KI: Zehn Gebote gegen die Proof-of-Concept-Hölle

Vor dem Start eines KI-Projektes erreichen die Erwartungen ungeahnte Höhen, nach einigen Wochen oder Monaten folgt dann die Ernüchterung. Am Ende steht nicht die erhoffte revolutionäre Verbesserung der eigenen Prozesse sondern ein Proof of Concept (PoC). Volker Gruhn, Gründer und Vorsitzender des Aufsichtsrats der adesso SE, hat Tipps, um die "PoC-Hölle" zu vermeiden. [...]

Volker Gruhn, Gründer und Vorsitzender des Aufsichtsrats der adesso SE. (c) adesso

Das Proof of Concept zeigt, was möglich ist und wird schnell zu einem Zustand, in dem viele KI-Initiativen auf Ewigkeit verharren: Sie stecken in der PoC-Hölle fest. Das Projekt scheitert beim Schritt von „das ist möglich“ zu „das ist produktiv und verdient Geld“. Nicht weil die erarbeitete KI-Lösung nicht funktioniert, sondern weil die Verantwortlichen einigen KI-typischen Besonderheiten und Herausforderungen zu wenig Beachtung geschenkt haben. Unternehmen sollten aus Sicht des IT-Dienstleisters adesso auf diese zehn Punkte achten:

  1. Von Anfang an Fachbereich und KI-Fachleute an einen Tisch setzen
    IT-Projekte im Allgemeinen und KI-Projekte im Besonderen leben vom Austausch. Fachleute von Anwender- und Entwicklerseite, Teilnehmende mit Technologie-, Daten- und Domänenwissen: Sie alle müssen – von Anfang an – miteinander reden. Nur so findet das Projektteam die Balance zwischen technologisch Möglichem und wirtschaftlich Sinnvollem.
  1. Überhaupt Daten haben
    Ohne Daten keine KI. Dieser Zusammenhang kann nicht genug betont werden. Das Team benötigt Daten, um Modelle zu entwickeln, Ergebnisse zu bewerten und Lernerfolge zu erzielen. Mangelt es an Daten, müssen die Beteiligten erst dieses Problem lösen, bevor sie sich anderen Themen im Projekt widmen können.
  1. Die Daten kennen
    Das Auseinandersetzen mit den vorhandenen Daten ist das A und O des KI-Erfolgs – und zwar bevor Ressourcen und Budgets in Modellierung, Know-how-Aufbau und Werkzeuge fließen. Erst muss Klarheit über Themen wie Verfügbarkeit, Struktur oder Nutzbarkeit herrschen. Dann kann das Team die ersten Schritte in Richtung KI-Entwicklung gehen.
  2. Anwendungsfälle bewusst wählen
    Von Chatbot bis Predictive Maintenance, von Bild- bis Betrugserkennung: Die Bandbreite von KI-Anwendungen kennt keine Grenzen – im Gegensatz zu Ressourcen und Budgets. Aus allen Optionen auf das richtige Szenario zu setzen, ist die entscheidende Aufgabe für die Verantwortlichen. Dazu gehört ein systematischer Auswahl- und Bewertungsprozess.
  3. Ein Bild der KI-Möglichkeiten machen
    KI-Verfahren sind für viele Unternehmen neu. Es mangelt an Erfahrungswerten, auf denen Projekte aufbauen können. Bevor es an das Entwickeln geht, sollten sich die Beteiligten mit den Potenzialen der Technologien vertraut machen. Ob Anwendungsfälle aus der eigenen Branche oder der Blick über den Tellerrand hinaus: Es gilt, zunächst ein Gefühl für das Machbare zu entwickeln.
  4. Das Top-Management einspannen
    Die Auswirkungen von KI-Projekten gehen häufig über die eigentliche Aufgabenstellung hinaus. Sie erfordern neue Kompetenzen, berühren organisatorische Aspekte und verschieben Verantwortlichkeiten. Mit einem Management im Rücken, das von KI-Initiativen überzeugt ist, können Projektteams notwendige Veränderungen leichter anstoßen und durchsetzen.
  5. Nicht in ein Entwicklungsloft ziehen
    KI-Anwendungen sollten da gebaut werden, wo sie auch gebraucht werden: im Unternehmen. Mit den Menschen, die sie auch nutzen werden. Hippe Entwicklungsstudios in angesagten Szene-Stadtteilen mögen für eine Berichterstattung in den Medien sorgen. Aber die Gefahr ist groß, dass die Teams hier für den Showroom entwickeln – und nicht für den echten Einsatz.
  6. Den IT-Betrieb ernst nehmen
    KI ist keine Insel in der IT, innerhalb geschäftlicher Prozesse erfüllen die Anwendungen definierte Aufgaben. Dieses Zusammenspiel müssen die Entwicklerinnen und Entwickler von Anfang an berücksichtigen. Ob Schnittstellen, Oberflächen oder Updates: Nur Lösungen, die nahtlos eingebunden sind, leisten ihren Beitrag zum Geschäft. Einzelinitiativen dagegen verpuffen, ohne wirklich Spuren zu hinterlassen.
  7. Verantwortungen klar definieren
    Unternehmen erheben, verdichten und bearbeiten Daten, dann arbeiten KI-Anwendungen damit. Der Fluss der Daten orientiert sich dabei nicht an bestehenden Abteilungsgrenzen oder Berichtswegen. Dieser Tatsache müssen Organisationen Rechnung tragen – mit neuen Aufgabenbeschreibungen und angepassten finanziellen Anreizmodellen, die der Bedeutung von Daten gerecht werden.
  8. Mut mitbringen
    Ausprobieren, aufs falsche Pferd setzen, neue Lösungswege finden, vermeintlich gute Ideen begraben: Trotz aller Planung – und auch aller Gebote – gehört das zum Entwickeln von KI-Anwendungen dazu. Gerade größeren Organisationen fällt es schwer, mit dieser Unsicherheit umzugehen. Es bedarf Verantwortlicher, die Risiken eingehen, und Rahmenbedingungen, die dies fördern.

„KI-Projekte sind zu vielfältig, um sie über einen Kamm zu scheren“, sagt Volker Gruhn, Gründer und Vorsitzender des Aufsichtsrats der adesso SE. „Aber in Diskussionen höre ich immer wieder einen Punkt: Der Übergang von der Entwicklung zum Einsatz gelingt selbst vielversprechenden KI-Anwendungen nicht. Und das liegt nicht an der Komplexität der Technologie. Mit unseren zehn Punkten wollen wir die Verantwortlichen für die kritische Phase sensibilisieren: Organisatorische und zwischenmenschliche Aspekte entscheiden über den Erfolg genauso wie die Auswahl des richtigen KI-Verfahrens.“


Mehr Artikel

Gregor Schmid, Projektcenterleiter bei Kumavision, über die Digitalisierung im Mittelstand und die Chancen durch Künstliche Intelligenz. (c) timeline/Rudi Handl
Interview

„Die Zukunft ist modular, flexibel und KI-gestützt“

Im Gespräch mit der ITWELT.at verdeutlicht Gregor Schmid, Projektcenterleiter bei Kumavision, wie sehr sich die Anforderungen an ERP-Systeme und die digitale Transformation in den letzten Jahren verändert haben und verweist dabei auf den Trend zu modularen Lösungen, die Bedeutung der Cloud und die Rolle von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Unternehmenspraxis. […]

News

Richtlinien für sichere KI-Entwicklung

Die „Guidelines for Secure Development and Deployment of AI Systems“ von Kaspersky behandeln zentrale Aspekte der Entwicklung, Bereitstellung und des Betriebs von KI-Systemen, einschließlich Design, bewährter Sicherheitspraktiken und Integration, ohne sich auf die Entwicklung grundlegender Modelle zu fokussieren. […]

News

Datensilos blockieren Abwehrkräfte von generativer KI

Damit KI eine Rolle in der Cyberabwehr spielen kann, ist sie auf leicht zugängliche Echtzeitdaten angewiesen. Das heißt, die zunehmende Leistungsfähigkeit von GenAI kann nur dann wirksam werden, wenn die KI Zugriff auf einwandfreie, validierte, standardisierte und vor allem hochverfügbare Daten in allen Anwendungen und Systemen sowie für alle Nutzer hat. Dies setzt allerdings voraus, dass Unternehmen in der Lage sind, ihre Datensilos aufzulösen. […]

Be the first to comment

Leave a Reply

Your email address will not be published.


*