Undurchsichtige ERP-Angebote erschweren es den Anwendern oft, die richtige Auswahl eines passenden Systems zu treffen. Folgende Aspekte sollten Anwender bei den Angeboten hinterfragen, um zu einem realistischen Vergleich zu kommen. [...]
Wer schon einmal ein ERP-Auswahlverfahren aktiv miterlebt hat weiß, mit welchen Herausforderungen die Entscheider in den unterschiedlichen Prozessphasen konfrontiert werden. Vom ersten Marktscreening möglicher ERP-Lösungen über die Bewertung der funktionalen Eignung bis hin zum letztendlichen Angebotsvergleich zeichnen sich die einzelnen Stufen vor allem durch eine erhöhte Intransparenz aus. Allein die Masse an unterschiedlich aufbereiteten Informationen lässt schnell das Gefühl aufkommen, dass man in Wirklichkeit versucht, Äpfeln mit Birnen zu vergleichen. Und davon gleich eine ganze Wagenladung. In ihrer Not lassen sich manche Entscheider bei einer gefühlten funktionalen Gleichwertigkeit der ERP-Systeme dazu hinreißen, den angebotenen Preis als maßgeblichen Entscheidungsfaktor zu wählen. Gerade hier sollten Sie sich jedoch nicht vorschnell von vertrieblich geschönten Werten blenden lassen, sondern eine Ecke weiterdenken.
Nutzen Sie die folgenden Aspekte, um sich und Ihren ERP-Anbietern gezielte Fragen zum Angebot zu stellen, damit Sie letztendlich auf Basis einer möglichst realistischen (monetären) Bewertung eine Entscheidung treffen.
Was ist enthalten und was nicht?
Wenn nicht gerade ein transaktionsbezogenes Bezahlmodell angeboten wurde, findet sich meistens weit oben im Angebot eine Auflistung und Bepreisung von Lizenzen. Hier lohnt sich ein genauer Blick auf die Modulpolitik des Anbieters. Im Klartext: Wird eine lange, extrem kleinteilige Preisliste zu spezialisierten Modulen angeboten oder erwirbt man mit einer Lizenz den gesamten Funktionsumfang einer ERP-Software? Beide Formen haben ihre Vor- und Nachteile: Während für ersteres Modell meist damit argumentiert wird, nur das zu bezahlen, was Kunden im Moment des Angebots benötigen beziehungsweise denken zu benötigen, unterstützt letzteres die Philosophie einer auf kommende Anforderungen anpassbaren Komplettlösung.
Wie setzen sich die Kosten für Dienstleistungen zusammen?
Gerade mit der Qualität der beratenden Dienstleistung während der Einführung entscheidet sich oft der spätere Optimierungsgrad des eingeführten ERP-Systems. Hier liegt aber auch ein häufiger Grund, warum Einführungs- und Betriebskosten unkontrolliert in die Höhe schnellen und Budgettreue nur zu einer Marketing-Floskel verkommt.Im ersten Schritt zu einer realistischen Einschätzung der Dienstleistungskosten sollten Sie die angebotenen Summen grob miteinander vergleichen. Gibt es starke Ausreißer nach unten oder oben? Werden zum Beispiel einerseits zwei Tage andererseits 200 Tage für die gleiche Leistung veranschlagt?
Bei derartigen Abweichungen sollte man sich immer die Frage stellen, was realistisch berechnet und was mit der rosaroten Vertriebsbrille kalkuliert wurde. Auch wenn wenig Dienstleistungstage zu einem geringen Preis verlockend klingen, hören Sie auf Ihr Bauchgefühl, ob die Größe Ihres Projektes in dieser Zeit realistisch umzusetzen ist.
Anwender sollten daran denken, dass die ERP-Einführung meist parallel zum Tagesgeschäft läuft. Je nach Dienstleistungsmodell entsteht so ein erheblicher interner Aufwand, den es in der Gesamtrechnung mit zu berücksichtigen gilt.
Wartungsgebühren können böses Erwachen bereiten
Wer ein zukunftsfähiges ERP-System einführen möchte, hat ein berechtigtes Interesse daran, seine Software so aktuell wie möglich zu halten, um von neuen Funktionen maximal zu profitieren. Je nach Anbieter unterscheiden sich die in den Wartungsgebühren inkludierten Leistungen immens. Werden mit den Wartungsgebühren beispielsweise nur Minority Updates (zum Beispiel von Version 2.1 auf 2.2) oder ganze Releasewechsel (zum Beispiel von Version 2.5 auf 3.0) abgedeckt? Sind Fehlerbehebungen (sogenannte Patches) enthalten? Macht der Anbieter eventuell einen Unterschied bei den Kosten zwischen Server- und Client-Updates? Ein Blick auf die Supportqualität lohnt sich ebenfalls. Je nach Anbieter können beispielsweise telefonische Hotlines oder ein Zugriff zum Helpdesk nicht in den Wartungsgebühren enthalten sein, sondern müssen zusätzlich beauftragt werden.
Das kostspieligste und gleichzeitig wichtigste Thema in diesem Bereich sind jedoch die Releasewechsel. Sie können nur langfristig von der Weiterentwicklung Ihrer ausgewählten Software profitieren, wenn Sie nicht durch erhöhte Kosten vom Wechsel in das nächste Release abgehalten werden. Für die monetäre Bewertung des Angebots ist es letztendlich nicht nur relevant, ob der Releasewechsel im Wartungsvertrag enthalten ist, sondern vor allem, ob kundenspezifische Erweiterungen in der Software kostenfrei auch in die nächste Version übernommen werden. Trifft dies nicht zu, fallen erneut Kosten für die Neuentwicklung der Anpassungen an. Diesbezüglich gilt es auch abzuklären, inwieweit Entwicklungsleistungen die Wartungsgebühr erhöhen und was dadurch wiederum abgedeckt ist. Betrachtet man nun für eine neueingeführte ERP-Software eine Laufzeit von bis zu 15 Jahren und pessimistisch veranschlagt zwei bis drei Releasewechsel, entstehen in dieser Zeit enorme finanzielle Hürden, um konsequent vom Fortschritt der Software zu profitieren.
Sicherlich sind die oben genannten Aspekte nicht vollständig und unterscheiden sich mitunter enorm je nach Auswahlsituation, Größe des Unternehmens und zu vergleichenden ERP-Systemen. Dennoch gilt grundsätzlich: Anwender sollten die aufgezählten Angebotspositionen immer kritisch hinterfragen. Die reine Fokussierung auf den angebotenen Preis als Entscheidungskriterium rächt sich unter Umständen in Form von Innovationsstau, zusätzlichen Kosten oder einer ERP-Einführung, die keinen Mehrwert für Ihr Unternehmen liefert. Nur der Einbezug möglichst vieler Faktoren über die gesamte Einsatzzeit der ERP-Software führt zu einem realistischen ERP-Angebotsvergleich und letztendlich zu einer zufriedenstellenden ERP-Einführung.
Tim Langenstein | Vorstand e.bootis
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