Bei ERP-Projekten ist die Gretchenfrage häufig, ob und wie stark sich die ERP-Lösung an die Besonderheiten des Unternehmens oder sich das Unternehmen an die "Standard"-Prozesse des ERP-Systems anpassen soll. [...]
Diese Frage scheint schwer zu beantworten zu sein und die richtige Antwort heißt oft „es kommt darauf an“. Sodann werden Argumente Pro und Contra gesammelt und bewertet und entsprechend wird entschieden, ob und welche Bereiche des gewählten ERP-Systems verändert oder gar gänzlich neu entwickelt werden.
Im Rahmen einer Studie von SIS Consulting wurde deutlich, dass ein Großteil der implementierten ERP-Systeme kundenspezifisch angepasst ist. Die Mehrheit der an der Studie teilnehmende Unternehmen (81 Prozent) hat sich für eine ERP-Standardlösung – mit entsprechendem Leistungsumfang – entschieden. Dennoch werden diese Standardsysteme sehr stark an „unternehmensspezifische Anforderungen“ softwareentwicklungsrelevant angepasst: Bei über 80 Prozent der Unternehmen wurden Prozesse und/oder Funktionalitäten kundenspezifisch neu entwickelt. Bestehende Prozesse und/oder Funktionalitäten wurden bei 75 Prozent der Unternehmen angepasst und der Software-Kern wurde bei fast 40 Prozent der Unternehmen an unternehmensspezifische Bedürfnisse angepasst.
Der hohe Anteil an Anpassungen macht deutlich, dass Unternehmen Bedarf an ERP-Modifikationen haben. Da diese in der Regel mit erheblichem Anpassungsaufwand und Kosten verbunden sind, gilt es vor allem, die Anpassungen nachhaltig zu berücksichtigen und Risiken frühzeitig entgegenzuwirken.
DAS RICHTIGE ERP-SYSTEM
Als Ausgangsbasis sollte dabei stets die ERP-Standardlösung dienen, welche in erster Linie nicht danach ausgewählt wird, in welchem Maße sie nachträglich angepasst werden kann. Vielmehr erübrigen sich spätere Anpassungen in vielen Fällen durch die Wahl des richtigen ERP-Systems. Zusätzlich sollte darauf geachtet werden, dass nur wirklich notwendige Anpassungen umgesetzt werden, denn jede ERP-Modifikation muss bei einem Update und Release-Wechsel kostenaufwendig nachgezogen und getestet werden.
Eine strukturierte Vorgehensweise bei ERP-Modifikationen ermöglicht es den Unternehmen außerdem, die Qualität und Quantität der wirklich notwendigen Anpassungen optimal zu steuern. Es braucht daher:
- eine klar definierte ERP-Strategie, abgeleitet von der Unternehmensstrategie
- Strategiekonform ausgerichtete Soll-Prozesse
- Systematisch definierte ERP-Anforderungen auf Basis dieser Sollprozesse;
- eine GAP-Analyse des ERP-Standard- und der kundenspezifischen Anforderung
- eine SWOT- und ROI-Analyse der Modifikationen/Neuentwicklungen
- eine methodische betriebswirtschaftliche Planung der Modifikation
- eine technische Operationalisierung der Modifikation unter Berücksichtigung der bestehenden Enterprise-Systems-Architektur
Die Ausgangsfrage nach der Anpassung von Unternehmen und ERP „Standard“-Prozessen kann also weiterhin nur mit einem fallabhängigen „es kommt darauf an“ beantwortet werden. Jedoch helfen ein klares strukturiertes Vorgehen und der methodische Vergleich von Standardlösungen, Licht ins Dunkel zu bringen und sowohl die ERP-Standardlösung als auch die eigenen Unternehmensanforderungen richtig einzuschätzen und aufeinander abzustimmen.
Der Autor Johannes Keckeis ist Senior Consultant bei SIS Consulting.
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