„Wir stehen an einem Wendepunkt“

Ihre Vorträge konzentrieren sich derzeit auf einen „Realitätscheck für künstliche Intelligenz“. Warum betrachten Sie die KI-Entwicklung eher nüchtern? Tatsächlich erleben wir derzeit einen immensen Hype um das Thema KI – täglich erscheinen neue Pressemitteilungen und [...]

Thomas R. Köhler ist Unternehmer, Technologieberater und Buchautor. (c) Thomas R. Köhler
Thomas R. Köhler ist Unternehmer, Technologieberater und Buchautor. (c) Thomas R. Köhler

Ihre Vorträge konzentrieren sich derzeit auf einen „Realitätscheck für künstliche Intelligenz“. Warum betrachten Sie die KI-Entwicklung eher nüchtern?

Tatsächlich erleben wir derzeit einen immensen Hype um das Thema KI – täglich erscheinen neue Pressemitteilungen und Modelle, die vermeintlich alles besser machen sollen. In der Praxis zeigt sich aber häufig: Selbst mit ausgefeiltem Prompting sind die Ergebnisse oft nur mittelmäßig, und die versprochene Innovation bleibt aus. Genau dieser Hype sorgt bei vielen Unternehmen für Frustration, sobald sie merken, dass KI in ihrem Umfeld eben nicht „einfach so“ funktioniert.

Wo erleben Unternehmen aktuell die größten Stolpersteine?

Die Herausforderungen beginnen meist damit, dass die Resultate nicht das halten, was der Hype verspricht. Hinzu kommt das sogenannte Halluzinieren von KI – also die Erzeugung falscher Informationen, die kaum jemand mehr überprüft. Besonders kritisch ist das in zwei Bereichen: 

Erstens in der Softwareentwicklung. Hier wird oft angenommen, Entwickler könnten bald vollständig ersetzt werden – „Vibe Coding“ ist so ein Schlagwort. Dabei besteht die Gefahr, dass generierter Code Sicherheitslücken enthält, die niemand erkennt.

Und zweitens im Kundenservice. Klarna hat beispielsweise versucht, 700 Agenten komplett durch KI zu ersetzen und musste das Experiment rückgängig machen. Der Knackpunkt ist oft die fehlende Bereitschaft, einen menschlichen Filter beizubehalten. In Branchen, bei denen es auf Präzision oder Empathie ankommt, wie etwa bei der Telefonseelsorge, setzen wir aus gutem Grund keine Chatbots ein.

Wie sollten Unternehmen mit diesen Risiken umgehen? Keine KI einsetzen?

Im Gegenteil, es geht darum, ganz gezielt hinzuschauen, was funktioniert und was nicht. Unternehmen brauchen einen praxisorientierten Leitfaden und verlässliche Partner mit echter Projekterfahrung und Branchenkenntnissen. Wer im Bereich KI auf Experimentieren à la „Jugend forscht“ setzt, geht ein hohes Risiko ein. Vertrauensvolle Partnerschaften und die Auswahl kompetenter Dienstleister sind essenziell, insbesondere wenn es um sicherheitskritische Anwendungen geht.

Welche Bedeutung hat dabei die Unternehmenskultur?

Die Unternehmenskultur ist der Schlüssel zum Erfolg. Die Angst vor KI – sei es um den eigenen Arbeitsplatz oder allgemein vor dem Unbekannten, dem „Uncanny Valley“ – ist nach wie vor groß. Umso wichtiger ist es, klar zu kommunizieren, dass KI nicht dazu dient, Mitarbeitende zu ersetzen, sondern sie zu unterstützen und die Arbeitsqualität zu erhöhen. Organisationen sollten konsequent positive Beispiele kommunizieren und ihre Teams auf dem Weg aktiv einbinden.

Wie blicken Sie auf die digitale Zukunft Europas?

Ich bin grundsätzlich sehr optimistisch. Der aktuelle Umbruch bringt viel Neugründungs- und Innovationsgeist nach Europa. Die Diskussionen rund um digitale Souveränität, globale Wettbewerber und geopolitische Veränderungen wie die Präsidentschaft von Donald Trump stärken den Willen zur europäischen Selbstbestimmung.

Die Langfassung des Interviews findet sich hier.


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