»Wir müssen den Spagat schaffen«

Holger Kreienbrink, Leiter Produktmanagement bei GRAPHISOFT, spricht im COMPUTERWELT-Interview über den Spagat zwischen Nutzbarkeit und ständiger Weiterentwicklung bei den Lösungen und erklärt die Vorteile von OPEN BIM für die Baubranche. [...]

Holger Kreienbrink ist Leiter des Produktmanagements bei GRAPHISOFT. (c) GRAPHISOFT
Holger Kreienbrink ist Leiter des Produktmanagements bei GRAPHISOFT. (c) GRAPHISOFT

Welche Rolle spielt Digitalisierung in Ihrer Branche und wie weit sind Ihre Kunden bei diesem Prozess?

Wir sind ein wesentlicher Teil der Digitalisierung. Zuerst war es CAD, nun ist es BIM. Wobei wir die Idee eines virtuellen Gebäudes schon 1982 hatten. Durch diese Idee, die sich mit BIM weiterentwickelt hat, indem Informationen an Bauteile gehängt werden und diese Daten in anderen Disziplinen weiterverwendet werden können, sehen wir uns in einer tragenden Rolle bei der Digitalisierung des Planerwesens.
Unsere Kunden nutzen ARCHICAD und machen teilweise, ohne es zu wissen oder ohne es so zu nennen, bereits BIM – also ihren Teil der gesamten digitalen Wertschöpfungskette. Sobald Architekten verstanden haben, worum es geht und bereit sind, ihre vorhandenen Prozesse etwas zu ändern, geht es flüssig Richtung BIM.

Was sind die besonderen Herausforderungen an Softwarelösungen für die Baubranche?

Wir müssen immer den Spagat zwischen Nutzbarkeit und Weiterentwicklung schaffen. Wir wollen keine hyperkomplexen Features mit endlosen Einstellungsdialogen schaffen, sondern eine Software, die Spaß macht und dazu die Arbeit erledigt.
Technisch entwickelt sich das Bauwesen und die Zusammenarbeit über OPEN BIM immer weiter. Da müssen wir natürlich am Ball bleiben und aktiv an den Weiterentwicklungen mitwirken. Wir arbeiten in Gremien mit, in denen z.B. IFC weiterentwickelt wird.

Wie kann Ihr Planungstool ARCHICAD Kunden ihre Arbeit erleichtern und was ist das Besondere an dieser Lösung im Vergleich zu anderen Produkten am Markt?

Sie werden mit allen Tools zu einem Ergebnis kommen. Aber der Weg dahin kann umständlich und anstrengend sein. In unserer Entwicklung sitzen viele Architekten. Und wir verstehen wie Architekten denken und fühlen, kennen die Arbeit und Probleme. Wir wollen mit ARCHICAD eine Lösung entwickeln, die Spaß bei der Arbeit macht. Das beginnt beim User Interface – mit Icons statt nur Tabellen. Wir machen uns viele Überlegungen zum Arbeitsablauf – dieser muss rund und angenehm sein. Das merkt man an Teamwork, bei dem viele Mitarbeiter an einem Projekt arbeiten. Ebenso auch an unserer BIMx App, unserer mobilen Lösung, mit der Sie auf die Baustelle gehen können und alle Pläne und 3D-Modelle dabeihaben, ohne ein einziges Blatt Papier transportieren zu müssen.

ARCHICAD steht für offenes Building Information Modeling. Was sind die Vorteile dieses Ansatzes?

Wenn man mit OPEN BIM arbeitet, kann jeder Teilnehmer in seiner spezialisierten Softwarelösung bleiben. Man muss dahin gehend keine Kompromisse eingehen, neue Software kaufen oder seine Mitarbeiter neu anlernen. Zudem bietet ein offenes Dateiformat wie IFC auch den Vorteil, dass es von eigentlich allen Softwarelösungen im Bauwesen gelesen werden kann. Auf diese Weise kann ich mein Modell an diverse Planungspartner übergeben ohne eine direkte Schnittstelle zwischen zwei Lösungen. Und ein sehr wichtiger Punkt, auch unter Haftungsgesichtspunkten: Die Modellübergaben sind nachvollziehbar. Ich lege fest, wann ich was an wen mit welchen Informationen übergebe. Damit bin ich natürlich auch haftungstechnisch immer auf der sichereren Seite. Auf diese Weise ist klar ersichtlich, wer wann was geliefert hat. Zudem können auch jederzeit die IFC Modelle auf die Qualität überprüft werden. Das darf man nicht vernachlässigen.

Ab welcher Unternehmensgröße ist diese Lösung relevant beziehungsweise können Kunden auch von Collaboration-Möglichkeiten profitieren?

Die Kollaboration in ARCHICAD heißt Teamwork. Normalerweise geht das ab zwei Mitarbeitern los und ist nach oben unbegrenzt, da sich unsere Teamwork-Lösung komplett skalieren lässt. Dabei wird nur die Serverkomponente angepasst bzw. wächst mit. Für den Anwender ist es kein Unterschied ob er in einem kleinen oder großen Umfeld arbeitet.

Entsprechen Ihre Lösungen dem offenen Industrie-Standard IFC (Industry Foundation Classes)?

Die gesamte ARCHICAD-Struktur war schon immer sehr ähnlich zur IFC-Struktur. Dementsprechend können wir die des IFC-Standards sehr leicht abdecken und umsetzen. Unsere Bauteile und Eigenschaften werden auf die IFC-Elemente und Eigenschaften gemappt – beim Import oder Export. Das ist flexibel. Zudem nutzen wir in ARCHICAD ein Klassifizierungssystem, das komplett dem IFC-Schema entspricht. Klassifizierungen kann man am besten mit einem einfachen Beispiel erklären: In ARCHICAD gibt es das Decken-Werkzeug, mit dem Sie Betondecken, Böden, abgehängte Decken oder auch Flachdächer modellieren können. Also klassifizieren Sie es einfach dementsprechend. Und über die Klassifizierung erledigen Sie im Hintergrund gleichzeitig die korrekte Übergabe im IFC-Schema.

Wie funktioniert OPEN BIM konkret?

Grundsätzlich heißt das, dass wir mit offenen Formaten (im Grunde genommen IFC) arbeiten und jede Disziplin in ihrem eigenen Modell arbeitet, das jeweils von den anderen referenziert werden kann. Jeder Teilnehmer filtert sein Modell immer für die Übergabe, denn die andere Disziplin will meist gar nicht alle Informationen. Das gilt es vorher festzulegen. Der Architekt übergibt sein Modell – wahrscheinlich nur der Rohbau ohne Ausbau und Fenster, Türen, Räume – per IFC an den Tragwerksplaner. Der legt es bei sich in den Hintergrund (oder er übernimmt die Bauteile) und plant seinen Teil.

Der Haustechniker bekommt eine andere Filterung des Gebäudes – mit Ausbau, Räumen, Fenstern und Türen. Dahinein kann die Haustechnik geplant werden, die dann wiederum mit dem Architekturmodell koordiniert werden muss – die Kollisionsüberprüfung ist hierbei sicherlich der Teil, der am einfachsten zu verstehen ist. Durchbruchsvorschläge kommen vom Haustechniker auch als eigenes Modell (ProvisionForVoid) zum Architekten. Diese müssen dort übernommen werden. Also haben wir Fachmodelle, die untereinander koordiniert werden müssen.

Wie gewährleisten Sie den immer wichtiger werdenden Aspekt der Security und des Datenschutzes in Ihren Lösungen?

Erst einmal sind Einzelprojekte natürlich auf den jeweiligen Servern in den Büros gesichert. Da sollte per se nichts passieren. Sobald wir in Teamwork arbeiten und Teilnehmer von außerhalb mitarbeiten oder die Teamwork Serverumgebung (die BIMcloud heißt) in die Cloud ausgelagert ist, kommen Standard-Verschlüsselungssysteme wie etwa HTTPS oder VPN zum Einsatz.


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