Siegfried Stepke ist Gründer der Online-Agentur e-dialog. Zu seinen Kunden zählen A1, Mercedes, die Erste Bank Gruppe, Rewe, die Deutsche Telekom und RedBull. Im COMPUTERWELT-Interview verrät er die besten Strategien, um im Olymp des Online-Marketing zu bestehen. [...]
Was sind die größten Herausforderungen, mit denen Deine Kunden im Bereich Online-Marketing zu kämpfen haben?
Dummer Weise die DSGVO. Ich erlebe das aber auch großteils als sehr bereinigend. Hier findet derzeit eine ernste Auseinandersetzung mit diesem Thema statt, was vorher verabsäumt wurde. Man kann nach wie vor gutes Daten-betriebenes Marketing machen, wenn man die Compliance einhält. Sobald dieses Thema geklärt ist, ist die nächste Herausforderung dann Projektesilos abzubauen oder intelligent zu verknüpfen, wogegen es viele Widerstände gibt. Interne Widerstände, 17 Anbieter die alle die ultimative Lösung haben, bzw. Agenturen mit Eigeninteressen. Und letztens dass es auch mit Arbeit verbunden ist und jemand auch die Verantwortung übernehmen muss.
Welche Auswirkung hatte die DSGVO auf Programmatic Marketing, und auf das Daten-Sammeln in den Marketing-Abteilungen der Unternehmen? Was darf man heute noch?
90 Prozent der Juristen sind sich einig, dass das Sammeln von Daten zu Analysezwecken als berechtigten Interesse gilt. 50 Prozent sind sich einig, dass auch Re-Targeting dazu zählt. Nachdem das aber nicht ausjudiziert ist, kann ich nicht sicher sein. Also hole ich lieber den User-Consent ein und bin dann auf der sicheren Seite.
Dies mache ich durch Tools, wenn Benutzer die Seite besuchen. Man muss sich die aktive Zustimmung sichern, mit ‚ja, ok‘. Das muss nachweisbar und revidierbar sein. Wir setzen da auf eine Blockchaintechnologie von User Centrix, die das nachvollziehbar macht.
Wie hoch schätzt Du die Gefahr ein, dass eine neue EU Privacy Verordnung Daten-Pools und damit Programmatic Marketing überhaupt verbietet?
Die Verordnung ist ja noch lange nicht in Stein gemeißelt – es ist wie mit der DSGVO. Ja, sie ist eine ernsthafte Bedrohung, weil sie teilweise absurd und wirtschaftsfeindlich ist. Keiner mag zur Zeit Facebook. Aber kürzlich haben sie ein Optin gemacht, und sich die Zustimmung der User geholt. Der Witz ist ja: Wenn du nicht zustimmst, wirst du nicht weniger Werbung erhalten, sondern nur weniger relevante Werbung. Es gibt dann kein Frequency Cap mehr (Anm.: Limitierung der Werbung pro User), und weniger Interessens-bezogene Werbung. Ergebnis: mehr und uninteressantere Werbung. Früher war das bei Email Marketing auch so, da haben wir dann drei Viertel der Zeit über das Rechtliche gesprochen, und nur den Rest über gute Werbe-Konzepte.
Was siehst Du als die wichtigsten Trends im Bereich Online-Marketing?
Wir bekommen immer mehr Kanäle und Touchpoints digitalisiert. Displaywerbung gibt es schon lange, aber durch den Siegeszug von Programmatic kann sie nun auch richtig gut und effizient gesteuert werden. Da helfen uns Machine Learning und bestehende Daten sehr viel. Wenn das richtig genutzt wird, dann funktionieren auch Banner gut. Es braucht die richtige Zielgruppe mit den richtigen Geschichten. Ein neuer Kanal ist zum Beispiel Digital Audio. Dazu haben sogar Vorstandsvorsitzende echten Bezug, weil sie Radio verstehen. Sie trauen sich eher in Digital Audio, bevor sie Banner machen. Wenn man Wien im Radio targeten will, nimmt man Radio Wien, Radio NÖ und Bgl. etc. – und hat natürlich einen riesigen Streuverlust. Bei Digital Audio targete ich nach Geografie und nicht nach Sendern, zusätzlich zu anderen Merkmalen und Affinitätskategorien.
Welche Trends sind generell bei den Kosten pro Click oder Video-View zu erkennen?
Kosten hängen ganz stark von den Zielen ab, und wie wir es steuern. Bei Reichweitenkampagnen mit vielen Usern bieten wir niedrige TKPs, aber wenn der User kurz vor dem Abschluss ist, bieten wir sehr hoch. Das ist die Arbeit die eine Performance-Agentur leistet. Wann ein User vor dem Abschluss steht, erkennen wir durch die Signale, die wir aufzeichnen. Die bekommen wir beim Werbemittelkontakt – zum Beispiel ob sie Videos bis zum Ende schauen. Auch ein Klick ist ein starkes Signal. Und wie lange und tief er in die Webseite eindringt. Das sind Signale, die via Machine Learning zu entsprechenden Targetings führen.
Vor einem Jahr hast Du Künstliche Intelligenz als neuen Erfolgsfaktor im digitalen Marketing angekündigt. Was hat sich in diesem Bereich seither getan?
Machine Learning Startups schießen gerade überall aus dem Boden, und immer mehr Systeme haben die Technologie implizit unter der Haube. Das merkt man aber kaum. Eine sichtbare Auswirkung ist die Verbesserung bei Bidding und Optimierung, und der Preisfindung.
Generell steigt die Verfügbarkeit von Rohdaten, und der Zugang zu Machine Learning Plattformen wie Tensorflow und Co. wird einfacher. Es gibt jetzt mehr Experten dafür, obwohl insgesamt immer noch viel zu wenige. Es werden zunehmend auch explizite Anwendungen damit umgesetzt. Wir haben zum B gemeinsam mit Google für den Kurier eine Artikel Empfehlungs-Engine entwickelt, die aufgrund der echten User-Journeys echte Empfehlungen abgibt.
Wie viel macht ihr auf Facebook und welchen Wert hat die Plattform für euch?
Am Beispiel Facebook sieht man, wie weit die Medien-Bewertung und die tatsächliche User-Nutzung auseinanderklafft. Nach aller Reglementierung und berechtigten Skandalen ist der Exodus ausgeblieben, weil der persönliche Nutzen überwiegt. Für Werber ist das Facebook-Universum eine unglaublich wichtige Plattform, weil wir auch hier extrem gut targeten können. Zudem werden sehr spannende Werbeformen angeboten, wo man den User vor allem am Anfang der Customer Journey gut aktivieren kann. Wie überall ist es auch hier besser, mit Strategien, Knowhow und geeigneten Tools vorzugehen, als nur mit den Bordmitteln. Wie auch in der Google Welt schaut alles ganz einfach aus, und spielt auch gute Ergebnisse ein. Aber wenn es um die Top 10 geht, reicht das alleine nicht.
Was sind die Top 10?
Wenn du zu den Besten gehören willst, um die richtigen User mit dem besten Preis anzusprechen. Für T-Mobile haben wir zum Beispiel den Versuch gemacht, iPhone Usern Android Handys anzubieten. Das Spannende war, dass die Algorithmen selbständige Micro-Cluster gebildet haben, aufgrund von User-Signalen. Das hat erstaunlich gut funktioniert. Die Oberhand hat dabei immer noch der Mensch, aber in der Ausführung ist der Algorythmus definitiv besser.
Stichwort Datenhoheit: Wie viele Unternehmen haben deiner Erfahrung nach bereits ein funktionierendes Daten-Management?
Data Ownership wird immer wichtiger. Die DSGVO ist ein klarer Auftrag, dass die Unternehmen Herr über ihre Daten sein müssen. Viele glauben blind an die Agentur – aber dann gehören die Daten auch der Agentur. Aus meiner Sicht müssen die Agenturen mit den Daten umgehen können, aber die Eigentümerschaft muss beim Unternehmen sein. Da wird immer noch Schindluder betrieben.
Die steigende Komplexität durch mehr Informationen über die User (zum Beispiel Nutzungs-Situation, Interessen, etc.) ermöglicht es ja auch, Nutzer sehr individuell anzusprechen, was große Anforderungen an die Kreativleistung stellt. Haben die Agenturen diese Chance erkannt und nutzen sie diese?
Es gibt enorm viele Chancen für Kreative – und nach anfänglicher Schockstarre könnte auch langsam Bewegung reinkommen. Wir selbst personalisieren Werbung nach Geographie, Kundenstatus, Call to Action, etc. Das macht im Erfolg einen riesigen Unterschied. Bisher haben Kreative nicht gelernt, in Varianten und Testing zu denken. Da wurde einfach ein Slogan beschlossen, anstatt 99 verschiedene Slogans zu testen. Und dann je Zielgruppe den besten herauszufinden, und nicht den durchschnittlich besten. Das gleiche gilt auch für Bild und Video – Ich kann für Hundeliebhaber einen Hund durchs Bild laufen lassen und bei Katzenliebhabern eine Katze. Das ist technisch einfach möglich.
Remarketing führt bei Nutzern mitunter zu Verfolgungswahn und gegenteiligen Effekten. Wie siehst Du die Zukunft in diesem Bereich?
Verfolgungswahn ja, gegenteiliger Effekt nicht. Wir messen derzeit keine Ablehnung, im Gegenteil. Auch dummes Remarketing funktioniert sehr gut. Man kann es aber verbessern, indem ich den Frequency Cap optimiere – und die Botschaft intelligent variiere. Dann sehe ich nicht nur den roten Turnschuh der mich verfolgt, sondern abwechselnde Botschaften. Damit wird die Werbung endgültig zur Inspiration.
Ist Glaubwürdigkeit von Medien-Brands im Programmatic Zeitalter noch oder wieder ein Thema?
Zu Beginn war ich ein Verfechter der Unabhängigkeit von Premium-Platzierungen. Auch um im Markt etwas in Bewegung zu setzen. Heute kombinieren wir immer rein algorithmisch platzierte Werbung durch in Umfeldern platzierte Werbung, in Absprache mit den Kunden.
Welche Key Performance Indicators (KPIs) sind für Euch ausschlaggebend?
KPIs unterscheiden sich bei uns in den Stufen entlang des Customer Journey Trichters. Wenn es um Awareness geht, rechnen wir in Reichweite und Sichtbarkeit, also viewable CPM. Wie viel Unique Users bekomme ich zu welchem Preis? In der Phase »Engagement« geht es um Clicks und Verweildauer. Und im Abverkauf geht es nur mehr um den ROI über die ganze Kampagne. Das muss in Omnichannel Umfeld auch funktionieren.
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