»Wir lassen niemanden zurück«

Das erklärte Ziel der Stadt Wien ist es, »Digitalisierungshauptstadt Europas« zu werden. Was das für den CIO der Donaumetropole Klemens Himpele bedeutet, erklärt er im Interview. Eines ist klar: Man muss auch auf Jene achten, die dem hohen Transformationstempo nicht gewachsen sind. [...]

Klemens Himpele, CIO der Stadt Wien. (c) C.Jobst / PID

Klemens Himpele hat das Abitur in Freiburg, Baden-Württemberg, abgelegt, den Ersatzdienst (statt Heer) in Israel. Studiert hat er Volkswirtschaftslehre sozialwissenschaftliche Richtung an der Universität zu Köln. Danach hat Himpele zweieinhalb Jahre in der Bildungsforschung gearbeitet, dann bei Statistik Austria in Wien, schließlich bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Frankfurt am Main. 2012 hat er die Leitung der MA 23 – Wirtschaft, Arbeit und Statistik übernommen und seit Oktober ist er CIO der Stadt Wien. »Ich bin also kein Techniker, was durchaus ein Vorteil sein kann, weil die Digitalisierung unsere Lebens- und Arbeitswelten massiv verändert und weiter verändern wird. Es ist auch Aufgabe eines CIO, diese Veränderungen zum Thema zu machen – denn wir sollten die Technologien so nutzen, dass das Leben besser wird«, sagt er im Gespräch mit der COMPUTERWELT. 

Was ist aus ihrer Sicht die größte Herausforderung auf dem Weg zur Digitalisierungshauptstadt Europas? Wie planen Sie, diese zu überwinden? 

Bürgermeister Michael Ludwig hat das Ziel »Digitalisierungshauptstadt« klar vorgegeben. Mehr noch: Im Regierungsübereinkommen der rot-pinken Stadtregierung wird der »Digitale Humanismus« als Zielsetzung formuliert. Im analogen Bereich ist Wien bekanntermaßen Lebensqualitätsweltmeister. Ich übersetze das für mich immer so, dass die Stadt Wien es für mich relativ leicht macht, meinen Alltag zu organisieren: Wunderbare Öffis, saubere Grünflächen, fantastische Öffnungszeiten der Kindergärten und so weiter. Digitalisierungshauptstadt sind wir als Verwaltung dann, wenn die neuen Technologien ideal genutzt werden, um den Menschen ihren Alltag zu erleichtern. Das ist die Seite der öffentlichen Hand.

Daneben hat Wien eine relevante IT-Wirtschaft mit rund 60.000 Beschäftigten. Startups ebenso wie große, etablierte Unternehmen. Hier gilt es, die Instrumente der Stadt Wien – beispielsweise die Wirtschaftsagentur und den Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds – ideal zu nutzen. Und natürlich die Digital City Wien, eine Plattform zum Austausch der Stadt mit NGOs, Unternehmen, Forschungs- und Bildungseinrichtungen sowie anderen Akteuren im digitalen Bereich. Es gibt auch heute schon Felder, wo Wien ganz vorne dabei ist: IT-Sicherheit zum Beispiel. Oder bildgebende Verfahren. Und: Die Wiener Digitalisierung ist eines der sechs Spitzenfelder der Wiener Wirtschafts- und Innovationsstrategie.

Selbst wenn die technischen Möglichkeiten vorhanden sind, fällt es vielen Bereichen wie Bildung und Gesundheit offensichtlich schwer, den Schritt in die digitale Ära zu machen. Was ist der Grund?

Es ist ganz sicher so, dass nicht alle die Möglichkeiten oder den Willen eines Umstiegs in den digitalen Bereich haben. Alle Statistiken zeigen beispielsweise, dass jüngere Menschen die Technologien weit häufiger nutzen als ältere. Hier hat Corona sicherlich zu einer enormen Verbreitung beigetragen. Es ist aber dennoch so, dass gesellschaftliche Umbrüche immer gestaltet werden müssen und dass das Thema Digital Divide ein echtes Thema ist. Ich bin daher froh, dass bereits seit zwei Jahren das Projekt »Schule Digital« läuft und dass Wien seit dem Herbst auch eine Strategie zur digitalen Bildung hat. Gemeinsam mit den Anstrengungen des Bundes wird hier einiges weiter gebracht werden in den kommenden Monaten und Jahren. Im Gesundheitsbereich darf ich auf den IT-Einsatz in der Pandemie verweisen: Beim Testen etwa oder beim Contact-Tracing. Hier ist eine wirklich beachtliche IT-Leistung im Hintergrund am Arbeiten.

Hat die Krise Ihrer Meinung nach die Entwicklung einer digitalen Zweiklassengesellschaft verstärkt? 

Wir müssen den analogen Weg immer offenhalten. In Wien ist weder Testen noch der Impftermin an digitale Technologien geknüpft, das geht auch telefonisch. Klar ist aber auch, dass dieser Entwicklung des »digital devide« aktiv entgegengearbeitet werden muss – und auch wird. Etwa durch Weiterbildungsfinanzierungen über die Digi-Winner von WAFF und Arbeiterkammer. Auch da hat uns die Politik klare Vorgaben mitgegeben: Wir lassen niemanden zurück. 

Was sind Ihre wichtigsten Learnings aus der Krise? Werden Sie künftig mehr strategisches Augenmerk auf Resilienz und Agilität legen? 

Die Pandemie war auch für die IT eine enorme Herausforderung, die wir bisher gut meistern konnten. Und ja, hier wurden andere Arbeitsformen angewendet, die wir bereits in einen weiteren Bereich übertragen haben – Stichwort Agilität. Diese Learnings nehmen wir jetzt schon mit, weitere werden sicher folgen.

Welche Eigenschaften braucht es vor allem, um rasch und unkonventionell auf Herausforderungen reagieren zu können? Welche Rolle spielt da Diversität? 

Es kommt in der Tat auf eine Mischung an Charakteren an, um schnell agieren zu können und dennoch die Systematiken im Blick zu behalten. Während Corona gibt es dazu einmal die Woche den IT-Steuerungskreis, der alle relevanten Entscheidungen mit Blick auf die IT trifft oder dem medizinischen Krisenstab zur Befassung vorlegt.

Was Diversität anbelangt, hat die IT bekanntlich Luft nach oben. Wir müssen davon ausgehen, dass die Digitalisierung unsere Lebenswelten dramatisch verändern wird. Dann müssen auch bei der Gestaltung der Digitalisierung die unterschiedlichen Perspektiven einfließen, was derzeit zu wenig passiert.

Beschreiben Sie bitte Ihren Führungsstil: Wieviel Freiraum bleibt für Experimente und Fehlerkultur? 

Wir brauchen die Ideen und Ansätze vieler – und wir brauchen zum richtigen Zeitpunkt Entscheidungen. Beides versuche ich hinzubekommen: Also viel Freiraum und klare Entscheidungen.

Wie gut unterstützt die IT-Industrie auf dem Weg in die digitale Ära?

Die IT-Industrie hat sicherlich noch Potenzial, wenn es darum geht, Silos aufzubrechen. Man kann von einem Messenger-Dienst nicht zum anderen schreiben – was absurd ist, aber natürlich ein Geschäftsmodell. »The Winner takes it all« scheint mir auf Dauer aber kein guter Ansatz.

Spannend wird sein, wie mutig die EU das Thema Haftung für Plattformen und Durchsetzbarkeit der Regeln angeht – das wird derzeit als Digital Services Act in Brüssel verhandelt.


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