Wo steht ERP heute?

Die Corona-Krise hat deutlich gezeigt, wo die größten Digitalisierungsdefizite von 
Unternehmen sind und welche Rolle ERP bei der Transformation spielt. Der Dinosaurier 
unter den Business-Applikationen präsentiert sich heute zukunftsweisender denn je. [...]

Dr. Susanne Leitner-Hanetseder, 
ist Professorin an der FH OÖ. (c) FH OÖ
Dr. Susanne Leitner-Hanetseder, 
ist Professorin an der FH OÖ. (c) FH OÖ

ERP-Lösungen spielen eine zentrale Rolle in den Unternehmen und sie spielen diese Rolle insgesamt recht gut. So die Erfahrungen von 2.089 Anwenderunternehmen aus dem deutschsprachigen Raum, die im Zuge der aktuellen Studie „ERP in der Praxis“ durch die Analysten der Trovarit mittlerweile zum zehnten Mal seit 2004 befragt wurden. Ab Seite 14 dieser Ausgabe finden Sie dazu im Rahmen unseres ERP-Roundtables Kommentare von Michael Schober, Geschäftsführer ERP-Tuner und Repräsentant von Trovarit in Österreich. 

Die Studie weist Zufriedenheitsbewertungen von über 40 ERP-Lösungen aus. Die Anwender vergaben sowohl für die Software als auch für die Dienstleistungen die Gesamtnote „Gut“. Schlusslicht unter den Zufriedenheitsaspekten bleibt wie in den Vorjahren die „mobile Einsetzbarkeit der ERP-Software“. Ähnlich schwach schneidet die Dokumentation der Software ab. „Allerdings muss man hier festhalten, dass in diesen Bereichen auch die größten Verbesserungen im Vergleich zur Vorgängerstudie zu verzeichnen sind“, so die Studienautoren von Trovarit. 

Support, Schulungen und Beratung verbessert

Die Bewertung der ERP-Lösungen zeigt im Vergleich zu 2018 insgesamt leichte Verbesserungen der Anwenderzufriedenheit. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Gesamtbeurteilung der Dienstleistungen des Software-Partners sowohl während des laufenden Betriebs als auch während der Implementierung. Spürbar besser schneiden in 2020 die Zufriedenheitsaspekte „Schnelligkeit und Kompetenz des Supports“, „Schulungs- & Informationsangebot“ sowie „Beratung zur Optimierung des ERP-Einsatzes“ ab. 

Auch die ERP-Lösungen selbst erhalten insgesamt leicht verbesserte Bewertungen (Note 1,8 im Vergleich zu 1,84 in 2018), so dass die Anwender sowohl für die Software als auch für die Dienstleistungen mittlerweile eine uneingeschränkte Gesamtnote „Gut“ vergeben. 

Die Aspekte „mobile Nutzung der ERP-Software“ und „Dokumentation von Software und Anpassungen“ waren in den Vorjahren immer Anlass zu deutlicher Kritik. Heute bewegen sie sich im Bereich eines starken „Befriedigend“. Damit sind diese Kritikpunkte im Jahr 2020 sicherlich noch nicht vom Tisch, so die Meinung der Trovarit-Experten. Die ERP-Anbieter scheinen sich dieser Themen jedoch zuletzt verstärkt angenommen zu haben. Mit Maßnahmen wie der vermehrten Umstellung auf Web-Technologien mit Responsive Design bewegen sie sich hier offenbar auf der dem richtigen Weg. Responsive Design sorgt dafür, dass sich eine Anwendung auf Endgeräten mit unterschiedlich großen Bildschirmen gut bedienen lässt. 

Aus Anwendersicht leicht verschlechtert haben sich dagegen der „Aufwand zur Datenpflege“ sowie die „Branchenkompetenz“ der Software-Anbieter.

Schlanke Lösungen besonders beliebt

Die diesjährige Studie bestätigt die mittlerweile etablierte Erkenntnis, dass „schlanke“ ERP-Lösungen, ausgesprochene Branchenlösungen und/oder Lösungen kleinerer Anbieter mit verhältnismäßig kleinem Kundenstamm in Sachen Anwenderzufriedenheit insgesamt am besten abschneiden. Gutplatzierte Lösungen wie WinwebFood, Syslog, ISSOSPro, Isah und BMD erfüllen alle mindestens eine dieser Bedingungen. Die besten Lösungen unter den größeren Installationen finden sich dagegen erst im Mittelfeld. Ein Grund hierfür sei das hohe Anforderungsniveau in Verbindung mit spürbar größerem Aufwand bei Einführung, Wartung und (End-) Anwenderbetreuung, so die Trovarit-Autoren. 

ERP aus der Cloud

Die Corona-Krise hat natürlich auch im ERP-Umfeld Spuren hinterlassen. Laut einer aktuellen Bitkom-Befragung sind 41 Prozent der deutschen Business-Software-Anbieter mit Auswirkungen im Neu- und Bestandskundengeschäft konfrontiert.  60 Prozent der Anbieter rechnet mit einem Zeitraum von mindestens sechs Monaten bis zur Normalisierung vor allem des Neukundengeschäftes. Der Corona-bedingte Umsatzrückgang könnte 2021 damit teilweise wieder aufgeholt werden, zumal die Pandemie auch deutliche Defizite bei dem digitalen Reifegrad zutage befördert hat.

Eines der wichtigsten Learnings der Krise bis dato, war, dass Unternehmen, die seine ERP-Software und andere Operativsysteme bereits vor der Pandemie über die Cloud bezogen, weniger Einschränkungen in ihrem gewohnten Arbeitsumfeld zu befürchten hatten, wie die aktuelle SoftSelect-Studie „ERP Software 2020“ herausgefunden hat. „Zu beobachten ist, dass die hierzulande in den letzten Jahren immer noch latent spürbare Skepsis gegenüber Cloud-Lösungen und der Verarbeitung von Daten außerhalb der Unternehmensgrenzen seither spürbar rückläufig ist. Tatsächlich ist bei Softwareauswahlprojekten eine deutliche Zunahme der Cloud-Fähigkeit als Kernanforderung zu verzeichnen“, so SoftSelect-Geschäftsführer Michael Gottwald. „Die Notwendigkeit, Kosten zu senken, zwingt viele Unternehmen dazu, die vorhandenen IT-Infrastrukturen auf den Prüfstand zu stellen. Die aktuell wirtschaftlich angespannte Lage in vielen Unternehmen erhöht die Bereitschaft, Prozesse zu verändern und Kompromisse einzugehen, um die Kostenstrukturen nicht nur kurzfristig, sondern nachhaltig zu verbessern.“

ERP als Trendsetter

Den Trend in Richtung Cloud haben viele ERP-Anbieter schon vor längerem erkannt. 89 Prozent der in der SoftSelect-Studie untersuchten ERP-Systeme werden zwar klassisch als Inhouse-Variante angeboten, gleichzeitig aber kommen 76 Prozent der Lösungsangebote über die Cloud – ein Anstieg gegenüber 2018 von elf Prozent. Das Angebot wird nach wie vor dominiert von Client-Server- (88 Prozent), Multi-Tier- (72 Prozent) und teilweise webbasierten Architekturen (65 Prozent). Rein webbasierte Anwendungen sind zumindest im ERP-Bereich allerdings noch die Ausnahme (13 Prozent). 

Neben der Cloud treiben laut SoftSelect folgende Technologien die ERP-Weiteentwicklung: Big Data Analytik, Cognitive Process Automation (CPA), künstliche Intelligenz (KI) oder die Verschmelzung von Produktion und IT. 

„Im Zeitalter von Kollaborationsnetzwerken, verteilter Produktion und automatisierter Maschinensteuerung (IIoT) kommt dem ERP-System als zentraler Prozess- und Datendrehscheibe bei der Unternehmensplanung und -Steuerung eine Schlüsselaufgabe zu. Die Integration von Services digitaler Plattformen erfordert standardisierte, teilweise branchenspezifische Schnittstellen im ERP-System entweder auf der Daten-, Prozess- und/oder der Oberflächen-Ebene. Darüber hinaus sollten flexible Workflow-Engines die Möglichkeit eröffnen, die Abläufe – etwa mit Hilfe einer Mikroservice-Architektur – an neue Rahmenparameter anzupassen“, so die Studie. 

Diese neuen Aufgaben führen unter anderem dazu, dass ERP-Anbieter verstärkt Kooperationen eingehen. Aktuelles Beispiel ist pro ALPHA, das nun mit GBTEC in den Bereichen Process Mining und Business Intelligence zusammenarbeitet. 

Buchhalter 4.0

Wie sich moderne ERP-Systeme auf die Arbeitsweise von traditionellen Berufsbildern wie jenem des Buchhalters auswirken, hat eine Langzeitstudie der FH OÖ herausgefunden. „Der Alltag von Buchhaltern war über viele Jahre geprägt von wiederkehrenden Routinetätigkeiten und Stapeln von Belegen, die es zu verarbeiten galt. Mit der
Weiterentwicklung von ERP-Systemen und dem Einsatz von Software Robotern – kurz ‚Bots‘ – können derartige Tätigkeiten mittlerweile stark automatisiert werden“, sagt Susanne Leitner-Hanetseder, Professorin an der FH OÖ und Studienleiterin.  

Die gute Nachricht: Das Berufsbild des Buchhalters wird damit nicht obsolet, doch die Kompetenzen ändern sich. Die von der Forschergruppe analysierten Stellungsausschreibungen zeigen das deutlich: „Es geht nicht mehr ohne IT-Kompetenz, auf die in 92 Prozent der Ausschreibungen explizit hingewiesen wird.“ Diese spiegele sich insbesondere im geübten Umgang mit gängigen Office-Anwendungen sowie dem im Unternehmen eingesetzten ERP-System wider. „Am häufigsten genannt werden hier seit mehreren Jahren die Produkte von BMD und SAP. In der aktuellen Studie zeigte sich zudem ein Trend in Richtung zusätzlich gewünschter Programmier- und Datenbankkenntnisse“, so Susanne Leitner-Hanetseder.


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