Transformation der Arbeitswelt

Fachkräfte sind Mangelware. Was bedeutet das für den Arbeitgeber und den Arbeitnehmer? Was kann man dagegen tun und welche Rolle spielt die digitale Transformation inklusiver künstlicher Intelligenz dabei? [...]

Der Fachkräftemangel ist eines der gegenwärtig wichtigsten Wirtschaftsthemen.
Der Fachkräftemangel ist eines der gegenwärtig wichtigsten Wirtschaftsthemen. (c) VMware

Österreichweit fehlen 10.000 IT-Fachkräfte«, beschreibt Martin Heimlicher, Wiener Obmann der Sparte Information und Consulting die aktuelle Situation.Laut Erhebungen der Österreichischen Wirtschaftskammer leiden 75 Prozent der Unternehmen an starkem Fachkräftemangel. Natürlich sind nicht alle Wirtschaftsbereiche gleichermaßen betroffen, aber vor allem die für Österreich wichtigen Zweige Industrie, Handel, Tourismus und IT leiden besonders stark unter dem Mangel. Alleine in Wien sind rund 2.500 Lehrstellen frei. Die Frage, die sich sowohl Unternehmer und Arbeitnehmer als auch die Politik stellen, ist, welche Maßnahmen können und müssen gesetzt werden, um die Situation zu verbessern.

Um Missverständnisse zu vermeiden, eines vorweg: Im nachfolgenden Artikel steht der IT-Bereich im Fokus. Nicht alles, was hier geschrieben wird, gilt 1:1 auch für andere Branchen. Auch die Behauptungen, das die Digitalisierung Jobs wegrationalisiere beziehungsweise dass durch sie neue Jobs geschaffen würden, sind nur scheinbar widersprüchliche Annahmen. Beides ist wahr, da es sich um jeweils andere Jobs handelt. Während manche Dienstleistungsarbeiten, wie Frisör oder Koch nicht von der Digitalisierung bedroht sind (vielmehr herrscht auch hier ein Fachkräftemangel), blicken Supermarktkassiererinnen und -kassiere sowie LKW-Fahrer in keine rosige Zukunft. Automatische Kassenterminals sowie selbstfahrende Fahrzeuge sollen schon bald ohne menschliches Zutun auskommen. Für die Betroffenen bleiben Umschulung und Weiterbildung. Das ist auch das bestimmende Thema für die Arbeitswelt der Zukunft: Lernen und sich weiterbilden wird stark an Bedeutung gewinnen.

Lebenslanges Lernen

Die digitale Transformation muss zu einem Umdenken seitens der Wirtschaft führen, so eine der Kernaussagen der Studie „Human Capital Trends 2019“, die die Unternehmensberatung Deloitte durchgeführt hat. Befragt wurden rund 9.500 Personalverantwortliche aus 119 Ländern, darunter auch Österreich, welche Trends und Entwicklungen sie im weltweiten HR-Bereich kommen sehen. Lebenslanges, kontinuierliches Lernen kam hier ganz oben zu liegen. Das betrifft natürlich die Arbeitnehmer, aber auch die Unternehmen selbst, die hier ebenfalls einen Teil dazu beitragen können. So haben laut Deloitte über die Hälfte der Führungskräfte weltweit das Budget für Umschulungen und Weiterbildungsmaßnahmen im vergangenen Jahr um mehr als sechs Prozent erhöht. Hier ist noch viel zu tun: Laut 86 Prozent der von Deloitte weltweit befragten Führungskräfte müssen die Unternehmen das Konzept vom Lernen am Arbeitsplatz völlig neu denken. Die Wirklichkeit sieht aber anders aus: Lediglich zehn Prozent setzen bereits erste Schritte. In Österreich verhält es sich ähnlich: 80 Prozent der Befragten sind überzeugt, dass ein Umdenken stattfinden muss, aber nur zwölf Prozent implementieren diesbezüglich konkrete Maßnahmen.

Neudefinition der Arbeit: Vom Job zur Kompetenz

So wichtig Weiterbildung und Lernen sind, ist auch eine Veränderung im Berufsleben zu beobachten. Traditionelle Berufsbilder treten zunehmend in den Hintergrund. Entsprechend stellt Julian Mauhart, Partner bei Deloitte Österreich, fest: „Gefragt sind Kompetenzen und nicht mehr fixe Berufsbilder.“

In dem Maße, in dem Jobgrenzen verschwimmen würden, gewönnen interdisziplinäre Fähigkeiten an Bedeutung, ist Mauhart überzeugt. Hier seien wieder die Unternehmen gefordert, die zu den gewünschten Kompetenzen die passenden Jobprofile schaffen müssten. Auch neue Beschäftigungsverhältnisse, wie Freelancer oder Gig Worker sind zu berücksichtigen und könnten nach Ansicht von Mauhart eine Lösung sein. Genausowenig wie herkömmliche Berufsbilder die Erfordernisse der Arbeitswelt von morgen abdecken, gilt dies auch für klassische und überholte Organisationsstrukturen. Gerade in Österreich sei hier noch viel zu tun, so Mauhart, zumal heimische Unternehmen zumeist hierarchisch strukturiert sind und veraltete Führungsmodelle gepflegt werden. »Es braucht flexiblere Organisationsformen, wie zum Beispiel temporäre Teams, um auf die ständig wechselnden Herausforderungen reagieren zu können«, so der Deloitte-Experte Julian Mauhart.

Flexibilität, Flexibilität, Flexibilität

Das Zauberwort bei der Mitarbeitersuche heißt für Unternehmen Flexibilität – und zwar Flexibilität in allen Bereichen. Eine aktuelle Studie von VMware (befragt wurden 3.600 Personen, davon waren 1.800 Mitarbeiter, 900 IT-Entscheider und weitere 900 HR-Entscheider) zum Thema „Digital Employer Experience“ ergab, dass für die Hälfte der befragten Mitarbeiter (57 Prozent) das Thema Flexibilität und auch die Möglichkeit, ob sie eigene digitale Tools verwenden können, entscheidend dafür waren, ob sie sich bei einem Unternehmen bewarben oder eine Stelle annahmen. Genau diese Unabhängigkeit zeichnet die „Digital Employee Experience“, also das von jungen IT-Talente gewünschte Arbeitserlebnis aus: Freiheit bei der Geräteauswahl, einfachen Zugang zu Apps sowie der Möglichkeit des ortsunabhängigen Arbeitens. Zudem wollen sich junge Leute so einfach bewerben, wie sie es von Bestellungen im Online-Versandhandel gewohnt sind. Hier müssen sich Unterenehmen bewegen, denn „Unternehmen können nur wachsen, wenn sie es schaffen junge Talente zu begeistern“, weiß Ralf Gegg, Senior Director Sales, End User Computing, CEMEA bei VMware. Gerade im Rahmen der digitalen Transformation stehe oft die Technologie im Vordergrund und der Mitarbeiter werde stark vernachlässigt, rückt Gegg den menschlichen Faktor wieder in den Mittelpunkt. Dem pflichtet Roland Sprengseis zu, wenn er drauf verweist, dass die Mitarbeiterbindung bei seinem Unternehmen bluesource mobile solutions bereits beim Vorstellungsgespräch beginne, denn, so Sprengseis, „als IT-Unternehmen bewirbt man sich ja quasi bei dem Programmierer oder dem Techniker.“ Sprengseis weiß, wovon er spricht, denn der COO bei bluesource mobile solutions ist auch für den Human-Resources-Bereich zuständig.

Um als Unternehmen eine optimale „Digital Employee Experience“ bieten zu können, ist es ratsam, so die VMware-Studie, wenn HR- und IT-Abteilung diesbezüglich Hand in Hand arbeiten. So fordern 84 Prozent der Mitarbeiter hinsichtlich der Arbeitsbedingungen in Zeiten der Digitalisierung eine bessere Zusammenarbeit zwischen HR- und IT-Abteilung, jedoch nur 16 Prozent der Befragten berichten von guter Zusammenarbeit zwischen den entsprechenden Abteilungen in ihren Unternehmen. Allerdings fordern acht von zehn Befragten, dass dem Bereich HR mehr Verantwortung bei der Verbesserung der »Digital Employee Experience« übertragen wird. Wie auch immer: Wichtig ist dass die entsprechenden Zuständigkeiten kommuniziert werden: 48 Prozent der Befragten wissen nicht, ob sie sich bezüglich der „Digital Employee Experience“ an die HR- oder IT-Abteilung wenden sollen.

»Flexible Zeiteinteilung ist wichtig«, so Roland Sprengseis, COO bei bluesource und auch für das Personal zuständig. (c) Bluesource mobile Solutions

Bei Bluesource hat man aus diesem Grund gleich ein People-Department-Team eingeführt, das sich laufend um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Firma Bluesource kümmert. Hier entstand beispielsweise die Gleitzeit ohne Kernzeit oder die Vier-Tage-Woche alle 14 Tage. Letzteres erklärt Sprengseis folgendermaßen: „Wir haben im Unternehmen eingeführt, dass jeder zweite Freitag frei ist. Das heißt die Firma wurde zweigeteilt, so dass die Büros durchaus jeden Freitag besetzt sind – aber jeden zweiten Freitag kann man sich freinehmen, ohne einen Zeitausgleichsantrag zu stellen und hat so alle 14 Tage eine Vier-Tage-Woche. Das wird sehr gut angenommen.“

Speziell das Thema flexible Zeiteinteilung werde bei IT-Entwicklern und Projektleitern sehr hoch geschätzt, weiß Sprengseis, der darauf verweist, dass sich sein Unternehmen deswegen von All-in-Verträgen verabschiedet habe und vielmehr auf zeitliche Flexibilität in Form von Sabbaticals und Karenzzeiten setzt. Hier sieht Sprengseis jedoch auch die Politik in der Pflicht. Seiner Meinung nach deckten die aktuellen Regelungen zur Flexibilisierung der Arbeitszeit eher die Verhältnisse aus dem Zeitalter der Industrialisierung ab als die gegenwärtigen.

Doch die neue Flexibilität darf sich nicht nur auf die Arbeitsbedingungen, insbesondere die Zeiteinteilung beschränken, sondern muss auch flexible Karrierewege bieten, wie die bereits erwähnten Deloitte-Studie Human Capital Trends 2019 ergab. Dort geben 69 Prozent der österreichischen Befragten an, dass neue Modelle für Karriere und Mobilität notwendig sind. Jedoch wird gleichzeitig festgestellt, dass die internen Prozesse oft noch nicht entsprechend angepasst sind. Die Hälfte der heimischen Befragten schätzt die interne Mobilität beziehungsweise die Karrieremöglichkeiten im eigenen Unternehmen noch als unzureichend ein. Hinzu kommt eine andere Erwartungshaltung.

Während man sich früher mit einer Beförderung alle fünf Jahre begnügte, will man heutzutage bereits nach zwei bis drei Jahren seine Karriere weiterentwickeln. Nach der o.a. Erkenntnis von Roland Sprengseis, dass die Mitarbeiterbindung bereits beim Vorstellungsgespräch beginne, sollten bereits beim Onboarding die Entwicklungsziele des Mitarbeiters, der Mitarbeiterin festgehalten und miteingeplant werden. Das alles ist nicht leicht und erfordert ein umfassende Planung, erklärt Julian Mauhart, Partner bei Deloitte Österreich: „Die Unternehmen beklagen den Fachkräftemangel, ziehen daraus aber nicht die notwendigen Konsequenzen: Employer Branding und Arbeitgeberattraktivität reichen nicht aus, wenn es die gesuchten Mitarbeiter gar nicht in ausreichender Zahl gibt. Was früher mit Stellenausschreibungen und Personalsuche erledigt war, verlangt heute vorausschauendes Agieren und ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Mitarbeitersuche und -entwicklung.“

Künstliche Intelligenz statt Fachkraft?

In Zeiten des aktullen Fachkräftemangels mag sich manch ein Unternehmer fragen, inwieweit Computer helfen können, den Mangel durch Automatisierung und Einsatz von künstlicher Intelligenz abzufedern. Experten wie u.a. Gerald Pfeifer, CTO EMEA bei SUSE, sind sich einig, dass die Automatisierung zwar Mitarbeiter entlasten kann, indem sie ihnen repetitive Tätigkeiten und Unternehmensprozesse abnimmt, jedoch das sei ja genau das Ziel der Digitalisierung. Mitarbeiter sollen von einfachen Routinearbeiten freigespielt werden, um sich kreativeren und anspruchsvolleren Aufgaben widmen zu können. Bei SUSE habe man viel in eine voll automatisierbare Installation und Inbetriebnahme von Systemen investiert und ausgereifte Technik mit bedienerfeundlicheren grafischen Benutzeroberflächen ausgestattet, was auch gegen den Fachkräftemangel helfe. Aber ganz ohne Fachkräfte gehe es nicht.

Gerald Pfeifer, CTO EMEA bei SUSE: „Die Bedienung ausgereifter Technik
einfacher machen, kann helfen den Fachkräftemangel abzufedern.“ (c) SUSE

Auch der Einsatz von künstlicher Intelligenz ist als Ergänzung zu und nicht als Ersatz von Fachkräften zu verstehen. Hingegen ist eine Kombination von menschlicher und künstlicher Intelligenz durchaus sinnvoll, um die Produktivität zu maximieren.

Im Human Resource-Bereich kann der Einsatz von künstlicher Intelligenz etwa bei Einstellungs- und Besetzungsplänen hilfreich sein. Auf diese Art können etwa kontextbezogene Daten und Technologien ausgeschöpft werden, um Probleme wie hohe Fluktuationsraten zu bewältigen, Mitarbeiter besser zu verstehen und den vorhandenen Pool an Talenten effektiver zu nutzen. Ferner kann Machine Learning (ML) bereits bei der Vorauswahl der Kandidaten eingesetzt werden und so die Time-to-hire verkürzt werden.

Prognostizierte Entwicklung in den nächsten drei Jahren. 81,9 Prozent der
Betriebe erwarten eine Verschärfung der Situation. (c) WKO / Statistik Austria

WKO: Wie Sie dem Fachkräftemangel in Ihrem Betrieb entgegentreten

1.Qualifizierung:
Ein Schlüsselfaktor in der Fachkräftesicherung liegt in der Aus- und Weiterbildung im Rahmen der betrieblichen Personalentwicklung.

2. Personal suchen & sichern:
Personalsuche auf weitere Zielgruppen oder Regionen ausdehnen. Das AMS bietet viele hilfreiche Unterstützungsangebote für Ihre Personalsuche an.

  • Überregionale Rekrutierung
  • Unterstützungsangebot des AMS nutzen
  • Ältere als Fachkräftepotenzial: Die Erfahrung von älteren Fachkräften nutzen, denn wie es so schön heißt sind Jüngere zwar schneller, Ältere aber kennen die Abkürzung.
  • Eingliederung von Menschen mit Behinderung: Fachkräfte mit Behinderung machen Ihre Belegschaft vielfältiger und verbessern die soziale Kompetenz im gesamten Unternehmen.
  • Mitarbeiterbindung: Überlegungen anstellen, wie man als attraktiver Arbeitgeber Fachkräfte längerfristig an sein Unternehmen binden kann.

3.Vereinbarkeit von Beruf & Familie:
Insbesondere jüngere Beschäftigte wollen ihr Familien- und Berufsleben besser in Einklang bringen.

  • Flexible Arbeitszeigestaltung
  • Gute Vorbereitung auf Elternkarenz
  • Erfolgreicher Wiedereinstieg nach Elternkarenz
  • Unterstützung bei der Kinderbetreuung

4. Zuwanderungspotenziale nutzen:
Zuwanderung bietet Unternehmen zahlreiche Möglichkeiten und Chancen, die Sie nutzen sollten.

5. Gesundheit & Arbeitsfähigkeit erhalten:
Wichtig ist, die Fachkräfte im Arbeitsleben gesund halten oder nach längerer Krankheit wieder in den Betrieb eingliedern (Rehabilitation und Reintegration) zu können.

Quelle: WKO / www.wko.at/service/unternehmensfuehrung-finanzierung-foerderungen/fachkraeftesicherung.html


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