Ein Nebeneffekt der Corona-Krise ist die beschleunigte digitale Transformation – beziehungsweise der Wunsch danach. Die COMPUTERWELT hat den Status quo von ERP und CRM und deren Fähigkeit, den Wandel zu unterstützen, unter die Lupe genommen. [...]
Die Fragen, inwieweit ERP noch zeitgemäß sei und die digitale Transformation überhaupt unterstützen könne, geistert seit längerem durch diverse Diskussionsrunden. Immerhin reicht die Geschichte des Enterprise Resource Planning über hundert Jahre zurück. Im Jahr 1913 entwickelte der bei Ford-Angestellte Whitman Harris ein papierbasiertes Fertigungssystem für die Produktionsplanung.
Die exklusive Expertenrunde der COMPUTERWELT (ab Seite 12 dieser Ausgabe) gibt auf diese Fragen eine eindeutige Antwort: »ERP ist die zentrale Datendrehscheibe und Pflichtübung der Digitalisierung. Aus heutiger Sicht ist die Ablöse des ERP-Systems nicht denkbar, denn es ist die einzige Daten- und Informationsquelle in einem Industriebetrieb, die korrekte betriebswirtschaftliche Entscheidungen ermöglicht«, sagt Michael Sander, CEO von proALPHA. Michael Schober, Leiter des Trovarit-Büros in Österreich, geht noch einen Schritt weiter: »ERP ist ein menschliches Grundbedürfnis, schon die ersten Tontafeln, die man 4000 vor Christus gefunden hat, waren Lagerbuchhaltungen. ERP ist daher bis heute ausweglos – was sich ändert ist die Technologie.«
RPA, KI und digitale Ökosysteme
Der IDG-Experte David Lauchenauer hat sich in seinem pointierten Artikel »Ist das noch ERP – oder kann das weg?« mit drei Technologien auseinandergesetzt, die ERP-Systeme derzeit fordern und Entscheidungen notwendig machen: Robotic Process Automation (RPA), künstliche Intelligenz (KI) und digitale Ökosysteme. Seine Grundfrage: »Kann mir hierbei das klassische ERP noch helfen oder stößt es an seine Grenzen?«
Wer auf RPA und damit auf die Automatisierung setze, verschaffe seinen Mitarbeitern mehr Zeit für werthaltigere Prozesse, so Lauchenauer. »Diese Prozesse müssen aber von einem System ausgelöst werden. Die Hoheit über diese Abläufe kann nur ein zentrales (Nerven-)System haben, das verantwortlich für Kapital, Material und Informationen ist. Das unternehmenseigene IT-Gehirn muss also ein ERP-System sein. Braucht ein ERP-System selbst RPA-Funktionen? Nein. Bei ERP-nahen Prozessen empfiehlt es sich, auf interne RPA-Funktionen zu bestehen. In allen anderen Fällen braucht es entsprechende Schnittstellen.
KI wird auch in Bezug auf ERP-Systeme immer relevanter, um menschliche Aktionen abzulösen, oder Prozesse automatisch zu optimieren. »Muss KI dann Teil der ERP-Software sein? Nein. KI funktioniert zwar nur in Verbindung mit Machine Learning und braucht somit zum Lernen die Daten aus dem ERP-System. Aber: Die Reichweite und der Nutzen einer Unternehmens-KI geht weit über das klassische ERP-System heraus und muss so nicht zwangsläufig Teil dessen sein. Im Gegenteil, KI nur im ERP-System kann zu einer Einschränkung werden. KI arbeitet im besten Fall Hand in Hand über Schnittstellen mit dem ERP-System«, so David Lauchenauer.
Schließlich geht der IDG-Experte auf digitale Ökosysteme ein, in denen alle relevanten Marktteilnehmer via Cloud miteinander verbunden werden. »Muss das Ökosystem aus dem ERP-System heraus zur Verfügung gestellt werden? Nein. Denn das Ökosystem geht weit über die Unternehmensgrenzen hinaus. Hier endet die Aufgabe des Programms. Es muss aber an der Grenze mit Schnittstellen und Microservices bereitstehen, um die notwendige Interaktivität zu gewährleisten.«
Lauchenauers ERP-Fazit: »Ohne das Herzstück des Unternehmens sind Trends wie RPA, KI oder digitale Ökosysteme nicht umsetzbar.« Dietmar Winterleitner, CEO von Cosmo-Consult und Teilnehmer der COMPUTERWELT-Expertenrunde, formuliert es so: Es existieren heute neue Technologien, »die es ermöglichen, auch ERP-Systeme über einen langen Zeitraum immer neu zu halten – das ermöglicht den Kunden, sehr lange ihr ERP-System zu behalten und immer auf neue Technologien zu setzen« (weitere spannende Statements lesen Sie im folgenden Artikel).
ERP-Kooperationen
Den Plattformgedanken verfolgen auch Hersteller. So haben zum Beispiel im letzten Jahr die vier mittelständischen Softwarehersteller cimdata Software, Logis, oxaion und Syncos ihre Angebote rund um ERP, Manufacturing Execution Systems und Computer-aided Quality unter der Dachmarke Modula vereint. Das Portfolio soll weit über das traditionelle ERP hinausgehen und hat mittlerweile über 40 Module, darunter Funktionen für einen Enterprise Digital Workplace und Big Data Analytics. Künftig mit an Bord: Cloud-native Technologien, Microservices auf Basis des Open-Source-Systems Kubernetes sowie KI-Funktionen und ein integriertes Business Process Management (BPM).
Microsoft & SAP
Auch bei den Großen der Branche bewegt sich einiges. Die intensivere Zusammenarbeit zwischen SAP und Microsoft startete 2017, im letzten Jahr haben beide Unternehmen »Project Embrace« angekündigt. Ziel der erweiterten Cloud-Partnerschaft und der Kooperation mit Systemintegratoren ist es, Firmen umfassende Pakete mit einheitlichen Referenzarchitekturen und Roadmaps sowie Best Practices zu bieten, die ihnen einen einfachen und schnellen Weg in die Cloud ebnen sollen. Dafür wird Microsoft unter anderem neben Azure auch Komponenten der SAP Cloud Platform vertreiben, um Kunden den Umstieg von SAP ERP auf SAP S/4HANA in der Public Cloud zu erleichtern.
Der Status-quo von CRM
Auch zum zehnjährigen Jubiläum ihrer CRM-Studie ging die MUUUH! Group der Frage nach, was Kundenmanagement heute können und in der Zukunft leisten muss. Die Autoren bestätigen den Trend, dass CRM nicht als Technologie, sondern als Managementansatz gesehen wird. Es gehe also um eine kundenorientierte Unternehmensstrategie oder -kultur bzw. um die Unterstützung bei langfristiger Kundenbindung und der Abbildung der gesamten Customer Journey.
»Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse verwundert es aber, dass Umsetzungs-bemühungen oftmals noch deutlich hinter diesen Zielen zurückbleiben. Die Um-setzungslücke zwischen identifiziertem Handlungsbedarf und konkret geplanten Aktivitäten ist sowohl hinsichtlich einer kundenfokussierten Strategie als auch der Umsetzung einer kundenorientierten Unternehmenskultur besonders groß. Und während ‚Customer Journey‘ einer der meist genannten Begriffe beim Thema Kundenmanagement ist, finden sich unter einhundert Unternehmen lediglich sieben, die ihre Customer Journey vollständig in ihren CRM-Systemen abgebildet haben«, so die aktuelle MUUUH!-Studie (mehr zu diesem Thema finden Sie ab Seite 20).
Lückenhafte Datenbasis
Eine weitere Herausforderung verorten die Autoren im fehlenden Fundament: der Datenbasis, die notwendig sei, damit CRM-Systeme ihr Potenzial vollständig entfalten können. »Basics wie Kontaktdaten und Ansprechpartnerinformationen bei den Kunden sind meist vorhanden. Bei Themen wie Kundenzufriedenheit, Kundenbindung oder Kundenbedarfen fehlen drei von vier Unternehmen die notwendigen Daten in ihren CRM-Systemen.« Die MUUUH!-Experten schätzen, dass die Lücken im Datenfundament nicht durch eine technisch einwandfreie Systemimplementierung geschlossen werden können – diese sei notwendig, aber nicht hinreichend. »Einführung und Betrieb von CRM-Systemen können nur dann erfolgreich sein, wenn Mitarbeiter aller Unternehmensebenen ein Verständnis dafür entwickeln, dass kundenbezogene Informationen für den nachhaltigen Geschäftserfolg unerlässlich sind. Hier braucht es ein intensives Change Management, das die Mitarbeiter dazu befähigt und motiviert, systemgestützte Kundenorientierung mit Leben zu füllen«, so die Studie.
Vier Makro-Trends
In der zweiten Auflage der »Digital CRM«- Studie sehen die Kundenmanagement-Spezialisten von Deloitte vier Trends, die aktuelle CRM-Investitionen treiben: steigende Kundenerwartungen, neue Geschäftsmodelle, technologischer Fortschritt und die Forderung nach Transparenz in Sachen Return on Investment. »Während die seit Jahren steigenden Erwartungen der Kunden nichts Neues mehr darstellen, sehen sich viele Unternehmen nun zusätzlich durch die Einführung von neuen Geschäftsmodellen selber gezwungen, die Effektivität von CRM in ihren Organisationen zu erhöhen.« Hierbei sei der Druck besonders hoch, neu gewonnene Kunden auch langfristig zu binden, um die hohen Kosten zur Neukundengewinnung angesichts gefallener Wechselhürden auf Seiten der Konsumenten auszugleichen. »Zudem treiben die immer schneller wachsenden technischen Möglichkeiten den Integrationsaufwand und damit die Bemühungen der Unternehmen, diese Lösungen sinnvoll in ihre Systemarchitektur zu integrieren. Auf der anderen Seite ermöglichen es genau diese Investitionen in die technische Infrastruktur, den in den Unternehmen gestiegenen Bedarf nach Transparenz über den Erfolg von Maßnahmen zu messen«, bringen es die Deloitte-Autoren auf den Punkt.
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