Veredler der Unternehmens-DNA

Jörg Reinold, CIDO der Wienerberger Gruppe, führt den größten Ziegelproduzenten der Welt mit Hauptsitz in Wien durch dessen dritte große Transformation. Sein Ziel ist nichts Geringeres, als die Wienerberger Gruppe auch beim Thema Digitalisierung an die Weltspitze zu bringen. [...]

Jörg Reinold, CIDO der Wienerberger Gruppe. (c) Wolfgang Franz
Jörg Reinold, CIDO der Wienerberger Gruppe. (c) Wolfgang Franz

Die Digitalisierung ist nicht der erste große Wandel in der 200-jährigen Unternehmensgeschichte. Dass Transformationen Teil der Wienerberger-DNA sind, zeigen folgende Beispiele deutlich: Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert und die Internationalisierung ab den 1980er-Jahren.

Mitte des 19. Jahrhunderts produzierte das Unternehmen 30 Millionen Mauerziegel, 50 Jahre später – nach Einführung der maschinellen Erzeugung, bei der Wienerberger eine Vorreiterrolle spielte – betrug der Jahresausstoß bereits 225 Millionen.

Ein weiteres Beispiel einer großen Transformation fand ab den 1980er-Jahren mit der Internationalisierung durch Akquisitionen statt. Die zentrale Herausforderung der Globalisierung bestand in der Abstimmung mit den Grundsätzen des Unternehmens, wie Dezentralisierung, der Förderung des Unternehmertums in den einzelnen operativen Gesellschaften („Unternehmer im Unternehmen“) und der multikulturellen Ausrichtung („Lokales Management für lokale Märkte“). Dass Wienerberger beide Wandel erfolgreich absolvieren konnte, zeigt die aktuelle Marktposition: Heute ist die Wienerberger AG mit 198 Werken in 30 Ländern der größte Ziegelproduzent der Welt und gehört auch in den anderen Bereichen wie Tondachziegel, Betonsteinen und Rohrsystemen zu den führenden Konzernen.

Die Wienerberger Gruppe verfolgt das Thema der digitalen Transformation unter der Leitung des Chief Information & Digital Officer (CIDO) Jörg Reinold vor allem aus zwei Motiven. Das eine betrifft die Erkenntnis, dass die Digitalisierung eine absolute Notwendigkeit ist, um die Position des Weltmarktführers zu festigen. Das andere Motiv ist ein leidenschaftliches und visionäres: Wienerberger möchte auch bei der Digitalisierung zu den Weltbesten gehören. Damit hilft diese auch beim nachhaltig wertschaffenden Wachstum, was die Mission der Wienerberger Gruppe ist.

Der Transformationsexperte

Für Jörg Reinold, der in seiner Karriere schon zahlreiche Transformationen begleitet hat – etwa Unternehmen in der Finanzbranche oder im Handel – steht die Frage nach dem Warum an oberster Stelle jeden Wandels. „Als man in der Automobilbranche begonnen hat, über die Transformation zum Mobilitätsdienstleister zu diskutieren, wurde die Frage nach dem Warum meist ausgespart. Heute ist die Motivation dahinter jedem klar“, sagt Jörg Reinold im Gespräch mit der COMPUTERWELT. „Wir als Wienerberger wollen als Businesspartner für das gesamte Gebäude oder auch die Infrastruktur stehen und nicht nur als Lieferant von einzelnen Materialien. Um diesen Anspruch zu erfüllen, müssen wir die Wünsche und Anforderungen der Kunden sehr genau kennen, was wir unter anderem mit der direkten Kundenkommunikation über digitale Kanäle ermöglichen.“ Ein weiteres Ziel der Transformation betrifft das sich verändernde Klima: „Wir leben in einer Welt, in der extreme Wettersituationen eintreten und wir folglich intelligentere Systeme für Infrastrukturlösungen entwickeln müssen. Und natürlich betrifft die digitale Transformation auch die Art und Weise, wie wir bauen. Es gibt immer weniger Fachkräfte, die im klassischen Baugewerbe arbeiten wollen. Wir brauchen daher die neuen Technologien, um die Produktivität zu steigern und um neue Arbeitsumfelder zu schaffen.“

Open BIM

Der gebürtige Sachse, der in der Schule den analytischen Geist der Naturwissenschaften genossen hat sowie auf der Universität in Deutschland und den USA seinen Fokus auf Wirtschaft und internationales Management gelegt hat, sieht die globale Standardisierung als wichtigste Voraussetzung, um die formulierten Ziele zu erreichen. „In der Vergangenheit war die Wienerberger Gruppe sehr dezentral aufgestellt. Jede Organisation lebte quasi nach ihrem eigenen Rhythmus. Durch die stärkere Vernetzung der Units und das Zusammenwachsen von Regionen wurden die Unterschiede zwischen den einzelnen Organisationseinheiten transparent – Unterschiede, die von den Daten, Normen, Prozessen bis hin zur Preisgestaltung reichen.“ Um diese Herausforderungen zu meistern, verfolgt Reinold einen mehrstufigen Plan: „Zunächst standardisieren und harmonisieren wir die konzernweiten Daten, damit Gleiches Gleichem gegenübergestellt werden kann. Darauf aufbauend schaffen wir eine integrative Plattform, die aus einheitlichen Systemen und Lösungen besteht – unabhängig davon, ob diese für interne Arbeitsabläufe oder für die Interaktion mit den Kunden eingesetzt werden.“

Die Vorteile dieser Strategie liegen klar auf der Hand: „Wir können damit einerseits viel effizienter unser Business analysieren und steuern. Wir sind andererseits in der Lage, externe Partner viel einfacher einzubinden, weil wir sie nur in eine Plattform integrieren müssen und nicht in jedes lokale System. Und schließlich stehen uns damit zahlreiche Kanäle für die Kundenkommunikation zur Verfügung.“ Zudem können laut dem Wienerberger-CIDO Innovationen viel schneller verankert werden, weil nicht in den 30 Ländern der Wienerberger Gruppe unterschiedliche Adaptionen vorgenommen werden müssen.

Ein wesentliches Element der Digitalisierungsstrategie ist „Building Information Modeling“ (BIM). „BIM ist ein intelligentes digitales Gebäudemodell, das es allen Projektbeteiligten – vom Architekten und Bauherrn über den Haustechniker bis hin zum Facility Manager – ermöglicht, gemeinsam an diesem integralen Modell zu arbeiten und dieses zu realisieren. Damit erfüllen wir unter anderem den Anspruch, unseren Kunden als Business-Partner von der Planung bis zur Nutzung eines Gebäudes hilfreich zur Seite zu stehen.“

Wienerberger hat dafür einen grenzenüberschreitenden Ansatz gewählt: Beim sogenannten „Open BIM“-Prozess geht es um eine offene Strategie, bei der im Gegensatz zu „Closed BIM“ die Wahl des Bearbeitungswerkzeugs frei ist, sich die Planungs- und Umsetzungspartner aber auf einer Planungsplattform koordinieren und austauschen können. „Mit Open BIM schaffen wir nicht nur ein konzernweites Fundament, auf dem auch unsere externen Partner bauen können, sondern etablieren zudem allgemein gültige Standards, was darin resultiert, dass wir die Entwicklung der gesamten Branche vorantreiben und damit unserer Rolle als Innovations- und Technologieführer gerecht werden.“

Das Unternehmen verfolgt bei seiner Digitalisierungsstrategie, die unter dem Motto „Make it possible“ läuft, außerdem eine Reihe von Teilprojekten. So hat etwa Pipelife als Teil der Wienerberger Gruppe ein smartes Versickerungssystem entwickelt, das dem voranschreitenden Klimawandel und den zunehmenden Regenfällen Rechnung trägt. Ein zweites Beispiel betrifft die digitale Gartenplanung. Mit der GardenVisions App des Familienmitglieds und Betonpflaster-Spezialisten Semmelrock haben Kunden ein innovatives Planungstool an der Hand. Sie können damit jederzeit in wenigen Schritten den Außenbereich visualisieren – von Auffahrten und Wegen bis zu Terrassen und Gartenanlagen.

Begleitende Maßnahmen

Damit die digitale Transformation bei der Wienerberger Gruppe zum Erfolg wird, hat Jörg Reinold ein großes Spektrum an begleitenden Maßnahmen etabliert. „Es braucht vor allem eine gemeinsame Sprache innerhalb des Unternehmens und in der Interaktion mit unseren Partnern und Kunden. Aus diesem Grund haben wir begonnen, zentrale Begriffe auf Basis unserer speziellen Anforderungen zu definieren und damit für jeden verständlich und ‚be-greif-bar‘ zu machen.“ Eine weitere Maßnahme betrifft jeden einzelnen Arbeitsplatz: „Indem wir uns die Besonderheiten, die Arbeitsabläufe und auch die Wünsche, die mit den jeweiligen Funktionen verbunden sind, genau ansehen, nehmen wir die Mitarbeiterperspektive ein und binden zudem unsere Kollegen in die Diskussion und den Digitalisierungsprozess mit ein.“

Neben der Integration individueller Anforderungen hat Reinold eine offene Plattform namens „Digital Perspectives“ gegründet, die dem Gedankenaustausch und der Diskussion aus unterschiedlichen Blickwinkeln dient. Das „Digital Immersion Program“ als weiteres Beispiel ist eine interne Veranstaltungsreihe, die durch die Corporate IT etabliert wurde und bis zu 15 Talente der Wienerberger Gruppe aus unterschiedlichen Abteilungen und mit verschiedenen Funktionen an einem Tisch vereint.

Alle sind gefordert

Jörg Reinold sieht die digitale Transformation als eine Art Reise oder Wanderung, für die es ein klar definiertes Ziel braucht, dazu die richtigen Werkzeuge im Rucksack und strategische Partner, die für die Initialzündung sorgen – die Veränderung selbst muss jedoch aus dem Unternehmen vorangetrieben werden. Dazu seien Pioniere notwendig, die den Weg erkunden, und andere, die sich um Stabilität und Nachhaltigkeit kümmern sowie die Fähigkeit mitbringen, Mitarbeiter und Kunden mit auf den Weg zu nehmen. Am Ende des Tages sei jeder einzelne für die Transformation verantwortlich – wobei wieder die Frage nach dem Warum oberste Priorität hat: „Entscheidend für das Verständnis der Digitalisierung ist, dass die vernetzten Systeme, digitalen Prozesse und Werkzeuge der IKT-Welt, die vor der Transformation rein unterstützenden Charakter hatten, im Zuge der Digitalisierung grundlegend die Art und Weise ändern, wie wir miteinander kommunizieren, wie wir Innovationen vorantreiben und – als wichtigstes Ziel der Digitalisierung – Geschäfte abwickeln“, so Jörg Reinold abschließend.


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