Ein Küchengerät, das sehr anschaulich zeigt, was den Unterschied zwischen bloßer Digitalisierung und digitaler Transformation ausmacht: Der Thermomix von Vorwerk hat das Zeug, Menschen, Prozesse und die kulinarische Welt zu verändern. [...]
Der Thermomix, derzeit in der Version „TM6“ auf dem Markt, ist ein Multitalent für die Küche. Zu seinen Funktionen gehören Kneten, Kochen, Mahlen, Mixen, Rühren, Schlagen, Erwärmen, Vermischen, Wiegen und Zerkleinern. Dazu kommen Aufgaben wie Sous-vide-Garen, Slow Cooking, Fermentieren, Karamellisieren und Peeler. Das offensichtlich Digitale an dem Gerät ist ein Touchscreen, über den man Rezepte aus dem Internet laden kann, die den Koch oder die Köchin Schritt für Schritt zum fertigen Produkt führen. Ginge es bloß um Digitalisierung, wäre der Artikel hier zu Ende – eventuell mit dem abschließenden Hinweis, dass der Thermomix nicht gerade billig ist. Aus der Sicht der digitalen Transformation jedoch, bei der es nicht selten um die vollständige Umwandlung bestehender Prozesse und Geschäftsmodelle geht, könnte das Ding als Lehrstück durchgehen. Warum das so ist, soll folgender Artikel beleuchten.
Obwohl sich die Rezepte des TM6 kaum von klassischen Vorlagen unterscheiden – sie umfassen die Zutaten, den Zubereitungsprozess, Basisinformationen wie Nährwert, Kochzeit und Tipps – können User hier davon profitieren, dass sie keine Köche sein müssen, sondern als bloße Handlanger – positiv formuliert: Manager – der Maschine wunderbar schmeckende Speisen quasi aus dem Nichts zaubern können. Das System ist derart Dummy-gerecht gestaltet, dass selbst die größten Antitalente in der Welt des Kochens überraschend gute Ergebnisse erzielen. Dafür sorgen etwa die interne Waage oder Zubereitungsschritte, die nur aktiviert werden müssen.
Kritiker werfen ein, dass diese Art der Nahrungszubereitung eher mit der industriellen Herstellung zu tun hat als mit der sinnlichen Welt des Kochens, wo etwa Erfahrung und Kunstfertigkeit den Unterschied zwischen Genuss und Verdruss ausmachen. Sie haben damit wahrscheinlich recht, was weiter nicht stört, denn Spitzenköche sind nicht die Kernzielgruppe. Neben erfahrenen Köchinnen und Köchen, die das Gerät unterstützend einsetzen, spricht der Thermomix vor allem Menschen an, deren Nahrungsaufnahme aus einer Mischung aus Fertigprodukten, Lieferservice und übel riechender Eierspeise besteht. Diese haben auf einmal die Chance, duftende Berglinsen mit Tiroler Speckknödeln, Dattelküchlein mit Kokoskaramell, Eis und Beeren, grünes Spargel-Risotto und vieles mehr auf den Teller zu zaubern. Die Wiederholbarkeit der Rezepte mit dem gleichen Ergebnis führt im schlimmsten Fall zu Eintönigkeit, die aber schmeckt, im besten Fall zur Bewusstmachung von Prozessen. Man erkennt sehr schnell, was es bringt, einen Markt zu besuchen, um frische Zutaten einzukaufen oder eine zusätzliche Prise Muskatnuss im Erdäpfelpüree zu verwenden. Da die Maschine handwerkliche Fehler weitgehend ausschließt, lässt sich vortrefflich experimentieren und Speisen ganz auf seine Vorlieben ausrichten. Auf diese Weise wird aus einem Fertiggericht-Junkie irgendwann einmal ein Koch. Transformation.
Offene Plattform
Ein weiteres Element der Transformation ist der Community- und Plattform-Ansatz. Viele User berichten, dass der Einsatz des Geräts dazu führt, dass viel mehr gemeinsam gekocht wird. Das hat etwas von Party. Man tauscht sich zudem mit anderen Usern aus, gibt Empfehlungen, Tipps und Tricks werden verraten. Das ist alles sehr leicht möglich, weil man sich stets auf dasselbe System bezieht, auf denselben Standard.
Die Rezepte stehen auf der Abo-Plattform Cookidoo zur Verfügung. „Jedes Rezept, das unsere Versuchsküche verlässt, wurde auf den Thermomix zugeschnitten und vom Team und externen Testern mehrfach geprüft und optimiert, bis es das Siegel der Gelinggarantie erhält“, so die Angaben des Herstellers. Sobald man sich für ein Rezept entschieden hat, am besten via Smartphone, lädt man es auf die Maschine hoch. Gleichzeitig lässt sich daraus eine Einkaufsliste generieren, die in Form von Checklisten hilft, den Überblick zu wahren.
Die Plattform ist offen. Das heißt zum Beispiel, dass sich Rezepte aus anderen Webseiten integrieren oder manuell erstellen lassen. Auf diese Weise können User das Kochbuch ihrer Vorfahren digitalisieren und die Arbeitsabläufe definieren – ganz im Sinne von Low Code/No Code.
Dazu kommt, dass Vorwerk sein Angebot mit jenen anderer Unternehmen der kulinarischen Welt kombiniert. Derzeit ist HelloFresh Kooperationspartner.
Direktvertrieb
Das Unternehmen hat Eingang in das Whitepaper European Private Business Survey 2019 – Wie mittelständische Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz der Wandel in der neuen Normalität gelingt von PwC gefunden. Hier wird der Weg nachgezeichnet, wie das Wuppertaler Unternehmen in Sachen Umsatz Platz Vier der weltweit größten Direktvertriebsgesellschaften erreicht hat.
„Mehr als 50 Jahre erfreute sich der Absatz des Thermomix stetigen Wachstums – bis 2012 der Marktanteil durch Konkurrenzprodukte bedroht wurde. Das nahm Vorwerk zum Anlass, die Stärken und Schwächen seines Gerätes genauer unter die Lupe zu nehmen. Das Management wusste, dass es neue Technologien in seine Produkte und Dienstleistungen integrieren musste, um sich von Wettbewerbern abgrenzen zu können. Im Jahr 2014 brachte Vorwerk einen modernisierten Thermomix mit einem Chip auf den Markt, der digitale Rezepte samt den erforderlichen Zubereitungsschritten – die das Gerät ebenfalls übernimmt – direkt auf das Touch-Display spielt. Der Nutzer musste also nur der Arbeitsanleitung folgen und die angezeigten Zutaten hinzufügen“, so das PwC-Whitepaper. Und: „In seinen Werken setzt Vorwerk zunehmend auf Industrie-4.0-Prozesse und hat über den Bereich Vorwerk Ventures aktuell in mehr als 15 Start-ups investiert, um nach eigenen Angaben Innovationsführer zu bleiben.“
Krisenfest
Um beurteilen zu können, wie weit ein Unternehmen bei seiner Transformation ist, sollte sich das Verhalten in Krisenzeiten ansehen. Vorwerk lebt von seiner kontaktintensive internationale Vertriebsorganisation – in Corona-Zeiten ist dies nicht ideal. In 20 Ländern mit eigenen Landesgesellschaften sind über 570.000 selbstständige Kundenberaterinnen und -berater für Vorwerk im direkten Kundenkontakt aktiv. Darüber hinaus beschäftigt das Unternehmen mehr als 12.000 festangestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
„Wir haben uns bereits in den vorangegangenen zwei Jahren intensiv mit der Frage befasst, wie sich ein modernes, flexibles, agiles und zukunftsfähiges Unternehmen aufstellen sollte“, sagt Geschäftsführerin Wiebke Friedrich gegenüber transform!. „Damit haben wir die Grundlagen für die Weiterentwicklung unseres Direktvertriebsmodells geschaffen. Schwerpunkt war dabei der weitere Ausbau der digitalen Angebote als Ergänzung und Unterstützung des personengestützten Direktvertriebs bei Vorwerk. Das war die Basis, um die Krise agil bewältigen zu können. Die Herausforderung zu Beginn der Pandemie bestand darin, schnell alles Notwendige zu unternehmen, um unseren Vertrieb pandemietauglich zu machen und persönliche Begegnungen kontaktlos und digital zu ermöglichen. Die gesamte Vorwerk Organisation, alle Beraterinnen und Berater, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben die Herausforderungen sehr gut gemeistert und bewiesen, wie agil und anpassungsfähig das Unternehmen ist. Die Beraterinnen und Berater waren für unsere Kundinnen und Kunden jederzeit zu erreichen. Der Vertrieb konnte damit seine besondere Stärke in der persönlichen Betreuung – auch in der Distanz – zeigen.“
Wettbewerbsvorteile
Welche Rolle die IT in der Transformation spielt, hat Heinrich Vaske in CIO beschrieben („Thermomix, Kobold – und IT: Vorwerk geht neue Wege“). Das Unternehmen unterscheidet zwischen der „Commodity-IT“ und der „differenzierenden geschäftskritischen IT“. Für die Standardaufgaben etwa in Logistik, Produktion und ERP gibt die IT-Organisation die Architektur vor und steuert die Supplier, die entsprechende Anpassungen vornehmen. Dort, wo das Unternehmen Wettbewerbsvorteile sieht, baut es eigene Lösungen, die auf SAP-Plattformen basieren.
Derzeit baut Vorwerk in Madrid ein Nearshore-Entwicklungszentrum mit mehr als 100 Developern. Dort sollen individuelle Systeme zur Unterstützung der vertrieblich relevanten Bereiche entwickelt werden. Warum dieser Aufwand? „Der Schlüssel des Erfolgs liegt für uns darin, unsere Beraterinnen und Berater optimal zu unterstützen“, sagt Wiebke Friedrich. Transformation bedeutet also nicht nur Änderung, sondern auch die Stärkung des Guten.
Datengetrieben
Und was bringt die Zukunft? „Vorwerk erkennt, wenn in einer Region eine Grippenwelle losrollt. Dann steigt die Zahl der Nutzer, die heiße Suppe kochen, sprunghaft an. Das Unternehmen nutze diese Daten derzeit noch nicht, hätte aber die Möglichkeit, sie auszuwerten“, schrieb Antonia Götsch im Magazin impulse schon im Jahr 2017. Und: „Der Kunde kauft künftig die Dienstleistung ’10 Kilo abnehmen‘ – und keine Küchenmaschine.“ Man sieht: Vorwerk hat noch viele Möglichkeiten, die digitale Transformation voranzutreiben.
Dieser Artikel ist in der Ausgabe transform! 01/2022 erschienen.
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