Was Daten-Profis können müssen

Big-Data-Experten sind begehrt, aber die Spezialisten sind rar – und Ausbildungsmöglichkeiten gibt es noch viel zu wenig. Wer aber in diesem jungen Feld früh Knowhow sammelt, kann sich am Markt profilieren. [...]

Big Data ist derzeit das am stärksten gehypte Thema der Branche. Die Möglichkeit, in Sekundenschnelle Informationen, etwa über das Kaufverhalten von Kunden, auszuwerten, lockt Unternehmen an. Im Big-Data-Zeitalter mit Informationen richtig  umzugehen, ist nicht allein Sache der Technik. Unternehmen müssen auch ihre Organisation auf die wachsenden Datenmengen einstellen. Dazu gehören eine ganze Reihe neuer Rollen, die im Team gut zusammenspielen müssen. Bis 2016 entstehen durch Big Data 4,4 Millionen neue Jobs allein in der IT, sagen die Marktforschungsexperten von Gartner. Die Nachfrage nach Spezialisten, die mit den riesigen Datenmengen umgehen können, steigt. „Das ist schon ein Trend in der Branche“, sagt Professor Andreas Polze vom Hasso-Plattner-Institut (HPI) an der Uni Potsdam. Grundsätzlich gebe es für das Berufsbild des Big-Data-Experten zwei Ansätze: zum Beispiel den Wirtschaftsinformatiker, der Informationen auswertet. „Dabei spielt Realtime Analytics eine sehr große Rolle“, sagt Polze. „Alle großen Hersteller wie IBM, SAP und HP haben dazu natürlich schon Analysemöglichkeiten“, sagt er. „In Echtzeit Datenströme analysieren und dementsprechend auf die Nutzer reagieren zu können – das basiert auf großen Daten“, gibt Polze ein Beispiel von Wirtschafts-orientierten Big-Data-Anwendungen.

NUR WENIGE SPEZIALISTEN
Doch die Spezialisten sind rar und eine richtige Ausbildung mit Zertifikat gibt es für sie nicht. Vielmehr erwerben die Experten, zu denen auch Berufsbilder wie der Data Scientist, Data Analyst, Data Steward und der Information Broker gehören, ihre Qualifikation im Job selbst. Dementsprechend unterschiedlich qualifiziert sind die Spezialisten und so haben es Unternehmen mitunter schwer, die Erfahrungen zu vergleichen.

Eine vereinheitlichte Ausbildung wäre sinnvoll, aber an Universitäten kommt der Hype um Big Data nur langsam an – das Thema ist noch zu frisch, um sich in Lehrplänen wiederzufinden: „Im Bachelor kommt das bei uns noch nicht so wirklich durch“, meint Cindy Fähnrich, Masterstudentin am HPI. Aufbauend auf ihren Bachelor in IT-Systems Engineering studierte sie noch einen entsprechenden Master. „Insgesamt hat mich das Studium schon auf den Beruf des Big-Data-Experten vorbereitet“, meint sie – auch wenn sie ihn so konkret nicht einschlagen will. „Man bekommt mit, dass dieses Berufsbild groß im Kommen ist“, sagt Fähnrich. „Auch wenn das sicherlich ein bisschen überhypt ist.“

WAS MUSS DER SPEZIALIST TATSÄCHLICH KÖNNEN
Nicht die richtige Information zu haben, kostet viel Geld, Umsatz und verursacht auch noch Kosten. Prozesse können nur dann optimal ablaufen, wenn die Information stimmt. Die Anforderungen an den Datenschürfer sind sehr hoch. „Er muss auf jeden Fall die Basistechnologien verstehen, also Betriebssysteme und Datenbanksysteme“, sagt Polze vom HPI. Ohne programmieren zu können, gehe nichts. Fundierte Mathematikkenntnisse seien ebenfalls eine Voraussetzung, genauso wie die Fähigkeit zur Modellierung. „Und das alles muss dann auf ein höheres Abstraktionsniveau gehoben werden“, sagt Polze.

Neben den fachlichen Fähigkeiten muss ein Big-Data-Experte allerdings noch mehr mitbringen: wichtige Soft Skills etwa. Dafür können die Universitäten sorgen: „Wir lernen in Kursen, vernünftig zu kommunizieren und Soft Skills richtig einzusetzen“, erzählt Fähnrich. „Auch Präsentationstechniken werden vermittelt. Die Leute sollen verstehen, wie man sein Anliegen richtig vermittelt und wie man im Team gut zusammenarbeitet“, erzählt sie. Für Big-Data-Experten ist das unschätzbar wichtig, schließlich arbeiten sie mit vielen Abteilungen zusammen und sitzen häufig zwischen den Stühlen. Wenn sie nicht klar vermitteln können, was ihre eigentliche Aufgabe ist, haben sie schon verloren.

Dazu müssen sie das fachübergreifende Denken beherrschen. „Wir arbeiten an Projekten in interdisziplinären Teams. Da hilft es schon enorm, wenn man sich in andere Aufgaben hineindenken kann“, sagt Fähnrich. „Man muss gerade als Informatiker anderen gegenüber offen sein – auch wenn das manchen sicher schwerfällt“, glaubt sie. „Wir Informatiker arbeiten sehr lösungsorientiert, andere Berufe denken aber ganz anders. Damit umzugehen, das muss man erst mal lernen“, erzählt Fähnrich.

Eine Eigenschaft ist die für Big-Data-Experten unerlässlich: „Meiner Meinung nach sollte ein Big-Data-Experte die Struktur von Daten verstehen, und wie man diese aufbereitet“, sagt Polze. „Ohne Kenntnisse der unterliegenden Software-Architekturen ist das schlecht möglich.“

Daraus ergibt sich das zweite große Berufsbild des Big-Data-Experten, das bislang von Unternehmen noch weitestgehend ignoriert wurde: die Software-Architekten, die Systeme für Big Data bauen. „Es erfordert ein gehöriges Maß an IT-Engineering, um ein System erst einmal so weit zu bekommen, dass man darin auch Big Data vernünftig anwenden kann“, sagt Polze. Erst dann könne man sich wieder dem Business zuwenden.

EFFIZIENTER AUSWERTEN
Auch wenn es noch keine feste Ausbildung zum Big-Data-Experten geben kann – Grundlagen in Software-Architektur vermitteln Universitäten. „Ich habe zum Beispiel gelernt, wie man große Software-Systeme vernünftig baut“, sagt Fähnrich. Big-Data-Architektur ist ihr Spezialgebiet. „Ich bin spezialisiert darauf, große Datenmengen auszuwerten und darauf, wie man Verknüpfungen zwischen den Daten erstellen kann“, sagt Fähnrich. Im Master wertet sie Genom-Daten aus – ein Bereich, in dem Big Data eine wichtige Rolle spielt. „Da können schon mal ein Terrabyte an Daten anfallen“, sagt Fähnrich. 3,2 Milliarden Basenpaare sollen ausgewertet werden – und zwar endlich automatisch und nicht mehr teilweise händisch, wie früher. „In meiner Arbeit ist es essenziell, dass man die großen Datenmengen effizient auswerten kann“, sagt Fähnrich.

ENTSCHEIDENDER EFFIZIENZGEWINN
Polzes Institut befasst sich hauptsächlich mit System-Architektur. Schließlich sind für die Analyse von großen Datenmengen Geschwindigkeitssteigerungen von Berechnungen essenziell. Für große Firmen ist das ein interessanter Aspekt: Mit geschickter Architektur lässt sich zum Beispiel die Rechenleistung von mehreren tausend Computern im Parallel Processing verbessern. Das kann einen entscheidenden Effizienzgewinn mit sich bringen. Ein ebenfalls wichtiger Aspekt der Forschung im Big-Data-Bereich betrifft die Verwaltung großer Datenmengen. „Natürlich ist die Duplikatserkennung ein wichtiges Thema. Data Cleaning kommt bei uns an“, sagt Polze. Welches Unternehmen träumt nicht von entschlackten Datenbanken?

Trotz der Forschung im Software-Architektur-Bereich: „Das Berufsbild des Big-Data-Experten würde ich eher bei Anwendungen sehen“, meint Polze. „Also bei der Analyse von Geschäftsprozessen. Dort findet die wahre Revolution statt.“ Gerade in der Spiele-Industrie, wo online Multi-User-Spiele stattfänden, werde das Potenzial der Verarbeitung großer Datenmengen schon realisiert, meint Polze. Eine Evolution dagegen sei der Big-Data-Experte im Sinne der Software-Architektur – er verbessere die Systeme und könne große Strukturen errichten. Aber noch sei nicht alles in der Entwicklung abgeschlossen, mahnt er. „Was die Sicherheit von verteilten Systemen angeht, oder beim Betreuen vieler Systeminstanzen – da ist noch viel Forschung zu betreiben.

DER NÄCHSTE GROSSE SPRUNG

Die große Entwicklung stehe erst noch bevor, sagt der Professor voraus: „Genau wie beim Thema Cloud Computing hat auch Big Data als Businessthema gestartet. Endlich sind wir an dem Punkt, wo die Systeme so stabil sind, dass die ursprüngliche Vision der Businesswelt langsam wahr werden kann.“  Luft nach oben gibt es bei Big Data jedenfalls noch genug: Laut einer IBM-Umfrage unter 342 deutschen Personalvorständen aus 18 Branchen nutzen viele Unternehmen bisher kaum die Möglichkeiten von Big Data und Analytics in ihrer Personalarbeit. Ohne die Architekten der großen Systeme können die anderen Big-Data-Experten nicht vernünftig arbeiten. Es ist alles eine Frage des Handwerks.

* Bettina Dobe ist Redakteurin der deutschen CIO.


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