Wer KI am meisten fürchtet

Vernichtet die künstliche Intelligenz mehr Arbeitsplätze als sie schafft? Und wie reagieren die Menschen auf die möglichen Bedrohungen für den eigenen Job? Aktuelle Studien zeigen ein ambivalentes Bild. [...]

Im HR-Bereich, in dem KI-basierte Lösungen stark vertreten sind, lauern zahlreiche Zukunftsängste. (c) Fotolia/Light Impressions

Eine aktuelle Studie von Genesys zeigt, dass in Deutschland vor allem Arbeitnehmer aus Gastronomie (38 Prozent), Human Resources (35 Prozent) und Fertigung (34 Prozent) neuen Technologien wie der künstlichen Intelligenz kritisch gegenüber stehen. Im Vergleich zu den anderen Berufsgruppen fürchten sie deutlich häufiger den Abbau von Arbeitsplätzen und den Wegfall einfacher Tätigkeiten. Die Mehrheit der Beschäftigten in Deutschland – nämlich 80 Prozent – sehen ihre Arbeitsplätze dagegen durch KI nicht gefährdet.

Besonders positiv sehen Mitarbeiter aus den Bereichen Finanzen und Rechnungswesen (96 Prozent), Medien (92 Prozent) sowie Verwaltung und Kundenservice (je 88 Prozent) die neuen technologischen Möglichkeiten. Die Befragten erwarten, dass KI es Ihnen ermöglicht, stärker mit Menschen am Arbeitsplatz zu interagieren, effizienter zu arbeiten und bestehende Geschäftsprozesse zu verbessern.

Die Umfrageergebnisse bestätigen auch: KI wird die Arbeitswelt hierzulande grundlegend verändern und weiterentwickeln. Gut die Hälfte der Befragten ist der Ansicht, dass KI Arbeitsplätze in der Fertigungsindustrie ersetzen wird. Rund ein Drittel erwartet ähnliche Effekte im Bereich der Datenerfassung sowie im Handel.

Die Berufe im Gesundheitswesen, in denen Fähigkeiten wie Empathie dringend benötigt werden, sind jedoch weniger besorgt über die Auswirkungen von KI: Nur sieben Prozent der Beschäftigten befürchten, dass KI ihren Arbeitsplatz in den nächsten zehn Jahren einnehmen wird. In der Fertigungsindustrie haben 43 Prozent der Mitarbeiter Angst, dass ihr Unternehmen ohne den Einsatz von KI und Robotern wettbewerbsfähig bleibt.

Besonders drastisch zeigt sich die Situation in China, das bis zum 2030 zum weltweit führenden Land in Sachen künstlicher Intelligenz werden möchte und in dem die Industrie eine führende Rolle spielt. PricewaterhouseCoopers schätzt, dass hier 200 Millionen Jobs durch KI verloren gehen könnten – das ist mehr als jeder vierte Arbeitsplatz. Allerdings sollen gleichzeitig 300 Millionen neue Jobs entstehen, und das hauptsächlich im Dienstleistungsbereich, so die im vorangegangenen Jahr publizierte Studie. Unterm Strich stünde also ein Plus von 100 Millionen.

Der aktuelle KI-Einsatz

Obwohl heute schon ein Drittel der Mitarbeiter im HR-Bereich mit KI-basierten Lösungen arbeitet, sind hier der Genesys-Studie zufolge die Ängste am größten. Gemeinsam mit dem Marketing ist HR jener Bereich, in dem KI bereits am häufigsten eingesetzt wird. Gleichzeitig gehen 70 Prozent der Mitarbeiter im Bereich HR davon aus, dass sie die Fähigkeiten besitzen, um mit KI-Anwendungen arbeiten zu können.

Im Gegensatz dazu liegen Branchen wie Bildung oder Gesundheitswesen bei der Anwendung von KI mit vier beziehungsweise fünf Prozent weit zurück. Interessanterweise sind über 65 Prozent der Mitarbeiter in diesen Branchen der Meinung, dass ihre Arbeitgeber konkurrenzfähig bleiben, auch wenn sie keine Anwendungen mit KI oder Bots einsetzen.

»Obwohl KI fest am Arbeitsplatz angekommen ist, bedeutet das nicht, dass Menschen nicht mehr benötigt werden. Allerdings werden sich einige Arbeitsplätze sehr verändern«, sagt Heinrich Welter, General Manager DACH bei Genesys. »Zwar stehen für 80 Prozent der deutschen Mitarbeiter die Vorteile von KI & Co. im Vordergrund, dennoch sehen viele ihre Branche auch vor großen Umbrüchen. Daher muss jedes Unternehmen, das KI einführen möchte, sicherstellen, dass Mensch und Technik zusammenarbeiten. Strategisch und im Einklang mit den Interessen der Belegschaft eingesetzt, führt KI zu mehr Produktivität und einem attraktiveren Arbeitsumfeld.«

Paradoxe Befürchtungen

Armin Granulo, Christoph Fuchs und Stefano Puntoni haben sich in der Studie »Psychological reactions to human versus robotic job replacement«, die in der Fachzeitschrift Nature Human Behaviour erschienen ist, mit den Ängsten, die KI & Co wecken, im Detail auseinandergesetzt. Die Autoren sind von einer EU-weiten Umfrage ausgegangen, die bisherige Erkenntnisse bestätigt: Die Daten offenbaren, dass die Menschen eher zustimmen als nicht zustimmen, dass Roboter bzw. KI die Arbeitsplätze der Menschen »stehlen«. Dieses Muster zeigt sich in verschiedenen Berufsgruppen (z. B. Studenten, Arbeiter und Manager) sowie in verschiedenen Ländern deutlich, was darauf hinweist, dass die Menschen Roboter im Allgemeinen als Bedrohung für die menschliche Arbeit wahrnehmen.

»In Übereinstimmung mit diesen Ergebnissen argumentieren wir, dass Menschen – zumindest für Jobs, die nicht gefährlich, schmutzig oder langweilig sind – es vorziehen, dass menschliche Arbeiter anstelle von Robotern eingesetzt werden und daher menschliche Arbeiter durch andere Menschen ersetzt werden (gegenüber Robotern). Diese Überlegung steht im Einklang mit Untersuchungen zum prosozialen Verhalten, die belegen, dass sich Menschen häufig um das Wohlbefinden anderer Personen kümmern. Wenn sich der Verlust von Arbeitsplätzen auf andere Menschen auswirkt, ist daher davon auszugehen, dass Einzelpersonen es vorziehen, menschliche Arbeitskräfte durch andere menschliche Arbeitskräfte anstelle von Robotern zu ersetzen.«

Die Sache ändert sich jedoch drastisch, wenn der eigene Arbeitsplatz in Gefahr ist. »Wir gehen davon aus, dass diese Präferenz für den Ersatz von Menschen erheblich reduziert wird, wenn Menschen die Aussicht auf ihren eigenen Arbeitsplatzverlust in Betracht ziehen. Insbesondere argumentieren wir, dass im Vergleich zu einer Situation, in der der Arbeitsplatz eines anderen gefährdet ist (Beobachterperspektive), soziale Vergleichsprozesse relevanter werden und prosoziale Gefühle überschatten, wenn der eigene Arbeitsplatz gefährdet ist (Mitarbeiterperspektive).«

Der psychologische Hintergrund zu diesem Phänomen ist, dass soziale Vergleiche (das ist die natürliche Tendenz, sich mit anderen Menschen zu messen) einen erheblichen Einfluss auf das Selbstwertgefühl der Menschen haben können. Mit anderen Worten: Wird man durch einen intelligenten Roboter ersetzt, lässt sich das positive Selbstbild leichter bewahren, als wenn man etwa für einen jungen Kollegen das Feld räumen muss.

Die Bevorzugung von KI als Ersatz ist jedoch nur von kurzer Dauer, so die Studienautoren. »Während der Vergleich der eigenen Fähigkeiten mit denen eines Roboters auf kurze Sicht weniger eine Bedrohung für das Selbstwertgefühl der Menschen darstellt, könnte er langfristig die Sicht der Menschen auf ihre eigene wirtschaftliche Situation gefährden.« Denn die Unterschiede in den Fähigkeiten zwischen Mensch und Roboter sind dauerhaft und werden durch den rasanten technologischen Fortschritt noch verschärft.

Lieber Chatbots als Berater

Die oben genannte Bevorzugung von KI zeigt sich auch an einer anderen Front: Laut dem Capgemini Research Institute geben fast 70 Prozent der Befragten an, dass sie sich in drei Jahren lieber an ihren Sprachassistenten wenden, als ein Geschäft oder ihre Bankfiliale aufzusuchen. Auch bei der Suche nach Produkten und Services sind die digitalen Assistenten en vogue, so die vor kurzem veröffentlichte Studie »Smart Talk: How organizations and consumers are embracing voice and chat assistants«. Die Umfrage ergab zudem, dass Verbraucher sich zunehmend positiv über die Erfahrung mit Gesprächsassistenten äußern: Waren 2017 noch 61 Prozent der Verbraucher zufrieden mit der Nutzung eines sprachbasierten persönlichen Assistenten, sind es 2019 72 Prozent. »Sobald ein Vertrauensverhältnis aufgebaut ist, sind die Verbraucher auch bereit, einen Schritt weiterzugehen, bis hin zu einer stärkeren Personalisierung und emotionalen Bindung«, so die Studienautoren.

Die zitierten Studien zeigen deutlich, dass die Reise in ein von KI dominierten Zeitalter erst begonnen hat. Dies lässt sich etwa an den teilweise sehr unterschiedlichen Erwartungen oder Ängsten ablesen. Eines ist schon heute klar: Die Entwicklung lässt sich nicht umkehren und nicht verbieten.


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