Verteilte Unternehmen und Dienste

Jahresende ist Prognosenzeit. Die COMPUTERWELT hat sich bei IT-Spezialisten und Marktforschern umgesehen und die wichtigsten Voraussagen zusammengefasst. Die Schatten der Pandemie sind auch hier unübersehbar. [...]

(c) Unsplash
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Die Marktforscher von Gartner haben gleich zwölf Trends ausgemacht, die unbedingt auf der CIO-Agenda stehen sollten. Zu den wichtigsten Aufgaben gehört die Schaffung einer skalierbaren, belastbaren technischen Grundage, die Wachstum und Innovation ermöglicht. 

Als Beispiel nennt Gartner »Composable Applications«. Angesichts eines sich ständig verändernden Geschäftsumfeldes, das eine hohe Flexibilität der Unternehmen fordert, braucht es auch eine Architektur, die diese Anpassungsfähigkeit technisch abbilden kann. Mit dem Composable-Applications-Ansatz sollen Unternehmen laut Gartner neue Features um 80 Prozent schneller einführen können als der Mitbewerb. 

Selbstoptimierende Systeme

Ein weitere Säule der IT der Zukunft sind Systeme, die sich quasi selbst optimieren und weiterentwickeln. Das soll nicht zu letzt dabei helfen, den herrschenden IT-Fachkräftemangel abzufedern. Zu dieser Kategorie gehören autonome Systeme, die als selbstverwaltende physische oder als Softwaresysteme von ihrer Umgebung lernen. Sie können ihre eigenen Algorithmen dynamisch und ohne externe Softwareaktualisierung ändern, so dass sie sich schnell an neue Gegebenheiten vor Ort anpassen – Darwin lässt grüßen.

Laut Gartner hat sich autonomes Verhalten bereits in komplexen Sicherheitsumgebungen bewährt. Künftig dürfte es auch in physischen Systemen wie Robotern, Drohnen, Fertigungsmaschinen und intelligenten Räumen eingesetzt werden.

Einen weiteren Bereich in Sachen Selbstverwaltung sieht das Marktforschungsunternehmen in der sogenannten Generative Artificial Intelligence. Dahinter verbirgt sich eine KI, die keine von Menschen kontrollierte Trainingsphase durchmacht, sondern gleich in medias res geht. Das bedeutet, dass das System in Form von maschinellen Lernmethoden aus den vorhandenen Daten selbstständig lernt. 

Die Anwendungsmöglichkeiten für Generative AI sind nahezu ungegrenzt: Gartner erwähnt die Erstellung von Softwarecode, die Arzneimittelentwicklung oder gezieltes Marketing. Man geht davon aus, dass bis 2025 zehn Prozent aller erzeugten Daten auf Generative AI entfallen werden. 

Nicht unerwähnt lassen sollte man das negative Potenzial: Mit Generative AI entsteht eine Spielwiese für Betrug, politische Desinformation, gefälschte Identitäten und vieles mehr.

„Vor zwei Jahren hat noch niemand daran gedacht, dass man Kleider in einer digitalen Umkleidekabine ausprobieren würde.“

Gartner-Prognose

Distributed Enterprise

Es überrascht nicht, dass die Coronakrise ihre Spuren auch bei den aktuellen Technikentwicklungen hinterlassen hat. Am deutlichsten sichtbar wird das beim Trend »Distributed Enterprise«. Mit der Zunahme von remoten und hybriden Arbeitsmustern entwickeln sich die klassischen bürozentrierten Organisationen hin zu verteilten Unternehmen, deren Mitarbeitern an unterschiedlichen Orten agieren. Für CIOs bedeutet dies, dass sie umfangreiche technische und Service-Änderungen durchführen müssen, um eine optimale Arbeitserfahrung zu ermöglichen. 

Diese Entwicklung hat laut Gartner auch auf anderer Seite Konsequenzen: Sie verändert Geschäftsmodelle. So müsse jedes Unternehmen – vom Einzelhandel bis zum Bildungswesen – sein Bereitstellungsmodell umgestalten, um verteilte Dienste liefern und nutzen zu können. Als Beispiel dafür nennt Gartner etwa, dass vor zwei Jahren noch niemand gedacht hat, dass man Kleider in einer digitalen Umkleidekabine anprobieren würde.

Das Marktforschungsinstitut geht davon aus, dass bis 2023 drei Viertel der Unternehmen, die die Vorteile verteilter Unternehmensdienste nutzen, ein um 25 Prozent schnelleres Umsatzwachstum als ihre Wettbewerber erzielen werden.

Zukunft der Arbeit

Auch IDC hat sich dem Thema »Future of Work« angenommen und vor kurzem zehn Prognosen veröffentlicht. IDC definiert die Zukunft der Arbeit als einen grundlegenden Wandel des Arbeitsmodells – ein Modell, das die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine fördert, neue Fähigkeiten und Arbeitserfahrungen ermöglicht und eine intelligente und dynamische Umgebung unterstützt, die nicht durch Zeit oder Raum begrenzt ist.

  • Bis 2024 werden 80 Prozent der Forbes Global 2000 Unternehmen (G2000) KI/ML-fähige »digitale Manager« einsetzen, um Mitarbeiter einzustellen, zu entlassen und zu schulen, wobei nur eines von fünf Unternehmen ohne menschliches Zutun einen Mehrwert erzielen wird.
  • Bis 2023 werden 60 Prozent der G2000-Unternehmen KI- und ML-fähige Plattformen einsetzen, um den gesamten Lebenszyklus eines Mitarbeiters von der Einstellung bis zur Pensionierung zu unterstützen.
  • 40 Prozent der G2000-Unternehmen werden bis 2026 eine 25-prozentige Verbesserung bei der Informationsnutzung feststellen, und zwar mit Hilfe von Investitionen in intelligente Wissensnetze, die strukturierte/unstrukturierte Daten in auffindbares und verwertbares Wissen umwandeln. 
  • Bis 2024 werden 70 Prozent der Unternehmen umfassend in Daten, Tools und Benchmarking in Sachen Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion investiert haben.
  • Bis 2025 werden 90 Prozent der Bau- und Renovierungsprojekte intelligente Gebäudetechnologien einsetzen, die flexible Arbeitsplätze unterstützen und die Erfahrungen der Nutzer und die Betriebsleistung nachhaltig verbessern.
  • Global-2000-Firmen werden bis 2024 intelligente digitale Arbeitsräume mit erweiterten visuellen Technologien (Hardware/Software) in regelmäßig angesetzten Meetings nutzen, um leistungsstarke, verteilte globale Teams zu ermöglichen.

Hyperscaler als »Supermärkte«

Neben der Änderung der Arbeitswelt hat die Pandemie für einen Boost rund um das Thema Cloud Computing gesorgt. Mit Blick auf 2022 hat David Friend, CEO des Hot-Cloud-Speicheranbieter Wasabi, einige Branchenentwicklungen identifiziert. 

Friend sieht die Hyperscaler wie Amazon, Microsoft und Google als die »Supermärkte« des Cloud-Marktes – mit allen Vor-, aber auch Nachteilen, wie etwa versteckte Gebühren. Das würde Raum für kleinere Anbieter schaffen, um ihren Anteil innerhalb der Branche zu stärken. Sie zeichnen sich durch die Bereitstellung spezifischer Cloud-Dienste wie Speicher, Content Delivery, Spieleplattformen oder allgemeiner Rechenressourcen aus und stellen sich dem Wettbewerb mit stetiger Innovation, so Friends Prognose. 

Friend geht zudem davon aus, dass die Digitalisierung im Gesundheitssektor 2022 flächendeckend voranschreiten wird. Schon heute wechseln selbst die größten Krankenhäuser, die vorher viel in ihre eigenen proprietären Systeme investiert haben, in die Cloud. Cloud-basierte Systeme erleichtern den Ärzten die Kommunikation mit den Patienten, sie können leichter von einem Krankenhausstandort zum anderen wechseln und haben dennoch den gleichen Zugang zu Akten, medizinischen Bildern und Prozessen – also verteilte E-Health-Dienste.

Was in der Studie nicht erwähnt wird: Die Starrheit der heimischen Verwaltungsapparate im Gesundheitsbereich, die Innovationen erschwert und teils unmöglich macht.  

Ein weiterer Trend: Die Befürchtung, dass die Cloud nicht so sicher ist wie lokale oder private Infrastrukturen soll allmählich verschwinden. Im Jahr 2022 werden immer mehr Unternehmen zusätzliche Speicherfunktionen nutzen, um die Auswirkungen von Ransomware-Angriffen abzuschwächen. David Friend: »Die Unveränderbarkeit auf Objektebene bietet entscheidende Vorteile für den Schutz der Daten. Unveränderliche Buckets in Cloud-Speichern können von niemandem – nicht einmal von einem Systemadministrator – gelöscht, manipuliert oder verändert werden. Damit bieten sie einen hervorragenden Schutz vor Ransomware-Hackern, die versuchen, Backups zu zerstören. Die Hacker wollen nicht, dass jemand in der Lage ist, Backups wiederherzustellen und die Zahlung des Lösegelds zu vermeiden.«

Mehr von allem

Ransomware hat sich rasant weiterentwickelt und wird auch 2022 für einen Großteil aller Cyberattacken verantwortlich zeichnen, so die aktuelle Prognose des Security-Spezialisten Ivanti. Es ist zu erwarten, dass Erpresser dabei ihre Taktiken verändern, ihr Angriffsarsenal erweitern und sich mehr auf ungepatchte Schwachstellen im Unternehmen konzentrieren werden. In Hinblick darauf, dass Unternehmen ihr Daten-Backup-Management massiv verbessert haben, werden Bedrohungsakteure zunehmend auf den Einsatz von Ransomware-Tools verzichten. Stattdessen verlegen sie sich direkt auf den Diebstahl von Daten und die nachfolgende Erpressung von Unternehmen.

Für das Jahr 2022 ist darüber hinaus mit deutlich raffinierteren Phishing-Aktivitäten zu rechnen. Bedrohungsakteure werden beispielsweise vermehrt Marketingfirmen ins Visier nehmen und sich auf Schwachstellen in Tools konzentrieren, die E-Mail-Vermarkter nutzen. 

Fazit: Die Pandemie hat die Digitalisierung deutlich beschleunigt und die Trends der kommenden Monate und Jahre signifikant beeinflusst. Gleichzeitig steigt das Risikopotenzial – kurz: Es gibt 2022 mehr von allem.


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