Zufriedene ERP-Anwender

Österreichische Unternehmen stellen ihren ERP-Lösungen durchaus ein gutes Zeugnis aus. Trotzdem gibt es aber auch etliche Kritikpunkte wie zum Beispiel die mobile Einsetzbarkeit der Lösungen oder deren Releasefähigkeit. [...]

Lösungen für Enterprise Resource Planning (ERP) haben sich in den meisten Unternehmen als zentrales Steuerungswerkzeug etabliert und leisten damit einen entscheidenden Beitrag zur Geschäftsentwicklung. Grund genug, dem ERP-Einsatz eine eigene Studie zu widmen, die seit nunmehr 12 Jahren regelmäßig von Trovarit durchgeführt wird. 340 der gut 2.500 Teilnehmer an der Studie „ERP in der Praxis“ kamen aus Österreich und sprachen ihren ERP-Anbietern und -Systemen ein Lob aus. Sowohl für die Software als auch für die Dienstleistung vergaben sie die Gesamtnote „Gut“. Betrachtet man die 39 bewerteten Aspekte zu System, Implementierungspartner, Projektverlauf und Wartungspartner im Detail, wird deutlich, wo der Schuh – trotz aller Zufriedenheit – am meisten drückt: So hat sich zum Beispiel die „mobile Einsetzbarkeit der ERP-Software“ im Vergleich zur letzten Studie noch einmal verschlechtert.
Wie in den Vorjahren schneiden schlanke ERP-Lösungen, ausgesprochene Branchenlösungen und Lösungen kleinerer Anbieter mit verhältnismäßig kleinem Kundenstamm am besten ab. Lösungen, die tendenziell eher bei größeren Kunden zum Einsatz kommen, befinden sich dagegen im Mittelfeld. Wenn auch durchaus nicht alle kleineren ERP-Lösungen eine Spitzenposition erreichen, so haben sie doch per se eine bessere Ausgangsposition als ihre größeren Mitstreiter:
Geringe Komplexität: Schlanke und funktionale bzw. branchenfokussierte ERP-Systeme verfügen über eine geringere Komplexität, sodass Einführung und Administration bzw. Aktualisierung weniger aufwendig und die Bedienung weniger erklärungsbedürftig sind.
Enge und intakte Kundenbeziehung: Kleinere, lokale bzw. spezialisierte Anbieter verfügen aufgrund der überschaubaren Kundenbasis und auch aufgrund ihres Fach- bzw. Branchen-Knowhows über weitaus bessere Möglichkeiten, (persönliche) Beziehungen zu ihren Kunden intensiv zu pflegen und individuell zu gestalten.
Aktuelle Technologie: Sind Installationen technologisch auf dem aktuellen Stand, dann verfügen sie meist über eine bessere Oberfläche bzw. Benutzerführung sowie eine bessere Anpassbarkeit. Die Studie zeigt, dass das durchschnittliche Release-Alter bei schlankeren Installationen spürbar geringer ist als bei großen Installationen, da Release-Wechsel mit weniger Aufwand verbunden sind.
Betrachtet man die besten Platzierungen im Zufriedenheitsportfolio 2016/2017, so zeichnen sich die dort zu findenden Lösungen meist durch mindestens eines der zuvor beschriebenen Merkmale aus. So sind die Installationen der Systeme rs2, ORLANDO und business express in der Regel kleiner. Sie werden meist von weniger als 25 Anwendern in einem Unternehmen genutzt. Anbieter von Lösungen mit weit überdurchschnittlichen Zufriedenheitswerten pflegen meist eine offene und vor allem sehr intensive Kommunikation mit ihren Kunden. Ein weiterer Vorteil ist hier sicher, dass dabei Systementwicklung, und -einführung sowie die Betreuung in der Betriebsphase meist buchstäblich aus einer Hand kommen. Dies gilt auch für die ERP-Systeme, die eher in der mittleren Gewichtsklasse anzusiedeln sind und dort deutlich überdurchschnittlich abschneiden, wie beispielsweise CANIAS. Von den weiter verbreiteten Lösungen im Mittelsegment ist vor allem APplus sehr gut positioniert. In der Kategorie der Schwergewichte (über 100 User) schneidet im Jahr 2016 Dynamics AX leicht überdurchschnittlich ab. Mit etwas Abstand folgen in dieser Gewichtsklasse die Lösungen SAP ERP und Infor ERP M3.
Ein Blick auf alle 39 untersuchten Zufriedenheitsaspekte zeigt ein sehr differenziertes Bild. Nicht nur unterscheiden sich die Noten der einzelnen Aspekte hinsichtlich ihrer Mittellage, sondern sie zeichnen sich auch durch sehr unterschiedliche Schwankungen der Bewertungen aus. So wird die „Stabilität des Systems“ nicht nur im Durchschnitt sehr positiv bewertet, auch die Bandbreite der verschiedenen Bewertungen ist relativ gering. Ganz anders sieht es etwa bei der „mobilen Einsetzbarkeit“ der Lösungen aus. Einerseits liegt der Mittelwert über eine ganze Schulnote schlechter, andererseits streuen die Bewertungen der Anwender hier sehr viel stärker. Die Zufriedenheitsmerkmale lassen sich demnach grob in vier Kategorien einteilen:
Sichere Basis: Die Benotungen sind gut und schwanken wenig. Diese Aspekte sind weitgehend beherrscht und mit einem zufriedenstellenden Ergebnis kann gerechnet werden.
Stete Herausforderung: Unterdurchschnittliche Benotung und geringe Schwankung. Diese Themen sind immer problematisch und müssen besonders abgesichert werden, wenn sie beeinflusst werden können.
Spreu & Weizen: Die Zufriedenheitsnoten sind überdurchschnittlich, streuen aber stark. Hier kann man gute Ergebnisse besonders dann erwarten, wenn Anwender, ERP-System und Dienstleister gut zusammenpassen.
Böse Überraschungen: Die Noten sind unterdurchschnittlich und haben eine hohe Schwankung. Diese Themen sind erfahrungsgemäß schwierig und rangieren in einer großen Bandbreite von „gut“ über „akzeptabel“ bis hin zu „katastrophal“. Die Problempunkte mobile Nutzung, Dokumentation, internationale Einsetzbarkeit und Release-Fähigkeit fallen ganz klar in diese Kategorie.
Mobile Einsetzbarkeit
Lag die Zufriedenheit mit der mobilen Einsetzbarkeit der ERP-Systeme schon vor zwei Jahren an letzter Stelle, sank sie 2016 nochmals spürbar. Offensichtlich geht die Schere zwischen der Erwartung der Anwender, was Mobile Computing heute heißt, und dem, was Anwender mit ihren ERP-Systemen erleben, weit auseinander. Während im privaten Anwendungsbereich gilt „zu jeder Zeit, an jedem Ort und über jedes Endgerät“, tun sich die aktuell im Einsatz befindlichen ERP-Lösungen hier verhältnismäßig schwer. Den Anwendern reicht es aber nicht mehr, per Laptop und Webzugang auf ihre ERP-Lösung zugreifen zu können. Vielmehr wollen sie zusätzlich eine einfache (Touch-)Bedienung über Apps auf dem Smartphone bzw. dem Tablet. Eine Umstellung von ERP-Software auf eine App-artige Nutzungscharakteristik bringt jedoch eine Vielzahl technologischer Herausforderungen mit sich – wie zum Beispiel Plattformunabhängigkeit, kontext-sensitive Benutzeroberflächen oder Use-Case-spezifische „Applifizierung“ umfassender Business-Software-Lösungen. Angesichts der Dauer der notwendigen Entwicklungsarbeiten sowie der Modernisierung der ERP-Installationen im Zuge von Release-Wechseln wird es wohl noch einige Jahre dauern, bis diese Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit auf breiter Front geschlossen werden kann.
Die Dokumentation der Systeme bietet ebenfalls Anlass zur Kritik an ERP-Lösungen. Dabei wirken mehrere Mechanismen zusammen: Die Lösungen werden umfassender und ihre Bedienung damit anspruchsvoller. Damit steigen die Anforderungen an die technische Dokumentation aber auch an Schulungsunterlagen für den Endanwender. Gleichzeitig steigen Innovationsfrequenz und -umfang seitens der Anbieter. Der Schulungs- und Informationsbedarf steigt dadurch insgesamt deutlich. Gleichzeitig erfordert die zielgruppengerechte, aktuelle Dokumentation einer umfassenden Software sehr viel Aufwand und Kosten, die die meisten Kunden nur ungerne zahlen – auch weil der Schulungs- und Informationsbedarf zunächst nicht so offensichtlich ist. Diese Problematik verschärft sich mit dem Umfang der Software sowie mit dem Grad der kundenspezifischen Individualisierung zum Beispiel im Projektgeschäft.
Gefürchteter Release-Wechsel
Einen weiteren Kritikpunkt der Anwender stellt die negative Entwicklung der Bewertung für die Release-Fähigkeit dar. Das schwächere Abschneiden ist auch auf den Umstand zurückzuführen, dass viele Anbieter in der jüngeren Vergangenheit neue Release-Stände herausgebracht haben, mit denen große technologische Änderungen einhergehen. Entsprechend anspruchsvoll und aufwendiger ist die Umstellung der Releases. Diejenigen, die die Modernisierung gerade hinter sich haben, erinnern sich also noch an die damit verbunden Schmerzen. Diejenigen, die den Release-Sprung noch vor sich haben, fühlen sich von den anstehenden Herausforderungen überfordert und benoten die Release-Fähigkeit entsprechend.
Durchweg gute Noten erhalten unter anderem die Funktionalität und die Stabilität der Systeme, das Engagement und der Support des Implementierungspartners im Projekt sowie die Erreichung der Projektziele. Diese Punkte gehören damit zur Kategorie „sichere Basis“. Das bedeutet zwar nicht, dass man sie ganz aus den Augen verlieren darf, aber sie gehören wohl eher nicht zu den Aspekten, denen man im Rahmen der Projektierung verstärkt Beachtung schenken muss.
Neben den Angaben zu ihrer Zufriedenheit wurden die Teilnehmer der Studie auch nach den konkreten Herausforderungen befragt, die sie bei der Einführung und im Betrieb der Systeme erleben. Nur 17 Prozent der Teilnehmer gaben an, keinerlei größere Schwierigkeiten in ihren Implementierungsprojekten erlebt zu haben. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass 83 Prozent der Einführungen von ernsten Problemen überschattet wurden. Mit 33 Prozent wurde dabei die Aufbereitung und Übertragung der bestehenden Daten ins neue System am häufigsten genannt. Darauf folgen die Punkte knapper Zeitplan (21 Prozent), zu viele Systemanpassungen (20 Prozent), mangelnde Verfügbarkeit der eigenen Mitarbeiter (17 Prozent) sowie die Abbildung der unternehmenseigenen Abläufe (15 Prozent).
Immerhin 29 Prozent der Teilnehmer bescheinigen ihren ERP-Lösungen einen weitgehend reibungslosen Betrieb. Mit 20 Prozent verursachen Upgrades und Releases, deren Aufwand für unangemessen hoch gehalten wird, die meisten Probleme. 17 Prozent der Teilnehmer klagen über Schnittstellenprobleme und Mängel bei der Bedienerfreundlichkeit. Auch Schwierigkeiten mit der Performance, ungenügende funktionale Unterstützung, zu hohe laufende Kosten und geringe Flexibilität sind regelmäßige Kritikpunkte.
Die Studie zeigt, dass sich Umgang und Erwartungshaltung der Anwender bei ERP-Software mit der Zeit deutlich verändern. An der Spitze rangieren 2016 Themen wie Daten-/Informationssicherheit (besonders relevant für 84 Prozent der österreichischen Teilnehmer), Usability/Software-Ergonomie (75 Prozent), Compliance (41 Prozent), das Management der zunehmenden Vernetzung von ERP-Software (Enterprise Application Integration, 34 Prozent) und der mobile ERP-Einsatz (33 Prozent).
Datenschutz und Compliance
ERP-Systeme spielen die zentrale Rolle in der betrieblichen Software-Landschaft. Sie führen die wichtigsten Stamm- und Bewegungsdaten und dienen als Datendrehscheibe für die Mehrzahl der eingesetzten Software-Anwendungen. Vor dem Hintergrund zunehmender (überbetrieblicher) Vernetzung und Mobilität des ERP-Einsatzes steigen die Anforderungen an Mechanismen für den Datenschutz auch im Kontext der ERP-Systeme deutlich an. Das Thema Compliance betrifft im ERP-Kontext fast alle Anwender, da Änderungen, zum Beispiel in der Sozial- und Steuergesetzgebung, auch Änderungen in zentralen ERP-Modulen nach sich ziehen. Hinzu kommt eine steigende Zahl branchenspezifischer Regularien, die in der ERP-Software abgebildet werden müssen (beispielsweise Produkt-Serialisierung in der Pharmaindustrie).
Der hohe Stellenwert der Software-Ergonomie ist einerseits vor dem Hintergrund eines immer umfassenderen Einsatzes der recht komplexen ERP-Lösungen zu sehen. Gleichzeitig stellt die Erfahrung mit der einfachen (mobilen) Nutzung von Software per Tablet oder Smartphone einen neuen Benchmark für die Anwenderfreundlichkeit von Business Software dar, der auch im ERP-Kontext zu völlig neuen Nutzungsszenarien führt.
Und schließlich treibt die zunehmende Vernetzung von ERP-Software innerhalb der Unternehmen sowie über die Wertschöpfungskette hinweg die Notwendigkeit eines Schnittstellenmanagements zwischen den Software-Lösungen an. Einen Treiber in diesem Zusammenhang stellen sicher die zahlreichen Initiativen in den Unternehmen zur Umsetzung von Industrie 4.0 oder des Internets der Dinge (IoT) dar. Mit diesen Ansätzen geht letztlich die vollständige digitale Vernetzung von Produkten, Betriebsmitteln, Mitarbeitern und Organisationen einher. Sie landen unter den wichtigsten ERP-Trends zwar derzeit eher im Mittelfeld – die Bedeutung von Industrie 4.0 steigt jedoch offensichtlich stark, hat sie sich doch innerhalb von zwei Jahren vervierfacht.
Das Management Summary der Studie steht unter www.trovarit.com/erp-praxis zum kostenlosen Download zur Verfügung.


Mehr Artikel

Rüdiger Linhart, Vorsitzender der Berufsgruppe IT der Fachgruppe UBIT Wien. (c) WeinwurmFotografie
Interview

IT-Berufe im Fokus: Innovative Lösungen gegen den Fachkräftemangel

Angesichts des anhaltenden IT-Fachkräftemangels ist schnelles Handeln gefordert. Die Fachgruppe IT der UBIT Wien setzt in einer Kampagne genau hier an: Mit einem breiten Ansatz soll das vielfältige Berufsbild attraktiver gemacht und innovative Ausbildungswege aufgezeigt werden. IT WELT.at hat dazu mit Rüdiger Linhart, Vorsitzender der Berufsgruppe IT der Fachgruppe UBIT Wien, ein Interview geführt. […]

News

ISO/IEC 27001 erhöht Informationssicherheit bei 81 Prozent der zertifizierten Unternehmen

Eine Umfrage unter 200 Personen verschiedener Branchen und Unternehmensgrößen in Österreich hat erstmals abgefragt, inwiefern der internationale Standard für Informationssicherheits-Managementsysteme (ISO/IEC 27001) bei der Bewältigung von Security-Problemen in der Praxis unterstützt. Ergebnis: Rund 81 Prozent der zertifizierten Unternehmen gaben an, dass sich durch die ISO/IEC 27001 die Informationssicherheit in ihrem Unternehmen erhöht hat. […]

News

Public Key Infrastructure: Best Practices für einen erfolgreichen Zertifikats-Widerruf

Um die Sicherheit ihrer Public Key Infrastructure (PKI) aufrecht zu erhalten, müssen PKI-Teams, sobald bei einer Zertifizierungsstelle eine Sicherheitslücke entdeckt worden ist, sämtliche betroffenen Zertifikate widerrufen. Ein wichtiger Vorgang, der zwar nicht regelmäßig, aber doch so häufig auftritt, dass es sich lohnt, PKI-Teams einige Best Practices für einen effektiven und effizienten Zertifikatswiderruf an die Hand zu geben. […]

News

UBIT Security-Talk: Cyberkriminalität wächst unaufhaltsam

Jedes Unternehmen, das IT-Systeme nutzt, ist potenziell gefährdet Opfer von Cyberkriminalität zu werden, denn die Bedrohung und die Anzahl der Hackerangriffe in Österreich nimmt stetig zu. Die Experts Group IT-Security der Wirtschaftskammer Salzburg lädt am 11. November 2024 zum „UBIT Security-Talk Cyber Defense“ ein, um Unternehmen in Salzburg zu unterstützen, sich besser gegen diese Bedrohungen zu wappnen. […]

Be the first to comment

Leave a Reply

Your email address will not be published.


*