Wo ein Wille, da ein Weg

Es fehlen IT-Experten. Aber wie viele IT-Fachkräfte braucht Österreich? Wer hat den Fachkräftemangel verschlafen? Welche IT-Spezialisten werden am dringendsten gesucht und wie kann man den Fachkräftemangel in den Griff bekommen? [...]

Nicole Scheiblecker, Monika Nigl, Martin Puaschitz, Christine Wahlmüller, Nahed Hatahet, Silvia Rathgeb und Jochen Hense haben im Rahmen eines COMPUTERWELT-Roundtables über mögliche Lösungsansätze für den IT-Fachkräftemangel diskutiert.
Nicole Scheiblecker, Monika Nigl, Martin Puaschitz, Christine Wahlmüller, Nahed Hatahet, Silvia Rathgeb und Jochen Hense haben im Rahmen eines COMPUTERWELT-Roundtables über mögliche Lösungsansätze für den IT-Fachkräftemangel diskutiert. (c) COMPUTERWELT

Die Wirtschafskammer spricht im aktuellen IKT Status Report von 10.000 fehlenden IT-Fachkräften in Österreich, die Stellenanzeigen und Karriereportale bieten täglich neue spannende IT-Jobs. IT-Experten werden in der IT-Branche, aber auch in vielen Unternehmen händeringend gesucht. Martin Puaschitz, Obmann UBIT Wien, der Fachgruppe für Unternehmensberatung, Buchhaltung und Informationstechnologie der Wirtschaftskammer, beurteilt die aktuelle Situation und bringt auch gleich einen Lösungsansatz mit ein: „Wir haben eine Branche, die seit Jahren überdurchschnittlich wächst. Da ist die Nachfrage einfach sehr hoch. Wir wollen jetzt stark auf die Lehre setzen. In Wien haben wir derzeit rund 11.000 IT-Betriebe, davon sind rund 25 Prozent Arbeitgeber-Betriebe – und diese bilden derzeit 420 Lehrlinge aus. Diese Zahl finde ich persönlich sehr überschaubar, das könnten durchaus mehr sein.“ Hier stellt sich die Frage: Allein die Lehre kann es aber nicht sein, oder? Die Tatsache des Fachkräftemangels ist seit vielen Jahren ein Thema, wieso ändert sich so wenig? Der Hauptgrund sei das starke Wachstum der Branche, so die Antwort von Puaschitz: „Es gibt keine IT-Firma, die derzeit keine IT-Mitarbeiter aufnimmt. Ich kenne nirgendwo einen Aufnahmestop im IT-Bereich – im Gegenteil. Wenn ein Bewerber oder eine Bewerberin kommt, der oder die scheinbar zum Unternehmen und zur Tätigkeit passt, wird derjenige oder diejenige oft schnell aufgenommen.“ Das würde sich im Nachhinein dann allerdings auch oft als Fehler herausstellen, wenn bemerkt wird, dass die Qualifikationen doch nicht so passen.

Für den Verband der österreichischen Software-Industrie (VÖSI) sitzt Nahed Hatahet, Geschäftsführer von HATAHET productivity solutions, mit am Tisch. Er sieht mehrere Aspekte: „Erstens: Der Fachkräftemangel ist nicht neu, wir haben dieses Problem schon seit Jahren, nur die Lage hat sich zugespitzt. Wir haben heuer ein Plus von zehn Prozent bei den fehlenden IT-Experten. Ich glaube, wir müssen sehr viel ändern, zunächst sicher bei der Ausbildung. Wir bilden Kinder und Jugendliche für Jobs aus, die es morgen nicht mehr gibt. Das ist eine Grundproblematik. Das Bildungssystem ist einfach zu langsam für die Digitalisierung und müsste viel agiler sein. Wir müssen weg von einmal lernen, Ausbildung machen und dann nie wieder lernen zu einem Modell, das uns zwingt, einfach laufend zu lernen.“ Da sei die Politik gefordert. „Das Positive am Fachkräftemangel ist aber, dass Firmen jetzt lernen müssen, attraktiver zu sein. Früher hat man Jugendliche sehr stark mit Geld gelockt, das funktioniert nicht mehr. Heute herrscht ein neuer Lifestyle: Jugendliche wollen sich in der Arbeit und privat erfüllen, sie wollen auch nicht 12 Stunden pro Tag arbeiten, sondern 30 Stunden pro Woche. Der dritte Punkt ist, dass Firmen ihre Arbeitsweise und ihre Kultur verändern müssen. Es ist zu wenig ein schönes Büro zu bauen. Vielmehr geht es darum, die Arbeitskultur an den neuen Lifestyle anzupassen und die Mitarbeiter so zu binden“, sagt Hatahet. Viertens müsse sich auch im Personalwesen vieles ändern, „also wie wir in punkto HR mit Leuten umgehen. Es geht für Unternehmen auch darum, etwa Plattformen zu nutzen um beispielsweise Software-Developer anzuheuern, da werden dann Profile gematcht. Wir sprechen hier von Data-Driven HR, wo es darum geht, aus analytischen Daten innerhalb und außerhalb des Unternehmens ein Profil zu schaffen, um einen idealen Bewerber zu finden. Da kommen Artficial Intelligence und Bots ins Spiel.“

Nahed Hatahet, Hatahet: „Wir bilden vielfach für Jobs aus, die es morgen nicht mehr gibt. Das Bildungssystem ist einfach zu langsam für die Digitalisierung und müsste viel agiler sein.“

Bildungssystem muss sich ändern

Doch wie wird das Problem in einem IT-Unternehmen gesehen? Silvia Rathgeb ist bei SAP für das University Alliances Programm verantwortlich, „wo wir versuchen, Schüler und Studierende für die Digitalisierung vorzubereiten. Ich sehe drei Aspekte: erstens das Thema Bildung. Die Bildung liefert einfach noch nicht das, was Absolventen gut auf die Berufswelt vorbereitet.“ Auch das unternehmerische Denken und der Geist für Unternehmensgründung werde wenig vermittelt, kritisiert die Expertin. Positiv sei, „dass das Thema Fachkräftemangel hilft, die Strukturen in Unternehmen aufzubrechen, weil zum Teil noch sehr historisch rekrutiert wird, und man einfach versucht, sehr eng gefasste Jobprofile zu besetzen, mit Personen, die genau diese Kompetenzen nicht haben bzw. die es am Markt nicht gibt.“ Hier empfiehlt Rathgeb, die Perspektive zu öffnen und einfach auch andere zuzulassen.

Als dritten Punkt sieht sie das Schlagwort Fachkräftemangel selbst als „etwas unscharfe, bedrohliche, schwarze Wolke«, die es zu hinterfragen gelte und wo man auch genau schauen müsse, welche IT-Fachkräfte uns denn überhaupt fehlen. »Beim Thema Fachkräftemangel geht es nicht nur um die IT-Spezialisten. So suchen wir bei SAP nicht nur Coder oder Developer, sondern Personen, die mit einem offenen Mindset in einem IT-Unternehmen arbeiten wollen, in den unterschiedlichsten Rollen. Man braucht IT-Affinität und natürlich sollte man auch Kenntnisse mitbringen, aber sehr vieles kann man sich auch durch zusätzliche Ausbildungen oder Kurse intern aneignen.“ Das klassische IT-Image versucht man bei SAP durch verschiedene Programme aufzubrechen: „Gerade im Projektbereich gibt es eine Unmenge von tollen Jobs, egal welche Ausbildung man hat“, rät Rathgeb jungen Menschen, jedenfalls die IT-Branche als künftiges Betätigungsfeld in Betracht zu ziehen.

Kooperation mit Ausbildungsstätten

Jochen Hense von der FH Campus Wien, fasst das Problem an der Wurzel: Es gebe ja mehrere Quellen, wo für die Branche ausgebildet werde: die Lehre („Wo möglicherweise noch nicht das ganze Potenzial ausgeschöpft ist“), dann den sekundären Bildungssektor, wo schon in Richtung IT ausgebildet wird, und die Fachhochschulen (FH) und Universitäten. Für die FHs sieht Hense einen enormen Andrang: „Wir müssen derzeit mehr als zwei Drittel der Bewerber – das sind 300 Studierende – ablehnen, weil sie keine finanzierten Studienplätze bekommen. Ich denke, das ist auf fast jeder FH so. Da müsste man dringend von Seiten der Politik etwas tun, das heißt zu überlegen, wie viel man finanzieren möchte“, fordert Hense. Außerdem seien die Unternehmen gefordert, aktiv zu werden, um an die Leute heranzukommen: „Unternehmen wie SAP, die haben bereits Kooperationen mit Unternehmen und FHs und bieten etwa Wahlfachpraktika oder Bachelor- und Masterarbeiten an und können so bereits mit den Studierenden zusammenarbeiten und ein Stück auch die Ausbildung in ihrem Sinne beeinflussen.“ Da gebe es sicher noch viel Potenzial, rät Hense Unternehmen, hier aktiv zu werden, denn der Markt sei heiß umkämpft. „Bei uns kann ich sagen, von den Studierenden, die fertig werden, sucht keiner mehr einen Job. Die werden von der FH weg rekrutiert“, erklärt Hense. Das Studium „Computing Digital Science Communications“ wird von der FH Campus Wien Vollzeit oder berufsbegleitend angeboten. Bereits während des Studiums beginnen viele Studierende zu arbeiten, schildert Hense: „Sehr viele Studierende wechseln im dritten, vierten Semester von der Vollzeit- daher in die berufsbegleitende Variante, weil sie von Unternehmen, wo sie Praktika absolviert haben, schon engagiert werden. Wenn man als Unternehmen auf der Suche nach Mitarbeitern ist, sollte man auf die Bildungseinrichtungen zugehen“, rät Hense. Der Frauenanteil ist derzeit übrigens an der FH Campus im Steigen: „Wir haben rund 20 bis 25 Prozent Frauenanteil. In Kooperation mit dem AMS gibt es zudem das Programm „Frauen in die Technik“, da werden auch sehr gute neue IT-Mitarbeiterinnen bei uns ausgebildet und finden dann alle einen Job“, berichtet Hense.

Jochen Hense, FH Campus Wien: „Wir müssen derzeit mehr als zwei Drittel der Bewerber, das sind 300 Studierende, ablehnen, weil sie keine finanzierten Studienplätze bekommen.“

Programm „Digiwinner“ nutzen

Hier knüpft Monika Nigl, Leiterin des Beratungszentrums für Beruf und Weiterbildung des waff (Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds), gleich an: „Ziel kann es nur sein, möglichst viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der Digitalisierung mitzunehmen. Insofern hat die Stadt Wien gemeinsam mit der Arbeiterkammer entschieden, ein großes Förderprogramm einzurichten, den „Digiwinner“. Wienerinnen und Wiener, die digitale Kompetenzen erwerben oder verbessern wollen und dafür eine Weiterbildung machen, können mit bis zu 5.000 Euro Förderung rechnen. Die Einkommensgrenze dafür liegt bei 2.500 Euro netto im Monat. Das ist eine große Mittelstandsförderung. Immerhin fallen rund 80 Prozent der Beschäftigten in Wien in diese Gruppe.“ Alleine heuer stehen Rund Fünf Millionen Euro dafür zur Verfügung.

Auch die Kooperation mit der Wirtschaft ist Nigl ein Anliegen: „Wir wollen von den Unternehmen erfahren, was denn zukünftig gefragte digitale Kompetenzen sind, um dann die Menschen noch besser beraten und begleiten zu können. Die andere Seite ist der Aus- und Weiterbildungsmarkt. Wir arbeiten hier mit Qualitätsanbietern zusammen und haben auch ein Qualitätssiegel, das WienCert. Auf dieser Basis versuchen wir, auch den Aus- und Weiterbildungsmarkt anzuregen, da Impulse zu setzen, damit auch entsprechende Kursangebote zur Verfügung stehen.“ Nigl stimmt Nahed Hatahet zu: „Man muss da sehr genau hinschauen. Denn die Angebote müssen Antworten auf die konkreten Job-Anforderungen der Gegenwart und Zukunft geben.“ Es sei daher wichtig, dabei auch neue Wege zu gehen und miteinander zu experimentieren und auszuprobieren.

Nicht vergessen sollte man auf die Gruppe der älteren Menschen, sprich die Altersgruppe 50 plus. Und auch die Zielgruppe Frauen und junge Mädchen liegt Nigl am Herzen: „Gerade die Digitalisierung sehen wir als Chance für Frauen und wollen dieses Arbeitsfeld auch Frauen schmackhaft machen. Hier gibt es das spezielle Frauenförderungsprogramm FRECH (Frauen ergreifen Chancen). Das Wort Digitalisierung ist allerdings sehr abstrakt. Wir sehen, dass viele Menschen sich fragen, was versteckt sich dahinter und was heißt das eigentlich, sich fit machen in punkto Digitalisierung? Das muss man herunterbrechen und konkret an verschiedenen Berufs- und Arbeitsfeldern sowie Berufsgruppen festmachen. Es ist uns ganz wichtig, dass wir möglichst viele auf die Reise Richtung Digitalisierung mitnehmen. Bei uns gibt es deswegen auch individuelle Beratung.“

Monika Nigl, waff: „Die Schwelle für IT-Jobs ist gar nicht so hoch wie viele glauben. Man muss jetzt nicht der Super-IT-Experte sein, um im IT-Bereich arbeiten zu können.“

ETC und Microsoft: Initiative gestartet

Nicole Scheiblecker, verantwortlich für Project Sales Management bei ETC (Enterprise Training Center) beleuchtet das Thema anhand eines konkreten Beispiels: „Wir haben bei Microsoft und unseren vielen Microsoft-Partnern nachgefragt, wie sie den Fachkräftemangel sehen und was wir dagegen tun können. Gemeinsam mit Microsoft haben wir uns dann eine Initiative überlegt und haben den Microsoft Education Skills Campus 2019 ins Leben gerufen. Wir versuchen dabei, gemeinsam mit den Kooperationspartnern Personen zu rekrutieren, die zwar wenig Erfahrung im IT-Bereich haben, aber mit Engagement dahinter sind und in diese Branche wollen. Wichtig war uns dabei vor allem die Einstellung zur IT-Branche. Unterstützt wurden wir dabei auch von AMS und waff.“ Seit Anfang Juli werden jetzt immerhin 15 Personen in einem Zeitraum von drei Monaten ausgebildet. Das Besondere daran: „Es handelt sich um ein hybrides Lernkonzept, das wir berufsbegleitend anbieten und wo verschiedenste Lernmethoden zum Einsatz kommen: vom betreuten Präsenztraining über Webinare bis zu Onlinekursen auf unserer Plattform, die man sich beliebig oft anschauen kann. Die Ausbildungssprache ist Englisch“, erklärt Scheiblecker. Sie propagiert auch die IT-Branche als attraktives Arbeitsgebiet: „IT-Fachkräfte sind nicht nur DevOps oder Progammierer – da gibt es ja noch viel mehr spannende Jobs, etwa im IT-Projektmanagement, Consultants, oder im Verkauf.“

Selbst ausbilden

Genau da wolle man ja auch von Seiten der Wirtschaftskammer mit den neuen Lehrberufen hin, hakt Martin Puaschitz ein: »Da gibt es Coding, Betriebstechnik und Systemadministration. Aber zusätzlich brauchen wir Projektmanager und IT-Vertriebsmenschen. Das sollte eher schon ein Solutions Partner sein oder in Richtung Consulting gehen. Das ist sicher auch eine Chance. Vor allem werden Frauen sehr gerne genommen, weil jede Firma stolz auf den Frauenanteil im IT-Bereich ist.« Man habe heute nach wie vor das Thema, dass sich Mädchen noch vor der IT scheuen. Puaschitz appelliert an die Firmen, aktiver zu werden: „Wartet bitte nicht darauf, dass irgendwann ein Bildungsminister das Konzept vorlegt, wo alle sagen: ja, das ist toll.“ Selbst handeln sei angesagt, indem man zum Beispiel als Unternehmen „gleich morgen die Stellenausschreibung für einen Lehrling hinausgibt. Das können durchaus auch Quereinsteiger sein“, rät Puaschitz. Selbstinitiative sei gefragt, „der Rest kommt, die Politik und die Interessensvertreter haben den Need der Branche verstanden“, meint der UBIT-Obmann.

„Ich glaube auch nicht an die Politik bzw. daran, dass man da ein Bildungssystem von heute auf morgen ändert. Aber ich glaube, dass es sich ändern muss“, schließt sich Nahed Hatahet an, der auch aus seiner persönlichen Sicht berichtet: „Als Unternehmer habe ich mein eigenes Bildungsprogramm. Ich suche mir Universal-Leute und bilde sie konkret aus. Zum Thema Coding habe ich eine ganz andere Sicht: Wir werden sehr viele Coder brauchen. AI und Bots werden allerdings sehr viele der Arbeiten, die heute Menschen machen, übernehmen und dazu wird auch ein Teil des Codings dazugehören. AI und Machine Learning werden uns helfen, in Zukunft schneller Code entwickeln zu können.“ Für Datenkultur und Datenethik seien aber die Menschen bzw. menschliche Intelligenz unverzichtbar. Hatahet spricht als weiteres großes Thema ältere Menschen an: „Ich würde sofort in meinem Unternehmen 50- oder 60-Jährige anstellen, die haben super Erfahrung. Aber wir haben in Österreich die höchsten Lohn-Nebenkosten. Laut Kollektivvertrag müsste ich da so viel bezahlen, dass ich mir lieber einen 20-Jährigen nehme.“ Nachsatz: „Ich finde, dieses politische System ist schon sehr bedenklich, denn wir werden alle arbeiten, bis wir 65 oder 70 sind.“ Hatahet fordert daher nachdrücklich: „Da gehört endlich etwas gemacht!“

Joboffensive für ältere Menschen

Dazu bringt sich auch gleich Monika Nigl ein: „Wien ist gerade dabei, eine große Joboffensive für Menschen ab 50 Jahren zu starten. Hintergrund ist die Tatsache, dass ältere Menschen am Arbeitsmarkt nach wie vor schlechte Karten haben. Und die letzte Bundesregierung hat ja bedauerlicher Weise die Aktion 20.000 vorzeitig gestoppt. Im Rahmen der Wiener Joboffensive 50 plus wird es dann möglich sein, geförderte Arbeitsplätze für Arbeitslose über 50 Jahre anzubieten. Der Start ist für September geplant, dazu wird es auch eine große Infomesse geben. Zudem gibt es den Qualifikationsplan 2030. Das Thema Digitalisierung spielt auch dabei eine ganz zentrale Rolle: Wir wollen damit vor allem all jenen, die nur einen Pflichtschulabschluss haben, zu einer besseren Ausbildung verhelfen und sie auch in die Zukunft unserer Arbeitswelt mitnehmen. Auch in dieser Zielgruppe gib es viele, die man für IT-Berufe interessieren kann. Drittens bieten wir mit dem Chancen-Scheck eine weitere Fördermaßnahme, wo wir Menschen, die als Erwachsene einen Lehrabschluss machen wollen, mit 3.000 Euro unterstützen. Hier gibt es übrigens auch auf Bundesebene Förderungen. Es geht jedenfalls ganz konkret darum, für die neuen IT-Lehrberufe wie zum Beispiel Coding entsprechende Kurse auch für Erwachsene am Aus- und Weiterbildungsmarkt bereit zu stellen. Es muss möglich sein, auch diese neuen Lehrberufe im zweiten Bildungsweg nachholen zu können.“

Martin Puaschitz, UBIT Wien: „Es gibt keine IT-Firma, die derzeit nicht IT-Mitarbeiter aufnimmt. Ich kenne nirgendwo einen Aufnahmestop im IT-Bereich – ganz im Gegenteil.“

Mitarbeiter über 50 sind teuer

Kritik zu den hohen Lohn-Nebenkosten, im speziellen für Praktikanten oder ältere Arbeitnehmer, kommt auch von Martin Puaschitz, der auch die Lösung über Förderungen für Unternehmen als „mühsam und kompliziert“ empfindet. Sein Vorschlag: „Man könnte zum Beispiel für die Zielgruppe 50 plus in der IT-Branche eine Ausnahmeregelung oder Erleichterungen schaffen und sich ein paar Jahre ansehen, ob das funktioniert oder nicht.“
„Von AMS-Seite gibt es schon länger die sogenannte Eingliederungsbeihilfe für Unternehmen. Dabei werden die Lohn-/Nebenkosten vom AMS eine Zeitlang für neueingestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über 50 übernommen. Erwähnenswert ist auch der Digitalisierungspakt, den Bürgermeister Michael Ludwig mit den Sozialpartnern geschlossen hat“, wirft Monika Nigl ein (im Oktober 2018, Anmerkung der Redaktion). Damit soll Wien in Zusammenarbeit mit Sozialpartnern und Wirtschaft sowie Industrie zu einem internationalen „Digitalisierungs-Hotspot“ werden. Und das geht natürlich nur mit den entsprechenden IT-Fachkräften.

Silvia Rathgeb bricht eine klare Lanze für Diversität: „Wir brauchen erfahrene Leute und wir brauchen auch die Frauen. Derzeit haben wir einen Frauenanteil von 37 Prozent und 22 Prozent Anteil an Führungspositionen. Für uns ist Diversität der Schlüssel zum Erfolg, daher geht es darum, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit unterschiedlichsten Hintergründen einzustellen.“

Aus ihrer eigenen Rolle als Leiterin des Bereiches University Alliances sieht sie die Situation so: „Wir investieren hier nicht nur als Unternehmen SAP, sondern auch für das Ökosystem, denn es gibt ja Unmengen an Unternehmen in Österreich, die unsere Software verwenden, die genauso Mitarbeiter benötigen.“ Man merke auch deutlich das steigende Interesse bei den Unternehmen, direkt mit Unis, FHs oder auch Schulen zusammenzuarbeiten. SAP stellt übrigens auch Gratis-Softwarelizenzen für Ausbildungseinrichtungen zur Verfügung. „Wir feiern jetzt im Herbst zum Beispiel 25 Jahre SAP-Lehre an der Wirtschaftsuniversität. Mittlerweile haben wir alle relevanten Universitäten als Mitglieder in unserem Programm und über eine Kooperation mit dem Bildungsministerium vor allem auch die berufsbildenden Schulen. Und an den AHS und NMS sind wir mit verschiedenen Programmen im Einsatz.“ Da gehe es jetzt auch darum, den Impuls zu setzen, dass IT oder ein Job in der IT etwas für die Jugendlichen sein könnte, und hier auch Partnerunternehmen zu finden. „Bitte engagiert euch doch an den Schulen, weil die Schülerinnen und Schüler haben noch wenig Ahnung, welche Qualifikationen und Skills im Berufsleben gefordert sind“, appelliert Rathgeb. Wichtige und gefragte Kompetenzen seien „analytisches Denken, Kundenorientierung, eine IT-Affinität, offen für Neues sein“. Und man müsse sich von dem Denken mancher Großeltern verabschieden: „Wann hast denn jetzt ausgelernt?“ Das sei leider immer noch sehr stark gesellschaftlich verankert und falsch: Offen sein und lebenslanges Lernen sind angesagt. SAP offeriert kostenlose E-Learning-Angebote bzw. MOOCs (Massive Open Online Courses), die für alle frei verfügbar sind: „Bei Open SAP gibt es beispielsweise auch einen Kurs »Was heißt Digitalisierung“. Und es gibt auch Kurse zu AI und Machine Learning«, erklärt Rathgeb und führt noch ein Problem an: „Leider bilden wir an den Unis immer noch in Silos aus: in Marketing und Produktionsmanagement und irgendwo habe ich dann auch Informatik. Das reicht aber nicht mehr aus. Die Studierenden wollen einfach nicht mehr nur theoretisches Wissen. Sie wollen auch Anwendungskompetenz. Wenn sie sich etwa während des Studiums auf Personal/HR-Wesen spezialisieren, wollen sie auch wissen, welche IT-Systeme es in diesem Bereich gibt.“

Silvia Rathgeb, SAP: „Die Bildung liefert einfach noch nicht das, was Absolventen gut auf die Berufswelt vorbereitet. Auch das unternehmerische Denken wird wenig vermittelt.“

Zu wenig IT-Ausbildungsplätze

Die Zusammenarbeit mit den Unternehmen wird an der FH stark forciert. „Da gibt es bereits sehr vieles“, betont Jochen Hense, der selbst bis vor sechs Monaten als Vorstand in einem Münchner Software-Unternehmen tätig war: „Das geht über gemeinsame Projekte, Wahlfachpraktika, über Karrieremesse, über Vorträge etc. Die andere Schiene ist: Wenn man sich unsere Studiengänge in Informatik ansieht (Computer Science and Digital Communications, Bachelor und Software Engineering, Master), dann kommen beim Bachelor-Studiengang über 50 Prozent der Lehrenden aus der Industrie. Da wird in die Richtung ausgebildet, die die Industrie braucht. Geht man zum Master, ist das noch verstärkt: 80 Prozent der Lehrenden sind Externe. Das heißt, man hat automatisch immer einen Austausch. Die Studenten erhalten bei uns eine solide Basis-Ausbildung und in der zweiten Hälfte des Bachelor-Studiums können sie sich bereits spezialisieren, etwa in Software Engineering, Mobile App Development oder AI. Verpflichtend ist zudem ein mehrmonatiges Wahlfachpraktikum, wo sie erstmals Industrieluft schnuppern. Parallel zur Ausbildung versuchen wir auch Soft Skills zu vermitteln: Bereits im ersten Semester fangen die Studenten mit einem Programmierprojekt an und müssen sich da zu fünft, zu sechst zusammenfinden und haben begleitend dazu Teamarbeit als Soft-Skills-Fach. Im zweiten Semester gibt es dann „Professional Presentation“ als Soft-Skills-Fach.“ Das System funktioniere sehr gut, zeigt sich Hense zufrieden. Er sieht auch einen Trend zum berufsbegleitenden Studium, über 50 Prozent der Studenten nützen bereits dieses Angebot. „Das wäre auch für ältere Arbeitnehmer oder Quereinsteiger eine Möglichkeit, sich neu beruflich zu qualifizieren.“ Einziges Manko, das Hense nochmals betont: „Wir müssen derzeit zwei Drittel der Bewerber ablehnen. Wir haben zu wenig IT-Ausbildungsplätze, wir haben da ein echtes Nadelöhr.“

Mit niederschwelligen Coding-Angeboten versucht man bei SAP, auch viele Kinder und Jugendliche bereits für das Programmieren zu begeistern, etwa mit der visuellen, blockbasierten Programmiersprache Snap! (eine stark Scratch ähnelnde Programmiersprache, Anmerkung der Redaktion). Sollten sich dann mehr junge Menschen für IT interessieren, brauche es auch ein größeres Angebot an praxisorientierten IT-Ausbildungsplätzen oder zusätzlich andere IT-Ausbildungsangebote. Eine Idee, für IT zu motivieren, sei auch ein Hackathon, bringt Rathgeb als Vorschlag. Das ist nichts anderes als ein Ideen-Wettbewerb, wo innerhalb von einigen Stunden oder Tagen intensiv an einem Projekt gearbeitet wird, mit dem Ziel, Lösungen zu präsentieren. Dieses Prinzip funktioniert für Programmier-Projekte im Jugendbereich sehr gut (siehe etwa Youth Hackathon, initiiert von der Codingschule DaVinciLab), wird aber zunehmend auch im Unternehmensbereich selbst in letzter Zeit populär. So hat SAP selbst im Juni erstmals einen „Hack2Sol“ für Unternehmenskunden organisiert. Unter Anleitung und Coaching von SAP-Experten waren Teams von Porr, Nationalbank, Hoerbiger und Wacker Neuson eingeladen, in einer Arbeitswoche aus einem Business Use Case eine individuelle App-Lösung basierend auf SAP-Technologien und der SAP Cloud Plattform zu entwickeln.

Nicole Scheiblecker, ETC: „Die Zukunft des Lernens wird mit Sicherheit digitaler, Jugendliche lernen auch mit Youtube. Wir stehen da vor einem großen Kulturwandel.“

Weiterbildungs-Angebote nutzen

Es gehe auch darum, künftig viel enger zusammenzuarbeiten, ergänzt Nicole Scheiblecker: „Ein gutes Beispiel ist DevOps. Development und Operation müssen noch viel mehr zusammengebracht werden.“ Der Ausbildungsbedarf ist jedenfalls groß: Bei ETC werden die Aus- und Weiterbildungs-Trainings intensiv genutzt und hybride Lernkonzepte sind stark gefragt. „Es geht um eine gute Mischung und darum, Lernen effizienter zu machen. Gefragt sind vor allem ITIL, Scrum, Systemadministration, aber auch Big Data, Data Science und Analytics. Lernen verändert sich, die Zukunft des Lernens wird mit Sicherheit digitaler. Jugendliche lernen zum Beispiel auch mit Youtube. Wir stehen da vor einem großen Kulturwandel.“

Monika Nigl warnt aber davor, zu hohe Erwartungen zu haben und appelliert an alle, auch an arbeitslose Menschen und niederschwellige Angebote zu denken: „Wir sprechen hier von Plattformen und MOOCs. Zu uns kommen viele Menschen in die Beratung, die kennen das nicht und sind damit heillos überfordert. Das sind nicht nur die Älteren, das sind auch jüngere Menschen. Sogar die Online-Antragsstellung für Förderung ist da oft eine Hürde.“ Die Frage sei, wohin sich unsere Wirtschaft und die Unternehmen in der Zukunft oder in fünf Jahren entwickeln und welche Kompetenzen dabei für Arbeitnehmer entscheidend sind. „Aus meiner Sicht braucht es dafür vor allem auch viele allgemeine Eigenschaften, Soft Skills wie Neugier, Offenheit, Kreativität und selbstverständlich ein Grundverständnis. Damit müsse man Menschen dazu animieren, in die IT-Branche einzusteigen“, glaubt Nigl, „Die Schwelle ist gar nicht so hoch. Man muss jetzt nicht der Super-IT-Experte sein, um da arbeiten zu können.“


Mehr Artikel

News

Große Sprachmodelle und Data Security: Sicherheitsfragen rund um LLMs

Bei der Entwicklung von Strategien zur Verbesserung der Datensicherheit in KI-Workloads ist es entscheidend, die Perspektive zu ändern und KI als eine Person zu betrachten, die anfällig für Social-Engineering-Angriffe ist. Diese Analogie kann Unternehmen helfen, die Schwachstellen und Bedrohungen, denen KI-Systeme ausgesetzt sind, besser zu verstehen und robustere Sicherheitsmaßnahmen zu entwickeln. […]

Be the first to comment

Leave a Reply

Your email address will not be published.


*