TGM: Industrie 4.0 im Schulbetrieb

Am TGM in Wien nimmt eine Mini-Fabrik den Betrieb auf – gebaut von Schülern und für Schüler. An einer echten Fertigungsstraße lernen die künftigen Ingenieure, was Industrie 4.0 bedeutet. [...]

Leona (16) und Luis (14) arbeiten vorne an der Modell-Fertigungsstraße des TGM, einer echten Mini-Fabrik. Hinten werken Paula, Jakob und Carmen. (c) TGM – Hetzmannseder
Leona (16) und Luis (14) arbeiten vorne an der Modell-Fertigungsstraße des TGM, einer echten Mini-Fabrik. Hinten werken Paula, Jakob und Carmen. (c) TGM – Hetzmannseder

Die digitale Fertigungsstraße besteht aus einem langen Transportband, an dem vier Industrieroboter und zwei Werkzeugmaschinen zum Schneiden und Fräsen andocken. Alle Teile sind digital verbunden, ergänzt durch eine Reihe Sensoren, gesteuert mit professioneller Industrie-Software. Zwei Schülergruppen bauten die Werkzeugmaschinen aus handelsüblichen Teilen, programmierten die Maschinen und richteten die Software für die Steuerung ein. Die ersten Produkte des Hauses sind elegante Schachteln aus Hartschaum, bestückt mit Pralinen. Ein Cocktail-Roboter stellt jeweils einen Becher Himbeersaft dazu.

Der süße Spaß hat einen ernsthaften Hintergrund. Die Jugendlichen können in spielerischer Form lernen und ausprobieren, wie eine digitale Produktion funktioniert. Denn die Modell-Fertigungsstraße entspricht den neuesten technischen Standards nach Industrie 4.0. Das bedeutet, dass Maschinen, Roboter und Förderband vernetzt sind und sozusagen miteinander kommunizieren. Ein Roboterarm packt die Schachtel nicht stur nach Zeitplan, sondern genau dann, wenn die Fräse ihm mitteilt, dass sie mit dem Stück jetzt fertig ist.

Damit verwirklicht die Mini-Fabrik einen hohen Grad an Digitalisierung. Sie wird in der Ausbildung für Maschinenbau eingesetzt, speziell in der neuen Richtung „New Technologies and Smart Mechanics“, wo Konstruktion und Mechanik mit IT und Robotik zusammenspielen.

Virtueller Zwilling für die Datenbrille

„Wir richten diese Modell-Fertigungsstraße ein, um unseren Schülerinnen und Schülern eine Ausbildung auf dem neuesten Stand der Technik zu ermöglichen“, erklärt Gabriele Schachinger, Abteilungsvorständin für Maschinenbau am TGM. „Mit solchen praktischen Erfahrungen in Industrie 4.0 haben unsere Absolventen ganz ausgezeichnete berufliche Chancen.“

Im Unterricht können die Jungtechniker echte Aufgaben aus der Praxis üben: Schachteln in unterschiedlichen Formen erzeugen, neue Sensoren in das System einfügen, die Anlage umbauen, Stückzahlen und Tempo ändern und vieles mehr.

Die nächsten Jahrgänge verbessern das System weiter. Bis zum Sommer soll die Anlage komplett im Computer abgebildet sein, so dass ein „virtueller Zwilling“ entsteht: Dieses Abbild im Computer macht dasselbe wie die reale Anlage. Das ermöglicht Augmented Reality: Die Schüler können dann mit einer Datenbrille oder mit einem Tablet arbeiten, die laufende Produktion aus der Ferne überwachen, Werte wie Tempo und Temperatur ablesen, aber auch in das Bild „hineingreifen“ und die reale Anlage steuern.

„Keks-o-bot“

Das TGM – mit rund 2.600 Schülern und 330 Lehrern die größte HTL Wiens und eine der ältesten Österreichs – beschäftigt schon länger mit dem Thema Industrie 4.0. So programmierten vier TGM-Schüler im Jahr 2017 einen Roboter, der Kekse, Torten und Lebkuchen beschriftete. Die Idee dahinter: Die Verzierungen gestaltet man zuhause selbst und schickt sie über eine Webseite direkt an den Roboter. So kann jeder online seinen ganz persönlichen Keks bestellen. Das Projekt zeigte, wie Industrie 4.0 im Alltag wirksam wird. „Unter Industrie 4.0 stellt man sich Hightech vor, die nur Fabriken betrifft“, meint Miriam, eine der Schülerinnen aus dem Team. „Unser Projekt macht aber deutlich, dass die Technologie sich sogar für eine Bäckerei eignet. Es funktioniert mit Lebensmitteln, es funktioniert mit Kleinbetrieben, und jeder einzelne Kunde kann es nutzen.“

Beim „Keks-o-bot“, so der Name des Modells, gab es eine wesentliche Schwierigkeit: Die angehenden Ingenieure mussten einen herkömmlichen Industrieroboter so mit einer Web-Seite verbinden, dass er direkt übers Internet gelenkt werden kann. „Industrieroboter lassen sich üblicherweise nur mit der speziellen Software des Herstellers steuern“, erklärt Roman aus dem Projekt-Team. „Wir mussten deshalb selbst eine Schnittstelle zum Internet programmieren.“ Die Schüler legten ihre Software so an, dass sie zu jedem gängigen Roboter passt. „Dadurch kann man die Lösung überall einsetzen“, betont Roman.

Die Beispiele zeigen, dass das TGM großen Wert darauf legt, dass Jungtechniker eine praxisnahe Ausbilung erhalten – und damit möglichst früh beginnen. So veranstaltet die Schule mit der „Kinder-HTL“ eine einwöchige Workshopreihe für 11- bis 14-jährige Schüler, die vor der nicht immer ganz einfachen Entscheidung über ihre Zukunft stehen. Im letzten Jahr bekamen die Rookies etwa die Möglichkeit, in die Welt der Roboter und Smart Mechanics einzutauchen und die Diplomprojekte vergangener Abschlussklassen auszuprobieren. Außerdem wurden sie in die anwendungsorientierte Programmierung eingeführt und waren so in kürzester Zeit in der Lage, Objekte mit Saug- und Zangengreifern zu versetzen.

 


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