Wenn Fabriken denken lernen

Die industrielle Produktion steht an einem Wendepunkt. Mit dem Konzept der Smart Factory beginnt eine neue Ära, in der Maschinen, Produkte, Software und Menschen zu einem intelligent vernetzten System verschmelzen. [...]

Die Smart Factory steht für eine hochgradig vernetzte, adaptive und automatisierte Produktionsumgebung. (c) Siemens
Die Smart Factory steht für eine hochgradig vernetzte, adaptive und automatisierte Produktionsumgebung. (c) Siemens

Was einst als Zukunftsvision der Industrie 4.0 galt, wird zunehmend zur Realität: Fertigungsanlagen, die sich selbst organisieren, Produkte, die mit Maschinen kommunizieren, und Prozesse, die sich in Echtzeit an neue Anforderungen anpassen. Doch wie weit ist die Industrie wirklich auf dem Weg zur intelligenten Fabrik? Welche Technologien prägen die Entwicklung, und wo liegen die Herausforderungen?
Die Smart Factory ist mehr als eine digitalisierte Produktionslinie. Sie steht für eine hochgradig vernetzte, adaptive und automatisierte Produktionsumgebung, in der cyber-physische Systeme, das industrielle Internet der Dinge (IIoT) und künstliche Intelligenz (KI) nahtlos zusammenarbeiten. Laut einer Studie von McKinsey aus 2024 setzen rund 35 Prozent der Fertigungsunternehmen weltweit bereits Smart-Factory-Technologien ein – sei es in Pilotprojekten oder im laufenden Betrieb. Besonders fortschrittlich zeigen sich Industrieländer wie Deutschland, Südkorea, Japan und die USA. Der globale Markt für Smart-Factory-Lösungen wird bis 2035 auf mehr als 500 Milliarden US-Dollar geschätzt.

Was macht eine Fabrik smart?

Die Smart Factory steht für ein digitalisiertes, autonom agierendes Produktionssystem. Im Gegensatz zur klassischen, linear organisierten Fabrik, in der Prozesse oft von zentralen Steuerungen und menschlicher Intervention geprägt sind, verbindet die Smart Factory flexible Maschinen, Rohstoffe und Lieferketten miteinander. Produkte und Maschinen kommunizieren eigenständig – etwa über RFID-Chips und digitale Zwillinge, welche ihre Produktionsgeschichte und Optimierungsbedarfe in Echtzeit dokumentieren und kontinuierlich Daten über Temperatur, Gewicht, Geschwindigkeit oder Energieverbrauch generieren, die über Edge- und Cloud-Computing-Plattformen gesammelt und analysiert werden. Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen bilden dabei das Gehirn der intelligenten Fertigung. Sie helfen, aus den anfallenden Datenmustern zu erkennen, Prozesse zu optimieren und Entscheidungen zu automatisieren.

Weitere wichtige Technologien der Smart Factory umfassen Edge und Cloud Computing, wobei Cloud Computing skalierbare Rechenleistung und zentrale Datenspeicherung bietet, während Edge Computing Daten direkt an der Quelle verarbeitet, um Latenzzeiten zu minimieren und schnellere Entscheidungen zu ermöglichen. Cyber-Physische Systeme (CPS) verbinden physische Produktionsanlagen mit digitalen Steuerungssystemen und bilden die Grundlage für autonome und adaptive Fertigung.

utomatisierung und Robotik, insbesondere autonome und kollaborative Roboter (Cobots), arbeiten eigenständig oder Hand in Hand mit Menschen, um Produktivität und Flexibilität zu steigern. Die 5G-Technologie spielt eine Schlüsselrolle bei der Vernetzung und erleichtert die Echtzeitüberwachung sowie beschleunigt Entscheidungsprozesse. Zudem gewinnt die »Software Defined Functionality/Factories/Products« an Bedeutung, da Maschinenfunktionen zunehmend in Software abgebildet werden, die Agilität und schnellere Updates ermöglicht.

Digitaler Zwilling als Copilot

Thomas Thelemann,
Produktmanager bei
reichelt elektronik. 

Digitale Zwillinge – virtuelle Abbilder von Maschinen und Produktionslinien – ermöglichen es, komplexe Abläufe in Echtzeit zu simulieren und präventiv einzugreifen. Sie ermöglichen die Echtzeit-Modellierung und Simulation von Produktionsabläufen, Anlagen und sogar ganzen Lieferketten. Dies hilft, potenzielle Störungen frühzeitig zu erkennen und Optimierungen vor der physischen Umsetzung vorzunehmen. Der Digitale Zwilling entwickelt sich dabei vom Werkzeug für spezifische Aufgaben zu einem Partner für kluge und vorausschauende Geschäftsentscheidungen. »Durch fortschrittliche Datenmanagementsysteme, Machine Learning und nicht zuletzt KI werden immer komplexere digitale Zwillinge entstehen«, sagt Tobias Thelemann, Produktmanager für mechanische Bauelemente und Elektroinstallation bei reichelt elektronik, und ergänzt: »Sie werden weit mehr als nur eine oder ein paar Maschinen umfassen, sondern einen ganzen Fabrikkomplex oder ein gesamtes Ökosystem. Besonders in Branchen, die immer wieder von volatilen Lieferketten geplagt sind, kann durch ein ganzheitlicheres Bild Klarheit für gute Entscheidungen gewonnen werden.«

Dass dieser umfassende Einsatz eines digitalen Zwillings keine Zukunftsmusik mehr ist, hat Siemens bei der diesjährigen Hannover Messe bewiesen. Dort stellte das Unternehmen seinen neuen Industrial Copilot vor und wurde dafür mit dem Hermes Award 2025 ausgezeichnet. Der Copilot wird in das Industrial-Edge-Ökosystem integriert und mit KI erweitert, um KI-Modelle in der gesamten Produktionsumgebung so nah wie möglich an den Maschinen bereitzustellen und so den Arbeitern direkt in der Produktionshalle Zugang zu KI zu gewähren. Ein entscheidender Vorteil ist dabei zum Beispiel das KI-gestützte Übersetzen von Maschinenmeldungen in menschliche Sprache. So können die Fachkräfte eventuelle Fehlermeldungen schneller verstehen und behandeln.

Vorteile und Potenziale

Die Implementierung von Smart-Factory-Technologien bietet Unternehmen erhebliche Wettbewerbsvorteile. Dies umfasst laut unterschiedlichen Studien eine massive Effizienzsteigerung und Kosteneinsparungen durch höhere Anlagenverfügbarkeit (bis zu 28 Prozent Reduzierung der Stillstandszeiten) und eine Reduktion ungeplanter Stillstandszeiten um 50 bis 70 Prozent. Auch die Maximierung der Lebensdauer von Anlagen und Maschinen, ein optimierter Einsatz der Wartungstechniker, eine höhere Maschinenleistung und Personalproduktivität (bis zu 15 Prozent), weniger Ausschuss (30 bis 60 Prozent Reduzierung) und ein geringerer Energieverbrauch (5 bis 15 Prozent) sind entscheidende Vorteile. Die Wartungskosten können demnach um 20 bis 40 Prozent gesenkt werden.

Darüber hinaus führt die Smart Factory zu einer verbesserten Qualität durch Echtzeit-Qualitätskontrolle und automatische Anomalieerkennung, was Fertigungsfehler erheblich reduziert. Eine erhöhte Flexibilität ermöglicht eine schnelle Anpassung an Kundenwünsche und Marktveränderungen, bis hin zur Produktion der Losgröße 1. Vorausschauende Wartung (Predictive Maintenance), die auf der Analyse von Prozess- und Maschinendaten basiert, hilft, Störungen und Ausfälle frühzeitig zu prognostizieren und zu vermeiden. Dies spart Zeit und Geld und erhöht die Gesamtanlageneffektivität (OEE). Auch resiliente Lieferketten werden durch KI-gestützte Systeme für prädiktive Analysen und Bestandsoptimierung geschaffen. Nicht zuletzt tragen Smart Factories zur Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz bei, indem sie den CO2-Fußabdruck reduzieren, Abfall minimieren und soziale Aspekte wie eine geringere Unfallquote verbessern.

Cobots: Mensch und Maschine ergänzen sich

Ein häufig genannter Kritikpunkt ist die Angst vor Arbeitsplatzverlust durch Automatisierung. In der idealen Smart Factory ergänzen sich Mensch und Maschine jedoch, wobei intelligente Technologien kreative und wertschöpfende Aufgaben unterstützen, anstatt Mitarbeiter zu ersetzen.Die Mensch-Maschine-Kollaboration steht dabei im Mittelpunkt: Kollaborative Roboter (Cobots) arbeiten Hand in Hand mit Fachkräften, digitale Assistenzsysteme unterstützen das Personal bei komplexen Aufgaben. Die größte Herausforderung ist die Transformation der Arbeitskultur, inklusive kontinuierlicher Weiterbildung und der Schaffung von Akzeptanz für neue Technologien.

Ein Beispiel für diese Symbiose ist die Smart Factory von Eaton in Schrems. Das Werk nutzt Industrie-4.0-Technologien, um Produktivität, Qualität, und Effizienz zu steigern und dient nun mit Knowhow und Anleitung zur beschleunigten Implementierung von Industrie-4.0-Technologien als Vorbild für andere Eaton-Standorte. »Wir haben fortschrittliche Technologien implementiert, die für die Schaffung intelligenter Produktionsumgebungen erforderlich sind. Wir machen uns die Möglichkeiten von Daten, Konnektivität und Intelligenz zu Nutze, um unsere Produktivität, Qualität und Effizienz zu steigern«. sagt Markus Rametsteiner, Eaton-Werksleiter in Schrems. Mit mehr als 700 Mitarbeitern, einer hochautomatisierten Fertigung, eigenem technischen Knowhow und umfassenden Schulungsmöglichkeiten vor Ort produziert der Standort Schrems elektrische Komponenten für den Anbieter im Bereich Energiemanagement.

Herausforderungen

Trotz der Vorteile gibt es bei der Implementierung von Smart-Factory-Konzepten erhebliche Hürden. Dazu gehören hohe Anfangsinvestitionen in Hardware und Software, weshalb Unternehmen, insbesondere KMU, den Return on Investment (ROI) sorgfältig abwägen müssen. Eine phasenweise Implementierung kann hier hilfreich sein. Eine zentrale Herausforderung ist zudem die Integration bestehender Systeme und Anlagen, insbesondere älterer Maschinen ohne digitale Schnittstellen und heterogener IT-Landschaften. Nachrüstung mit IoT-Gateways und Sensoren sowie der Einsatz von Middleware sind hier Lösungsansätze.

Die Achillesferse Security

Die zunehmende Vernetzung der Smart Factory erhöht die Angriffsfläche für Cyberkriminelle exponentiell. Angriffe wie DDoS, Ransomware oder Datendiebstahl können zu gravierenden Produktionsausfällen, dem Verlust geistigen Eigentums oder der Manipulation von Prozessdaten führen. Das inhärente Dilemma liegt im Konflikt zwischen dem Wunsch nach maximaler Konnektivität zur Effizienzsteigerung und der Notwendigkeit, sensible Produktionsdaten und -prozesse vor externen Bedrohungen zu schützen. Die Wahrnehmung dieses hohen Risikos kann für Unternehmen, insbesondere KMU oder risikoscheue Branchen, ein erhebliches Hindernis für die vollständige Einführung der Smart Factory darstellen. Dies könnte zu einem langsameren, vorsichtigeren Rollout oder einer Präferenz für isolierte, weniger »smarte« Lösungen führen, was der Vision einer vollständig vernetzten Produktion entgegensteht.

Laut dem »OT+ IoT Cybersecurity Report 2024« von ONEKEY kaufen sich Industrieunternehmen mit der Digitalisierung immer mehr Sicherheitslücken ein, da die Software in vernetzten Geräten oft veraltet und nicht kontinuierlich aktualisiert wird. Nur 29 Prozent der Unternehmen führen eine umfassende Sicherheitsprüfung bei der Beschaffung neuer Geräte durch. Jan Wendenburg, CEO von ONEKEY, rät der Industrie daher, bei der Beschaffung vernetzter Geräte und Maschinen eine gründliche Sicherheitsüberprüfung durchzuführen, um zu ermitteln, wie gut die Neuanschaffungen vor Hackerangriffen geschützt sind.

Gefahr geht auch von Partnern und Zulieferern aus, und der Mangel an qualifizierten Cybersicherheitsexperten ist gravierend. Der EU Cyber Resilience Act (CRA), der ab 2026/2027 den Verkauf vernetzter Geräte mit bekannten Schwachstellen in der EU verbietet, wird die Hersteller zu systematischeren Updates zwingen.

Ein weiterer Engpass ist der allgemeine Fachkräftemangel an IT- und KI-Spezialisten. Außerdem bremsen fehlende Standardisierung und Interoperabilität die Integration heterogener Systeme, da viele Unternehmen noch Insellösungen implementieren, anstatt einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen.

Manufacturing X: Die Zukunft der Produktion

Die Smart Factory ist also längst mehr als ein Zukunftsversprechen – sie prägt bereits heute die Produktionswelt, beschleunigt von technischen Durchbrüchen bei KI und Automation. Der nächste Schritt, oft als »Manufacturing X« oder »Industrie 5.0« bezeichnet, legt den Fokus auf Nachhaltigkeit, menschzentrierte Produktion und resiliente Lieferketten. Dies bedeutet eine stärkere Integration von KI und maschinellem Lernen, die nicht nur automatisieren, sondern durch eine enge Zusammenarbeit mit Menschen produktivere und nachhaltigere Fertigungsumgebungen schaffen. Innovative Felder wie Agentic AI, intensive Mensch-Maschine-Kollaboration und »Sustainability by Design« werden in der Praxis bereits ausgerollt.Technologisch werden »Lights-out-Fabriken« möglich, in denen KI-Systeme immer stärkere, auch kreativere Entscheidungsfunktionen übernehmen und ganze Produktionsstraßen autonom optimieren können. Der Handlugsdruck für alle Akteure wächst: Wer langfristig konkurrenzfähig bleiben will, muss den Wandel zur Smart Factory aktiv gestalten und eine innovationsfreundliche Unternehmenskultur schaffen, in der Flexibilität, Datenkompetenz und Veränderungsbereitschaft gefördert werden.

Angesichts der Komplexität und der potenziellen Risiken ist in diesem Zusammenhang eine proaktive IT-Führung unerlässlich. IT-Leiter müssen über eine reaktive Support-Rolle hinausgehen und zu strategischen Partnern in Smart-Factory-Initiativen werden. Nur so können Unternehmen die Zukunft der Produktion aktiv gestalten und ihre Wettbewerbsfähigkeit im digitalen Zeitalter sichern.


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