Was tun, gegen den Fachkräftemangel?

Die COMPUTERWELT hat mit 6 Experten über das Dauerthema IT-Fachkräftemangel diskutiert: Welche Maßnahmen die Wirtschaft und die Politik ergreifen sollten, um die damit verbunden Herausforderungen in den Griff zu bekommen. [...]

Die Teilnehmer des Roundtables (v.l.n.r): Wolfgang Franz (COMPUTERWELT), Andreas Falkensteiner (ACP doIT), Lukas Bernardi (UBIT Tirol), Swoboda (ETC), Manfred Luger (Business Upper Austria) und Christoph Windheuser (OutSystems). Über Videokonferenz: Dominic Neumann (UBIT Steiermark) (c) timeline/Rudi Handl
Die Teilnehmer des Roundtables (v.l.n.r): Wolfgang Franz (COMPUTERWELT), Andreas Falkensteiner (ACP doIT), Lukas Bernardi (UBIT Tirol), Swoboda (ETC), Manfred Luger (Business Upper Austria) und Christoph Windheuser (OutSystems). Über Videokonferenz: Dominic Neumann (UBIT Steiermark) (c) timeline/Rudi Handl

Das Industriewissenschaftliche Institut beziffert den Fachkräftemangel in der heimischen IT-Branche auf über 24.000 Personen. Dadurch entstehe ein Wertschöpfungsverlust von rund 3,8 Milliarden Euro pro Jahr, so eine aktuelle Studie. Im Vergleich dazu sollen in Deutschland laut Bitkom rund 96.000 IT-Fachkräfte fehlen. Das ist insofern bemerkenswert, als man bei der Gegenüberstellung Österreich-Deutschland üblicherweise den Faktor 10 bemüht. Das heißt, dass die Situation bei uns deutlich schlimmer ist als bei unserem Nachbarn. 

Der COMPUTERWELT Experten-Roundtable hat sich zusammengefunden, um die Ursachen für den eklatanten Mangel an qualifizierten IT-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern zu ergründen. Den Beginn der Diskussion, die Anfang März in den Räumlichkeiten von ETC über die Bühne ging, waren den Herausforderungen gewidmet, die durch den Fachkräftemangel verursacht werden. „Wenn wir mit Kunden reden, dann herrscht in der Regel ein sehr langer Backlog vor. Backlog ist einfach die Liste mit Aufgaben, die die Fachabteilungen als Applikation wünschen, die IT aber nicht kurzfristig und schnell abarbeiten können, weil die Ressourcen fehlen. Daher muss priorisiert werden“, sagt etwa Christoph Windheuser, Director Business Value Consulting Europe, Middle East und Afrika bei OutSystems, einem der Marktführer im Bereich Low-Code-Plattformen. Andreas Falkensteiner, Managing Director der ACP doIT GmbH, ergänzt: „Das führt nicht nur dazu, dass die Wirtschaftlichkeit leidet. Auch der Druck in den bestehenden Teams wird immer größer.“

Der COMPUTERWELT Roundtable fand bei ETC statt.  (c) timeline/Rudi Handl

Hausgemachte Probleme

Die Diskutanten sind sich einig, dass viele der Herausforderungen, die mit dem Fachkräftemangel einhergehen, hausgemacht sind. Der Obmann der Fachgruppe UBIT der WKO Steiermark, Dominic Neumann, weist darauf hin, dass man vor rund zwanzig Jahren die schnell steigende Nachfrage nach IT-Spezialisten einfach unterschätzt habe. „Es brauchte in den 2000er-Jahren keinen Blick in die Glaskugel, um zu wissen, dass in der 2010er-Jahren der Bedarf an Fachkräften viel größer sein würde. Man hätte erkennen können, dass das Internet nicht mehr verschwinden wird. Es ist gekommen, um zu bleiben. Seitens der Politik und auch seitens der Unternehmen – diese Kritik müssen wir auf uns nehmen – wurden viel zu wenige Fachkräfte ausgebildet. Man glaubte, dass sie von irgendwo herkommen werden. Dies war allerdings nicht der Fall.“ Laut Neumann müsse man bei den HTLs ansetzen, „denn – ich sage das immer wieder – wir brauchen nicht nur Häuptlinge, sondern auch Indianer, weil irgendjemand auch den Code schreiben muss. TU-Absolventen haben dafür kein Interesse. Wir haben in der Steiermark eine einzige HTL, wo am Recruiting-Tag deutlich mehr Firmen anwesend sind als Absolventen. Wir bräuchten also eine zweite HTL. Die Politik weiß, dass dies notwendig ist, passiert ist in den letzten zehn Jahren aber nichts.“

Wolfgang Franz von der Redaktion COMPUTERWELT hatte die
Ehre, eine hochkarätige Expertenrunde zu moderieren. (c) timline / Rudi Handl

Dominic Neumann spricht zudem die fehlende Qualifikation an: „Auf eine Lehrstelle, die ausgeschrieben wird, kommen in der Steiermark ungefähr 100 Bewerber. Von diesen 100 Bewerbern besitzen wahrscheinlich 80 keine ausreichenden mathematischen Fähigkeiten. Wir wissen, dass man ohne Mathematik in der Informatik nicht weit kommt. Wenn ich mir die Qualitätskurve seit 2006 ansehe, dann muss man sagen, dass wir in den 2000er-Jahren wesentlich höher qualifizierte Personen hatten als heute. Die Betriebe kümmern sich heute weniger, die Lehrlinge ebenso. Da lässt man enormes Potenzial liegen. Es gibt junge Menschen, die sich dafür interessieren würden, nach der Lehre eine akademische Bildung zu absolvieren – die duale Ausbildung ist eine ideale Lösung. Man schafft es aber nicht, diese auf dem Markt verfügbar zu machen.“

Michael Swoboda und Manfred Luger diskutieren die
Auswirkungen des IT-Fachkräftemangels. (c) timeline / Rudi Handl

Lukas Bernardi, IT-Unternehmer und beim Roundtable als Vertreter von UBIT Tirol anwesend, bringt fehlende Praktikumsplätze in die Diskussion ein. „Der ITler, der sich das Knowhow selbst beigebracht hat, hat genau diesen Nachteil: Dass er es sich selbst beigebracht hat. Das heißt: Er ist so gut, wie die Recherche, die er oder sie selbst betrieben hat. Er oder sie hatte nie einen Lehrer, einen Trainer oder einen Tutor. Das heißt, es fehlt ihm oder ihr noch Wissen. Diese haben oft das Problem bei Lehrabschlussprüfungen, dass die Theorie, auf die man sich vorbereiten kann, relativ leicht geht. Wenn es aber zum Thema Fachgespräch kommt, wo man über ein Thema sprechen muss, da merkt man relativ schnell, wie der IT-Background aussieht. Deshalb wären Praktikumsplätze, die in der IT relativ schwer zu finden sind, sehr wichtig, um entgegensteuern zu können.“

Ein weiteres Problem sei der in vielen Unternehmen übliche Ansatz, einfach Stellenanzeigen zu schalten – mit der Hoffnung, dass sich die richtigen Kandidaten darauf bewerben würden. „Wir beobachten jene Kunden, die mehr traditionell weiterhin ‚Post and Pray‘ fahren und davon ausgehen, entsprechende Ressourcen zu finden. Die Enttäuschung, die folgt, ist eine relativ hohe, weil zum Beispiel die Qualifikation, die Unternehmen auf dem Markt auch für ein höheres Gehalt bekommen, nicht dem entspricht, was sie in Wirklichkeit brauchen“, sagt Michael Swoboda, Gründer und Geschäftsführer von ETC Enterprise Training Center sowie Gastgeber des COMPUTERWELT Roundtables.

ukas Bernardi und Andreas Falkensteiner sind sich einig, dass
das Mindset in vielen Unternehmen modernisiert gehört.
(c) timeline / Rudi Handl

Gegenmaßnahmen

Breiten Raum findet das Thema Image-Verbesserung der IT-Branche insgesamt und des IT-Standorts Österreich. Michael Swoboda stellvertretend: „Immer wenn wir von der IT-Fachkraft in einem Nicht-IT-Umfeld sprechen, kommt sofort das Bild eines Menschen mit langen Haaren, bärtig, Turnschuhe, arbeitet im Keller und schraubt an irgendwelchen Kästen. Von diesem Bild sind wir schon weit entfernt. Wir haben einen enormen Nachholbedarf, um Digitalisierungs-Grund-Knowhow in der Bevölkerung zu verankern und den Menschen beizubringen, dass IT heute nicht mehr das ist, was jemand im Keller, in einem Rechenzentrum oder in den großen Firmen macht. IT beschäftigt jeden Menschen jeden Tag. Dort müssen wir ansetzen. Wir müssen das Image der IT ein wenig moderner machen. Wir müssen auch andere Zielgruppen ansprechen. Wir haben viel über HTLs und Universitäten gesprochen. Was ist mit jenen Menschen, die schon lange im Berufsalltag stehen? Die kann man genauso abholen oder ganz neue Zielgruppen – siehe Frauen in der IT. Sehr viele Frauen wehren sich gegen die IT, weil ihnen beigebracht worden ist, dass IT nichts für sei.“

Verbesserte Qualifizierung

Dominic Neumann spricht den hohen EPU-Anteil (Ein-Personen-Unternehmen) in der IT-Branche an. „Da sind auch sehr viele IT-Fachkräfte darunter, die eigentlich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Man möchte meinen, dass damit der Fachkräftemangel gelöst ist. Da kommt wieder zum Tragen, dass die IT ein freies Gewerbe ist. Jeder, der möchte, bekommt den IT-Gewerbeschein – auch dann, wenn keinerlei Qualifizierung vorhanden ist. Ein Maurer muss X mal qualifiziert werden, weil er etwas anrichten könnte. Der IT-Dienstleister, der einen Staudamm hacken könnte, jedoch nicht, er bekommt ohne die Überprüfung von Voraussetzungen die Gewerbeberechtigung. Und ich weiß: Es ist derzeit nicht opportun, über strengere Marktzugänge zu sprechen.“

Dominic Neumann (via Konferenzschaltung) und Christoph
Windheuser besprechen mögliche Gegenmaßnahmen.
(c) timeline / Rudi Handl 

Viele EPUs würden sich beklagen, dass sie keine Aufträge bekommen. „In diesem Fall muss man sagen: Dann verfügst Du über ein Wissen, das am Markt derzeit nicht benötigt wird. Es besteht ein sehr großes Potenzial an Leuten, die nicht ausreichend ausgebildet sind, die aber zumindest wollen. Vielleicht sollten wir uns überlegen, welche Möglichkeiten es gibt, damit sie sich am Markt besser einbringen können“, so Neumann.

Umqualifizierung

Manfred Luger weist darauf hin, wie wichtig es sei, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bereits im Unternehmen sind, weiter zu qualifizieren. „Viele sagen, dass sich das ab dem 45. oder 50. Lebensalter nicht mehr auszahlt, da der Ruhestand vor der Tür steht. Das stimmt aber nicht. Berufsbilder ändern sich, manche verschwinden. Wir haben demografische Herausforderungen, wir sind mit dem Fachkräftemangel in allen Branchen konfrontiert, nicht nur in der IT. Wir müssen daher die interne Belegschaft viel besser nutzen. Für Qualifikationen gibt es tolle Förderungen.“

Michael Swoboda, ETC:
„Es gibt neben einem HTL- oder Uniabschluss
die Welt der Praxiszertifizierungen, die nicht
außer Acht gelassen werden sollten. Damit
bringe ich theoretisches wie auch praktisches
Knowhow mit.“ (c) timeline/Rudi Handl

Michael Swoboda ergänzt: „Allein in Wien werden 6.000 Fachkräfte gesucht, gleichzeitig sind 3.000 IT-Fachkräfte arbeitslos gemeldet. Wie passt das zusammen? Man muss herausfinden, was bereits vorhanden ist, und in welche Richtung man eine Person entwickeln kann. Wir haben ein Pilotprojekt gestartet, an dem die Wirtschaftskammer Wien und das AMS Wien beteiligt sind mit dem Ziel, ein IT-Skills-Screening durchzuführen. Das heißt: Wir geben Menschen in einem mehrstufigen Programm die Chance, sich selbst einzuschätzen, ihr Wissen zu überprüfen und schließlich mit einem Sunburst-Diagramm herauszufinden, wo die Talente liegen. Da fallen viele heraus, aber 1.000 bleiben übrig. 1.000 wirkliche Fachkräfte in die IT-Welt zu integrieren, würde wirtschaftlich einen großen Unterschied ausmachen.“ Um den Aspekt des ständigen Weiterentwickelns voranzutreiben, hat ETC das Work-Life-Thema durch die „Work-Life-Learn-Balance“ ergänzt. „Wissen weiterzuentwickeln, ist wichtiger und relevanter geworden als das Gehalt. Eine faire Bezahlung zu bekommen, sollte heute nicht das große Thema sein. Es geht eher darum: Wie entwickle ich mich in meinem Arbeitsumfeld weiter? Sobald ich einen Mitarbeiter gefunden habe und halten will – vollkommen egal, ob das der IT-Superhero ist oder eine IT-Fachkraft auf einem anderen Level – dann muss ich ihm oder ihr eine entsprechende Work-Life-Learn-Balance bieten. Dann werde ich zum ‚Employer of Choice'“, so Michael Swoboda.

Zentralisierung des Themas

Andreas Falkensteiner, ACP doIT:
„Auf Unternehmensseite muss
Aufklärungsarbeit geleistet und das historisch
verankerte Denken
aufgeweicht werden. Heute braucht
es breitgefächerte Ansätze. (c) timeline / Rudi Handl

Angesichts der Herausforderung, dass das Thema Fachkräftemangel für die ACP-Gruppe ein sehr relevantes ist, da laufend zahlreiche technische Positionen zu besetzen sind, wurde die ACP doIT GmbH vor rund einem Jahr mit der Motivation gegründet, das Potenzial durch Zentralisierung dieses Themas auszuschöpfen. Beispiel Ausbildung: „Wir haben in der ACP-Gruppe derzeit 45 Lehrlinge in Österreich, verteilt auf vier Lehrjahre. Zwei Drittel davon sind in der Technik. Wir haben eine eigene Lehrlingsakademie, wo wir sehr stark mit einem Partner zusammenarbeiten. Die Akademie wird sehr gut angenommen. Es gibt eigene Communities, die sich regelmäßig treffen und sich austauschen. Damit wird sehr viel Wissen weitergetragen“, sagt Andreas Falkensteiner. Eine weitere Maßnahme sei die verbesserte Präsentation der Arbeitgebermarke. „Wie es bei den großen Arbeitgebern etwa aus dem Silicon Valley funktioniert, wissen wir. Nicht bei kleineren Arbeitgebern. Wichtig ist, die Schüler und Schülerinnen möglichst früh abzuholen. Ich brauche gar nicht versuchen, von der ACP-Gruppe zu erzählen. Das müssen sie im Prinzip selbst machen. Unser Ansatz, an dem wir gerade arbeiten, lautet: ‚Hole sie zu Dir, begeistere sie von Deiner Marke, nimm sie mit in diverse Projektarbeiten und lasse sie die Geschichte erzählen.'“ 

Kooperationen

Manfred Luger, Business Upper Austria:
„Wir haben es zumindest in Oberösterreich
geschafft, dass sich junge Menschen in einer sehr frühen Phase mit IT auseinandersetzen.“

„Wir haben im Bezirk Kirchdorf, der industriellesten Region Österreichs, ein Transplacement-Projekt umgesetzt“, sagt Manfred Luger. „Die Idee kommt aus Frankreich, wo sich Weinbauern Erntehelfer teilen. Nicht jeder Betrieb braucht einen 40-Stunden-Programmierer, sondern vielleicht nur 20 Stunden. Neu ist, dass sich Unternehmen gemeinsam trauen, Leute zielgerichtet einzusetzen. Das AMS ist für die Qualifizierungen zuständig. Es sind oft Leute mit wenig IT-Knowhow. Diese werden zielgerichtet für zwei bis drei Betriebe ausgebildet. Ziel ist es, sie zu Mitgliedern der Stammbelegschaft zu machen.“ 

Ein Schulterschluss mehrerer Unternehmen ist auch in Sachen Ausbildung zu beobachten. „In Tirol haben sich auf Initiative der UBIT Tirol aktuell 20 Unternehmen zusammengeschlossen, die den Lehrgang IT-Professionals ins Leben gerufen haben“, so Lukas Bernardi. „Jedes dieser Unternehmen hat sich bereiterklärt, IT-Professionals aufzunehmen und im Rahmen dieser Maßnahme auszubilden. Der Weg lautet: Lehre nach Matura. Die Lehrzeit wird von vier auf drei Jahre verkürzt. Die Lehrlinge besuchen nach wie vor alle drei Klassen der Berufsschulen. Sie werden über die Lehrlingsentschädigung hinaus in den Unternehmen entlohnt und bekommen einen Trainer zur Verfügung gestellt. Das ist ein kleiner Schulterschluss in Sachen Ausbildung, aber ein wichtiger Beitrag dazu, was Unternehmen selbst machen können, um das Fachkräftemangelproblem in den Griff zu bekommen. Es ist kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander.“

Dominic Neumann, UBIT Steiermark:
„Ich glaube, wir als Interessenvertretung können das Ganze etwas
steuern. Die eigentlichen Initiativen müssen aber von den
Unternehmen kommen beziehungsweise von der Politik, damit wir mehr Ausbildungsplätze bekommen.“

Auch Dominic Neumann berichtet von Kooperationen: »Wir haben in der Steiermark eine Initiative namens ›IT Community Styria‹, wo sich zahlreiche Leitbetriebe zusammengeschlossen haben, um dem Fachkräftemangel entgegenzutreten. Wir unterstützen das natürlich seitens der Wirtschaftskammer.«

Qualifizierte Zuwanderung

Ein Tenor der Diskussion ist, dass der steigende Bedarf an IT-Fachkräften nicht zur Gänze in Österreich gedeckt werden könne – egal wie positiv sich die Ausbildung oder andere Maßnahmen entwickeln würden. Daher sei die qualifizierte Zuwanderung das Gebot der Stunde. Dazu Manfred Luger, Leiter Human Capital Management, Business Upper Austria: „Wir sind seit 2019 sehr stark im Recruiting von qualifizierten Zuwanderern in ganz Oberösterreich tätig und da vor allem im IT-Bereich in bis zu zehn Ländern. Wir haben derzeit drei Job-Cluster definiert: SAP, Software-Entwicklung und Cybersecurity.“ Es gäbe viele Unternehmen, so Luger, die im Bereich qualifizierter Zuwanderung keine Erfahrung und kein Knowhow hätten. Zudem fehle die Bereitschaft. „Deshalb haben wir in Oberösterreich sehr früh darauf gesetzt, Onboarding-Aktivitäten ins Leben zu rufen. Wenn man im Ausland eine Person findet, die geeignet ist und auch möchte, dann ist man schon sehr, sehr weit. Der nächste große Schritt ist, dass die Person unterschreibt. Viele Betriebe glauben, dass die Sache damit erledigt ist. In Wirklichkeit geht das Onboarding erst richtig los. Das gilt natürlich auch für nationale Fachkräfte. Internationale Fachkräfte habe ganz andere Herausforderungen. Wir helfen zum Beispiel bei der Wohnungssuche. Zwar sind in der IT Deutschkenntnisse nicht unbedingt erforderlich. Trotzdem forcieren wir, dass Deutsch spielerisch gelernt wird. Man lebt sonst in einer Parallelwelt.“

Eine weitere Maßnahme sei die Schaffung einer „internationalen Community, die bei alltäglichen Dingen hilft: Steuer, Gesundheitssystem, Mietrecht. Das wird sehr gut angenommen. Die Community ist mittlerweile so weit, dass Leute nicht fluchtartig das Land verlassen, wenn sie in einem Unternehmen nicht mehr glücklich sind. Durch die Community wird man oft auf ein anderes Unternehmen aufmerksam gemacht. Am Ende des Tages müssen wir schauen, dass ausländische Fachkräfte in Oberösterreich oder zumindest in Österreich bleiben“, so Manfred Luger.

Mit No Code/Low Code neue Entwicklergruppen schaffen

Laut Christoph Windheuser von OutSystems sind die Fachabteilungen ein perfekter Ort, um neue IT-Kräfte zu rekrutieren – und das mit Hilfe von Low Code beziehungsweise No Code. „Es geht um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die IT-nah arbeiten können. Für mich sind Excel-Makros das beste Beispiel. Wenn man sieht, wie viel Intelligenz Nicht-ITler in den Fachabteilungen in Excel-Makros investieren, dann ist das sehr beeindruckend. Nicht umsonst nennt man Excel die erste No-Code-Plattform, die es je gab. Moderne No-Code-Plattformen können viel bessere Leitlinien setzen, sie sind in der Lage, all die Schwächen, die Excel hat – so zum Beispiel, wenn man im Team mit einem Excel-Sheet arbeiten möchte – zu vermeiden. Sie können zudem bessere Workflows etablieren. Moderne No-Code-Plattformen ermöglichen es Fachabteilungen, dass diese ihre eigenen Workflows, einfache Apps, Genehmigungsabläufe und vieles mehr sehr einfach und schnell erstellen.“ No Code bzw. Low Code sollen helfen, das Entwickeln von Apps durch vorkonfigurierte Bausteine, durch grafische Programmierung, durch Plattformen in der Cloud und Plattformen für mobile Apps einfacher zu machen, so Windheuser. „Wir können einen Faktor von drei bis zehn in der Effizienzsteigerung erreichen. Mit unserer Plattform tragen wir daher bei, dass zumindest die Entwickler, die mit unserer Plattform arbeiten, sehr viel effizienter Apps bauen und damit einen Beitrag dazu leisten, dem Fachkräftemangel entsprechend entgegenzuwirken.“

Empfehlungen der Experten

In der Schlussrunde geben die Teilnehmer des COMPUTERWELT Roundtables wertvolle Empfehlungen an Unternehmen und die Politik. Manfred Luger: „Es ist sehr wichtig, dass ein Bewusstsein in Betrieben und in Regionen geschaffen wird, dass wir uns nicht nur mit qualifizierten Zuwanderern arrangieren müssen, sondern dass es ein Privileg ist, wenn eine fixfertig ausgebildete Fachkraft zu uns kommt. Das hat auch eine volkswirtschaftliche Bedeutung. Es ist für Österreich ein echtes Geschäft – nicht nur für den Betrieb allein, sondern auch für die Region und für uns alle.“ 

Lukas Bernardi, UBIT Tirol: „In Tirol gibt es den
zweiten Bildungsweg, der von der UBIT
gemeinsam mit dem Wirtschaftsförderungsinstitut der Wirtschaftskammer angeboten wird. Hier
können zum Beispiel Quereinsteiger den
Lehrabschluss nachholen.“ (c) timeline / Rudi Handl

Dominic Neumann sieht die qualifizierte Zuwanderung ebenfalls als unverzichtbar: „Es geht darum, Österreich, in meinem Fall die Steiermark, so attraktiv zu machen, dass die Menschen auch gerne herkommen. Da kann die Politik helfen, da können wir als Interessensvertretung unterstützen, damit der Standort Österreich im internationalen Vergleich wesentlich attraktiver wird.“ Die Verbesserung des Images – und zwar speziell der IT-Branche insgesamt – ist auch für Lukas Bernardi ein Anliegen: „Was ich mir erhoffe, ist, dass die Politik den Weg konsequent weitergeht, den etwa Margarete Schramböck, Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort, mit der Umbezeichnung des Informatikers auf Applikationsentwickler/Coding begonnen hat. Der Begriff des Informatikers ist sehr verstaubt und ist sehr stark in die Mathematik gegangen. Allein die Umbenennung hilft schon viel. Hier kann die Politik mit ähnlichen Maßnahmen sehr viel

bewirken. 

Andreas Falkensteiner empfiehlt, nicht den unrealistischen Weg zu gehen und nach der „eierlegenden Wollmilchsau“ zu suchen. Statt dessen sollte jemand auf dem Radar erscheinen, der durch »Human Skills« besticht – Falkensteiner nennt die Stärken bewusst nicht „Soft Skills“: „Höre zu, stelle die richtigen Fragen, entscheide und gehe dann mit deinem Gegenüber die nächsten Schritte. Am Ende des Tages muss es ein Zusammenspiel aus vielen einzelnen Komponenten sein. Der Arbeitgeber muss Begeisterung auslösen mit dem Ziel, dass der Funke überspringt.“

Christoph Windheuser, OutSystems: „Ich kann nur
empfehlen, auch in den Ausbildungen den Bereich
Low Code und No Code zu integrieren. Damit
schafft man es etwa, die Komplexität zu verringern.“
(c) timline / Rudi Handl

Christoph Windheuser setzt auf Diversity, „und das in allen Richtungen, egal ob es Mitarbeiterinnen sind, Zuwanderer, oder Menschen in höherem Alter. Wir können uns nicht leisten, Pools von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern links liegen zu lassen. Es geht nicht nur darum, den eigenen Pool zu erweitern. Diversity – das wurde durch mehrere Studien bestätigt – bedeutet auch ein besseres Arbeiten im Team. Gemischte Teams sind zufriedener, glücklicher, lösen Konflikte sehr viel einfacher, liefern bessere Ergebnisse und punkten durch eine höhere Produktivität.“  

Last but not least ETC-Geschäftsführer Michael Swoboda: „Die Unternehmen sollen weggehen von diesem schicksalsergebenen ‚Ich finde ja eh niemanden‘ hin zu ‚Ich mache etwas, ich ändere die Rahmenbedingungen. Ich schaffe eine Work-Life-Learn-Balance. Ich qualifizieren mir mein künftiges Personal dorthin, wo ich will – und werde sehen, dass ich im Endeffekt Leute bei mir im Haus habe, die gerne arbeiten, die sich wertgeschätzt fühlen und am Ende des Tages mir mehr bringen als dem Mitbewerber, der nur mit dem Gehaltsscheck winkt.‘ Mit dieser Einstellung können wir den Fachkräftemangel zwar nicht im nächsten Jahr als beendet erklären, dafür uns aber endlich in die richtige Richtung bewegen, damit er nicht zu einem Dauerthema wird.“

(c) timeline / Rudi Handl

Alle Teilnehmer auf einen Blick (alphabetisch)

  • Lukas Bernardi, IT-Unternehmer und Vertreter von UBIT Tirol
  • Andreas Falkensteiner, Managing Director der ACP doIT GmbH
  • Manfred Luger, Leiter Human Capital Management, Business Upper Austria
  • Dominic Neumann, Obmann der Fachgruppe UBIT der WKO Steiermark
  • Michael Swoboda, Gründer und Geschäftsführer ETC Enterprise Training Center
  • Christoph Windheuser, Director Business Value Consulting EMEA bei OutSystems
  • Moderation: Wolfgang Franz
  • Technik: Roland Kissling

Den Überblick über alle bislang veranstalteten COMPUTERWELT Roundtables finden Sie unter www.itwelt.at/tag/roundtable.

Die Expertenrunde zum Nachsehen finden Sie unter www.facebook.com/itwelt.at/videos und https://itwelt.at/video.


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