Der heimische Hersteller von Kran- und Hebelösungen Palfinger setzt bei seiner neuen Produktgeneration auf smarte Assistenzsysteme und Zeitersparnis – und das beginnt schon bei der Entwicklung. [...]
Einst weitgehend mechanische Produkte werden immer komplexer – vom Auto über E-Roller bis hin zu Waschmaschinen. Das liegt vor allem am steigenden Software-Anteil, mit dem die Produkte immer smarter werden und neue Funktionen erhalten. Für viele Unternehmen ergeben sich daraus neue Wachstums- und Absatzmöglichkeiten. Wichtig ist dabei, möglichst schnell und dennoch akribisch zu arbeiten. Schließlich gilt es sich von Wettbewerbern abzusetzen und gleichzeitig fehlerhafte Produkte und Prozesse zu vermeiden. Da bereits bei Komponenten wie einem Airbag Tausende Varianten zu berücksichtigen sind, die zudem auf weitere Bauteile und Systeme im Auto sowie auf das jeweilige Modell abgestimmt werden müssen, ist es mit herkömmlichen Methoden oft nicht mehr möglich, alle Aspekte über ganze Produktlinien hinweg zu managen. Komplette neue Modellreihen zu entwickeln, ist sogar noch schwieriger. Dass es dennoch möglich ist, hat das österreichische Unternehmen Palfinger, globaler Marktführer für Kran- und Hebelösungen, bewiesen.
Die neue TEC-Baureihe gilt als Traum eines jeden Kranfahrers, bietet sie mehr Komfort- und Assistenzsysteme als je zuvor. Größtenteils automatisierte Nivellierung und Steuerung der Auf- und Abladeprozesse werden durch intelligente Steuerungssysteme und einem massiv gestiegenen Software-Anteil möglich – eine Herausforderung, die nahezu jedes produzierende Unternehmen kennt und vor allem die Entwicklung variantenreicher Produkte betrifft.
Wie die meisten Produkte verfügen auch ehemals vorwiegend mechanische Kran- und Hebelösungen mittlerweile über einen hohen Software-Anteil, um etwa Abläufe automatisieren zu können. So sind die Ladekrane von Palfinger mittlerweile mit komplexen Steuergeräten ausgestattet, die je nach Modell hunderte oder gar tausende Parameter verarbeiten müssen. Daraus ergibt sich eine Vielzahl an Konfigurationsmöglichkeiten, die mit herkömmlichen Mitteln und Systemen kaum mehr beherrschbar sind. Um die Arbeit in allen Aspekten zu erleichtern, verfügen die Kranmodelle der neuen TEC-Baureihe zusätzlich über die innovative Kranspitzensteuerung Smart Control sowie die Kranpositionsspeicherung Memory Position, die bis zu vier Kranpositionen speichern kann und auch wieder exakt anfährt.
Herkömmliche Methoden nicht ausreichend
Den Verantwortlichen des Unternehmens war frühzeitig klar, dass es mit den ursprünglichen Prozessen, Methoden und eingesetzten Tools dauerhaft nicht weitergehen konnte. Nach einer Methodenanalyse und Harmonisierung über alle beteiligten Produktlinien hinweg, machte man sich vor zwei Jahren auch auf die Suche nach einer Lösung, mit der sich sämtliche Steuergeräte-Parameter aller Hebelösungen dauerhaft verwalten lassen sollten. Dabei stieß man auf die :em engineering methods AG aus Darmstadt, einen Spezialisten für innovative und ganzheitliche Beratungsdienstleistungen und verlässlicher Partner rund um das Thema digitale Transformation.
„Die größte Herausforderung bestand in diesem Fall in der enormen Variabilität der Parametrierungen der Krane, die es zu managen galt“, erinnert sich Christian Zingel, der damals noch bei :em engineering methods AG als Leiter des MBSE-Beraterteams arbeitete, im Zuge des Projekts dann aber zu Palfinger wechselte.
Hier leitet Zingel mittlerweile das Competence Cluster „Systems Engineering“. Gemeinsam mit seinem neuen Team und seinen ehemaligen Kollegen von :em engineering methods AG verglich Zingel zunächst die auf dem Markt verfügbaren IT-Tools, die für das Parameter-Management der neuesten Krane-Generationen potenziell infrage kamen. „Das Ziel war, die Tool-Anforderungen, die Informationsflüsse und die notwendige Systemschnittstellen für das Parametermanagement zu identifizieren und zu konsolidieren und damit ein Fundament für eine Tool-Auswahl vorzubereiten, diese zu begleiten und anschließend für den Regelbetrieb zu realisieren“, erklärt Marcus Schablack, Principal Berater bei der :em engineering methods AG im Bereich PLM-Methoden und -Tools.
„Unsere Aufgabe ist es, Unternehmen dabei zu unterstützen, ihre Prozesse zu verstehen, transparent zu gestalten und in der Unternehmens-IT optimal abzubilden“, so Schablack. Um die digitale Durchgängigkeit zu gewährleisten, sei es generell wichtig, durchgängige Informations- und Datenflüsse sicherzustellen und damit Silodenken aufzubrechen und Knowhow/Wissen unternehmensweit in der notwendigen Qualität zu teilen.
Verkürzte Entwicklungszyklen und höhere Produktqualität
Letztlich entschied man sich für eine Software-Lösung des Magdeburger Unternehmens pure-systems. „Die Entscheidung für pure::variants wurde gefällt, da alle Anforderungen erfüllt wurden und das System in kurzer Zeit implementiert werden konnte“, erinnert sich Marcus Schablacks Kollege Harishchandra Nese, PLM-Berater bei :em engineering methods.
„Die Flexibilität, Skalierbarkeit und benutzerfreundliche Oberfläche waren entscheidende Faktoren für die Auswahl.“ Die potenziellen Schnittstellen der pure::variants-Lösung hätten in diesem Fall nur mit Blick auf die Zukunft eine Rolle gespielt, da man so bei Bedarf flexibel reagieren könne. Die Implementierung der Software-Lösung ermögliche schnellere Software-Updates und prinzipiell eine effizientere und effektivere Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Abteilungen. „Die wichtigsten Faktoren waren in diesem Fall allerdings die verkürzten Entwicklungszyklen und die gesteigerte Produktqualität“, so Nese. Nur zwei Jahre nach dem Projektstart sind die ersten Ladekrane mit der neusten Steuergeräte-Generation bereits auf dem Markt. Möglich wurde dies durch eine sehr konstruktive Zusammenarbeit der :em AG mit allen Experten aus den Produktlinien Crane sowie den Kollegen aus dem Service. Und auch Dank der Software-Lösung, mit der sich sämtliche Varianten ganzer Produktlinien managen lassen, werden sämtliche Parameter der neuen Steuergerätegeneration PALTRONIC 180 nun zuverlässig und sicher verwaltet.
Weitere Produktlinien werden folgen, die Entwicklung der Erweiterung für Timber & Recycling-Krane wurde bereits gestartet. Bemerkenswert ist, dass die »heiße Phase« erst vor einem halben Jahr begonnen hat. Trotz des enormen Umfangs der Aufgaben wurden keine Details vernachlässigt, wie auch der TÜV Süd bestätigt. Neun Modelle von 25 bis 100 Metertonnen sind nun seit Jahresbeginn erhältlich.
Letztlich musste jeder einzelne Kran auf seine individuelle Konfiguration hin parametriert und kalibriert werden. Da aufgrund der Konfigurationsvielfalt jeder Kran eine eigene Parameterkombination und spezifische Einstellwerte erhält, sind die Daten hochvariabel. „Jedes Detail muss letztlich berücksichtigt und alle Daten fehlerfrei gemanagt werden, damit der einzelne Kran perfekt funktioniert“, sagt Christian Zingel. „Mit der neuen Software-Lösung können wir die enorme Varianz und große Breite verschiedener Konfigurationsmöglichkeiten jetzt effektiv managen“, so Zingel.
Vorbild für andere Hersteller komplexer Produkte
Die neue Produktgeneration mit ihren innovativen Software-Funktionen dürfte bei den Kunden von Palfinger gut ankommen, da sie ihre Krane nun noch effektiver nutzen und optimal auslasten können. Sie bieten ein deutliches Mehr an Präzision und eine leichtere Manövrierbarkeit, ein effizienterer Energieeinsatz und komfortablere Funktionen erleichtern zudem die Arbeit erheblich. Die neuen Prozesse und Methoden sowie die Auswahl and Tools können vielen anderen Unternehmen als Vorbild dienen, die ebenfalls Produkte mit einem hohen Software-Anteil anbieten. Und natürlich auch, wie sich ein Traditionsunternehmen, das vor über 90 Jahren gegründet wurde, innerhalb kürzester Zeit digital neu aufstellen lässt.
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