Web-Zugang ohne Barrieren

Barrierefrei – das ist in Gebäuden ein klarer, allgemein anerkannter Grundsatz. Krankenhäuser, Ämter, Schulen, Unis, Museen und Theater: Sie alle sollten barrierefrei zugänglich sein. Auch das Internet sollte barrierefrei sein. Allein, es gibt noch viele Barrieren. [...]

Viele Menschen können Smartphones, Tablets oder Laptops nicht bedienen. (c) Yaroslav Astakhov/Adobe Stock

Es beginnt bereits mit den Geräten: Computer-Tastatur, Bildschirm, Smartphones, Tablets, Laptops. Viele Menschen können diese Geräte nicht bedienen. Entweder weil sie es nicht gelernt haben, oder, weil sie in der einen oder anderen Weise beeinträchtigt sind. Ältere, sehschwache oder blinde Menschen können die Angebote einfach nicht sehen, geschweige denn lesen. Gehörlose Menschen können Videos, Webinare oder Audio-Anleitungen nicht hören. Mobilitätsbeeinträchtigte Personen können mit der üblichen Computer-Tastatur und dem Smartphone nichts anfangen. Hier gibt es allerdings schon eine Reihe von Angeboten: Handys mit speziell großen Tasten oder Smartphones für ältere Menschen, wie etwa vom österreichischen Unternehmen emporia angeboten, spezielle Computer-Tastaturen, Lesegeräte, die einen Bildschirm in stark vergrößerter Schrift und der Möglichkeit von alternativen Kontrasteinstellungen zeigen bis hin zu Braillezeilen oder Brailledisplays, das sind Computer-Ausgabegeräte für blinde Menschen, die Zeichen in Brailleschrift darstellen. Und wenn es in Richtung der Angebots-Nutzung geht hilft blinden Menschen etwa ein Screenreader, der Websites vorlesen kann (Kostenlos: der NVDA screenreader, https://www.nvaccess.org). Für gehörlose Menschen hilft z.B. bei Webinaren und virtuellen Lern-Angeboten die Darstellung in Gebärdensprache, bei Video-Angeboten helfen Untertitel.

Auch viele Startups haben sich dem Thema Barrierefreiheit in punkto einfache Sprache verschrieben. atempo aus Graz entwickelt kann mit der Capito-App (www.capito.eu)  Sprache automatisiert von einem Sprach-level auf ein niedrigeres Level übersetzen, das wird etwa in Zusammenarbeit mit der APA und dem ORF für „Nachrichten in einfacher Sprache“ eingesetzt. Mit Simax (www.simax.media) gibt es ein weiteres österreichisches Start-up, das Sprache automatisch in die Gesten und Mimik eines Gebärdensprache-Avatars übersetzt.  OrCam aus Israel bietet mit OrCam MyEye ein Gerät, das sich an nahezu jedem Brillengestell befestigen lässt. Es kann verzögerungsfrei Texte aus einem Buch, von einem Smartphone-Bildschirm oder einer anderen Oberfläche vorlesen. Sogar Gesichtserkennung, Farbeerkennung und Geldscheinerkennung ist damit möglich (www.orcam.com/de)

Aber viele Hilfsmittel können nur dann einwandfrei Hilfestellung leisten, wenn auch die Web-Angebote selbst barrierefrei gestaltet sind. Barrierefreie Websites zu schaffen heißt: Webangebote zur Verfügung zu stellen, die von allen Menschen in gleicher Weise einfach, rasch und komfortabel genutzt werden können.

Gesetzliche Situation

Das Thema Zugänglichkeit und Barrierefreiheit von Webangeboten ist in Österreich ursprünglich im Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz (BBGG, seit 2006) und im E-Government-Gesetz rechtlich verankert. Auch der E-Government-Aktionsplan 2016–2020 enthält „Inklusion und Barrierefreiheit“. Ende 2016 wurden die Richtlinie über den barrierefreien Zugang zu Webseiten im EU-Parlament beschlossen, sie basiert auf den „Web Content Accessibility Guidelines“ (derzeit WCAG 2.1 AA), die vom World Wide Web Consortium (W3C) festgelegt wurden. Im Juni 2019 trat zudem der „European Accessibility Act“ in Kraft, der bis Sommer 2022 in nationales Recht umzusetzen ist (siehe Kasten). In Österreich wurde das Webzugänglichkeitsgesetz (WZG) verabschiedet. Das WZG ist seit 23. September 2019 in Kraft und verpflichtet den Bund, behördliche Websites und mobile Anwendungen so zu gestalten, dass der Zugang für alle Nutzerinnen und Nutzer uneingeschränkt möglich ist. Ebenso wie das Impressum und die Datenschutzinformation (DSGVO-Information) muss jede öffentliche Website auch eine Barrierefreiheitserklärung beinhalten. Ein Blick auf die Website des Bundeskanzleramts und der Ministerien zeigt: Die Barrierefreiheitserklärung ist fast durchgängig vorhanden, beim Landwirtschaftsministerium fehlt sie derzeit. Dafür ist etwa der Stadt Wien Barrierefreiheit in jeder Hinsicht ein sehr großes Anliegen (siehe hier https://www.wien.gv.at/menschen/barrierefreiestadt) Zur Prüfung wurde in der FFG eine Monitoring-Stelle für Barrierefreiheit eingerichtet. Diese überwacht, inwieweit Websites und mobile Anwendungen des Bundes und seiner Einrichtungen den Anforderungen an einen barrierefreien Zugang entsprechen. Weiters hat die FFG eine Beschwerdestelle für Betroffene eingerichtet.

In den USA gibt es schon viel länger Bestrebungen zur Barrierefreiheit. Bereits 1990 wurde der Americans with Disabilities Act beschlossen (ADA), der Unternehmen dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass auch beeinträchtigte Menschen einen Zugang zu ihrer Website und zur ihren Angeboten erhalten. Bekannt ist der Fall der Pizzakette Domino´s die geklagt wurde, weil ein blinder Mensch auf der Website keine Pizza bzw. zusätzliche Zutaten  bestellen konnte. Auch konnte ein Rabattcode nicht eingegeben werden. „Die Summen bei den Klagen in den USA sind – wie aus den Medien bekannt – viel höher. Da kommen ganz schnell sehr hohe Summen zusammen, wenn nur ein blinder Mensch klagt. Daher sind US-Unternehmen sehr daran interessiert, ihre Angebote barrierefrei zu gestalten. Da ist ein ganz anderes Bewusstsein da“, erklärt Klaus Höckner, Vorstand der Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen in Österreich, selbst langjähriger Web Accessibility Experte und einziger allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger in diesem Bereich. Höckner hat in Österreich auch die Ausbildung zum Certified Web Accessibility Expert mitbegründet, die derzeit via WKO-Bildungsinstitut Incite angeboten wird. Höckner fungiert hier auch als einer der Prüfer. Allerdings ist der Zuspruch bis jetzt mäßig, aktuell sind nur 21 Personen zum Web Accessiblity Expert zertifiziert. „Bei den Unternehmen und Agenturen fehlt das Bewusstsein und das Fachwissen für Web Accessibility leider oftmals noch gänzlich“, bedauert Höckner. Dabei liegen die Vorteile für Website-Anbieter auf der Hand: Eine klare Struktur, gute Lesbarkeit, gut erkennbare Kontraste, verständliche Texte und optisch gut erkennbare Angebote erreichen einfach viel mehr Menschen. Dazu kommt, dass der Altersdurchschnitt zunimmt und es gerade in Österreich in den kommenden Jahren anteilsmäßig immer mehr alte Menschen geben wird. Eine wichtige und vor allem auch kaufkräftige Zielgruppe, denen Internet-Angebote auch ohne Einschränkung zur Verfügung stehen sollten.

Kritierien für Barrierefreiheit im Web

Eine barrierefreie Website oder App fängt an mit einer leicht verständlichen Sprache, gut lesbarer Schrift und einem ausreichenden Kontrast zwischen Vorder- und Hintergrundfarbe sowie Bildtexten (Alt-Texte) für Vorleseanwendungen (Screenreader). Semantische Auszeichnungen für Strukturelemente wie der Navigation oder barrierefreie Formulare sind wichtige Schritte. Schon die, auch in Hinblick auf die Zukunft, sinnvolle Optimierung auf Voice (Sprachein- und Sprachausgabe) kann eine deutliche Hilfe für visuell beeinträchtigte Menschen sein. Barrierefrei sind laut BBGG bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.

Engagiert für Barrierefreiheit im Web: Klaus Höckner (links) und Werner Rosenberger

„Wenn Web Accessibility von Anfang an bei der Website-Entwicklung mitgedacht wird, kostet das nur unwesentlich mehr bringt aber viele Vorteile: Neben einer verbesserten User-Experience und einer größeren Reichweite kann auch die SEO Performance gesteigert werden“, sagt Werner Rosenberger von der Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen in Österreich, die auch die Abwicklung des Zertifikat WACA anbietet (Web Accessibility Certificate Austria www.waca.at), es ist das erste unabhängige Qualitätssiegel in Österreich für barrierefreie Websites. Das WACA Zertifikat wird in den drei Abstufungen Bronze, Silber und Gold vergeben. Als unabhängige Zertifizierungsstelle fungiert die TÜV Austria.

WACA Zertifikat für Barrierefreiheit

Bislang sind rund 20 Websites aus unterschiedlichsten Bereichen zertifiziert. Pionier war der REWE-Konzern, der sich bereits seit vielen Jahren generell mit Barrierefreiheit im Sinne seiner CSR-Aktivitäten beschäftigte. Mittlerweile sind die REWE-Websites simplygood.at, gemeinsam-nachhaltig.at, adeg.at, cleverleben.at und auch die Job-Plattformen team.bipa.at sowie rewe-group.jobs WACA-zertifiziert. Auch die Unis und FHs als öffentliche Einrichtungen müssen Web Barrierefreiheit eigentlich per Stichtag 23. September erfüllen bzw. zumindest den Link zur Barrierefreiheitserklärung auf der Start-Site zur Verfügung stellen. Im Moment ist erst die FH des bfi Wien WACA zertifiziert, „im Uni-Bereich ist die Awareness aber jetzt da“, betont Werner Rosenberger.

In der Politik hat der NÖ Landtag „im Zuge des Relaunch der Website auch die WACA Zertifizierung beauftragt“, bestätigt Rosenberger, auch die sehr umfassende Website der Wirtschaftskammer ist seit letztem Jahr mit dem WACA Zertifikat in Bronze ausgezeichnet (wko.at).  Das bislang einzige WACA-Gold-Zertifikat wurde im März an die ÖBB Infrastruktur Website (infrastruktur.oebb.at)  verliehen. Kürzlich ausgezeichnet wurden Casinos Austria (Website und Webshop), der Online-Auftritt der via donau (Österreichische Wasserstraßen GmbH) sowie das Webportal der OeAD (Österreichische Austauschdienst GmbH).

Auch Applikationen können mit dem WACA Zertifikat ausgezeichnet werden, bisher wurden die Fabasoft Cloud-Lösung WACA zertifiziert. Fabasoft wurde zudem beim renommierten eAward 2020 in der Kategorie „Soziale Verantwortung“ mit dem Sonderpreis „Barrierefreiheit in der IT“ ausgezeichnet. Das „BKMS Incident Reporting“ der Business Keeper AG bekam kürzlich das erste WACA Zertifikat der Version WCAG 2.1 – AA verliehen.

Die Kosten für eine WACA Zertifizierung „belaufen sich auf rund fünf bis zehn Prozent der Kosten, die für die Erstellung einer Website anfallen“, gibt Rosenberger eine gewisse Faustregel vor. Der Prüfumfang der Website (und damit auch der Zertifikatspreis) ist von der Größe, dem Umfang und der Komplexität der Website abhängig. Das Startpaket für kleine Websites mit einem Prüfumfang von fünf Sites ist für 1.150 Euro (noch bis 31.12.2020 nach WCAG 2.0 AA) zu haben. Danach wird nach WCAG 2.1 AA zertifiziert, zu einem Preis ab 1.400 Euro. In jedem Fall ist aber eine intensive Vorarbeit und Veränderung einer bestehenden Website notwendig, damit sie der Prüfung nach den WCAG-Kriterien standhält. Eine Liste von Beratern und Web-Agenturen, die sich auf Web Accessibility spezialisiert haben, findet man auf der WACA-Website.

Hintergrund: Der „European Accessibility Act“

Am 28. Juni 2019 trat die Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen, der sogenannte „European Accessibility Act (EAA)“, in Kraft. Die Richtlinie ist bis zum 28. Juni 2022 in nationales Recht umzusetzen und muss – abgesehen von Ausnahmen – ab dem 28. Juli 2025 angewandt werden. Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedsstaaten u.a. dazu, den gesamten Online-Handel barrierefrei zu gestalten. Lediglich Kleinstunternehmen (weniger als zehn Beschäftigte und Jahresumsatz maximal zwei Mio Euro) werden von dieser Verpflichtung nicht erfasst.


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