind für Sie besonders richtungsweisend, und warum?

Astrid Zöchling
© Lisa Resatz

Ein Beispiel für ein Innovationsprojekt ist »AiKM«, wo mit einer KI-basierten eigenentwickelten Software, die Musikstücke in Videos erkennt, die entsprechenden Länge exakt ausliest, diese Daten automatisiert an die AKM übermittelt und damit die Basis für das Abführen der Tantiemen für die verwendeten Musiktitel liefert. Zeiten, Titel etc. mussten vor der KI-Lösung davor manuell gestoppt und eingegeben werden – das war zeitaufwendig. Daran kann man für mich gut erkennen: Wenn Technologie den Menschen dient, und nicht umgekehrt, kann sie einen echten Mehrwert bringen.

Es geht darum, die Menschen von genau solchen repetitiven und zugleich zeitaufwendigen Prozessen zu entlasten, die eine KI einfach sehr viel schneller und präziser erledigen kann, damit sie sich noch stärker auf ihre journalistischen Kernaufgaben, wie Faktenchecks, Hintergrund-Stories und Recherche konzentrieren können. Für uns ist es keine Phrase, sondern eine zentrale Säule, dass die menschliche Komponente der Kernfaktor bleibt. Ein wesentlicher Aspekt der KI-Unterstützung wird künftig sicher dahin gehen, auf Basis journalistischer Grundprinzipien wie Check, Re-Check und Double-Check, möglichst viele Informationspunkte zu liefern, um sehr frühzeitig Desinformationen zu erkennen. Die Menschen müssen weiterhin das uneingeschränkte Grundvertrauen haben, dass der ORF trusted Source ist und sie alles, was sie in den ORF Programmen und Formaten hören, sehen oder lesen faktengecheckt und richtig ist.

Welche Bedeutung messen Sie Künstlicher Intelligenz und Automatisierung im Medienumfeld bei? Wo sehen Sie die größten Potenziale und Risiken?

KI wird die Medienbranche tiefgreifend verändern und tut das teilweise bereits – von der Inhaltsproduktion über die Personalisierung bis zur Archivierung. Die Potenziale liegen in Effizienz, Relevanz und Zugänglichkeit. Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass redaktionelle Unabhängigkeit und ethische Grundsätze gewahrt bleiben. Transparenz ist dabei entscheidend. Wir sehen es als unsere Aufgabe, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk als »trusted source« wahrgenommen wird und anerkannt bleibt, weil es in Zeiten, in denen jede/r Content Creator sein kann und Desinformation stark zunimmt, unglaublich wichtig ist, eine verlässliche Quelle zu haben. KI wird uns an vielen Stellen unterstützen, aber die Recherche von Inhalten und das Überprüfen von Inhalten bleibt aus unserer Sicht eine zutiefst menschliche Kernaufgabe. Auch für alle anderen KI-Projekte im journalistischen Bereich gilt immer das »Human in the Loop«-Prinzip.

Wie gehen Sie mit ethischen Fragestellungen rund um KI im Journalismus um?

Wir setzen auf klare KI-Leitlinien, transparente Prozesse und enge Zusammenarbeit mit der Redaktion. Es ist essenziell, dass KI den Journalismus unterstützt – nicht ersetzt. Jede KI-basierte Entscheidung muss nachvollziehbar und journalistisch verantwortbar sein. Dafür braucht es Schulung, Awareness und eine starke Governance. Das Thema ist bei uns auf Geschäftsführungsebene angesiedelt, es gibt ein eigenes KI-Board unter Leitung des technischen Direktors, Harald Kräuter, das regelmäßig tagt, in dem gerade ethische und strategische Fragestellungen rundum KI diskutiert und entschieden werden.

Das ORF-Zentrum am Küniglberg. © CC BY-SA 3.0/Thomas Ledl

Sie gelten als Vorreiterin für Diversität und Frauen in der IT. Wie haben Sie diese Themen im ORF vorangetrieben und welche Erfolge können Sie vorweisen?

Ich sehe Diversität als Innovationsmotor. Mein Leadership Team ist annähernd gleichverteilt zwischen Frauen und Männern, auch hinsichtlich Altersgruppen und Unternehmenszugehörigkeit. Das führt dazu, dass wir Herausforderungen aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten, was aus meiner Erfahrung immer zu wesentlich besseren Ergebnissen führt.

Wir haben gezielt Frauenförderprogramme etabliert, unternehmensweite Netzwerke aufgebaut und Mentoringformate geschaffen. Aber auch über die Unternehmensgrenzen hinaus gibt es Initiativen wie #TheNewITGirls oder das WOMENinICT Netzwerk des VÖSI, zu denen wir den Kontakt pflegen. Diese gemeinsamen Initiativen tragen wesentlich dazu bei, Bewusstsein für das Thema in der Branche zu schärfen.

Welche waren die größten Herausforderungen bei der Modernisierung der IT-Landschaft des ORF und wie haben Sie diese gemeistert? Gab es Rückschläge, aus denen Sie besondere Learnings gezogen haben?

Legacy-Systeme, heterogene Infrastrukturen und hohe Sicherheitsanforderungen waren große Herausforderungen. Die Umstellung auf modulare, sichere, cloud-fähige Architekturen war und ist nicht trivial. Gleichzeitig neue Arbeitsweisen in der IT zu etablieren, die uns schneller, skalierbarer und vor allem nutzenzentrierter machen, war für die Teams und mich schon eine große Veränderung, die wir bewerkstelligt haben. Dabei noch laufend auf gesteigerte IT-Sicherheit zu achten und effizienter zu werden, erhöht schon den Druck auf die IT-Teams. Ich erlebe aber, dass es da den Kolleginnen und Kollegen in anderen Branchen auch nicht anders geht.

Wie balancieren Sie die Anforderungen an Sicherheit, Datenschutz und Innovationsgeschwindigkeit aus – gerade im öffentlich-rechtlichen Kontext? Gibt es Zielkonflikte, die besondere Lösungen erfordern?
Datenschutz und Sicherheit sind bei uns keine Bremsen, sondern Designprinzipien, die Usability nicht ausschließen müssen, wenn man sie richtig denkt und anwendet. Aber natürlich gibt es Zielkonflikte – etwa zwischen Nutzerfreundlichkeit und Regulierung. Jetzt kommt eine neue Komponente hinzu: die Souveränität. Sie stellt uns vor neue Herausforderungen. Gleichzeitig ist es unabdingbar, sich damit intensiv zu beschäftigen und Wege zu finden, wie wir mit europäischen Cloud-Lösungen und europäische KI-Technologie unabhängiger und resilienter werden. In Zeiten, in denen der Kostendruck massiv zunimmt, geht es immer darum, die Balance zu finden und abzuwägen, was für die Gesamtsituation die beste Lösung bringt.

Wie gelingt es Ihnen, IT-Talente für den ORF zu begeistern und langfristig zu binden – gerade im Wettbewerb mit der Privatwirtschaft?

Sinnstiftung ist ein entscheidender Faktor. Der ORF bietet die großartige Chance, an gesellschaftlich relevanten Themen zu arbeiten und einen Beitrag zu leisten, weiterhin die verlässliche »Source of truth« in einer immer komplexeren Welt zu bleiben. Wir fördern individuelle Entwicklung, flexible Arbeitsmodelle und ein kollaboratives Umfeld. Und wir zeigen: Auch öffentlich-rechtlich kann innovativ, agil und technologiegetrieben sein!

Was motiviert Sie persönlich, neue Wege zu gehen und Veränderungen voranzutreiben?

Ich bin überzeugt: Wir haben die Verantwortung, die Zukunft mitzugestalten – technologisch, gesellschaftlich, menschlich. Mich motiviert der Gedanke, dass Veränderung nicht Bedrohung, sondern Chance ist. Und ich sehe es als Privileg, diese Chance mit einem starken Team ergreifen und gestalten zu können.

Wenn Sie auf Ihre bisherige Zeit als CIO zurückblicken: Gibt es Entscheidungen, die Sie heute anders treffen würden?

Natürlich – retrospektiv sieht man manches klarer. Ich würde heute noch früher auf agile Organisationsformen setzen und noch konsequenter in Kommunikation investieren. Aber jede Entscheidung war und ist auch ein Lernfeld – und das ist ein Wert an sich.

Was bedeutet der CIO Award für Sie und Ihr Team und wie würden Sie die digitale Transformation des ORF in den letzten Jahren aus Ihrer Sicht zusammenfassen? Welche strategischen und kulturellen Leitlinien haben Sie dabei verfolgt?

Der Confare CIO Award ist für mein Team und mich ein sichtbares Zeichen der Anerkennung für eine großartige Teamleistung. Wir haben in den letzten zwei Jahren sowohl technologisch, also auch kulturell und in der Arbeitsweise mit den Fachbereichen, als auch innerhalb der Teams wahnsinnig viel verändert. Die digitale Transformation des ORF war und ist kein Einzelprojekt, sondern ein vielfältiger Prozess auf allen Ebenen – technologisch, kulturell und organisatorisch. Strategisch haben wir auf Offenheit gesetzt – auch gegenüber Cloud-Technologien, Plattformdenken und Nutzerzentrierung, kulturell auf interdisziplinäre Zusammenarbeit und Mut zur Veränderung. Unser Ziel ist es, den ORF IT-technisch zukunftssicher aufzustellen, ohne seine Kernwerte und vor allem Aufgaben aus dem Blick zu verlieren.


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